Puzzle-Appassionato

Wackelkontakt Wolf Haas‘ meisterhafte Mise en abyme

Ist ja ir­re, die hal­be Kunst­ge­schich­te als Puz­zle. Wer stellt so was her? Das ist ja echt ein biss­chen – ich pack das ir­gend­wie nicht.“ „Such dir ei­nes aus“, sag­te Escher groß­mü­tig und öff­ne­te ge­dan­ken­ver­lo­ren die Tor­ten­schach­tel, ob­wohl er das Süß­zeug doch auf spä­ter ver­schie­ben woll­te. „Aber nimm lie­ber ei­nes von de­nen da un­ten. Da sind die mit fünf­hun­dert Tei­len. Das kön­nen wir auf dem Tisch ma­chen. Dann müs­sen wir nicht auf dem Bo­den her­um­krie­chen.“ „Das hat schon was, oder?“, lach­te Nel­lie Wie­sel­bur­ger kin­disch. „Soll ich dir viel­leicht mei­ne Puz­zle­samm­lung zei­gen? Das ist wie mit der Brief­mar­ken­samm­lung, oder?“

Muss man noch et­was zu Wolf Haas‘ Wa­ckel­kon­takt sa­gen, ei­nem Buch, das be­reits sämt­li­che Bes­ten- und Best­sel­ler­lis­ten er­klom­men hat und für Buch­prei­se no­mi­niert ist? Un­be­dingt, denn die­ses Auf­ein­an­der­tref­fen ei­nes Trau­er­red­ners und ei­nes Ex-Ma­fio­so ist ein gro­ßer Spaß. Das gilt für die Hand­lung, die aber­wit­zi­ge Vol­ten schlägt, für die nicht min­der aber­wit­zi­ge „Puz­zle-Ap­pas­sio­na­to“ weiterlesen

Abhängige Verhältnisse

Clare Chambers erzählt in „Scheue Wesen“ von der Macht der Erwachsenen und der Ohnmacht von Kindern

In ALLEN GESCHEITERTEN BEZIEHUNGEN (sic!) gibt es ei­nen zu­nächst noch un­be­merk­ten Punkt, in dem man spä­ter je­doch den An­fang vom En­de er­kennt. Für He­len war es das Wo­chen­en­de, an dem der Ver­steck­te Mann nach West­bu­ry Park kam.“

 Die­ser ers­te Satz in ge­ra­de­zu tol­stoi­schem Ton be­nennt die Haupt­the­men von Cla­re Cham­bers neu­em Ro­man „Scheue We­sen“. Es sind pro­ble­ma­ti­sche Be­zie­hun­gen, ge­prägt von Ab­hän­gig­kei­ten, und ei­ne kas­par-hau­ser-ar­ti­ge Fi­gur, de­ren at­tri­bu­ier­te Rät­sel­haf­tig­keit das In­ter­es­se der Le­se­rin weckt. Die Ver­lags­an­kün­di­gung, es han­de­le sich „um ei­ne Lie­bes­ge­schich­te aus dem Lon­don der Sech­zi­ger“, greift viel zu kurz und wird der Kom­ple­xi­tät des Ro­mans nicht ge­recht. Um so prä­zi­ser er­scheint mir der dem eng­li­schen Ori­gi­nal ent­spre­chen­de Ti­tel „Scheue We­sen“. Er klingt ge­heim­nis­voll und greift da­durch sein wich­tigs­tes Ge­stal­tungs­ele­ment auf.

Die eng­li­sche Au­torin Cla­re Cham­bers lehr­te Eng­li­sche Li­te­ra­tur in Ox­ford und war als Lek­to­rin tä­tig. Ihr vor­lie­gen­der zwei­ter Ro­man be­ein­druckt durch die klu­ge Kon­struk­ti­on ei­ner un­ge­wöhn­li­chen Ge­schich­te. Eben­so wie in Cham­bers Erst­ling „Klei­ne Freu­den“ be­geg­nen wir ei­ner be­son­de­ren Frauenfigur.

