Kunstverbrechen

Laura Evans berichtet im Atlas der Kunstverbrechenüber Diebe, Fälscher und Vandalen

Mit je­dem ver­schwun­de­nen Kunst­werk ver­lie­ren wir ei­nen Teil un­se­rer kol­lek­ti­ven Mensch­lich­keit. Ei­ne Ver­bin­dung zu un­se­rer Ver­gan­gen­heit wird für im­mer ge­kappt und un­ser Sinn für Iden­ti­tät so­wie un­ser Ver­trau­en verletzt.“

Vor we­ni­gen Ta­gen wur­de der Lou­vre er­neut zum Tat­ort ei­nes Kunst­raubs. Die Tä­ter ge­lang­ten mit ei­ner He­be­büh­ne auf ei­nen Bal­kon, zer­stör­ten die Fens­ter und be­tra­ten die Gal­le­rie d’Apollon, wo die so­ge­nann­ten Kron­ju­we­len Frank­reichs auf Be­wun­de­rung war­ten. Ei­ni­ge Be­su­cher be­fan­den sich be­reits im Raum ‑das Mu­se­um hat­te seit ei­ner hal­ben Stun­de ge­öff­net- und er­leb­ten ver­blüfft, wie Die­be die Vi­tri­nen auf­bra­chen und meh­re­re Schmuck­stü­cke herausrissen.

Die­ser dreis­te Coup vor al­ler Au­gen zeigt wie­der ein­mal, wie schwer es ist, Si­cher­heit in ei­nem Mu­se­um zu ga­ran­tie­ren, das dem Pu­bli­kum oh­ne gro­ße Hür­den zu­gäng­lich sein will. Man fühlt sich an ver­gan­ge­ne Zei­ten er­in­nert, als die Mo­na Li­sa oh­ne Auf­se­hen zu er­re­gen von ei­nem Hand­wer­ker ent­führt wer­den konn­te. Das wä­re heu­te nicht mehr mög­lich, meint man an­ge­sichts der Ein­lass­kon­trol­len und des all­ge­gen­wär­ti­gen Wach­per­so­nals. Doch wei­te­re An­schlä­ge auf das über­schätz­te Werk da Vin­cis mit Säu­re, Stein, ei­nem Kaf­fee­be­cher und di­ver­sen Nah­rungs­mit­teln, dank Schutz­glas oh­ne Schä­den zu hin­ter­las­sen, zeig­ten zu­min­dest, daß die Si­cher­heit im Lou­vre kaum ge­ge­ben ist.

Wie Kri­mi­nel­le al­ler Cou­leur sich die­se Ver­hält­nis­se zu Nut­ze ma­chen, lis­tet der von Lau­ra Evans zu­sam­men­ge­stell­te „At­las der Kunst­ver­bre­chen“ auf. Dar­in be­rich­tet sie nicht nur von den Fol­gen, die ein Ver­lust der Kunst­wer­ke auf die kul­tu­rel­le Iden­ti­tät der Ge­sell­schaft hat, son­dern auch von den Schä­den, die durch Van­da­len und Fäl­scher entstehen.

Die Ame­ri­ka­ne­rin Lau­ra Evans lehrt Kunst­ver­mitt­lung an der Uni­ver­si­ty of North Te­xas, Kunst­kri­mi­na­li­tät bil­det den An­gel­punkt ih­rer For­schun­gen. Sie ver­steht sich als „er­zäh­len­de Wis­sen­schaft­le­rin“, wie sie im Vor­wort des vor­lie­gen­den Bands dar­legt, den sie als „Ge­schicht­s­tratsch“ be­zeich­net. Doch spä­tes­tens nach den ers­ten Fäl­len ent­larvt sich die­se Selbst­ein­schät­zung ein­deu­tig als Un­der­state­ment. Denn das Über­sichts­werk bie­tet nicht nur ei­nen aus­ge­wo­ge­nen An­teil von Text und Bild, son­dern sei­nen Le­ser ei­nen al­ter­na­ti­ven Zu­gang in die Welt der Kunst. Sie wer­den, gleich ob viel oder we­nig an Kunst in­ter­es­siert, nach der Lek­tü­re der ein­zel­nen Ak­ten so­fort tie­fer in die Ma­te­rie ein­drin­gen wol­len. Hin­wei­se da­zu lie­fert der Anhang.

