Ein überquellender Schambecher

In „Dream Count“ thematisiert Chimamanda Ngozi Adichie die Diskriminierung weiblicher Lebensentwürfe hart am Chicklit

»Lebst du das Le­ben, das du dir für dich vor­ge­stellt hast?«, frag­te ich. »Nein, aber wer tut das schon?« »Ich den­ke, da gibt es ei­ni­ge Leu­te.« »Man­che Leu­te den­ken, dass man­che Leu­te es tun.« »Wie meinst du das? Dass es auf nie­man­den zu­trifft? Das ist de­pri­mie­rend.« »Ist es das? Ich fin­de es ziem­lich be­ru­hi­gend.« »Ich möch­te dar­an glau­ben, dass man­che Men­schen es tun. Was für ei­nen Sinn hät­te das Gan­ze denn sonst?« Er sah er­nüch­tert aus. »Hilft es zu wis­sen, dass die Welt vol­ler Men­schen ist, die noch trau­ri­ger sind als du?«

Für ihr Werk „Ame­ri­ca­nah“ er­hielt die in Ame­ri­ka le­ben­de Ni­ge­ria­ne­rin Chi­ma­man­da Ngo­zi Adi­chie Auf­merk­sam­keit und An­er­ken­nung. Mit „Dream Count“ hat sie nun ei­nen Ro­man vor­ge­legt, von dem man, an­ge­sichts sei­nes Schmö­ker­po­ten­ti­als, nicht all­zu viel ver­ra­ten möch­te. Adi­chie the­ma­ti­siert dar­in die Un­ge­rech­tig­kei­ten zwi­schen Män­ner und Frau­en, Rei­chen und Ar­men, Wei­ßen und Nicht­wei­ßen, kurz ge­sagt zwi­schen Pri­vi­le­gier­ten und Nicht­pri­vi­le­gier­ten. Auf 528 Sei­ten lässt sie in fünf Ka­pi­teln vier in den USA le­ben­de Afri­ka­ne­rin­nen auf­tre­ten. Drei ih­rer Prot­ago­nis­tin­nen, Zi­ko­ra, Ka­dia­tou und Ome­logor, er­hal­ten je­weils ein ei­ge­nes Ka­pi­tel. Chi­ama­ka, wel­che die Ver­bin­dung zwi­schen den Frau­en knüpft, kommt im ers­ten und letz­ten Teil des Ro­mans zu Wort, was ihn in­halt­lich wie for­mal rahmt.

Chi­ama­ka war zum Stu­di­um in die USA ge­kom­men, gibt die­ses je­doch auf, wird Rei­se­schrift­stel­le­rin und träumt da­von, ei­nen Ro­man zu schrei­ben. Die Iso­la­ti­on der Co­ro­na­zeit bie­tet ihr Mu­ße, sich an ih­ren „Dream Count“ zu er­in­nern, die Män­ner ih­rer ver­gan­ge­nen Lie­bes­be­zie­hun­gen. Ih­re Cou­si­ne Ome­logor er­kennt dar­in das An­zei­chen ei­nes emo­tio­na­len De­fi­zits, „wäh­rend nor­ma­le Men­schen im Lock­down un­ter Angst­zu­stän­den lit­ten, (warst du) da­mit be­schäf­tigt (…), dei­nen Ver­flos­se­nen hin­ter­her­zu­re­cher­chie­ren und dei­nen Bo­dy Count durch­zu­ge­hen.« »Mei­nen Dream Count«, sag­te ich. »Mit wie vie­len Dreams bist du denn schon zu­sam­men ge­we­sen?« »Die Welt hat sich ver­än­dert, und dann schaut man zu­rück, um mal Bi­lanz zu zie­hen und zu se­hen, wie man ei­gent­lich ge­lebt hat. Und man be­reut so vieles«“

Ome­logor, im glei­chen ni­ge­ria­ni­schen Dorf wie Chi­ama­ka auf­ge­wach­sen, bil­det nicht nur, was ih­re Män­ner­be­zie­hun­gen be­trifft, den Ge­gen­part zu ih­rer Freun­din. Die ei­ge­ne Un­ab­hän­gig­keit gilt ihr als größ­tes Gut. Fi­nan­zi­ell er­mög­licht ihr dies ei­ne Kar­rie­re im Ban­ken­we­sen, die es mit je­ner „Der Spie­le­rin“ von Isa­bel­le Lehn durch­aus auf­neh­men kann. Trotz­dem be­geg­net auch ihr die Er­war­tung, ih­re Rol­le als Frau und Mut­ter zu erfüllen.

Längst ver­in­ner­licht hat dies, for­ciert durch ih­ren tie­fen christ­li­chen Glau­ben, die aus Ni­ge­ria stam­men­de Zi­ko­ra. Sie ver­liert zwar durch die Schwan­ger­schaft den Part­ner, ge­winnt aber die Nä­he zu der ent­frem­de­ten Mutter.

