Ein überquellender Schambecher

In „Dream Count“ thematisiert Chimamanda Ngozi Adichie die Diskriminierung weiblicher Lebensentwürfe hart am Chicklit

»Lebst du das Le­ben, das du dir für dich vor­ge­stellt hast?«, frag­te ich. »Nein, aber wer tut das schon?« »Ich den­ke, da gibt es ei­ni­ge Leu­te.« »Man­che Leu­te den­ken, dass man­che Leu­te es tun.« »Wie meinst du das? Dass es auf nie­man­den zu­trifft? Das ist de­pri­mie­rend.« »Ist es das? Ich fin­de es ziem­lich be­ru­hi­gend.« »Ich möch­te dar­an glau­ben, dass man­che Men­schen es tun. Was für ei­nen Sinn hät­te das Gan­ze denn sonst?« Er sah er­nüch­tert aus. »Hilft es zu wis­sen, dass die Welt vol­ler Men­schen ist, die noch trau­ri­ger sind als du?«

Für ihr Werk „Ame­ri­ca­nah“ er­hielt die in Ame­ri­ka le­ben­de Ni­ge­ria­ne­rin Chi­ma­man­da Ngo­zi Adi­chie Auf­merk­sam­keit und An­er­ken­nung. Mit „Dream Count“ hat sie nun ei­nen Ro­man vor­ge­legt, von dem man, an­ge­sichts sei­nes Schmö­ker­po­ten­ti­als, nicht all­zu viel ver­ra­ten möch­te. Adi­chie the­ma­ti­siert dar­in die Un­ge­rech­tig­kei­ten zwi­schen Män­ner und Frau­en, Rei­chen und Ar­men, Wei­ßen und Nicht­wei­ßen, kurz ge­sagt zwi­schen Pri­vi­le­gier­ten und Nicht­pri­vi­le­gier­ten. Auf 528 Sei­ten lässt sie in fünf Ka­pi­teln vier in den USA le­ben­de Afri­ka­ne­rin­nen auf­tre­ten. Drei ih­rer Prot­ago­nis­tin­nen, Zi­ko­ra, Ka­dia­tou und Ome­logor, er­hal­ten je­weils ein ei­ge­nes Ka­pi­tel. Chi­ama­ka, wel­che die Ver­bin­dung zwi­schen den Frau­en knüpft, kommt im ers­ten und letz­ten Teil des Ro­mans zu Wort, was ihn in­halt­lich wie for­mal rahmt.

Chi­ama­ka war zum Stu­di­um in die USA ge­kom­men, gibt die­ses je­doch auf, wird Rei­se­schrift­stel­le­rin und träumt da­von, ei­nen Ro­man zu schrei­ben. Die Iso­la­ti­on der Co­ro­na­zeit bie­tet ihr Mu­ße, sich an ih­ren „Dream Count“ zu er­in­nern, die Män­ner ih­rer ver­gan­ge­nen Lie­bes­be­zie­hun­gen. Ih­re Cou­si­ne Ome­logor er­kennt dar­in das An­zei­chen ei­nes emo­tio­na­len De­fi­zits, „wäh­rend nor­ma­le Men­schen im Lock­down un­ter Angst­zu­stän­den lit­ten, (warst du) da­mit be­schäf­tigt (…), dei­nen Ver­flos­se­nen hin­ter­her­zu­re­cher­chie­ren und dei­nen Bo­dy Count durch­zu­ge­hen.« »Mei­nen Dream Count«, sag­te ich. »Mit wie vie­len Dreams bist du denn schon zu­sam­men ge­we­sen?« »Die Welt hat sich ver­än­dert, und dann schaut man zu­rück, um mal Bi­lanz zu zie­hen und zu se­hen, wie man ei­gent­lich ge­lebt hat. Und man be­reut so vieles«“

Ome­logor, im glei­chen ni­ge­ria­ni­schen Dorf wie Chi­ama­ka auf­ge­wach­sen, bil­det nicht nur, was ih­re Män­ner­be­zie­hun­gen be­trifft, den Ge­gen­part zu ih­rer Freun­din. Die ei­ge­ne Un­ab­hän­gig­keit gilt ihr als größ­tes Gut. Fi­nan­zi­ell er­mög­licht ihr dies ei­ne Kar­rie­re im Ban­ken­we­sen, die es mit je­ner „Der Spie­le­rin“ von Isa­bel­le Lehn durch­aus auf­neh­men kann. Trotz­dem be­geg­net auch ihr die Er­war­tung, ih­re Rol­le als Frau und Mut­ter zu erfüllen.