Der At­las ist in die drei gro­ßen Ka­te­go­rien der Kunst­kri­mi­na­li­tät un­ter­teilt, Dieb­stahl, Van­da­lis­mus, Fäl­schung, de­nen die drei geo­gra­phi­schen An­ord­nun­gen Eu­ro­pa, Ame­ri­ka so­wie Asi­en, Pa­zi­fik und Afri­ka fol­gen. Die­se wie­der­um sind nach Län­dern und nach der Chro­no­lo­gie der Ver­bre­chen ge­ord­net. Evans be­tont, den wei­ten Be­reich der Raub­kunst au­ßen vor ge­las­sen zu ha­ben und sich vor­wie­gend auf Wer­ke der Bil­den­den Kunst zu kon­zen­trie­ren. Wie be­reits die Un­ter­tei­lung des Buchs ah­nen lässt, liegt der Schwer­punkt auf eu­ro­päi­scher Kunst, meist Ge­mäl­de und we­ni­gen Skulp­tu­ren. Die je­wei­li­gen Fäl­le wer­den auf ein bis zwei Sei­ten Text vor­ge­stellt und durch Ab­bil­dun­gen der Kunst­wer­ke, Or­te und ‑so­weit mög­lich- der Tä­ter er­gänzt. Die wich­tigs­ten An­ga­ben zu Da­tum, Ort, Na­me und Da­tie­rung des Kunst­werks fin­den sich im Kopf je­des Ein­trags. Die­ser selbst gibt Ein­bli­cke in Werk und Künst­ler und in­for­miert über Samm­ler, Mu­se­en und De­lin­quen­ten. Die oft ku­rio­sen Be­gleit­um­stän­de kom­men­tiert Evans nicht oh­ne Hu­mor. Da­bei gilt ihr In­ter­es­se und auch das der Le­se­rin den Mo­ti­ven der Tä­ter. „Gier, An­er­ken­nung, Ra­che, Macht und Ruhm“ ste­hen ein­deu­tig im Vor­der­grund, aber es fin­den sich auch „Lie­be, Ge­rech­tig­keit und Idea­lis­mus“.

Schon Vin­cen­zo Pe­rug­gia, der sei­ne Stel­lung als Hand­wer­ker nutz­te, um die Mo­na Li­sa im Jahr 1911 aus dem Lou­vre zu ent­wen­den, tat dies aus Pa­trio­tis­mus. Er woll­te das ver­meint­lich von Na­po­le­on in Ita­li­en ge­raub­te Bild wie­der in die Hei­mat brin­gen, doch sein Ver­such schei­ter­te. La Gio­con­da aus Flo­renz wur­de wie­der La Jo­con­de in Pa­ris, wo sie seit ih­rer Über­ga­be von Leo­nar­do da Vin­ci an Kö­nig Franz I. hin­ge­hört. Eh­ren­wert mag es auch sein, durch ei­nen Dieb­stahl auf die man­geln­de staat­li­che Kunst­för­de­rung hin­zu­wei­sen, wie beim Raub von Pi­cas­sos „Wei­nen­de Frau“ in Mel­bourne, oder gar wie in meh­re­ren Fäl­len auf die man­geln­den Si­cher­heits­kon­zep­te von Mu­se­en. Eher skur­ril war das An­lie­gen von Kemp­ton Bun­ton, der mit ei­nem Go­ya aus der Na­tio­nal Gal­lery be­dürf­ti­ge Bri­ten von den Fern­seh­ge­büh­ren be­frei­en wollte.

Doch meist ist es das Geld, das lockt, was bei be­rühm­ten Bil­dern schwie­ri­ger zu rea­li­sie­ren ist als bei Wer­ken aus ed­lem Me­tall. Die wer­den gna­den­los ein­ge­schmol­zen, so wie Cat­tel­ans „Ame­ri­ca“. Die gol­de­ne Klo­schüs­sel fiel der Nai­vi­tät von Ed­ward Spen­cer-Chur­chill, dem Grün­der der Blen­heim Art Foun­da­ti­on, zum Op­fer. Hät­te Grö­paz in sei­ner ers­ten Amts­zeit den Vor­schlag des Gug­gen­heim ak­zep­tiert und die Schüs­sel als Er­satz für die nicht ge­währ­te Leih­ga­be ei­nes Van Goghs an­ge­nom­men, wä­re sie viel­leicht noch erhalten.