Und dann ist da noch Ka­dia­tou, ei­ne aus Gui­nea ein­ge­wan­der­te Frau, die mit ih­rer Toch­ter in pre­kä­ren Ver­hält­nis­sen lebt. In ih­rem Job als Zim­mer­mäd­chen trifft sie auf Chi­ama­ka, die sie als Haus­an­ge­stell­te en­ga­giert, wo­durch ei­ne freund­schaft­li­che Be­zie­hung ent­steht. Adi­chie legt die­ser Fi­gur den Fall Di­al­lo-Strauss-Kahn zu Grun­de. Im Nach­wort er­läu­tert die Au­torin, daß der breit pu­bli­zier­te Miss­brauch ihr nicht nur als In­spi­ra­ti­on dien­te, son­dern daß sie den Her­gang der Ver­ge­wal­ti­gung ge­treu der Aus­sa­ge Di­al­los über­nom­men ha­be. Die Vor­ge­schich­te ih­rer Prot­ago­nis­tin Ka­dia­tou so­wie de­ren Re­ak­ti­on auf die Nie­der­schla­gung des Ver­fah­rens sei­en hin­ge­gen schrift­stel­le­ri­sche Phan­ta­sie und ha­ben nichts mit dem Vor­bild zu tun.

Ge­mein­sam ist den vier Frau­en des Ro­mans die Su­che nach Le­bens­er­fül­lung. „Lebst du das Le­ben, das du dir für dich vor­ge­stellt hast?“ lau­tet die Kern­fra­ge. Die Ant­wort fällt we­ni­ger un­ter­schied­lich aus als er­war­tet. Für Chi­ama­ka liegt die Er­fül­lung dar­in, von ei­nem Mann „er­kannt zu wer­den“, Ome­logor wünscht sich die Frei­heit zur Selbst­be­stim­mung, Zi­ko­ra Mann und Kind und Ka­dia­tou ein­fach ein fried­li­ches Le­ben. Je­de von ih­nen kämpft ge­gen frem­de aber auch ei­ge­ne Er­war­tun­gen, sei es die Ab­stam­mungs­li­nie fort­zu­füh­ren, der ka­tho­li­schen Mo­ral zu ent­spre­chen oder Män­nern ge­gen­über ge­fü­gig zu sein.

Wie uni­ver­sell die­se An­sprü­che sind, be­weist Adi­chie durch die Wahl ih­rer Hand­lungs­or­te, ne­ben den USA sind dies Ni­ge­ria, Gui­nea und die Län­der, die Chi­ama­ka be­reist. Eben­so ruft sie un­ter­schied­li­che Mi­lieus auf, die Welt der Su­per­rei­chen, der Aka­de­mi­ker, des Banken‑, Jus­tiz- und des Ver­lags­we­sens. Über­all sind Frau­en Res­sen­ti­ments und Dis­kri­mi­nie­run­gen aus­ge­setzt, sei­en sie ras­sis­ti­scher oder gen­der­be­ding­ter Natur.

Adi­chie zeigt dies durch die Ge­füh­le, mit de­nen die Er­zäh­le­rin­nen ihr Le­ben re­flek­tie­ren. Chi­ama­ka voll­führt da­bei die stärks­te Selbst­ana­ly­se und rutscht durch ih­ren Drang, er­kannt zu wer­den, zu­wei­len in me­lo­dra­ma­ti­sche Ge­fil­de. So sieht sie sich für ei­ne Tren­nung ver­ant­wort­lich, „weil ich die­sen au­ßer­or­dent­li­chen Schmerz nicht län­ger igno­rie­ren konn­te, der dar­in liegt, ei­nen lie­ben Men­schen lie­ben zu wol­len, den man nicht liebt.“ Adi­chie schafft mit Chi­ama­ka ei­ne Frau, die sich bis zur Selbst­de­mon­ta­ge se­ziert und schnell be­reit ist, Schuld zu über­neh­men. „Wenn ich jetzt zu­rück­bli­cke, se­he ich mei­ne Schwä­che in al­ler Deut­lich­keit, mei­ne Nach­gie­big­keit und Füg­sam­keit im Aus­tausch für nichts.“

Den Ge­gen­part zu Chi­ama­ka bil­det in vie­ler­lei Hin­sicht Ome­logor, die sich mit Schlag­fer­tig­keit ge­gen männ­li­ches Do­mi­nanz­ge­ha­be wehrt. Emo­tio­na­le Ver­letz­bar­keit ver­mei­det sie durch den Ver­zicht auf fes­te Be­zie­hun­gen. Das in ih­rer Selbst­be­stim­mung ge­grün­de­te Glück teilt sie mit an­de­ren, die un­ter schlech­ten Be­din­gun­gen lei­den. Da sind zum ei­nen Frau­en, de­nen sie mit Mi­cro-Spen­den zum Auf­bau ei­nes Un­ter­neh­mens ver­hilft. Zum an­de­ren Män­ner, und hier­in liegt ei­ne fei­ne Iro­nie, de­nen sie in ih­rem Blog „On­ly for men“, zur Ver­hal­tens­än­de­rung ge­gen­über Frau­en rät. Ome­logor, die sich nach ih­rer Kar­rie­re in Ni­ge­ria da­zu ent­schließt, Kul­tur­wis­sen­schaft in den USA zu stu­die­ren, ist die stärks­te Fi­gur des Romans.

