Tata Jesus ist bängala!

Barbara Kingsolver erzählt in Die Giftholzbibel vom Clash of Cultures

giftholzbibelDas Co­ver ist von der Art, daß man das Buch, hät­te man es un­be­dacht zur Hand ge­nom­men wie ein Blatt der ti­tel­ge­ben­den Gift­holz­pflan­ze mit Furcht fal­len lie­ße. In apri­cot­far­be­nes Licht ge­taucht, bie­tet sich dem Be­trach­ter ein Blick auf Wäl­der und Wie­sen ei­ner Fluss­ebe­ne. Ei­ne Berg­ket­te be­grenzt den Ho­ri­zont, wäh­rend im Vor­der­grund zwei Lehm­hüt­ten mit Stroh­dach und grün­um­rank­ten Zaun ein afri­ka­ni­sches Idyll mit Aus­sicht evo­zie­ren. Dar­über er­he­ben sich die Ge­sich­ter zwei­er Mäd­chen, die en­gels­gleich und blond­ge­lockt ih­rem Schick­sal ent­ge­gen har­ren. In ei­ner Buch­hand­lung hät­te ich die­sem Ro­man kei­nen wei­te­ren Blick ge­gönnt und ihm da­mit bit­ter Un­recht ge­tan. Zum Glück wur­de er mir von ei­ner be­geis­ter­ten Le­se­rin emp­foh­len, die mein In­ter­es­se an der ko­lo­nia­len Ge­schich­te Afri­kas kennt.

 

Rich­tig. Trin­ken wir auf die Bi­bel, sag­te Le­ah und stieß mit ih­rer Bier­fla­sche an mei­ne an.
„Ta­ta Je­sus ist bän­ga­la! sag­te Adah und hob eben­falls ih­re Fla­sche. Sie und Le­ah sa­hen ein­an­der ei­ne Se­kun­de lang an , dann bra­chen sie in hyä­nen­e­ar­ti­ges Ge­heul aus.
„Je­sus ist Gift­holz! sag­te Le­ah. „Ich trin­ke auf den Pre­di­ger des Gift­hol­zes. Und auf sei­ne fünf Frau­en!

Den In­dern ein In­der sein“ war das Mot­to des Mis­sio­nars Fer­di­nand Kit­tel, der die Evan­ge­li­sie­rung nicht als Kampf ge­gen das Reich des Teu­fels an­sah, son­dern den christ­li­chen Glau­ben be­hut­sam in das Le­ben der in­di­ge­nen Be­völ­ke­rung ein­brin­gen woll­te. Die re­spekt­vol­le Aus­ein­an­der­set­zung mit der Kul­tur und den Men­schen des Mis­si­ons­ge­bie­tes hielt er für ei­ne not­wen­di­ge Vor­aus­set­zung. Ein Mis­sio­nar soll­te nicht nur theo­lo­gisch ge­rüs­tet, son­dern vor al­lem di­dak­tisch und prak­tisch auf sei­ne Auf­ga­ben vor­be­rei­tet sein, wo­zu nicht zu­letzt Sprach­kennt­nis­se zählen.

Kaum ei­ne die­ser Vor­aus­set­zun­gen er­füllt Na­than Pri­ce, der Mis­sio­nar in Bar­ba­ra King­sol­vers Ro­man „Die Gift­holz­bi­bel“, und so wun­dert es kaum, daß er falsch macht, was er nur falsch ma­chen kann. Es ist das Jahr 1959 als der Pre­di­ger aus der klei­nen Bap­tis­ten­ge­mein­de Beth­le­hem in Geor­gia mit Frau und vier Töch­tern in Bel­gisch-Kon­go lan­det. Ei­nen denk­bar schlech­ten Zeit­punkt hat er ge­wählt, denn das Land steht in der Fol­ge der afri­ka­ni­schen De­ko­lo­ni­sa­ti­on vor dem Um­bruch. Die Mis­si­ons­sta­ti­on Ki­langa in­mit­ten des Dschun­gels be­fin­det sich eben­falls in Auf­lö­sung. Einst wur­de sie von vier Fa­mi­li­en und ei­nem Arzt be­treut, doch in den letz­ten sechs Jah­ren leb­te hier nur Bru­der Fow­les. Der al­lein­ste­hen­de Mis­sio­nar hat sich je­doch mit ei­ner Kon­go­le­sin ins wah­re Le­ben auf­ge­macht. Im ein­zi­gen Stein­ge­bäu­de zwi­schen den Holz­häu­sern der Dorf­be­völ­ke­rung war­te­te nun der Pa­pa­gei Me­thu­sa­lem auf die Rück­kehr christ­li­cher Wohltäter.

