Kerstin Hensel gelingt mit ihrer Novelle „Regenbeins Farben“ ein kunstvolles Trauerbuch
„Im Halbdurchsichtigen drei Nereiden, aus ihren Höhlen am Grunde des Meeres gestiegen, hoch zu ihrem Gott, der auf einem Fabelwesen über Wellen reitet, vorne Pferd, hinten Fisch. Nymphen umkreisen ihn, und er erfleht ihre Gesellschaft, spielt den Schiffbrüchigen, den sie beschützen, besingen, begleiten sollten. Doch die Nymphen treiben andere Spiele. Im Wasser schwesterlich schwebend, sind die Seefrauen, die nur sich selbst unterhalten, in kecken Spielen plaudernd, mit Delfinen singend. Während der Gott um Rettung seiner Mächtigkeit fleht, zwingt er sein Reittier zu einer schaumschlagenden Levade. Poseidon, der Poser! Der Hippokamp trägt in durch die brodelnde Brühe der Geschichte (…)“
Diese laut- und wortschönen Sätze verraten Kerstin Hensel als Lyrikerin, die ihre poetische Sprache auch in der Novelle „Regenbeins Farben“ verwendet. Darin vereint sie vier Personen zu einer besonderen Gemeinschaft. Fast ein volles Jahr währt diese, lediglich drei Minuten fehlen, wie die punktgenauen Datierungen im ersten und letzten Kapitel zeigen.
Auch wenn der Tod als Motiv diese Novelle durchzieht und ein Teil der Handlung kammerspielartig auf einem Friedhof stattfindet, handelt es sich keineswegs um ein trauriges Buch. Als Trauerbuch hingegen ließe es sich sehr wohl bezeichnen, denn es erzählt, wie man Trauer bewältigt und sich von der Vergangenheit befreit. Die Kunst ist dabei das Mittel der Wahl. Dies zeigen schon die ersten Kapitel, in denen uns die Friedhofsgemeinschaft vorgestellt wird.
Die Malerin Karline Regenbein ist die Jüngste, an Alter wie an der Dauer ihrer Trauer gemessen. Es folgen Eduard Wettengel, der Galerist, Lore Müller-Kilian, die ihr Mäzenatentum dem verstorbenen Gatten verdankt und schließlich die Älteste, Ziva Schlott, die Kunstprofessorin mit „Kippchen“. Alle vier „Trauerschwestern und Flügelwesen“ weiterlesen