Ne­ben dem sich er­gän­zen­den Duo Ome­logor und Chi­ama­ka, fal­len die an­de­ren bei­den Prot­ago­nis­tin­nen stark ab. So fügt Adi­chie durch Zi­ko­ra le­dig­lich ei­ne wei­te­re Be­zie­hungs­va­ri­an­te, die der vom Part­ner im Stich ge­las­se­nen Schwan­ge­ren, hin­zu. An­sons­ten wä­re die Fi­gur in der Dra­ma­tur­gie des Ro­mans ver­zicht­bar, wenn man von ih­rer Rol­le als ju­ris­ti­sche Be­ra­te­rin im Ver­ge­wal­ti­gungs­fall ab­sieht. In­ter­es­sant ist, daß so­wohl Zi­ko­ra als auch Ka­dia­tou nicht als Ich-Er­zäh­le­rin­nen auf­tre­ten, son­dern von ei­ner per­so­na­len Er­zähl­stim­me ver­tre­ten wer­den. Soll das die Pas­si­vi­tät der Fi­gu­ren aus­drü­cken oder ih­re je­wei­li­ge Ne­ben­rol­le? Das Ka­pi­tel Ka­dia­tou ge­rät so, ab­ge­se­hen von der Ver­ge­wal­ti­gungs­sze­ne, die Adi­chie be­we­gend nach­er­zählt, zum schwächs­ten li­te­ra­ri­schen Ele­ment des Ro­mans. Die Vor­ge­schich­te Ka­dia­tous in Gui­nea, ei­nes ar­men Mäd­chens in un­ter­drück­ten Ver­hält­nis­sen, ist vol­ler Kli­schees. Auf den Un­fall­tod des Va­ters fol­gen Kin­der­ar­beit, Be­schnei­dung, ein al­ko­hol­kran­ker Gat­te, ei­ne Fehl­ge­burt, ein un­zu­ver­läs­si­ger Part­ner und der Auf­tritt ei­ner Wohl­tä­te­rin. Auch wenn die Au­torin Zeit­sprün­ge und Rück­bli­cke ein­baut, füh­le ich mich an ei­nen sehr ein­fach ge­strick­ten Gen­re­ro­man er­in­nert. War­um hat man Adi­chie nicht ge­ra­ten, auf die­se bei­den Fi­gu­ren zu ver­zich­ten, und sich auf die in­ter­es­san­ten Ich-Er­zäh­le­rin­nen und den auf­ge­grif­fe­nen Fall zu konzentrieren?

Auch sprach­lich fin­det sich Schreck­li­ches, wie „ein Laut, so alt wie die noch nicht ge­form­te Er­de“. Der­art kru­de For­mu­lie­run­gen, die durch die Über­set­zung oft noch ge­stei­gert wer­den, durch­zie­hen lei­der den Ro­man. Da fehlt es nicht an Er­kennt­nis­sen wie „Men­schen ster­ben und Men­schen fei­ern Ge­burts­tag“, „Wir sind ver­liebt, und dann sind wir nicht mehr ver­liebt“ oder „Ich woll­te nicht das, von dem ich woll­te, dass ich es woll­te“. Ne­ben die­ser Pa­tho­s­pro­sa fin­den sich Ver­wei­se auf Hes­se, Proust und Kun­de­ra, aber auch Sät­ze selt­sa­mer Lo­gik. Ich fra­ge mich, was un­ter ei­nem „un­be­kann­tem War­ten“ zu ver­ste­hen ist oder war­um ich nie „auf­ge­regt und vol­ler Er­war­tung“ bin, wenn ich „ei­ne sü­ße Frucht schä­le“? Viel­leicht han­delt es sich aber auch um Über­set­zungs­feh­ler, wie der „Scham­be­cher“, „ein fun­keln­der, über­schäu­men­der Krug des Hu­mors“ oder der „Wunsch, die Lö­cher mit ei­nem an­we­sen­den Mann zu stop­fen“. Auch der „Wehr­machts­sol­dat“, der von Ome­logor zwar deutsch, aber mit V‑Laut aus­ge­spro­chen wird, ‑was im Ori­gi­nal kor­rekt wä­re, in der deut­schen Über­set­zung aber nun mal nicht funktioniert‑, wirft die Fra­ge auf, was mit den bei­den Über­set­zern los war? Wur­de ih­nen et­wa zu we­nig Zeit ge­las­sen? An dem Ein­satz ei­ner KI kann es nicht ge­le­gen ha­ben, denn selbst die­se emp­fiehlt, „a cup of shame“ kei­nes­falls wört­lich ins Deut­sche zu über­setz­ten, da es „ei­ne ab­sur­de Mi­schung aus „Scham“ und ei­nem Trink­ge­fäß er­zeu­gen wür­de, was leicht zu un­frei­wil­li­ger Ko­mik führt oder so­gar As­so­zia­tio­nen weckt, die ins Kör­per­li­che kip­pen“.

