In ihrem neuen Bildband „Die Erste“ illustrieren Barbara Sichtermann und Ingo Rose Kämpferinnen um die Geschlechtergerechtigkeit
„Die Erste“, das klingt nach Wettbewerbswunsch und Durchsetzungsvermögen. Beides war sicherlich im Verhalten der Frauen vorhanden, die Barbara Sichtermann und Ingo Rose im vorliegenden Bildband vorstellen. Sichtermann widmet sich seit vielen Jahren den gesellschaftlichen und privaten Rollen der Frau. In 18 Kurzporträts stellt sie nun, zusammen mit ihrem Partner Rose, bekannte und weniger bekannte Frauen unterschiedlicher Generationen und Fachgebiete vor. Gemeinsam ist diesen Frauen eines, sie eroberten sich Positionen, deren Zugang dem weiblichen Geschlecht verwehrt war. Neben der berühmten Lise Meitner, die im Schatten von Otto Hahn als Kernphysikerin forschte, finden sich der heutigen Öffentlichkeit bekannte Persönlichkeiten, wie die Journalistin Wiebke Bruhns, die Theologin Margot Käßmann, die Finanzexpertin Christine Lagarde und die ehemalige, vor kurzem verstorbene, britische Premierministerin Margaret Thatcher.
Die beiden Autoren gehen aber auch in der Historie zurück und berichten von den Medizinerinnen, Franziska Tiburtius und Emilie Lehmus. Diese hatten um 1870 in der Schweiz studiert und eröffneten später eine Praxis in Berlin. Das Türschild, Dr. med in der Schweiz, offenbarte allerdings die restriktiven deutschen Verhältnisse. Die Schweiz war fortschrittlicher, wenigstens ließ sie seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Frauen zum Universitätsstudium zu. Allerdings verwehrte dieses Land der Juristin Emilie Kempin-Spyri ihr Recht auf Berufsausübung. Ebenfalls in der Schweiz studierte Alexandra Kollontai, die 1918 einen Ministerposten in ihrer Heimat Russland besetzte. Im Weiteren begegnen wir Schriftstellerinnen und Frauen beim Militär, auch sehr jungen, der Gondoliera Giorgia Boscolo in Venedig und Hannah Zeitlhofer, Bereiterin der Spanischen Hofreitschule.
Während die bisher Genannten, sich eine gesellschaftliche oder berufliche Männerdomäne erobert haben, half Lenelotte von Bothmer bei der Durchsetzung einer heute ganz selbstverständlichen Gleichberechtigung. Sie trat als erste Abgeordnete in Hosen im Bundestag auf. Dieses Kapitel zeigt sehr schön die Vorgehensweise der Autoren. Nach der prinzipiellen Frage, in welcher Weise Kleidung den Status definiert, bieten sie einen kurzen, modehistorischen Blick auf die Hose. Anschließend schildern sie den Eklat, den von Bothmer auslöste als sie trotz des Verbots des damaligen Bundestagsvizepräsidenten Richard Jaeger die Hosen anhatte. Die Idee, sich diesem patriarchalischen Kleidergebot zu widersetzen, stammte eigentlich von Lieselotte Funke, die sich dem Anzug „figürlich nicht gewachsen“ sah. Am Ende berichtet das Kapitel über die weitere Entwicklung der Kleiderordnung dieser Institution. Hier wäre es interessanter gewesen mehr über diese Protestaktion und die Reaktionen in der Öffentlichkeit zu erfahren.
Die drei bis fünf Seiten langen Kurzporträts dieses schön gestalteten Bands werden von zahlreichen Fotografien und Zitaten ergänzt. Sie eignen sich als Einstieg in dieses Themenfeld und regen zu einer weiteren Auseinandersetzung an.
Barbara Sichtermann, Ingo Rose, Die Erste, Mutige Frauen verändern die Welt, Knesebeck Verlag, 1. Aufl. 2013
Vielen Dank für deinen Hinweis auf das interessante Buch. Die Zusammenstellung dieser unterschiedlichen Frauen und ihrer Lebenswege macht schon sehr neugierig. Und macht auch mal wieder deutlich, wie kurz der Zeitraum eigentlich ist, seitdem Frauen sich ihren gleichberechtigten (?) Anteil an der Gestaltung der Gesellschaft erkämpft haben. Und wenn wir auch heute über die Hosengeschichte schmunzeln müssen, ist es doch noch immer so, dass Frauen wesentlich mehr nach ihrem Äußeren und ihrer Kleidung beurteilt werden als Männer.
Das ärgert mich auch, besonders bei der Darstellung von Politikerinnen. Mich trösten dann nur die Erinnerungen an die schönen Birnenporträts von Kohl. 😉