He­lens Hans­ford ar­bei­tet noch nicht lan­ge als Kunst­the­ra­peu­tin in der psych­ia­tri­schen Kli­nik West­bu­ry Park. Ge­gen den Wunsch ih­rer El­tern hat sie ih­ren Leh­rer­be­ruf auf­ge­ge­ben, be­gibt sich je­doch in ei­ne neue Ab­hän­gig­keit, „Ab­hän­gi­ge Ver­hält­nis­se“ weiterlesen

Scrap

Calla Henkel legt mit „Ein letztes Geschenk“ einen Spannungsroman voll sarkastischer Gesellschaftskritik vor

»Ich ma­che kei­ne Kunst, son­dern Kunst­hand­werk.« Nao­mi leg­te den Kopf schräg. »Was ist der Un­ter­schied?« »Bei Letz­te­rem geht es um den Her­stel­lungs­pro­zess und den spä­te­ren Nut­zen, bei Ers­te­rem um den Markt­wert und ums Ego.« Ich hielt in­ne und sah mich im Re­stau­rant um. »Beim Kunst­hand­werk gibt es kein Ego – je­der kann es er­ler­nen und dar­in zum Meis­ter wer­den. Kunst be­ruht auf der Iso­lie­rung ei­nes Ge­nies, wo­hin­ge­gen Kunst­hand­werk … in­te­ger ist.« Nao­mi schob ih­re Un­ter­lip­pe vor. »Sie hal­ten das al­les hier al­so für Schwach­sinn?« Ich nickte.“

Der Plot von „Ein letz­tes Ge­schenk“, dem zwei­ten Ro­man der ame­ri­ka­ni­schen Au­torin Cal­la Hen­kel, soll nur knapp er­zählt wer­den, da er dem Gen­re der Span­nungs­li­te­ra­tur an­ge­hört. Es­ther, ei­ne be­gab­te Por­trät­künst­le­rin, die aus Frust am Be­trieb in den Wäl­dern North Ca­ro­li­nas hand­ge­bun­de­ne Bü­cher an­fer­tigt, er­hält von ei­ner New Yor­ke­rin Mil­li­ar­dä­rin den Auf­trag zur Her­stel­lung von Scrap­books. Aus den von Nao­mi über Jah­re ge­sam­mel­ten Fo­tos und Do­ku­men­ten sol­len Er­in­ne­rungs­al­ben ent­ste­hen, mit de­nen sie ih­ren Ehe­mann über­ra­schen möch­te. Zu­nächst lehnt Es­ther ab, doch die Um­stän­de zwin­gen sie, den lu­kra­ti­ven Job an­zu­neh­men. Als ih­re Auf­trag­ge­be­rin ver­schwin­det, „Scrap“ weiterlesen

Erinnern ist Licht“

In „Ein junger Herr in Neapel“ erzählt Andrea Giovene vom Erwachen eines jungen Schriftstellers

Zur Spit­ze hin hat­ten Feuch­tig­keits­fle­cken gan­ze Ge­ne­ra­tio­nen über­wäl­tigt, sie gli­chen gan­zen Schwär­men mit ei­nem Schrot­schuss durch­sieb­ter Spat­zen. Der Baum kräu­sel­te sich, er trüb­te sich ein und schlug Wel­len. Die jüngs­ten Ge­ne­ra­tio­nen wa­ren am un­le­ser­lichs­ten. Und ich? Wie soll­te ich mich da auf sei­ner Spit­ze ein­nis­ten, die nur in die Zim­mer­de­cke hin­ein hö­her wach­sen konn­te, im Leeren?“