Wen die­se Din­ge je­doch nicht stö­ren, er­hält mit „Dream Count“ ei­nen Schmö­ker mit vier Frau­en­stim­men, Blog­bei­trä­gen, Rei­se­be­rich­ten und ei­nem auf ei­ner Quel­le ba­sie­ren­dem Be­richt, der mit Hu­mor, gu­ten Dia­lo­gen, viel Pa­thos und noch mehr Kli­schees von be­stehen­den Macht­ver­hält­nis­sen erzählt.

Chimamanda Ngozi Adichie, Dream Count, aus dem Amerikanischen übers. v. Asal Dardan und Jan Schönherr, S. Fischer Verlag 2025

 

 

 

 

Geiz als religiöser Wahn

Das Fräulein“ von Ivo Andrić „ist zufrieden mit sich selbst und dieser Welt, in der es überall und immer etwas zu sparen gibt“

Für sie gab es seit lan­gem zwei ganz ver­schie­de­ne, wenn auch nicht ganz von­ein­an­der ge­trenn­te Wel­ten. Die ei­ne war un­se­re Welt, das, was al­le Welt Welt nennt, die­se ganz ge­räusch­vol­le und un­über­seh­ba­re Er­de mit den Men­schen und ih­rem Le­ben, ih­ren Trie­ben, Sehn­süch­ten, Ge­dan­ke und Glau­bens­vor­stel­lun­gen, mit ih­rem ewi­gen Be­dürf­nis nach Auf­bau und Zer­stö­rung, mit dem un­ver­ständ­li­chen Spiel ge­gen­sei­ti­gen An­zie­hens und Ab­sto­ßens. Und die an­de­re, die an­de­re war die Welt des Gel­des, das Reich des Ge­winns und der Spar­sam­keit, ein ver­bor­ge­nes, stil­les, nur den we­nigs­ten be­kann­tes, aber un­end­li­ches Ge­biet des laut­lo­sen Kamp­fes und be­stän­di­gen Pla­nens, in dem Rech­nung und Maß wie zwei stum­me Gott­hei­ten herrschten.“

Geiz­kra­gen, Knicks­tie­bel, Furz­klem­mer, Knor­zer, zahl­reich sind die Be­grif­fe für Ty­pen, die je­den Pfen­nig zwei­mal um­dre­hen, um ihn dann doch im Sack zu las­sen. Man­che ha­ben es bis in die Li­te­ra­tur ge­schafft, wie Mo­liè­res Har­pa­gnon als ge­ra­de­zu ar­che­ty­pi­sche Fi­gur. Und wer kennt nicht die En­te oder ih­re mensch­li­che Ent­spre­chung, die lie­ber im Geld ba­det, als es aus­zu­ge­ben? Oder den Pfen­nig­fuch­ser, der bei je­dem noch so klei­nen Han­del feilscht? Die knaus­ri­gen Kni­cker knap­sen nicht zu­letzt auch bei sich selbst, denn „Spar­sam­keit ist ih­re Re­li­gi­on“. Sie ge­bär­den sich wie Ber­n­i­nis hei­li­ge Te­re­sa, wenn sie wie­der et­was bei­sei­te­le­gen, raus­schla­gen oder je­man­den über den Tisch zie­hen kön­nen. Ei­nem der­ar­ti­gen al­ler­dings weib­li­chen Geiz­dra­chen setz­te Ivo An­drić in „Das Fräu­lein“ ein Denkmal.

Der Klas­si­ker des No­bel­preis­trä­gers er­schien 1945 als Ab­schluss ei­ner Tri­lo­gie, die An­drić wäh­rend der Jah­re 1941 bis 1944 ver­fass­te. 2023 wur­de die von Ka­tha­ri­na Wolf-Grieß­ha­ber über­ar­bei­te­te Über­set­zung „Geiz als re­li­giö­ser Wahn“ weiterlesen

A hard-boiled Sheep Story

Scott Preston erzählt in „Über dem Tal“ vom prägenden Einfluss der Lebenswelt

Der Hof lag in ei­ner der vier­zehn feuch­ten, grün­vio­let­ten Ein­öden, ei­ner knapp zehn Ki­lo­me­ter brei­ten Sen­ke, von Ge­röll­hö­hen be­grenzt, Re­gen­zeit zwölf Mo­na­te im Jahr, stets Säu­re im Was­ser, Es­sig in der Er­de. Ein stei­les Land, be­kannt für sei­ne Seen, wir aber le­ben in den Hü­geln. Wol­ken­zer­fres­se­ne Ber­ge, Fells ge­nannt. Kei­ner groß, al­le steil, das Land von Zwerg­gras über­zo­gen, die Kru­me dünn wie Teeflecken. (…)
Un­se­re Her­de leb­te wild auf den frei­en Fells tau­send Fuß überm Tal. Wir über­lie­ßen die Tie­re sich selbst, so dass sie auf den Hän­gen und Klip­pen jen­seits der letz­ten Tro­cken­stein­mau­ern stromern konn­ten. Zu fut­tern fan­den sie, was sich auf Stei­nen krin­gel­te oder klum­pig am Baum wuchs, Flecht­krus­te auf Fels­vor­sprün­gen; man­ches da­von glüh­te grü­ner als die Ab­was­ser von Sellafield.(…)
Die Fells sind ein lee­res Land, wes­halb es ver­zeih­lich ist, wenn man es für sein ei­ge­nes Reich hält, für uns aber war es das wirk­lich und erst recht für William.“

