In „Fische füttern
” erzählt Fabio Genovesi vom Erwachsenwerden in der italienischen Provinz
Zugegeben weder Sportfischen noch Radrennen zählen zu den mich enthusiasmierenden Beschäftigungen, dennoch habe ich „Fische füttern“ des italienischen Autors Fabio Genovesi gerne gelesen. Auch dieser Roman widmet sich dem Lieblingsthema der diesjährigen Literatur, dem Erwachsenwerden.
„Die ganze Ebene ist von Kanälen durchzogen, Wassergräben, die alle miteinander verbunden sind. Sie führen mehr oder weniger dasselbe Wasser, sind schnurgerade, schmal, voll Schlick und mit Schilf an den Ufern. Dazwischen die Felder, auf denen nichts Grünes wächst. Tatsächlich sprechen manche von den „Kanälen”, andere vom „Kanal”. Wenn man jedes Teilstück für sich nimmt, sind es viele, aber von oben betrachtet ist es ein riesiges dunkles Netz, das wie ein schwarzes Gitter über dem Ort und der Landschaft liegt.“
Die Geschichte spielt in einem kleinen Dorf in der von Kanälen durchzogenen Ebene nahe Pisa. Genovesi nennt seinen fiktiven Handlungsort Muglione, was wie er auf seinem Blog erläutert mit Murmeln, Brummen, Rauschen übersetzt werden kann. Muglione existiert also nicht, aber zahllose Orte, die ihr Schicksal mit ihm teilen. Sie haben weder ihren Bewohnern noch Touristen viel zu bieten, aber trotzdem einen speziellen Reiz. Sicher hat mir diese Geschichte auch gefallen, weil ich das Buch in einem ganz ähnlichen italienischen Provinznest gelesen habe. Während allerdings dort noch zwei Bars als dörfliche Treffpunkte dienten, so musste die einzige Bar Mugliones schließen. Der Besitzer war auf der Wildschweinjagd verunglückt. Ein Trauerfall, besonders für seine vorwiegend älteren Stammkunden. Sie finden jedoch bald einen Ersatztreffpunkt auf der anderen Straßenseite. Dort hat vor kurzem unter der Leitung von Tiziana der Jugendtreff eröffnet. Tiziana ist nach dem Ende ihres Studiums in ihren Ort zurückgekehrt, sie möchte etwas für ihn tun und vor allem den Jugendlichen eine Perspektive geben. Zu diesen zählt der 19-jährige Fiorenzo und wie seine Altersgenossen denkt er gar nicht daran den Jugendtreff zu betreten. Er trifft sich lieber mit den Jungs seiner Band, Metal Devastation. Gemeinsam träumen sie vom großen Durchbruch auf dem kommenden Rockfestival in Pontedera. Die realen Dinge des Lebens, Schule und Familie scheinen Fiorenzo abhanden gekommen. Vor allem die Beziehung zu seinem Vater, mit dem er seit dem Tod der Mutter alleine auskommen muss. Dieser besitzt den einzigen Angelladen in Muglione, das Magic Fishing. Seine zweite Leidenschaft gehört dem Radsport. Als Jugendtrainer gilt seine besondere Aufmerksamkeit dem vierzehnjährigen Mirko aus dem Molise. Unter skurrilen Umständen hatte er ihn dort entdeckt und für seinen Verein angeworben. Mirko wohnt nun in Fiorenzos Zimmer, das dieser unter Protest gegen das Hinterzimmer im Magic Fishing getauscht hat. Dort schläft er auf Säcken voller Fischköder und träumt von der Zukunft.