Längst ver­in­ner­licht hat dies, for­ciert durch ih­ren tie­fen christ­li­chen Glau­ben, die aus Ni­ge­ria stam­men­de Zi­ko­ra. Sie ver­liert zwar durch die Schwan­ger­schaft den Part­ner, ge­winnt aber die Nä­he zu der ent­frem­de­ten Mutter.

Und dann ist da noch Ka­dia­tou, ei­ne aus Gui­nea ein­ge­wan­der­te Frau, die mit ih­rer Toch­ter in pre­kä­ren Ver­hält­nis­sen lebt. In ih­rem Job als Zim­mer­mäd­chen trifft sie auf Chi­ama­ka, die sie als Haus­an­ge­stell­te en­ga­giert, wo­durch ei­ne freund­schaft­li­che Be­zie­hung ent­steht. Adi­chie legt die­ser Fi­gur den Fall Di­al­lo-Strauss-Kahn zu Grun­de. Im Nach­wort er­läu­tert die Au­torin, daß der breit pu­bli­zier­te Miss­brauch ihr nicht nur als In­spi­ra­ti­on dien­te, son­dern daß sie den Her­gang der Ver­ge­wal­ti­gung ge­treu der Aus­sa­ge Di­al­los über­nom­men ha­be. Die Vor­ge­schich­te ih­rer Prot­ago­nis­tin Ka­dia­tou so­wie de­ren Re­ak­ti­on auf die Nie­der­schla­gung des Ver­fah­rens sei­en hin­ge­gen schrift­stel­le­ri­sche Phan­ta­sie und ha­ben nichts mit dem Vor­bild zu tun.

Ge­mein­sam ist den vier Frau­en des Ro­mans die Su­che nach Le­bens­er­fül­lung. „Lebst du das Le­ben, das du dir für dich vor­ge­stellt hast?“ lau­tet die Kern­fra­ge. Die Ant­wort fällt we­ni­ger un­ter­schied­lich aus als er­war­tet. Für Chi­ama­ka liegt die Er­fül­lung dar­in, von ei­nem Mann „er­kannt zu wer­den“, Ome­logor wünscht sich die Frei­heit zur Selbst­be­stim­mung, Zi­ko­ra Mann und Kind und Ka­dia­tou ein­fach ein fried­li­ches Le­ben. Je­de von ih­nen kämpft ge­gen frem­de aber auch ei­ge­ne Er­war­tun­gen, sei es die Ab­stam­mungs­li­nie fort­zu­füh­ren, der ka­tho­li­schen Mo­ral zu ent­spre­chen oder Män­nern ge­gen­über ge­fü­gig zu sein.

Wie uni­ver­sell die­se An­sprü­che sind, be­weist Adi­chie durch die Wahl ih­rer Hand­lungs­or­te, ne­ben den USA sind dies Ni­ge­ria, Gui­nea und die Län­der, die Chi­ama­ka be­reist. Eben­so ruft sie un­ter­schied­li­che Mi­lieus auf, die Welt der Su­per­rei­chen, der Aka­de­mi­ker, des Banken‑, Jus­tiz- und des Ver­lags­we­sens. Über­all sind Frau­en Res­sen­ti­ments und Dis­kri­mi­nie­run­gen aus­ge­setzt, sei­en sie ras­sis­ti­scher oder gen­der­be­ding­ter Natur.

Adi­chie zeigt dies durch die Ge­füh­le, mit de­nen die Er­zäh­le­rin­nen ihr Le­ben re­flek­tie­ren. Chi­ama­ka voll­führt da­bei die stärks­te Selbst­ana­ly­se und rutscht durch ih­ren Drang, er­kannt zu wer­den, zu­wei­len in me­lo­dra­ma­ti­sche Ge­fil­de. So sieht sie sich für ei­ne Tren­nung ver­ant­wort­lich, „weil ich die­sen au­ßer­or­dent­li­chen Schmerz nicht län­ger igno­rie­ren konn­te, der dar­in liegt, ei­nen lie­ben Men­schen lie­ben zu wol­len, den man nicht liebt.“ Adi­chie schafft mit Chi­ama­ka ei­ne Frau, die sich bis zur Selbst­de­mon­ta­ge se­ziert und schnell be­reit ist, Schuld zu über­neh­men. „Wenn ich jetzt zu­rück­bli­cke, se­he ich mei­ne Schwä­che in al­ler Deut­lich­keit, mei­ne Nach­gie­big­keit und Füg­sam­keit im Aus­tausch für nichts.“