Im Nor­den Eng­lands, in Cum­bria an der Gren­ze zu Schott­land, liegt die Ge­gend, aus der Scott Pres­ton stammt. Die­sem kar­gen Land und den Men­schen, die dort ih­re Scha­fe züch­ten, wid­met er sei­nen Ro­man „Über dem Tal“. Die Tie­re ha­ben sich der wid­ri­gen Na­tur an­ge­passt, meis­tern das kar­ge Fut­ter und den ewi­gen Re­gen. Der Maul- und Klau­en­seu­che je­doch, die 2001 über das Tal ein­bricht, er­lie­gen sie. Dar­über will ich ei­gent­lich nichts le­sen, über das Elend der Schä­fer und die Aus­mer­zung gan­zer Her­den. Aber die Art, wie Pres­ton da­von er­zählt, von den Fells, den Scha­fen und den Men­schen, zieht mich ab der ers­ten Sei­te in die Ge­schich­te hin­ein. In epi­scher Wei­se stimmt ein zu­nächst na­men­lo­ser Er­zäh­ler die­se Sa­ga an. „Ich er­zäh­le dir die­se Ge­schich­te über uns, über Leu­te, die ge­stor­ben sind, und ich er­zäh­le sie, als hät­te ich sie so er­lebt und hin­ter mir ge­las­sen. Ein Teil von mir hat das auch, an­de­re Tei­le aber tra­ge ich zer­bro­chen mit mir her­um und die war­ten dar­auf, mit dem Rest be­gra­ben zu wer­den.“ Sei­ne Sa­ga han­delt vom Schick­sal Wil­liam Her­nes, das im Aus­bruch der Seu­che sei­nen An­fang nahm.

An­ders als Her­ne, der über 1000 Scha­fe und viel Land sein Ei­gen nennt, lebt der Er­zäh­ler, Ste­ve El­li­man, auf ei­ner klei­nen Farm. Er ar­bei­te­te als Fern­fah­rer, sein Va­ter hat ihn zu­rück­ge­holt, um „A hard-boi­led Sheep Sto­ry“ weiterlesen

Ein Brite in Japan

Chris Broad erzählt in „Abroad in Japan“ von seinen „Erfahrungen bei der Erkundung einer Kultur und seiner unablässigen Selbstdemütigung“

Bis zu die­sem Au­gen­blick hat­te mich mein Stolz dar­auf, für das JET-Pro­gramm aus­ge­wählt wor­den zu sein, zu der Vor­stel­lung ver­führt, ich wä­re et­was Be­son­de­res. Doch als ich nun in der Lob­by des Keio Pla­za Ho­tels stand als ei­nes von tau­send frem­den Ge­sich­tern, däm­mer­te mir, dass ich nur ein win­zi­ges Räd­chen in ei­ner wohl­ge­öl­ten Ma­schi­ne­rie war.“

Der Au­tor die­ses Ja­pan­buchs, Chris Broad, kam 2012 erst­mal in das Land. Aus­ge­wählt vom „Ja­pan Ex­ch­an­ge and Tea­ching Pro­gramm“ soll­te er ja­pa­ni­sche Leh­rer beim Eng­lisch-Un­ter­richt un­ter­stüt­zen. Mitt­ler­wei­le lebt er im­mer noch in Ja­pan und dreht Do­ku­men­tar­fil­me. Be­rühmt wur­de er, ins­be­son­de­re in sei­ner neu­en Hei­mat, durch sei­ne You­Tubes über sei­ne Er­leb­nis­se in dem an­fangs für ihn so frem­den Land. In „Ab­road in Ja­pan“ lie­gen die­se nun in li­te­ra­ri­scher Form vor.

All‘ das wuss­te ich nicht, als ich zu dem Buch griff. Der Ti­tel weck­te in mir Er­in­ne­run­gen an die Rei­se­be­rich­te von Mark Twa­in und Bill Bry­son. Der Ver­gleich liegt na­he, nicht nur, was den Ti­tel an­geht. In iro­ni­schem Ton, der sich selbst als Ziel des Spotts kaum aus­spart, schil­dert Broad sei­ne Be­geg­nun­gen mit der ja­pa­ni­schen Kul­tur. Wir be­glei­ten ihn bei sei­nem Be­mü­hen, mit die­ser ver­traut zu wer­den, über zehn Jah­ren hinweg.

Den größ­ten Teil neh­men sei­ne drei Jah­re als Leh­rer an der Saka­ta Se­ni­or High in der Prä­fek­tur Ya­ma­ga­ta ein. Es folgt sein Weg in die „Ein Bri­te in Ja­pan“ weiterlesen

Die durchsichtige Frau

In „Die Spielerin“ erzählt Isabelle Lehn von einer Frau, die sich zurücknimmt, um nach vorne zu gelangen

Man um­schreibt sie als Frau mitt­le­ren Al­ters. In die­se Rol­le fügt sie sich ein, ihr be­zeich­nen­des Merk­mal ist ih­re Durch­schnitt­lich­keit. Man könn­te sie für die Ge­richts­pro­to­kol­lan­tin hal­ten, die le­dig­lich den fal­schen Platz ge­wählt hat, und wür­de man ihr auf der Stra­ße be­geg­nen, dann könn­te man sie leicht übersehen. 
Jetzt aber sind al­le Au­gen auf sie ge­rich­tet. A. wirft die Bli­cke zu­rück, sie ver­wei­gert die Aus­sa­ge, nun, da man ihr zu­hö­ren wür­de. Lie­ber will sie die Leer­stel­le blei­ben, der blin­de Fleck im Sys­tem, den sie jah­re­lang dar­ge­stellt hat, und so­lan­ge sie schweigt, ver­flüch­tigt sie sich zu den Ge­schich­ten, die an­de­re von ihr er­zäh­len, um die Leer­stel­le A. zu um­stel­len. Es könn­te kein bes­se­res Ver­steck für A. geben.“

Eben­so ge­schickt wie die Haupt­fi­gur in Isa­bel­le Lehns Ro­man „Die Spie­le­rin“ sich hin­ter ih­rer Un­auf­fäl­lig­keit zu ver­ste­cken weiß, in­sze­niert die Au­torin die­se Ca­mou­fla­ge. Sie er­streckt sich über den gan­zen Ro­man und ent­hüllt sich noch nicht ein­mal auf den zwei­ten Blick, denn ihr Po­ten­ti­al ent­wi­ckelt die­se in­tel­li­gen­te Frau im Ver­bor­ge­nen. Zu Be­ginn des Ro­mans der 1979 ge­bo­re­nen Rhe­to­ri­ke­rin und Schrift­stel­le­rin Isa­bel­le Lehn steht das En­de der Ge­schich­te, das mit dem En­de des Er­folgs ih­rer Fi­gur zu­sam­men­fällt. Doch auch in die­ser Si­tua­ti­on als An­ge­klag­te vor Ge­richt ver­hält sie sich ge­schickt bedeckt.

Le­dig­lich ei­nem Un­be­kann­ten hat sie vor ih­rer Fest­nah­me „Die durch­sich­ti­ge Frau“ weiterlesen

Puzzle-Appassionato

Wackelkontakt Wolf Haas‘ meisterhafte Mise en abyme

Ist ja ir­re, die hal­be Kunst­ge­schich­te als Puz­zle. Wer stellt so was her? Das ist ja echt ein biss­chen – ich pack das ir­gend­wie nicht.“ „Such dir ei­nes aus“, sag­te Escher groß­mü­tig und öff­ne­te ge­dan­ken­ver­lo­ren die Tor­ten­schach­tel, ob­wohl er das Süß­zeug doch auf spä­ter ver­schie­ben woll­te. „Aber nimm lie­ber ei­nes von de­nen da un­ten. Da sind die mit fünf­hun­dert Tei­len. Das kön­nen wir auf dem Tisch ma­chen. Dann müs­sen wir nicht auf dem Bo­den her­um­krie­chen.“ „Das hat schon was, oder?“, lach­te Nel­lie Wie­sel­bur­ger kin­disch. „Soll ich dir viel­leicht mei­ne Puz­zle­samm­lung zei­gen? Das ist wie mit der Brief­mar­ken­samm­lung, oder?“

Muss man noch et­was zu Wolf Haas‘ Wa­ckel­kon­takt sa­gen, ei­nem Buch, das be­reits sämt­li­che Bes­ten- und Best­sel­ler­lis­ten er­klom­men hat und für Buch­prei­se no­mi­niert ist? Un­be­dingt, denn die­ses Auf­ein­an­der­tref­fen ei­nes Trau­er­red­ners und ei­nes Ex-Ma­fio­so ist ein gro­ßer Spaß. Das gilt für die Hand­lung, die aber­wit­zi­ge Vol­ten schlägt, für die nicht min­der aber­wit­zi­ge „Puz­zle-Ap­pas­sio­na­to“ weiterlesen

Im Land des nachdenklichen Halbschattens“

Bei Anita Brookner durchläuft „Ein tugendhafter Mann“ seine innere Heldenreise

Er dach­te an die un­aus­ge­spro­che­ne Über­ein­kunft, (…), dass er der Mann im Haus sein muss­te, dass er das Fort­be­stehen ih­res klei­nen Haus­halts si­chern muss­te. So ver­hiel­ten sich Hel­den nicht. Hel­den ver­lie­ßen früh ihr Zu­hau­se, voll­brach­ten gu­te Ta­ten, ver­lieb­ten sich und star­ben, oder sie schick­ten spä­ter nach ih­ren Müt­tern, wenn es sich ab­so­lut nicht ver­mei­den ließ. Er sah nicht ein, war­um ihm die­se Mög­lich­keit ver­wehrt sein soll­te, auch wenn die Ein­zel­hei­ten die­ses Le­bens­ent­wurfs hart­nä­ckig un­scharf blieben.“

