Die Traumblätter des Trafikanten

Robert Seethalers melancholischer Wienroman „Der Trafikant”

seethaler_trafikant_3D15. April 1938

Im Pra­ter geht ein Mäd­chen, es steigt ins Rie­sen­rad, über­all blit­zen Ha­ken­kreu­ze, das Mäd­chen steigt im­mer hö­her, plötz­lich bre­chen die Wur­zeln, und das Rie­sen­rad rollt über die Stadt und walzt al­les nie­der, das Mäd­chen juchzt, und sein Kleid ist leicht und weiß wie ein Wolkenfetzen.“(S. 180)

Je­der träumt, vie­le er­in­nern sich ih­rer Träu­me, man­cher er­zählt sie wei­ter. Doch wer kommt schon auf die Idee sei­ne Träu­me in der Öf­fent­lich­keit aus­zu­hän­gen? Da müss­te man lan­ge su­chen, erst recht in Wien vor acht­zig Jah­ren. Auch wenn dort zu die­ser Zeit der Traum­fach­mann des Jahr­hun­derts lebt, Sig­mund Freud. Nach des­sen An­wei­sung no­tiert der jun­ge Franz sei­ne Träu­me und hängt die­se an das Fens­ter der Trafik.

Wie es so­weit kam und was da­nach ge­schah, schil­dert Ro­bert See­tha­ler in sei­nem neu­en Ro­man Der Tra­fi­kant. Von Hei­mat und Lie­be, von Freund­schaft und Tod, kurz vom Le­ben er­zählt die­se Ge­schich­te ei­nes sieb­zehn­jäh­ri­gen Jun­gen aus der ös­ter­rei­chi­schen Pro­vinz. Die­se liegt am At­ter­see, wo Franz mit sei­ner Mut­ter lebt bis die Um­stän­de ihn in die Welt zwin­gen. Die Mut­ter schickt ihn nach Wien zu ih­rem al­ten Be­kann­ten Ot­to. Der führt ei­nen La­den für Zeit­schrif­ten und Räu­cher­wa­ren, in der Tra­fik soll Franz ar­bei­ten. Zu­nächst ver­wirrt ihn das Wie­ner Ge­wim­mel. Auch die Post­kar­ten­grü­ße der Mut­ter, al­le mit ei­nem ein­zi­gen Mo­tiv, dem silb­rig glän­zen­den See, lin­dern sein Heim­weh kaum. Als Tra­fi­kan­ten­bur­sche lernt er vom ein­bei­ni­gen Welt­kriegs­ve­te­ran Ot­to vor al­lem ei­nes, die Zeitungslektüre.

Franz’ haupt­säch­li­cher Ar­beits­platz wür­de der klei­ne Ho­cker ne­ben der Ein­gangs­tür sein. Dort sol­le er – wenn ge­ra­de nichts Dring­li­che­res an­ste­he – ru­hig sit­zen, nicht re­den, auf An­wei­sun­gen war­ten und an­sons­ten et­was für Hirn und Ho­ri­zont tun, sprich: Zei­tung le­sen. Die Zei­tungs­lek­tü­re näm­lich sei über­haupt das ein­zig Wich­ti­ge, das ein­zig Be­deut­sa­me und Re­le­van­te am Tra­fi­kan­ten­da­sein; kei­ne Zei­tun­gen zu le­sen hie­ße ja auch, kein Tra­fi­kant zu sein, wenn nicht gar; kein Mensch zu sein.“