Dies sind die Ge­dan­ken des zu Be­ginn des Ge­sche­hens 9‑jährigen Ich-Er­zäh­lers in An­drea Gio­ve­nes (1904–1995) „Ein jun­ger Herr in Nea­pel“, dem ers­ten Teil sei­ner Ro­man­fol­ge „Die Au­to­bio­gra­phie des Giu­lia­no di San­se­vero“, wel­che in den Jah­ren 1903–1957 spielt. Als Giu­lia­no und sei­ne klei­ne Schwes­ter Chec­chi­na durch die zer­fal­len­den Fluch­ten des Fa­mi­li­en­pa­laz­zos strei­fen, ge­lan­gen sie zum Stamm­baum, „dem muf­fi­gen To­tem“, das die kom­plet­te Wand ei­nes Sa­lons ein­nimmt. Die Be­schrei­bung der ent­le­ge­nen, ver­staub­ten Räu­me er­in­nert an die Ent­de­ckungs­tour von Tancre­di und An­ge­li­ca im Som­mer­sitz der Sa­li­na. Zwar spielt Lam­pe­du­sas „Il Gat­to­par­do“ ein hal­bes Jahr­hun­dert vor „Die Au­to­bio­gra­phie des Giu­lia­no di San­se­vero“, doch steht in bei­den Ro­man­wer­ken der Zer­fall ei­nes Adels­ge­schlechts im Vor­der­grund. Ei­ne wei­te­re Par­al­le­le be­steht in der per­sön­li­chen Ver­bin­dung der Schrift­stel­ler zu ih­rem Su­jet. Giu­sep­pe To­ma­si di Lam­pe­du­sa ent­stammt ei­nem si­zi­lia­ni­schen Adels­ge­schlechts, An­drea Gio­ve­ne di Gi­ra­so­le ei­nem nea­po­li­ta­ni­schen. Die Trans­for­ma­ti­on, die Lam­pe­du­sa mit dem be­rühm­ten Satz, „Wenn al­les blei­ben soll, wie es ist, muß sich al­les än­dern“, an­deu­tet, zeigt Gio­ve­ne durch die Eman­zi­pa­ti­on sei­nes Er­zäh­lers. Bei­de Au­toren be­rich­ten vom Schick­sal ei­ner Fa­mi­lie nach ein­schnei­den­den Er­in­nern ist Licht““ weiterlesen

Durch die Rose zur Erleuchtung

In „Der Pole“ erschafft  J. M. Coetzee einen Epigonen von Homer, Dante und Goethe

Sie kennt Mar­ga­ri­ta, seit sie als Kin­der zu­sam­men auf der Non­nen­schu­le wa­ren; sie hat schon im­mer den Elan ih­rer Freun­din be­wun­dert, ih­ren Un­ter­neh­mungs­geist, ihr selbst­si­che­res Auf­tre­ten. Jetzt muss sie ih­ren Platz ein­neh­men. Was ge­nau wird es be­deu­ten, ei­nen Mann bei ei­nem flüch­ti­gen Be­such in ei­ner frem­den Stadt aus­zu­füh­ren? In sei­nem Al­ter wird er ge­wiss kei­nen Sex er­war­ten. Doch er wird si­cher er­war­ten, dass man ihm schmei­chelt, so­gar mit ihm flir­tet. Flir­ten ist kei­ne Kunst, die zu be­herr­schen sie sich je be­müht hat. Mar­ga­ri­ta ist an­ders. Mar­ga­ri­ta hat ei­nen leich­ten Zu­gang zu Män­nern. Mehr als ein­mal hat sie, Bea­triz, amü­siert be­ob­ach­tet, wie die Freun­din ih­re Er­obe­run­gen be­treibt. Aber sie hat nicht den Wunsch es ihr gleich­zu­tun. Wenn ihr Gast ho­he Er­war­tun­gen in Sa­chen Schmei­che­lei hat, wird er ent­täuscht werden.“

Die Freun­din ei­ner Freun­din er­hielt un­längst von ei­nem Mann das An­ge­bot, ei­ne sei­ner Woh­nung miet­frei zu be­zie­hen. Sie war dem An­bie­ter, den sie höchs­tens als Be­kann­ten be­zeich­nen wür­de, erst vor kur­zem be­geg­net. An­ge­nom­men hat sie die Of­fer­te nicht, da sie sei­ne „Durch die Ro­se zur Er­leuch­tung“ weiterlesen

So könnte es gewesen sein“

In einer dunkelblauen Stunde“ errichtet Peter Stamm „ein verwinkeltes Gedankengebäude“, in dem die Leserin „auf Entdeckungstour geht“

Nicht der Au­tor er­zählt, al­le Men­schen und Er­eig­nis­se erzählen.“
„Es geht beim Schrei­ben nicht dar­um, et­was zu ma­chen, son­dern et­was zu finden.“
„Die Wirk­lich­keit schreibt kei­ne Ge­schich­ten. In der Fik­ti­on kann man nicht le­ben, aber auch nicht sterben.“

Wel­che Er­war­tun­gen weckt Li­te­ra­tur? Wie wirkt sie? Wie kann man dar­über re­den? Fra­gen, die sich mir beim Le­sen und Schrei­ben stel­len und die wäh­rend un­se­rer Dis­kus­sio­nen im Li­te­ra­tur­kreis oft gro­ße Ver­blüf­fung aus­lö­sen. Wer sich mit his­to­ri­schen Tex­ten be­schäf­tigt, neigt zur Ana­ly­se. Wer hat wann was wem und vor al­len Din­gen war­um ge­sagt? Erst wenn dies ge­klärt ist, kann man Rück­schlüs­se zie­hen und in­ter­pre­tie­ren. Bei ei­nem li­te­ra­ri­schen Text al­ler­dings kann die Ana­ly­se be­reits die In­ter­pre­ta­ti­on sein, falls er so ge­baut ist wie Pe­ter Stamms Ro­ma­ne al­le­mal. Die elen­de Gret­chen­fra­ge „was will uns der Au­tor da­mit sa­gen“ führt bei Stamm ins La­by­rinth, Ari­ad­ne­fa­den nicht in Sicht.

Pünkt­lich zu sei­nem sech­zigs­ten Ge­burts­tag legt der Schwei­zer Pe­ter Stamm sei­nen neu­en Ro­man vor. Das Ge­schenk an sich selbst wie an sei­ne Le­ser raunt ge­heim­nis­voll „In ei­ner dun­kel­blau­en Stun­de“ und ist in ei­nem be­son­de­ren Pa­pier ver­packt, wel­ches das Por­trät „Pe­ter Stamm“ der Ma­le­rin An­ke Dober­au­er zeigt. Als Schrift­stel­ler be­kannt wur­de Stamm durch So könn­te es ge­we­sen sein““ weiterlesen

Keine Frau ihrer Zeit

Aline Valangin erzählt in „Casa Conti“ von Frauen im Tessin der Zwischenkriegszeit

Die Ca­sa Con­ti stand am An­fang ei­nes Dor­fes, al­lein, in­mit­ten ei­nes sanft an­stei­gen­den und in Ter­ras­sen ge­ord­ne­ten Ge­län­des, auf wel­chem zu­un­terst Re­ben, wei­ter oben Kar­tof­feln und ums Haus her­um Ge­mü­se und Blu­men wuch­sen. Zwei Rei­hen Pal­men säum­ten den brei­ten, ge­ra­den Trep­pen­weg vom gro­ßen Tor der Be­sit­zung bis zur obers­ten Platt­form. Links ne­ben dem Hau­se wa­ren klei­ne­re Ge­bäu­de, Stäl­le und Re­mi­sen zu­sam­men­ge­drängt, rechts da­von zog sich der Gar­ten ei­ner ho­hen Mau­er ent­lang, die ihn ge­gen Nor­den schütz­te, dem Obst­gar­ten zu, der wei­ter drü­ben in Wie­sen und klei­ne Äcker aus­lief. Das gan­ze An­we­sen war et­was ver­wahr­lost. (…) Doch tat das der Schön­heit und dem Stolz des Hau­ses we­nig Ab­bruch. Es stand mit di­cken Mau­ern wie für die Ewig­keit ge­schaf­fen da, schau­te et­was hoch­mü­tig aus sei­nen durch Ma­le­rei­en ver­zier­ten und er­höh­ten Fens­tern übers Land hin­aus, und das Wap­pen der Con­ti über der Haus­tü­re war frisch wie am ers­ten Tag.“

Das Cas­tel­lo ist Al­bas El­tern­haus, in das sie ge­zwun­gen durch die ge­schäft­li­che Mi­se­re ih­res Man­nes Vi­to aus Mai­land zu­rück­kehrt. Al­ba ist dar­auf an­ge­wie­sen, daß ihr Va­ter sie wie­der auf­nimmt. Der No­tar und Holz­händ­ler Giu­lio Mor­si­ni hat auf sei­ne al­ten Ta­ge nichts ge­gen die Ge­sell­schaft sei­ner äl­tes­ten Toch­ter ein­zu­wen­den. Küh­ler wird Al­ba von ih­rer Schwes­ter emp­fan­gen. Seit ih­rem letz­ten Wie­der­se­hen bei Li­set­tas Hoch­zeit vor zehn Jah­ren ist die­se ist nicht nur dick, son­dern Al­ba fremd ge­wor­den. Ein un­ehe­li­ches „Kei­ne Frau ih­rer Zeit“ weiterlesen