Den Ge­gen­part zu Chi­ama­ka bil­det in vie­ler­lei Hin­sicht Ome­logor, die sich mit Schlag­fer­tig­keit ge­gen männ­li­ches Do­mi­nanz­ge­ha­be wehrt. Emo­tio­na­le Ver­letz­bar­keit ver­mei­det sie durch den Ver­zicht auf fes­te Be­zie­hun­gen. Das in ih­rer Selbst­be­stim­mung ge­grün­de­te Glück teilt sie mit an­de­ren, die un­ter schlech­ten Be­din­gun­gen lei­den. Da sind zum ei­nen Frau­en, de­nen sie mit Mi­cro-Spen­den zum Auf­bau ei­nes Un­ter­neh­mens ver­hilft. Zum an­de­ren Män­ner, und hier­in liegt ei­ne fei­ne Iro­nie, de­nen sie in ih­rem Blog „On­ly for men“, zur Ver­hal­tens­än­de­rung ge­gen­über Frau­en rät. Ome­logor, die sich nach ih­rer Kar­rie­re in Ni­ge­ria da­zu ent­schließt, Kul­tur­wis­sen­schaft in den USA zu stu­die­ren, ist die stärks­te Fi­gur des Romans.

Ne­ben dem sich er­gän­zen­den Duo Ome­logor und Chi­ama­ka, fal­len die an­de­ren bei­den Prot­ago­nis­tin­nen stark ab. So fügt Adi­chie durch Zi­ko­ra le­dig­lich ei­ne wei­te­re Be­zie­hungs­va­ri­an­te, die der vom Part­ner im Stich ge­las­se­nen Schwan­ge­ren, hin­zu. An­sons­ten wä­re die Fi­gur in der Dra­ma­tur­gie des Ro­mans ver­zicht­bar, wenn man von ih­rer Rol­le als ju­ris­ti­sche Be­ra­te­rin im Ver­ge­wal­ti­gungs­fall ab­sieht. In­ter­es­sant ist, daß so­wohl Zi­ko­ra als auch Ka­dia­tou nicht als Ich-Er­zäh­le­rin­nen auf­tre­ten, son­dern von ei­ner per­so­na­len Er­zähl­stim­me ver­tre­ten wer­den. Soll das die Pas­si­vi­tät der Fi­gu­ren aus­drü­cken oder ih­re je­wei­li­ge Ne­ben­rol­le? Das Ka­pi­tel Ka­dia­tou ge­rät so, ab­ge­se­hen von der Ver­ge­wal­ti­gungs­sze­ne, die Adi­chie be­we­gend nach­er­zählt, zum schwächs­ten li­te­ra­ri­schen Ele­ment des Ro­mans. Die Vor­ge­schich­te Ka­dia­tous in Gui­nea, ei­nes ar­men Mäd­chens in un­ter­drück­ten Ver­hält­nis­sen, ist vol­ler Kli­schees. Auf den Un­fall­tod des Va­ters fol­gen Kin­der­ar­beit, Be­schnei­dung, ein al­ko­hol­kran­ker Gat­te, ei­ne Fehl­ge­burt, ein un­zu­ver­läs­si­ger Part­ner und der Auf­tritt ei­ner Wohl­tä­te­rin. Auch wenn die Au­torin Zeit­sprün­ge und Rück­bli­cke ein­baut, füh­le ich mich an ei­nen sehr ein­fach ge­strick­ten Gen­re­ro­man er­in­nert. War­um hat man Adi­chie nicht ge­ra­ten, auf die­se bei­den Fi­gu­ren zu ver­zich­ten, und sich auf die in­ter­es­san­ten Ich-Er­zäh­le­rin­nen und den auf­ge­grif­fe­nen Fall zu konzentrieren?