„Ich lag mit offenen Augen im Dunkeln, und es wurde immer lauter. Zum Glück fing ab und zu der Kühlschrank an zu brummen, oder ein Auto fuhr vorbei und übertönte es kurz. Aber dann kam es wieder, ein gleichförmiges Rauschen, vermischt mit einem leichten Kratzen. Millionen Würmer und Milliarden Füßchen scharren die ganze Nacht im Dunkeln in ihren kleinen Kisten und suchen nach einem Ausweg, den es nicht gibt.“
Was wie der unspektakuläre Alltag einer Dorfjugend klingt baut Genovesi zu einer spannenden Geschichte aus, der es allerdings nicht an nachdenklichen Momenten fehlt. Er überrascht mit unerwarteten Wendungen und amüsiert mit skurrilen Details. Wir erfahren, wie die nächtlichen Geräusche von Fischfutter zu Gedanken an den Tode führen können oder gefälschte Pornobilder zu einem Auftrag für den Vatikan. In spritzigen Dialogen vermag Genovesi auf sehr italienische Art mit Ironie und Gefühl Einstellungen und Verhalten seiner Figuren zu schildern. Er begleitet sie auf ihrer Suche nach den Dingen, die sie wirklich tun möchten, selbstbestimmt ohne die Erwartungen der anderen erfüllen zu müssen.
Wichtige gesellschaftliche Themen wie Migration, Spitzensport und Journalismus werden kritisch angesprochen. Einen großen Raum nimmt die sehr lebendig erzählte Erfahrung der ersten Liebe und Sexualität ein.
Aber dies ist nicht nur ein Romanzo di Formazione, der die Orientierungsschwierigkeiten der jungen Generation aufgreift. Genovesi zeigt in ihm seine Liebe zur Heimat und seine Leidenschaften. Das Gedicht Der Regen im Pinienhain des italienischen Literaten Gabriele D’Annunzio wird durch Fiorenzos Interpretation zum Liebesboten und kulminiert in einer geträumten Prophetie.
Im Original trägt der Roman den Titel Esche vive, Lebende Köder. Die spielen ganz konkret als Schlafstätte im Magic Fishing, aber auch im übertragenen Sinne eine Rolle. Doch ich will nicht zu viel verraten.
Der Autor Fabio Genovesi, der in seinem Blog Esche vive viel von sich und seinem Buch berichtet, macht seine Passionen zu den Gegenständen des Romans. Er schreibt nicht nur Bücher und Theaterstücke, sondern auch für Musikjournale. Außerdem ist er Sportangler, Radsporttrainer und interessiert sich für Horrorfilme.
Er kennt sich also aus mit den Themen des Lebens.
Ein Unterhaltungsroman mit Substanz und viel Italianità, in dem nicht nur Jugendliche noch etwas lernen können.
Fabio Genovesi, Fische füttern (Esche vive), über. v. Rita Seuß u. Walter Kögler, Lübbe, 1. Aufl. 2012
Schon wieder ein Italiener zum Entdecken! Habe soeben „Benvenuti a Muglione” auf seinem Blog gelesen — der Mann gefällt mir 🙂
Deine Beschreibung der Nachtlagers, mit den lebenden Ködern, verursacht mir Gänsehaut. Hört sich wieder ziemlich schräg an und erinnert mich wegen der geschlossenen Bar gleich auch an Stefano Bennis „Pane e tempesta”. Es ist schon fast unvorstellbar, dass ein italienisches Dorf Barlos wäre.
Nicht wahr, wo die Italiener doch sogar die Bar im Museum erfunden haben. 😉
Fabio Genovesi hatte ich schon länger im Blick, wenn auch nur durch die Übersetzungen ins Deutsche (während er mir auf dem italienischen Buchmarkt nicht aufgefallen ist). Das, was du schreibst, klingt schön und reizvoll — an Geschichten, die in der italienischen Provinz spielen und mir ein Stück der Italianità, die du erwähnst, nahebringen bzw. wiedergeben, komme ich nicht vorbei. Italien in der Literatur begegnen ist für mich ein bisschen wie nach Hause kommen, zurückkehren in dieses — wenn man mal von den vielen, vielen Ecken und Kanten absieht — in mancher Hinsicht so liebenswürdige Land (und da du Italienisch zu sprechen scheinst, nehme ich an, dass es dir vielleicht ähnlich geht).
Es geht mir ähnlich, Caterina, auch ich unterliege gewissen italienischen Sentimentalitäten.
Hast Du vielleicht bereits den ersten Roman Genovesis, Versilia Rock City, gelesen? Welcher italienische Roman hat Dich besonders beeindruckt?
Nein, bisher habe ich noch nichts von Genovesi gelesen. Generell bin ich erschreckend unwissend, was zeitgenössische italienische Literatur betrifft. Durch die Uni habe ich vor allem die großen Texte des 20. Jahrhunderts kennen und schätzen gelernt (u.a. Svevos La coscienza di Zeno, Moravias Gli indifferenti, Elsa Morantes La Storia, Primo Levis Se questo è un uomo, Pavese La luna e i falò, Calvinos Se una notte d’inverno…).
Unter den jüngeren Autoren mag ich vor allem Andrea De Carlo, seine ungemein melancholische Art des Schreibens. Gerade lese ich wieder Uccelli da gabbia e da voliera, das ich vor etwa sechs Jahres gelesen habe und das mich sehr beeindruckt hat. Außerdem gefiel mir Andrea Bajanis Ogni promessa wahnsinnig gut, Se consideri le colpe wartet hier noch auf mich. Und zu guter Letzt kann ich Caos calmo von Sandro Veronesi, Il pianista muto von Paola Capriolo und Questa storia von Alessandro Baricco empfehlen.
Damit habe ich aber im Grunde fast schon alles ausgeschöpft, was mir an guter italienischer Literatur einfällt — also nicht wirklich viel 😉 Wie sieht es bei dir aus?
Ah, eine Romanistin. Ich habe längst nicht so viel im Original gelesen, ein paar Sachen von Natalia Ginzburg, Dacia Maraini und Stefano Benni sowie den Klassiker Don Camillo e Peppone. Dieses Buch hat mir unerwartet viel Spaß gemacht.
In Andrea de Carlos Techniken der Verführung bin ich nie so recht reingekommen, ähnlich ging es mir mit Alessandro Piperno Mit bösen Absichten. Das war allerdings ein Hörbuch, ich befürchte es lag am Vortragsstil.
Gut gefallen hat mir von Fabio Volo Il giorno in più, sein neuester Le prime luci del mattino war grottig. Eines meiner Lieblingsbücher ist Il Gattopardo, die Lektüre im Original steht noch an, ich bin mir aber nicht sicher, ob mein Italienisch dafür ausreicht.
Auf meiner Lista desideri stehen außerdem Mario Fortunato I giorni innocenti della guerra und von de Carlo Lei e lui.
Romanistin nicht, sondern Italianistin 😉 — darum meinte ich ja, es sei eigentlich beschämend, wie oberflächlich meine Kenntnis von der italienischen Literatur ist, abgesehen vielleicht von den Großen (der ersten Hälfte) des 20. Jahrhunderts, die ich aufzählte. Alles, was davor kam, kenne ich schlecht, alles Neue nur sehr bruchstückhaft (die Namen, die ich oben nannte, und noch eine Handvoll andere, das war’s). Beschämend deshalb, weil man angesichts meines Studiums annehmen sollte, dass italienische Literatur mein Schwerpunkt sei, aber mir fällt es schwer, tatsächlich auf nur ein Land / eine Sprache mein Hauptaugenmerk zu legen, wo es doch so viel Spannendes zu entdecken gibt, überall.
Wie dem auch sei, zu den von dir erwähnten Büchern: Benni kenne ich und mochte ich. An Fabio Volo traue ich mich nicht so recht heran, die Leser scheinen sich bei ihm zu entzweien, entweder man liebt ihn oder man hasst ihn, dann aber richtig. Il Gattopardo habe ich damals in der Uni gelesen, aber ohne dass es sich mir sonderlich eingeprägt hätte, obwohl es natürlich aus literaturgeschichtlicher Hinsicht ein Meilenstein ist, mich persönlich hat es wenig berührt.