Clare Chambers erzählt in „Scheue Wesen“ von der Macht der Erwachsenen und der Ohnmacht von Kindern
„In ALLEN GESCHEITERTEN BEZIEHUNGEN (sic!) gibt es einen zunächst noch unbemerkten Punkt, in dem man später jedoch den Anfang vom Ende erkennt. Für Helen war es das Wochenende, an dem der Versteckte Mann nach Westbury Park kam.“
Dieser erste Satz in geradezu tolstoischem Ton benennt die Hauptthemen von Clare Chambers neuem Roman „Scheue Wesen“. Es sind problematische Beziehungen, geprägt von Abhängigkeiten, und eine kaspar-hauser-artige Figur, deren attribuierte Rätselhaftigkeit das Interesse der Leserin weckt. Die Verlagsankündigung, es handele sich „um eine Liebesgeschichte aus dem London der Sechziger“, greift viel zu kurz und wird der Komplexität des Romans nicht gerecht. Um so präziser erscheint mir der dem englischen Original entsprechende Titel „Scheue Wesen“. Er klingt geheimnisvoll und greift dadurch sein wichtigstes Gestaltungselement auf.
Die englische Autorin Clare Chambers lehrte Englische Literatur in Oxford und war als Lektorin tätig. Ihr vorliegender zweiter Roman beeindruckt durch die kluge Konstruktion einer ungewöhnlichen Geschichte. Ebenso wie in Chambers Erstling „Kleine Freuden“ begegnen wir einer besonderen Frauenfigur.
Helens Hansford arbeitet noch nicht lange als Kunsttherapeutin in der psychiatrischen Klinik Westbury Park. Gegen den Wunsch ihrer Eltern hat sie ihren Lehrerberuf aufgegeben, begibt sich jedoch in eine neue Abhängigkeit, „Abhängige Verhältnisse“ weiterlesen