Auch sprach­lich fin­det sich Schreck­li­ches, wie „ein Laut, so alt wie die noch nicht ge­form­te Er­de“. Der­art kru­de For­mu­lie­run­gen, die durch die Über­set­zung oft noch ge­stei­gert wer­den, durch­zie­hen lei­der den Ro­man. Da fehlt es nicht an Er­kennt­nis­sen wie „Men­schen ster­ben und Men­schen fei­ern Ge­burts­tag“, „Wir sind ver­liebt, und dann sind wir nicht mehr ver­liebt“ oder „Ich woll­te nicht das, von dem ich woll­te, dass ich es woll­te“. Ne­ben die­ser Pa­tho­s­pro­sa fin­den sich Ver­wei­se auf Hes­se, Proust und Kun­de­ra, aber auch Sät­ze selt­sa­mer Lo­gik. Ich fra­ge mich, was un­ter ei­nem „un­be­kann­tem War­ten“ zu ver­ste­hen ist oder war­um ich nie „auf­ge­regt und vol­ler Er­war­tung“ bin, wenn ich „ei­ne sü­ße Frucht schä­le“? Viel­leicht han­delt es sich aber auch um Über­set­zungs­feh­ler, wie der „Scham­be­cher“, „ein fun­keln­der, über­schäu­men­der Krug des Hu­mors“ oder der „Wunsch, die Lö­cher mit ei­nem an­we­sen­den Mann zu stop­fen“. Auch der „Wehr­machts­sol­dat“, der von Ome­logor zwar deutsch, aber mit V‑Laut aus­ge­spro­chen wird, ‑was im Ori­gi­nal kor­rekt wä­re, in der deut­schen Über­set­zung aber nun mal nicht funktioniert‑, wirft die Fra­ge auf, was mit den bei­den Über­set­zern los war? Wur­de ih­nen et­wa zu we­nig Zeit ge­las­sen? An dem Ein­satz ei­ner KI kann es nicht ge­le­gen ha­ben, denn selbst die­se emp­fiehlt, „a cup of shame“ kei­nes­falls wört­lich ins Deut­sche zu über­setz­ten, da es „ei­ne ab­sur­de Mi­schung aus „Scham“ und ei­nem Trink­ge­fäß er­zeu­gen wür­de, was leicht zu un­frei­wil­li­ger Ko­mik führt oder so­gar As­so­zia­tio­nen weckt, die ins Kör­per­li­che kip­pen“.

Wen die­se Din­ge je­doch nicht stö­ren, er­hält mit „Dream Count“ ei­nen Schmö­ker mit vier Frau­en­stim­men, Blog­bei­trä­gen, Rei­se­be­rich­ten und ei­nem auf ei­ner Quel­le ba­sie­ren­dem Be­richt, der mit Hu­mor, gu­ten Dia­lo­gen, viel Pa­thos und noch mehr Kli­schees von be­stehen­den Macht­ver­hält­nis­sen erzählt.

Chimamanda Ngozi Adichie, Dream Count, aus dem Amerikanischen übers. v. Asal Dardan und Jan Schönherr, S. Fischer Verlag 2025

 

 

 

 

Die durchsichtige Frau

In „Die Spielerin“ erzählt Isabelle Lehn von einer Frau, die sich zurücknimmt, um nach vorne zu gelangen

Man um­schreibt sie als Frau mitt­le­ren Al­ters. In die­se Rol­le fügt sie sich ein, ihr be­zeich­nen­des Merk­mal ist ih­re Durch­schnitt­lich­keit. Man könn­te sie für die Ge­richts­pro­to­kol­lan­tin hal­ten, die le­dig­lich den fal­schen Platz ge­wählt hat, und wür­de man ihr auf der Stra­ße be­geg­nen, dann könn­te man sie leicht übersehen. 
Jetzt aber sind al­le Au­gen auf sie ge­rich­tet. A. wirft die Bli­cke zu­rück, sie ver­wei­gert die Aus­sa­ge, nun, da man ihr zu­hö­ren wür­de. Lie­ber will sie die Leer­stel­le blei­ben, der blin­de Fleck im Sys­tem, den sie jah­re­lang dar­ge­stellt hat, und so­lan­ge sie schweigt, ver­flüch­tigt sie sich zu den Ge­schich­ten, die an­de­re von ihr er­zäh­len, um die Leer­stel­le A. zu um­stel­len. Es könn­te kein bes­se­res Ver­steck für A. geben.“

Eben­so ge­schickt wie die Haupt­fi­gur in Isa­bel­le Lehns Ro­man „Die Spie­le­rin“ sich hin­ter ih­rer Un­auf­fäl­lig­keit zu ver­ste­cken weiß, in­sze­niert die Au­torin die­se Ca­mou­fla­ge. Sie er­streckt sich über den gan­zen Ro­man und ent­hüllt sich noch nicht ein­mal auf den zwei­ten Blick, denn ihr Po­ten­ti­al ent­wi­ckelt die­se in­tel­li­gen­te Frau im Ver­bor­ge­nen. Zu Be­ginn des Ro­mans der 1979 ge­bo­re­nen Rhe­to­ri­ke­rin und Schrift­stel­le­rin Isa­bel­le Lehn steht das En­de der Ge­schich­te, das mit dem En­de des Er­folgs ih­rer Fi­gur zu­sam­men­fällt. Doch auch in die­ser Si­tua­ti­on als An­ge­klag­te vor Ge­richt ver­hält sie sich ge­schickt bedeckt.

Le­dig­lich ei­nem Un­be­kann­ten hat sie vor ih­rer Fest­nah­me „Die durch­sich­ti­ge Frau“ weiterlesen

Wirkmächtige Schatten

Mit „Unmöglicher Abschied“ errichtet Han Kang den Opfern ein Mahnmal zwischen Traum und Realität

Es schnei­te stark. Ich stand auf ei­nem Acker, an des­sen ei­nem En­de sich ein nied­ri­ger Berg an­schloss. Auf die­ser Sei­te war er vom Fuß bis zur Kup­pe mit Tau­sen­den von schwar­zen Baum­stäm­men be­stan­den, die et­wa so dick wie Ei­sen­bahn­schwel­len und ver­schie­den hoch wa­ren, wie Men­schen un­ter­schied­li­chen Al­ters. Zu­gleich wa­ren sie nicht ker­zen­ge­ra­de ge­wach­sen, son­dern leicht ge­bo­gen oder ge­neigt und wirk­ten, als hät­te man am Hang Tau­sen­de von Män­nern, Frau­en und ma­ge­ren Kin­dern im Schnee aus­ge­setzt, die die Schul­tern hoch­zo­gen. Ist das hier ein Fried­hof?, fra­ge ich mich.“

Den Li­te­ra­tur-No­bel­preis des ver­gan­ge­nen Jah­res er­hielt Han Kang, de­ren Ro­ma­ne in ih­rer Hei­mat Süd­ko­rea sehr er­folg­reich sind und die mit „Die Ve­ge­ta­rie­rin“ welt­weit Fu­ro­re mach­te. Die 1970 ge­bo­re­ne Schrift­stel­le­rin stu­dier­te Ko­rea­ni­sche Li­te­ra­tur und un­ter­rich­te­te Krea­ti­ves Schrei­ben. Sie de­bü­tier­te mit Ge­dich­ten und ver­fass­te meh­re­re Ro­ma­ne. Der No­bel­prei­ses „für ih­re in­ten­si­ve Pro­sa, die sich his­to­ri­schen Trau­ma­ta stellt und die Zer­brech­lich­keit des mensch­li­chen Le­bens auf­zeigt“, schenk­te al­ler­dings nicht nur der Au­torin selbst Auf­merk­sam­keit. Er lenk­te den Blick auf die his­to­ri­sche Ver­gan­gen­heit Süd­ko­re­as, die eu­ro­päi­schen Le­sern weit­ge­hend un­be­kannt sein dürfte.

Es ist vor al­lem die Ge­walt­ge­schich­te des Lan­des, die Han Kang im­mer wie­der in ih­re Wer­ke ein­flie­ßen lässt. So auch in ih­rem jüngst auf Deutsch ver­öf­fent­lich­ten Ro­man „Un­mög­li­cher Ab­schied“. In Süd­ko­rea er­schien er be­reits 2021, sein ins Eng­li­sche tran­skri­bier­ter Ti­tel lau­tet „We do not part“„Wir tren­nen uns nicht“.

Kei­ne Tren­nung, kein Ver­ab­schie­den, kein Ver­ges­sen! Das gilt auch für die Op­fer des 1948 auf der In­sel Je­ju durch­ge­führ­ten Mas­sa­kers. Gan­ze Dör­fer wur­den vom Mi­li­tär­re­gime Ko­re­as un­ter ja­pa­ni­schem Mit­wir­ken und us-ame­ri­ka­ni­scher Dul­dung zer­stört, 30000 Men­schen hin­ge­rich­tet. Die­sen „Wirk­mäch­ti­ge Schat­ten“ weiterlesen

Protokoll einer Zerrüttung

CoverLjuba Arnautović macht in „Erste Töchter“ aus großen Leben eine kleine Geschichte

Spä­ter hat er über sein Le­ben ein Buch ge­schrie­ben und dar­über, wie po­li­ti­sche Ver­hält­nis­se mensch­li­che Schick­sa­le bestimmen.“

Die­ses Zi­tat könn­te das Mo­tiv von Lju­ba Ar­n­au­to­vićs Schrei­ben sein und so­mit auch das ih­res Buchs „Ers­te Töch­ter“. Zu­ge­schrie­ben hat sie es Wolf­gang Le­on­hard, ei­ner ih­rer Ne­ben­fi­gur, der durch sei­nen au­to­bio­gra­phi­schen Be­richt „Die Re­vo­lu­ti­on ent­lässt ih­re Kin­der“ be­kannt wur­de. Au­to­bio­gra­phisch ist auch Ar­n­au­to­vićs Werk. Wie be­reits in „Im Ver­bor­ge­nen“ und in „Ju­ni­schnee“ er­zählt die in Wien le­ben­de und 1954 in Kursk ge­bo­re­ne Au­torin von ih­rer Fa­mi­lie, die, so der Klap­pen­text, vom „Dra­ma des 20. Jahr­hun­derts in Wien, Mos­kau und im Gu­lag“ ge­prägt wur­de. Der letz­te Band die­ser Tri­lo­gie fügt Mün­chen als Hand­lungs­ort hinzu.

Dort lebt Karl mit sei­ner neu­en Frau und ei­ner sei­ner ers­ten Töch­ter. Zu­vor hat­te er die­se und ih­re jün­ge­re Schwes­ter erst von de­ren Mut­ter Ni­na, dann von der Er­satz­mut­ter Eri­ka ge­trennt und nun so­gar von­ein­an­der. La­ra geht nach Wien, Lu­na bleibt in Mün­chen. Ei­ne Kon­stel­la­ti­on wie in Erich Käst­ners „Pro­to­koll ei­ner Zer­rüt­tung“ weiterlesen

Willkommen im Auenland“

Markus Thielemann erzählt in „Von Norden rollt ein Donner” auf spannende Weise über die Ambivalenz eines vermeintlichen Idylls

Un­ten drän­gen sich die Tie­re an­ein­an­der. He­ra und Kasch, die bei­den Hüte­hun­de, um­krei­sen den Pulk. Jan­nes blickt hin­un­ter, die Be­we­gun­gen er­in­nern ihn an Bil­der aus ei­ner Do­ku­men­ta­ti­on über den Welt­raum. Wie Mon­de oder Pla­ne­ten krei­sen sie um die Her­de, das Zen­trum des Alls. Und dann schweift er ab: er hat sei­nen ei­ge­nen dunk­len Wan­de­rer, ei­nen Ge­dan­ken, der seit Ta­gen kommt und geht auf el­lip­ti­scher Bahn, des­sen Gra­vi­ta­ti­on drückt und lähmt, bis ihn die Flieh­kraft ein­mal mehr zu­rück in die Nacht schleu­dert: Pa­pa geht zum Arzt.“

Die Welt, in der Jan­nes kreist, ist ei­ne be­grenz­te. Es ist die Hei­de süd­lich von Lü­ne­burg, in der er mit den Schnu­cken des Fa­mi­li­en­be­triebs um­her­zieht. Fa­mi­lie und Tra­di­ti­on ma­chen ihn zum Schä­fer in die­ser ver­meint­lich idyl­li­schen Land­schaft. Ei­ne Su­che nach der ei­ge­nen Iden­ti­tät, wie sie sei­ne Al­ters­ge­nos­sen un­ter­neh­men, ist un­ter die­sen Um­stän­den nicht nur nicht nö­tig, son­dern un­mög­lich. Das Le­ben scheint vor­ge­zeich­net für den 19-jäh­ri­gen Prot­ago­nis­ten in „Von Nor­den rollt ein Don­ner“, dem zwei­ten und für den dies­jäh­ri­gen Deut­schen Buch­preis no­mi­nier­ten Ro­man des jun­gen Au­tors Mar­kus Thie­le­mann.