Da die Tra­fik an der Ecke zur Berg­gas­se liegt, kauft auch der be­rühm­tes­te An­woh­ner die­ser Wie­ner Stra­ße dort Zei­tung und Zi­gar­re. So macht Franz Be­kannt­schaft mit Sig­mund Freud, und die­ser rät ihm, sich ein Mäd­chen zu su­chen. Franz fin­det schnell ei­nes, An­ez­ka aus Böh­men. Eben­so schnell tau­chen Schwie­rig­kei­ten auf, auch in der Tra­fik, denn der miss­güns­ti­ge Flei­scher von ne­ben­an hetzt dem ro­ten Ot­to die Ge­sta­po auf den Hals. Zur glei­chen Zeit, am 15. März 1938, re­cken auf dem Hel­den­platz Zehn­tau­sen­de den Arm zum Deut­schen Gruß, der An­schluss ist voll­zo­gen, auch Ös­ter­reich steckt in Schwie­rig­kei­ten. Die klei­ne Welt des Tra­fi­kan­ten­bur­schen ge­rät der­art durch­ein­an­der, daß er den Rat des Pro­fes­sors sucht. Hart­nä­ckig war­tet er auf der Bank ge­gen­über, zwei Zi­gar­ren für Freud in der Ta­sche. Es ent­steht ein Aus­tausch zwi­schen bei­den, der al­ler­dings nur von kur­zer Dau­er ist. 1939 ver­lässt Sig­mund Freud Wien und zieht in sein letz­tes Do­mi­zil nach London.

Franz bleibt, er ist in­zwi­schen er­wach­sen ge­wor­den. Da­von kün­den auf an­rüh­ren­de Wei­se die Kar­ten und Brie­fe zwi­schen Mut­ter und Sohn. Franz ist nicht mehr der Bur­sche vom At­ter­see son­dern der Tra­fi­kant, der es weiß Zei­tung zu le­sen und Zi­gar­re zu rauchen.

See­tha­ler be­schreibt die Ge­füh­le sei­ner Fi­gu­ren so ein­dring­lich, daß sie für den Le­ser nach­voll­zieh­bar wer­den, sub­til ver­mit­telt er die po­li­ti­sche und ge­sell­schaft­li­che Be­dro­hung durch das Hit­ler­re­gime. Oft möch­te man dem na­iv agie­ren­den Franz ei­ne War­nung zu­ru­fen. Or­te und ih­re At­mo­sphä­re wer­den in ei­ner bild­haf­ten Spra­che le­ben­dig. Be­mer­kens­wert sind An­kunfts- und Ab­schieds­sze­ne am Haupt­bahn­hof. Wäh­rend Franz in sei­nen ers­ten Au­gen­bli­cken in Wien die Ge­rü­che der Groß­stadt als Ge­stank wahr­nimmt, „Es roch nach Ab­was­ser, nach Urin, nach bil­li­gem Par­füm, al­tem Fett, ver­brann­tem Gum­mi, Die­sel, Pfer­de­schei­ße, Zi­ga­ret­ten­qualm, Stra­ßen­teer.“ (S.21), ge­nießt er spä­ter die­ses Aro­ma, „Er at­me­te tief ein. Die Stadt roch nach Som­mer, Pfer­den, Die­sel und Teer.“ (S. 236)

Die­se bei­den Sze­nen, sie um­klam­mern fast die ge­sam­te Hand­lung, zei­gen den kon­stru­ier­ten Auf­bau die­ses Ro­mans. See­tha­ler ver­wen­det oft Sym­bo­le, die Sze­nen ein­füh­ren oder um­schlie­ßen. An­ez­ka juchzt auf dem Pra­ter in ei­ner Schau­kel be­vor sie sich mit Franz ver­gnügt. Ei­ne Mot­te ver­brennt an der Stra­ßen­la­ter­ne wäh­rend Franz sei­ner Lie­bes­ent­täu­schung ent­ge­gen sieht. Ein „Pest­vo­gel“ ver­kün­det die dunk­len Zei­ten. Wenn dann auf den letz­ten Sei­ten ei­ner Ge­ra­nie bru­tal ihr blü­hen­des Haupt ab­ge­schnit­ten wird und lei­se das Tra­fik­glöck­lein klin­gelt, weiß man, daß es kein gu­tes En­de neh­men wird.

 

Ro­bert See­tha­ler, Der Tra­fi­kant. Kein & Aber. 1. Aufl. 2012

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