Schillernde Persönlichkeiten im Paris der Jahrhundertwende

Julian Barnes betreibt in „Der Mann im roten Rock“ einen Streifzug durch die Belle Époque

Ma­chen wir al­so wei­ter mit dem Greif­ba­ren, dem Spe­zi­fi­schen, dem All­täg­li­chen: dem ro­ten Rock. Denn so bin ich dem Bild und dem Mann zum ers­ten Mal be­geg­net: 2015 in der Na­tio­nal Por­trait Gal­lery in Lon­don als Leih­ga­be aus Ame­ri­ka. (…) Das Mo­dell – der Bür­ger­li­che mit dem ita­lie­ni­schen Na­men – ist 35, sieht gut aus, trägt ei­nen Bart und schaut selbst­be­wusst über un­se­re rech­te Schulter.“

Ju­li­an Bar­nes neu­es Werk, „Der Mann im ro­ten Rock“, weck­te mein In­ter­es­se durch sei­ne ti­tel­ge­ben­de Fi­gur. Die­se sei, so las ich, ei­ne von Prousts In­spi­ra­ti­ons­quel­len für die Fi­gur des Dok­tor Cot­tard ge­we­sen. Wie die­ser war auch Dr. Sa­mu­el Poz­zi, den der ame­ri­ka­ni­sche Ma­ler John Sin­ger-Sar­gent im auf­fäl­li­gen ro­ten Haus­ge­wand ver­ewig­te, ein be­rühm­ter Me­di­zi­ner. Sein Fach­ge­biet war al­ler­dings an­ders als das des Proust‘schen Arz­tes die Gy­nä­ko­lo­gie. Bei­de wa­ren Frau­en­hel­den, Cot­tards Er­obe­run­gen sind al­ler­dings we­ni­ger sei­nem Äu­ße­ren zu­zu­schrei­ben. Es gibt al­so wohl so vie­le Un­ter­schie­de zwi­schen der his­to­ri­schen Per­son Poz­zi und der fik­ti­ven Fi­gur Cot­tard wie es Ge­mein­sam­kei­ten gibt. Das gilt für die meis­ten Per­so­nen, die Proust por­trä­tier­te. Ei­ne Aus­nah­me bil­det viel­leicht Mme Cot­tard, der Phil­ip­pe Mi­chel-Thi­riet als Vor­bild Poz­zis Ehe­frau Thé­rè­se  zu­schreibt, „die ganz in ih­ren Pflich­ten als Ge­mah­lin auf­geht und die von ih­rem Gat­ten eben­so be­tro­gen wird“.

Die­se hier in we­ni­gen Zei­len auf­ge­zähl­ten Ei­gen­schaf­ten bil­den die Fa­ma Poz­zis. Er galt als fort­schritt­li­cher Arzt, der sich nicht nur be­ruf­lich den Frau­en wid­me­te, als ex­tra­va­gan­ter Sti­list, was sich in sei­ner Klei­dung eben­so „Schil­lern­de Per­sön­lich­kei­ten im Pa­ris der Jahr­hun­dert­wen­de“ weiterlesen

Saftige Lesefrucht

Stephen Fry legt mit „Helden“ den zweiten Band seiner Trilogie antiker Mythen vor

Die Göt­ter in den grie­chi­schen My­then ste­hen für mensch­li­che Mo­ti­ve und An­trie­be, die uns im­mer noch rät­sel­haft vorkommen.“

Als Kind bin ich mit Gus­tav Schwab in die Welt der an­ti­ken My­then ein­ge­taucht. Sie ha­ben mich seit­dem nicht mehr los­ge­las­sen, wie sich un­schwer am Ti­tel mei­nes Blogs er­ken­nen lässt. Ata­lan­te, die ar­ka­di­sche Jä­ge­rin, fehlt auch nicht bei Fry, doch da­zu spä­ter mehr.