Ani­ta Brook­ner, die re­nom­mier­te Pro­fes­so­rin für Kunst­ge­schich­te, wel­che spät zur Ro­man­au­to­rin wur­de, konn­te mich be­reits für ih­ren Ro­man „Seht mich an!“ be­geis­tern. Die­ser er­zählt von ei­ner Ein­zel­gän­ge­rin, die in fa­mi­liä­ren Ver­hal­tens­mus­tern ge­fan­gen, nach dem Tod der Mut­ter de­ren Le­bens­wei­se fort­führt. Ein ein­sa­mes, wenn auch kom­for­ta­bles Da­sein mit ei­nem aus­kömm­li­chen, aber ein­tö­ni­gen Be­ruf. Die Sehn­sucht nach Ge­sell­schaft führt sie schließ­lich zu fal­schen Freun­den, die ein ma­ni­pu­la­ti­ves Spiel mit ihr treiben.

Le­wis Per­cy, der Na­me der Haupt­fi­gur ist zu­gleich der Ti­tel des 1989 er­schie­ne­nen eng­li­schen Ori­gi­nals ‑die deut­sche Ver­si­on trägt den viel­sa­gen­den Ti­tel „Ein tu­gend­haf­ter Mann“-, ver­sucht eben­falls sei­ne Ein­sam­keit zu über­win­den. Von der Su­che nach ei­nem Ge­gen­über ge­trie­ben zeigt er Im Land des nach­denk­li­chen Halb­schat­tens““ weiterlesen

Wirkmächtige Schatten

Mit „Unmöglicher Abschied“ errichtet Han Kang den Opfern ein Mahnmal zwischen Traum und Realität

Es schnei­te stark. Ich stand auf ei­nem Acker, an des­sen ei­nem En­de sich ein nied­ri­ger Berg an­schloss. Auf die­ser Sei­te war er vom Fuß bis zur Kup­pe mit Tau­sen­den von schwar­zen Baum­stäm­men be­stan­den, die et­wa so dick wie Ei­sen­bahn­schwel­len und ver­schie­den hoch wa­ren, wie Men­schen un­ter­schied­li­chen Al­ters. Zu­gleich wa­ren sie nicht ker­zen­ge­ra­de ge­wach­sen, son­dern leicht ge­bo­gen oder ge­neigt und wirk­ten, als hät­te man am Hang Tau­sen­de von Män­nern, Frau­en und ma­ge­ren Kin­dern im Schnee aus­ge­setzt, die die Schul­tern hoch­zo­gen. Ist das hier ein Fried­hof?, fra­ge ich mich.“

Den Li­te­ra­tur-No­bel­preis des ver­gan­ge­nen Jah­res er­hielt Han Kang, de­ren Ro­ma­ne in ih­rer Hei­mat Süd­ko­rea sehr er­folg­reich sind und die mit „Die Ve­ge­ta­rie­rin“ welt­weit Fu­ro­re mach­te. Die 1970 ge­bo­re­ne Schrift­stel­le­rin stu­dier­te Ko­rea­ni­sche Li­te­ra­tur und un­ter­rich­te­te Krea­ti­ves Schrei­ben. Sie de­bü­tier­te mit Ge­dich­ten und ver­fass­te meh­re­re Ro­ma­ne. Der No­bel­prei­ses „für ih­re in­ten­si­ve Pro­sa, die sich his­to­ri­schen Trau­ma­ta stellt und die Zer­brech­lich­keit des mensch­li­chen Le­bens auf­zeigt“, schenk­te al­ler­dings nicht nur der Au­torin selbst Auf­merk­sam­keit. Er lenk­te den Blick auf die his­to­ri­sche Ver­gan­gen­heit Süd­ko­re­as, die eu­ro­päi­schen Le­sern weit­ge­hend un­be­kannt sein dürfte.

Es ist vor al­lem die Ge­walt­ge­schich­te des Lan­des, die Han Kang im­mer wie­der in ih­re Wer­ke ein­flie­ßen lässt. So auch in ih­rem jüngst auf Deutsch ver­öf­fent­lich­ten Ro­man „Un­mög­li­cher Ab­schied“. In Süd­ko­rea er­schien er be­reits 2021, sein ins Eng­li­sche tran­skri­bier­ter Ti­tel lau­tet „We do not part“„Wir tren­nen uns nicht“.

Kei­ne Tren­nung, kein Ver­ab­schie­den, kein Ver­ges­sen! Das gilt auch für die Op­fer des 1948 auf der In­sel Je­ju durch­ge­führ­ten Mas­sa­kers. Gan­ze Dör­fer wur­den vom Mi­li­tär­re­gime Ko­re­as un­ter ja­pa­ni­schem Mit­wir­ken und us-ame­ri­ka­ni­scher Dul­dung zer­stört, 30000 Men­schen hin­ge­rich­tet. Die­sen „Wirk­mäch­ti­ge Schat­ten“ weiterlesen

Abhängige Verhältnisse

Clare Chambers erzählt in „Scheue Wesen“ von der Macht der Erwachsenen und der Ohnmacht von Kindern

In ALLEN GESCHEITERTEN BEZIEHUNGEN (sic!) gibt es ei­nen zu­nächst noch un­be­merk­ten Punkt, in dem man spä­ter je­doch den An­fang vom En­de er­kennt. Für He­len war es das Wo­chen­en­de, an dem der Ver­steck­te Mann nach West­bu­ry Park kam.“

 Die­ser ers­te Satz in ge­ra­de­zu tol­stoi­schem Ton be­nennt die Haupt­the­men von Cla­re Cham­bers neu­em Ro­man „Scheue We­sen“. Es sind pro­ble­ma­ti­sche Be­zie­hun­gen, ge­prägt von Ab­hän­gig­kei­ten, und ei­ne kas­par-hau­ser-ar­ti­ge Fi­gur, de­ren at­tri­bu­ier­te Rät­sel­haf­tig­keit das In­ter­es­se der Le­se­rin weckt. Die Ver­lags­an­kün­di­gung, es han­de­le sich „um ei­ne Lie­bes­ge­schich­te aus dem Lon­don der Sech­zi­ger“, greift viel zu kurz und wird der Kom­ple­xi­tät des Ro­mans nicht ge­recht. Um so prä­zi­ser er­scheint mir der dem eng­li­schen Ori­gi­nal ent­spre­chen­de Ti­tel „Scheue We­sen“. Er klingt ge­heim­nis­voll und greift da­durch sein wich­tigs­tes Ge­stal­tungs­ele­ment auf.

Die eng­li­sche Au­torin Cla­re Cham­bers lehr­te Eng­li­sche Li­te­ra­tur in Ox­ford und war als Lek­to­rin tä­tig. Ihr vor­lie­gen­der zwei­ter Ro­man be­ein­druckt durch die klu­ge Kon­struk­ti­on ei­ner un­ge­wöhn­li­chen Ge­schich­te. Eben­so wie in Cham­bers Erst­ling „Klei­ne Freu­den“ be­geg­nen wir ei­ner be­son­de­ren Frauenfigur.

He­lens Hans­ford ar­bei­tet noch nicht lan­ge als Kunst­the­ra­peu­tin in der psych­ia­tri­schen Kli­nik West­bu­ry Park. Ge­gen den Wunsch ih­rer El­tern hat sie ih­ren Leh­rer­be­ruf auf­ge­ge­ben, be­gibt sich je­doch in ei­ne neue Ab­hän­gig­keit, „Ab­hän­gi­ge Ver­hält­nis­se“ weiterlesen

Protokoll einer Zerrüttung

CoverLjuba Arnautović macht in „Erste Töchter“ aus großen Leben eine kleine Geschichte

Spä­ter hat er über sein Le­ben ein Buch ge­schrie­ben und dar­über, wie po­li­ti­sche Ver­hält­nis­se mensch­li­che Schick­sa­le bestimmen.“

Die­ses Zi­tat könn­te das Mo­tiv von Lju­ba Ar­n­au­to­vićs Schrei­ben sein und so­mit auch das ih­res Buchs „Ers­te Töch­ter“. Zu­ge­schrie­ben hat sie es Wolf­gang Le­on­hard, ei­ner ih­rer Ne­ben­fi­gur, der durch sei­nen au­to­bio­gra­phi­schen Be­richt „Die Re­vo­lu­ti­on ent­lässt ih­re Kin­der“ be­kannt wur­de. Au­to­bio­gra­phisch ist auch Ar­n­au­to­vićs Werk. Wie be­reits in „Im Ver­bor­ge­nen“ und in „Ju­ni­schnee“ er­zählt die in Wien le­ben­de und 1954 in Kursk ge­bo­re­ne Au­torin von ih­rer Fa­mi­lie, die, so der Klap­pen­text, vom „Dra­ma des 20. Jahr­hun­derts in Wien, Mos­kau und im Gu­lag“ ge­prägt wur­de. Der letz­te Band die­ser Tri­lo­gie fügt Mün­chen als Hand­lungs­ort hinzu.

Dort lebt Karl mit sei­ner neu­en Frau und ei­ner sei­ner ers­ten Töch­ter. Zu­vor hat­te er die­se und ih­re jün­ge­re Schwes­ter erst von de­ren Mut­ter Ni­na, dann von der Er­satz­mut­ter Eri­ka ge­trennt und nun so­gar von­ein­an­der. La­ra geht nach Wien, Lu­na bleibt in Mün­chen. Ei­ne Kon­stel­la­ti­on wie in Erich Käst­ners „Pro­to­koll ei­ner Zer­rüt­tung“ weiterlesen