Wie sich die­se ge­stal­tet lässt King­sol­ver von den Frau­en der Fa­mi­lie Pri­ce er­zäh­len. Mut­ter Or­lean­na blickt zu Be­ginn ei­nes je­den der sie­ben Roman­tei­le auf das Ge­sche­hen zu­rück, wel­ches nach­fol­gend ih­re vier Töch­ter kom­men­tie­ren. Es sind die sechs­zehn­jäh­ri­ge Ra­chel, die fünf­jäh­ri­ge Ruth May und die vier­zehn­jäh­ri­gen Zwil­lin­ge Le­ah und Adah, die je­de auf ih­re ei­ge­ne Wei­se das Wort ergreifen.

Die im Ti­tel zi­tier­te Bi­bel prägt auch die Struk­tur des Ro­mans. Sei­ne Teil­ka­pi­tel sind nach be­kann­ten Bi­bel­ab­schnit­ten wie Ge­ne­sis und Ex­odus be­nannt, und wer­den durch ent­spre­chen­de Ver­se ein­ge­lei­tet. Die vier Mäd­chen be­schrei­ben wie die vier Evan­ge­lis­ten das Ge­sche­hen. In un­ter­schied­li­cher Sicht ge­ben sie ih­re Er­leb­nis­se wie­der, als wi­der­spens­ti­ger Teen­ager, als un­schul­di­ges Kind. Be­son­ders in­ter­es­sant sind die vier­zehn­jäh­ri­gen Schwes­tern Le­ah und Adah, die in ih­rer aus­ser­or­dent­li­chen Be­ga­bung die neu­en Er­fah­run­gen als Be­rei­che­run­gen erleben.

Durch sie er­fährt der Le­ser von dem über­zo­ge­nen Sen­dungs­be­wusst­sein des Va­ters. Er schei­tert er be­reits an der Spra­che, da er we­der die Ver­kehrs­spra­che fran­zö­sisch ge­schwei­ge denn Ki­kon­go be­herrscht. Eben­so we­nig küm­mert er sich um die me­di­zi­ni­sche oder so­zia­le Ver­sor­gung des Dor­fes. Durch sei­ne Un­kennt­nis von Kli­ma wie Kul­tur wird er den Be­woh­nern zur Last. Gä­be es nicht den mehr­spra­chi­gen Leh­rer Ana­tol, könn­te der Re­ver­end nicht ein­mal pre­di­gen. Wäh­rend er sich um die see­li­sche Ret­tung sei­ner Schäf­chen sorgt, die er nichts ah­nend vom Ap­pe­tit der Kro­ko­di­le am liebs­ten im Fluss tau­fen wür­de, kämpft sei­ne Fa­mi­lie ums Über­le­ben. Im Ge­päck be­fin­den sich zwar Ma­la­ria­ta­blet­ten in aus­rei­chen­der Zahl, die üb­ri­gen Vor­rä­te er­wei­sen sich je­doch als un­ge­eig­net. Or­lean­na und ih­re Töch­ter müs­sen ler­nen wie sie mit dem un­ge­wohn­ten Nah­rungs­an­ge­bot zu­recht kom­men und auch mit der un­ge­wohn­ten Spra­che. Ruth May, der Jüngs­ten ge­lingt die­se Hür­de spie­le­risch, die an­de­ren fol­gen nach.

Nur der Re­ver­end sperrt sich, als Des­pot mit Got­tes Se­gen ge­bär­det er sich au­to­ri­tär. Sein Ver­hal­ten, un­ter dem Frau und Töch­ter schon in der Hei­mat lit­ten, führt in Ki­langa ins Lee­re. Der Mis­sio­nar kämpft aus­sichts­los ge­gen das ver­meint­li­che Reich des Teu­fels, das sich im feucht­war­men Kli­ma, in Ma­la­ria und Durch­fall, in gif­ti­gen Pflan­zen und Tie­ren ma­ni­fes­tiert. Den Zu­gang, den er sich ver­baut, fin­den sei­ne Töch­ter mit Of­fen­heit und Wissbegier.

King­sol­ver schil­dert in ih­rem stel­len­wei­se psy­cho­lo­gi­schen Ro­man fein­füh­lig die Kon­flik­te und Trau­ma­ti­sie­run­gen, de­nen die Per­so­nen aus­ge­setzt sind. Da­durch er­zeugt sie auch Ver­ständ­nis für die in­ne­re Ver­fas­sung des Mis­sio­nars. Eben­so er­zählt sie vom schwie­ri­gen Le­ben in der kon­go­le­si­schen Na­tur. In dra­ma­ti­schen Sze­nen schil­dert sie ei­ne In­va­si­on der Wan­der­amei­sen und die dar­aus fol­gen­de Treibjagd.