Die li­te­ra­ri­schen, aber auch die bild­li­chen Dar­stel­lun­gen an­ti­ker My­then, bie­ten im­mer wie­der An­lass, sich mit ih­nen zu be­schäf­ti­gen. Sei­en es die Spiel­sze­ne zwi­schen Ajax und Achill auf der schwarz­fi­gu­ri­gen Exe­ki­as-Am­pho­re, der Sar­ko­phag aus Per­ge mit den Ta­ten des He­ra­kles oder auch Ti­zi­ans be­rühm­tes Ge­mäl­de „Bac­chus und Ari­ad­ne“. Wer die Ge­schich­ten kennt, die ei­ne Viel­zahl von Bild­wer­ken er­zäh­len, ist „Saf­ti­ge Le­se­frucht“ weiterlesen

Trauerschwestern und Flügelwesen

Kerstin Hensel gelingt mit ihrer Novelle „Regenbeins Farben“ ein kunstvolles Trauerbuch

Im Halb­durch­sich­ti­gen drei Ne­re­iden, aus ih­ren Höh­len am Grun­de des Mee­res ge­stie­gen, hoch zu ih­rem Gott, der auf ei­nem Fa­bel­we­sen über Wel­len rei­tet, vor­ne Pferd, hin­ten Fisch. Nym­phen um­krei­sen ihn, und er er­fleht ih­re Ge­sell­schaft, spielt den Schiff­brü­chi­gen, den sie be­schüt­zen, be­sin­gen, be­glei­ten soll­ten. Doch die Nym­phen trei­ben an­de­re Spie­le. Im Was­ser schwes­ter­lich schwe­bend, sind die See­frau­en, die nur sich selbst un­ter­hal­ten, in ke­cken Spie­len plau­dernd, mit Del­fi­nen sin­gend. Wäh­rend der Gott um Ret­tung sei­ner Mäch­tig­keit fleht, zwingt er sein Reit­tier zu ei­ner schaum­schla­gen­den Le­va­de. Po­sei­don, der Po­ser! Der Hip­po­kamp trägt in durch die bro­deln­de Brü­he der Geschichte (…)“

Die­se laut- und wort­schö­nen Sät­ze ver­ra­ten Kers­tin Hen­sel als Ly­ri­ke­rin, die ih­re poe­ti­sche Spra­che auch in der No­vel­le „Re­gen­beins Far­ben“ ver­wen­det. Dar­in ver­eint sie vier Per­so­nen zu ei­ner be­son­de­ren Ge­mein­schaft. Fast ein vol­les Jahr währt die­se, le­dig­lich drei Mi­nu­ten feh­len, wie die punkt­ge­nau­en Da­tie­run­gen im ers­ten und letz­ten Ka­pi­tel zeigen.

Auch wenn der Tod als Mo­tiv die­se No­vel­le durch­zieht und ein Teil der Hand­lung kam­mer­spiel­ar­tig auf ei­nem Fried­hof statt­fin­det, han­delt es sich kei­nes­wegs um ein trau­ri­ges Buch. Als Trau­er­buch hin­ge­gen lie­ße es sich sehr wohl be­zeich­nen, denn es er­zählt, wie man Trau­er be­wäl­tigt und sich von der Ver­gan­gen­heit be­freit. Die Kunst ist da­bei das Mit­tel der Wahl. Dies zei­gen schon die ers­ten Ka­pi­tel, in de­nen uns die Fried­hofs­ge­mein­schaft vor­ge­stellt wird.

Die Ma­le­rin Kar­line Re­gen­bein ist die Jüngs­te, an Al­ter wie an der Dau­er ih­rer Trau­er ge­mes­sen. Es fol­gen Edu­ard Wet­ten­gel, der Ga­le­rist, Lo­re Mül­ler-Ki­li­an, die ihr Mä­ze­na­ten­tum dem ver­stor­be­nen Gat­ten ver­dankt und schließ­lich die Äl­tes­te, Zi­va Schlott, die Kunst­pro­fes­so­rin mit „Kipp­chen“. Al­le vier „Trau­er­schwes­tern und Flü­gel­we­sen“ weiterlesen