Ver­blen­dung spielt auch in der Kunst­kri­mi­na­li­tät ei­ne un­über­seh­ba­re Rol­le. Mu­se­en wäh­nen sich in ih­rer Hy­bris un­be­raub­bar. Sie stel­len die Pri­vat­sphä­re über Ka­me­ra­über­wa­chung oder ha­ben zwar Ka­me­ras, aber sehr mü­des Wach­per­so­nal. Bis­wei­len wird die Kunst von den Die­ben durch ei­ne Ko­pie er­setzt und dies im Mu­se­um erst Ta­ge spä­ter be­merkt. Nicht im­mer scheint man sich des Po­ten­ti­als der Aus­stel­lungs­räu­me be­wusst, so ent­blö­de­te sich der Di­rek­tor von Ri­kers Is­land nicht, den von Dalí dem Ge­fäng­nis ge­schenk­ten Chris­tus am Kreuz mit ei­nem Preis­schild zu ver­se­hen. Nur sel­ten ver­mag man Die­be so schlau aus­zu­trick­sen, wie in der Kir­che von Cas­tel­nuo­va Ma­gra, wo dies­mal die Po­li­zei Breu­ghels Kreu­zi­gungs­sze­ne recht­zei­tig durch ei­ne Ko­pie er­setz­te. Viel­leicht wä­re das auch ei­ne Idee für die Mo­na Li­sa, de­ren welt­wei­ter Ruhm zum gro­ßen Teil der Tat Pe­rug­gi­as zu ver­dan­ken ist.

Eben­so för­der­ten van­da­li­sche Ak­te die Be­kannt­heit mo­der­ner Wer­ke. Was wä­re Cat­tel­ans Ba­na­ne „Co­me­di­an“, wenn nicht ein an­de­rer Künst­ler sie bei ih­rem ers­ten Auf­tritt auf der Art Ba­sel ver­speist hät­te? Ein fau­ler Gag? Und ha­ben nicht die als Auf­for­de­rung in­ter­pre­tier­ten Farb­do­sen un­ter Jo­nO­nes Un­tit­led (2016) erst zur wah­ren Voll­endung des Werks ge­führt? Die Be­schä­di­gun­gen der abs­trak­ten Wer­ke von Bar­nett New­man und Mon­dri­an hin­ge­gen woll­ten als äs­the­ti­sche Kom­men­ta­re ver­stan­den werden.

Das letz­te Ka­pi­tel wid­met Evans den Kunst­fäl­schern. Für mich ist es der in­ter­es­san­tes­te Teil, nicht nur weil mir der Fall Bel­trac­chi noch gut im Ge­dächt­nis ist. Wie He­le­ne und Wolf­gang Bel­trac­chi so sind die meis­ten Fäl­scher als Paa­re un­ter­wegs. Ne­ben dem be­gna­de­ten Künst­ler gibt es stets ei­nen wei­te­ren Strip­pen­zie­her, der Pro­ve­ni­en­zen türkt und die Ge­schäf­te ar­ran­giert. Vie­len der Künst­ler man­gelt es an An­er­ken­nung und Geld bis ein Im­puls ihr kri­mi­nel­le En­er­gie aus­löst. Mo­ti­vie­rend wirkt auch ein ge­wis­ses Res­sen­ti­ment ge­gen den eli­tä­ren Kunst­be­trieb. John My­att, Eric Heb­born und Tom Kea­ting schu­fen wie spä­ter Wolf­gang Bel­trac­chi „neue Wer­ke“ be­kann­ter Künst­ler. Die meis­ten die­ser Ar­te­fak­te wä­ren ein­fach zu ent­lar­ven ge­we­sen, im­mer­hin nut­zen ih­re Er­schaf­fer mo­der­ne Ma­te­ria­li­en oder ver­steck­te Be­kennt­nis­se. Doch vie­les flog erst spä­ter auf und man­ches wird wohl nie ans Licht kom­men. Selbst schuld, wenn so et­was noch in ei­nem Mu­se­um hängt. Laut Heb­born gibt es kei­ne Fäl­schun­gen, „son­dern nur fal­sche Ex­per­ten und ih­re fal­schen Zu­schrei­bun­gen“.

Die­se und an­de­re Kunst­fäl­le schil­dert Lau­ra Evans kurz ge­fasst, in­spi­rie­rend und in un­ter­halt­sa­mer Wei­se in ih­rem „At­las der Kunst­ver­bre­chen“.

Wer tie­fer ein­stei­gen möch­te, fin­det im An­hang ein Ver­zeich­nis mit Se­kun­där­li­te­ra­tur, ei­nen In­dex der Per­so­nen und Kunst­wer­ke so­wie den Bildnachweis.

Ich emp­feh­le zu­dem den Pod­cast Kunst­ver­bre­chen.

Laura Evans, Atlas der Kunstverbrechen. Diebstahl, Fälschung, Vandalismus, übers. v. Julia Vogt u. Sandra Kallmeyer, Prestel Verlag 2025

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