In der Ro­man­hand­lung fin­det auch das Zeit­ge­sche­hen sei­nen Platz. Die Um­brü­che, die die neue Un­ab­hän­gig­keit her­vor­ru­fen, ma­chen sich auch in Ki­langa be­merk­bar. Da die Be­woh­ner „erst kürz­lich den Dreh des de­mo­kra­ti­schen Pro­zes­ses her­aus ge­kriegt“ ha­ben, for­dern sie ei­ne Ab­stim­mung über „Je­sus Chris­tus im Amt des per­sön­li­chen Got­tes von Ki­langa“. Für das Kie­sel­stein­vo­tum ste­hen zwei Scha­len be­reit, die christ­li­che kenn­zeich­net ein Kreuz als Sym­bol, die pro­fa­ne ei­ne Fla­sche Palmwein.

Doch so­bald King­sol­ver über das blu­ti­ge Cha­os der Auf­stän­de und über den Mord an Pa­tri­ce Lu­mum­ba be­rich­tet, wirkt dies sehr re­fe­rie­rend und er­zeugt Län­gen. Im Wunsch ein Epos zu fül­len er­zählt sie da wei­ter, wo sie mei­ner Mei­nung nach bes­ser ge­en­det hät­te. Die Es­ka­la­ti­on, in der für Fa­mi­lie Pri­ce der Auf­ent­halt in Ki­langa en­det, hät­te nach gut 400 Sei­ten auch ein gran­dio­ses En­de für den Ro­man er­ge­ben. War­um die Schick­sa­le der Töch­ter über wei­te­re Jahr­zehn­te ver­folgt wer­den müs­sen, er­schließt sich mir nicht. Vor al­lem die Ver­än­de­rung der Fi­gur Ra­chel, die in Ki­langa den Clash of Cul­tures als ein­zi­ge lu­zi­de und in sar­kas­ti­schem Ton kom­men­tiert, fin­de ich schade.

Der letz­te Teil des Ro­mans, der in ty­pisch apri­cot­far­be­ner Ma­nier, ‑ein­zig hier be­hält das Co­ver Recht- , die Sym­pa­thie­trä­ger dem Hap­py­end zu­führt, zeigt we­nigs­tens wie der Re­ver­end sei­ne Auf­ga­be bes­ser hät­te ver­fol­gen kön­nen, in­dem er, wie sei­ne Toch­ter Le­ah, den Afri­ka­nern ein Afri­ka­ner ge­wor­den wäre.

Nichts­des­to­trotz ist „Die Gift­holz­bi­bel“ ein span­nen­der und an­spruchs­rei­cher Ro­man über das Auf­ein­an­der­pral­len von Kul­tu­ren. Sei­ne Au­torin, Bar­ba­ra King­sol­ver, ent­wi­ckel­te ihn nicht aus ak­tu­el­len Re­cher­chen vor Ort, wie sie in ih­rem Nach­wort be­rich­tet, son­dern aus Er­in­ne­run­gen an ei­nen ein­jäh­ri­gen Kon­go­auf­ent­halt als Kind. Er­gänzt hat sie die­se durch Lek­tü­ren in Li­te­ra­tur und Fach­bü­chern, die sie im An­hang an­führt. Ei­ne klei­ne Afri­ka­kar­te er­gänzt die Aus­ga­be. Der Neu­auf­la­ge wün­sche ich drin­gend ei­ne Ge­stal­tung, die den Ro­man aus der Schub­la­de der Schick­sals­dra­men herausholt.

Bar­ba­ra King­sol­ver, Die Gift­holz­bi­bel, übers. v. An­ne Ruth Frank-Strauss, Pi­per Ver­lag 2012

2 Gedanken zu „Tata Jesus ist bängala!“

  1. Lie­be Kerstin,

    herz­li­chen Dank für die­se in­ter­es­san­te Be­spre­chung. Das Buch hat­te ich schon län­ger auf dem Ra­dar, aber jetzt weiß ich, dass ich es ha­ben muss… 

    LG
    Tom

    1. Hal­lo Tom, es ist wirk­lich ein be­mer­kens­wer­tes Buch, in dem es viel zu ent­de­cken gibt, was ich hier nicht ex­pli­zit er­wähnt ha­be. Dar­un­ter auch die Dar­stel­lung der in­di­ge­nen Be­völ­ke­rung, die we­der ab­wer­tend noch idea­li­sie­rend er­folgt. Den ed­len Wil­den gibt es hier ‑na ja, fast- nicht. Eben­so in­ter­es­sant ist der Bi­bel­be­zug, ent­spre­chend Be­le­se­ne dürf­ten ei­ni­ges entdecken.
      Viel­leicht er­gibt sich ja nach Dei­ner Lek­tü­re ei­ne Dis­kus­si­on auf der Le­se­lust?

      Wenn Du den Ro­man an­ti­qua­risch suchst, er wur­de auch un­ter dem Ti­tel „Will­kom­men in Ki­langa” verlegt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert