Enthüllungen und Anekdoten in Helene und Wolfgang Beltracchis Selbstporträt
„Denn das ist die Wahrheit: Ich hing an meinem Beruf, auch wenn er unter moralischen Gesichtspunkten keiner sein dürfte. Auf der Liste der üblichen Berufsbezeichnungen sucht man ihn vergeblich. Vielleicht lag mein Anspruch gerade darin, mich künstlerisch immer neu zu suchen, mich in immer wieder anderen Stilen und Darstellungsweisen auszudrücken, mich nicht auf den Wiedererkennungswert beschränken zu müssen, den der normale Kunstbetrieb von mir verlangen würde.“
Wolfgang Beltracchi, den die Medien als „Kunstfälscher des Jahrhunderts“ bezeichnen, wurde als solcher 2010 zusammen mit seiner Frau und zwei weiteren Personen verhaftet. Ein Jahr später erhielt das Ehepaar nach einem umfassenden Geständnis Haftstrafen von sechs und vier Jahren. Wolfgang Beltracchi verbüßte sie im offenen Vollzug, seine Frau Helene wurde vorzeitig aus der Haft entlassen.
Das Besondere an dem Fälscher Beltracchi ist, daß er die Originale anderer Maler nicht kopierte, also keine Replik eines bereits existenten Kunstwerks anfertigte. Mit großem Talent glich er seine Malweise der des jeweiligen Künstlers an und schuf neue Kunstwerke à la Braque, Léger, Campendonk oder Ernst, um nur einige zu nennen.
Hätte er diese nicht unter dem Namen der berühmten Kollegen sondern unter seinem eigenen verkauft, wäre es nie zur Causa Beltracchi gekommen und vielleicht auch nie, was äußerst schade gewesen wäre, zum vorliegenden „Selbstporträt“.
Diese von dem Paar gemeinsam verfasste Doppelbiographie zeigt wie Beltracchi sich Künstlern näherte und ihren Stil, Motive, Intentionen und Ausdruckswillen nachzuempfinden suchte. Unter ihrer Signatur kreierte er vermeintlich neue, unbekannte Gemälde, die von den Experten geprüft und in die Werkverzeichnisse aufgenommen wurden.
Sehr neugierig erwartete ich in „Selbstporträt“ einen Bericht Beltracchis zu lesen, nicht über seine Tricks, das wäre zu simpel, nicht über seine Genialität, was zu überzogen wäre, sondern über seine Kunst.
Als dann das rund 600 Seiten starke Œuvre vor mir lag, staunte und stöhnte ich zugleich. Doch alles, was bei derartigen Wälzern sonst zuweilen stört, findet sich hier nicht. Informativ enthüllen die Beltracchis ihr Vorgehen als Fälscher. Man folgt einer Kunst- und Künstlergeschichte, die sich unterhaltsam wie ein Abenteuerroman liest und gleichzeitig sehr persönliche Einblicke gewährt.
In sieben Kapiteln begleiten wir Beltracchi, der auf seinem Weg zum Maler allmählich zum Fälscher wird. Kunst spielt schon in seiner Kindheit eine bedeutende Rolle. Vom Vater, einem Kirchenmaler und Restaurator, lernt er das Zeichnen. In dessen Besitz befinden sich zudem zahlreiche Kunstbände, die der Heranwachsende nicht nur liest, sie dienen ihm auch als Vorlage. Seine Kopien berühmter Akte sind begehrt bei den Klassenkameraden. Natürlich fehlt unter den Kindheitserinnerungen nicht die der Entdeckung des jungen Genies durch den Vater, der wie einst Picassos Vater im Talent seines Sohnes beschämt sein Mittelmaß erkennt.
Beltracchi studiert an der Düsseldorfer Akademie, unter anderem bei Beuys, und hat mit eigenen Werken eine erste Ausstellung. Seine Leidenschaft in dieser Zeit gilt jedoch dem Erfahren der Welt. Um dieses zu finanzieren malt er schon Mal eine Ansicht nach Derain. Schließlich steigt er bei seinem belgischen Schwager ein, der mit antiken Bildern handelt. Er restauriert die Flohmarktfunde, macht sie mit Figuren attraktiver und malt sie schließlich selbst, auf antiken Leinwänden mit alten Rahmen und viel besser als die ursprünglichen.
„Was sollte ich machen? Ich konnte ja keine breughelschen Figuren in die Landschaft eines Sonntagsmalers aus der Zeit der Jahrhundertwende setzen.“
Dies sind Anfänge der Fälschergeschäfte, die im Laufe der Zeit immer größere Ausmaße annehmen sollten und die er immer wieder unterbricht, um auf Reisen zu gehen. In London, Amsterdam, Italien, Südfrankreich und Nordafrika sucht er Erfahrung, lernt in Museen und von fremden Welten.
Nicht nur diese Erlebnisse inspirieren ihn. Oft sind es bestimmte Situationen, die er im Stil eines bestimmten Künstlers ausdrücken will. Die Möglichkeit aus der Vielfalt der Stile frei zu wählen entspricht Beltracchis Selbstverständnis als Künstler. Als nach seiner Ausstellung im Münchner Haus der Kunst ein Galerist an ihn herantritt, lehnt er die Zusammenarbeit ab. Den Erlös für seine Werke zu teilen missfällt ihm ebenso wie die Abhängigkeit. „Die großen Strömungen, ständig wechselnde Ismen und Neuerungen beeindrucken ihn nicht; das natürliche Licht der Umgebung gibt meist den Ausschlag einem bestimmten Maler und dessen Stil zu folgen“, schreibt Helene Beltracchi.
Viele Bilder entstehen allerdings in minutiöser Vorbereitung. Beltracchi recherchiert in Fachliteratur und Katalogen, besichtigt die Bilder in Museen, liest Briefe und reist an die Orte der Maler. Erst dann beginnt er in einer Art kreativer Eruption mit dem Malen. Im Buch schildert er dies mit vielen Details und lässt seinen Leser teilhaben an der Erschaffung eines Campendonks oder Max Ernsts. Er enthüllt seine Techniken, darunter auch so manchen Trick. Um ein Gemälde des Linkshänders Raoul Dufy in authentischer Weise anzufertigen, trainiert er seine Linke in tagelangem Tischtennisspiel.
Unter derartige Offenbarungen, wozu auch die Legende des Sammlers Werner Jägers und deren fotografische Ausschmückung zählt, mischt Beltracchi kunsttheoretische Betrachtungen und Kritik am Kunstbetrieb.
Er stellt den Begriff des Originals in Frage, da kein Kunstwerk unbeeinflusst von seinen Vorgängern entstehen könne. Dass die Frage nach der Stellung des Originals durchaus ihre Berechtigung hat zeigt in Bezug auf den Fall Beltracchi Hanno Rauterberg in seinem Artikel in der ZEIT.
Daneben kritisiert Beltracchi die Auktionshäuser und Galerien, die sich nur zu gerne von großen Namen blenden ließen. Diese Gier nach Geld stand natürlich auch hinter seiner Arbeit, die ihm Häuser und ein schönes Leben bescherte. Aber er verdiente nicht als Einziger, die Händler erzielten weitaus größere Summen für seine Bilder und mancher Kunsthistoriker ließ sich seine Gutachten fürstlich entlohnen.
Was die Kunstwelt angeht, so liest man amüsiert von ihren Fehlurteilen, die der aufgeflogene Fälscher ins rechte Licht rückt, von verschleiernden Restaurierungsmaßnamen und Provenienzen aufgescheuchter Händler.
Die meisten Werke Beltracchis wurden nach Japan, Frankreich, die USA und England verkauft, manche befinden sich immer noch dort. Nicht jeder Besitzer hat ein Interesse an ihrer Entlarvung.
Vieles steckt in diesem „Selbstporträt“, in dem sich das Künstlerpaar auf seine Weise darstellt. Unterhaltsam und informativ erzählt es auch manche Anekdote, für die gelten mag, was für Beltracchis Bilder gilt, „Se non è vero, è molto bene trovato“.
Der Band erscheint wohlausgestattet mit Tafelteilen, Zeichnungen, Inhalts- und Abbildungsverzeichnis sowie Lesebändchen im Rowohlt Verlag. Dieser hat ergänzend die in Untersuchungshaft entstandene Korrespondenz des Paares unter dem Titel „Einschluss mit Engeln“ veröffentlicht.
Weitere Informationen und Abbildungen bietet der Künstler auf Beltracchi-Art.
Ein lesenswertes Interview führten Iris Radisch und Adam Soboczynski für die ZEIT.
Helene und Wolfgang Beltracchi, Selbstporträt, Rowohlt Verlag, 1. Aufl. 2014
Liebe Atalante,
da hast Du mir mit Deiner schönen Besprechung ja ein breites Schmunzeln ins Gesicht gemalt. Wir toll, dass die Werke Beltracchis gleich mal ihren Weg in die Werkverzeichnisse der Original-Künstler gefunden haben. Und dann stellst Du uns einen Maler vor, der ja nicht einfach mal nur kopiert, sondern der sich ja unglaublich intensiv mit dem Maler auseinandersetzt, ganz tief in Leben, Ideen und Kunstfertigkeit eintaucht, bevor er selbst zum Pinsel greift, um ein kopiertes neues Werk zu schaffen. Das „Selbstporträt” scheint ein interessantes Buch zu sein.
Viele Grüße, Claudia
Liebe Claudia, es ist interessant, wie die Beltracchis ihre Sicht der Dinge darstellen. Da sie dies zudem sehr süffig, bisweilen amüsant tun, ist es eine unterhaltsame Lektüre nicht nur für Kunstliebhaber.
Andere Blickwinkel ergeben zum Teil die verlinkten Artikel oder auch das Buch von „Koldehoff und Timm”, welches ich demnächst hier vorstellen werde.