Auch wenn der Ti­tel, wie die ört­li­chen Ge­ge­ben­hei­ten und der Ver­lauf der Ge­schich­te zei­gen, in dop­pel­ter Wei­se deut­bar ist, er­zeugt er zu­nächst ei­nen star­ken Be­zug zur Na­tur. Die Na­tur be­stimmt den Be­ruf des Schä­fers, in­dem sie mit Wet­ter und Jah­res­zei­ten den Rhyth­mus dik­tiert. Jan­nes und sei­ne Her­de sind ab­hän­gig von der Flo­ra, dem Ge­dei­hen der Fut­ter­pflan­zen, wie von der Fau­na, die sich im Wohl der Schnu­cken und im Ge­schick der Hüte­hun­de of­fen­bart und mit dem Wolf de­ren Ha­bi­tat be­droht. Jan­nes ist ihm schon Will­kom­men im Au­en­land““ weiterlesen

Distanzerfahrung

Iris Wolff erzählt in „Lichtungen“ von „Zugehörigkeit und Fremdsein“

Schon wäh­rend der Ge­sprä­che im Zug war ihm der Ge­dan­ke ge­kom­men, dass al­le Rei­sen­den auf ge­wis­se Wei­se ihr Land ver­tra­ten. Aber durf­ten ein­zel­ne Men­schen und Er­fah­run­gen fürs Gan­ze stehen?“

Ihr Deut­schen lebt in der Stra­ße, seid ganz mit eu­rem Haus ver­wach­sen, zieht die Vor­hän­ge zu, ver­bergt euch im Hof wie ein Fuchs in sei­ner Höh­le. Wir Ru­mä­nen je­doch le­ben auf der Stra­ße, für je­den sicht­bar, an­sprech­bar. Soll­te sich die Stra­ße nei­gen, weg­rut­schen, fal­len wir mit, rut­schen wir mit. Nimmt man euch die Stra­ße, eu­er Haus, was seid ihr dann? – Noch jetzt traf ihn die Un­ter­schei­dung sei­nes Bru­ders in: wir und ihr.“

Im­re war schweig­sam, leb­te für sich. Aber nach Levs Er­mes­sen ta­ten dies al­le: Bre­di­ca, Do­rin, Va­lea, Bu­ni­ca, Fer­ry und auch sei­ne Mut­ter Lis. Das We­sent­li­che teil­ten sie nicht. Selbst bei Ka­to und ihm war das nicht an­ders, auch wenn er sich das manch­mal wünschte.“

Vor kur­zem fiel mir auf dem Dach­bo­den ein Ta­ge­buch in die Hand, ich fing an dar­in zu le­sen und blät­ter­te beim letz­ten Ein­trag be­gin­nend zu­rück. Ganz ähn­lich hat Iris Wolff ih­ren neu­en Ro­man „Lich­tun­gen“ an­ge­legt. Er liest sich wie ein Jour­nal vol­ler Er­leb­nis­se, Be­ob­ach­tun­gen und Ideen und er­zählt sei­ne Ge­schich­te vom En­de her. Da­mit dies auch je­der ver­steht, wer­den die Ka­pi­tel im Count­down ge­zählt. Zu Be­ginn steht die Haupt­fi­gur, Lev, mit Mit­te 30 am En­de sei­ner Ent­wick­lung, so­weit dies den Ro­man be­trifft. Doch wo­von han­delt dieser?

Da ist zum ei­nen die Ge­schich­te zwi­schen dem Mäd­chen Ka­to und dem Jun­gen Lev, die sich als Kin­der be­geg­nen und ei­ne Freund­schaft zu­ein­an­der ent­wi­ckeln, die mit zu­neh­men­dem Al­ter so in­ten­siv wird, daß „Di­stanz­er­fah­rung“ weiterlesen

Ein alter Alutopf und eine riesige, rote Couch

In ihren Romanen „Mama Odessa“ und „Baumgartner“ erschaffen Maxim Biller und Paul Auster vielfältige Wege zur Erinnerung und zeigen einige Gemeinsamkeiten

An­na war an sei­ner Sei­te, auf der gan­zen Rei­se gin­gen sie ne­ben­ein­an­der­her, spra­chen mit­ein­an­der, hör­ten ein­an­der zu, wäh­rend sie durch die Räu­me und schwach be­leuch­te­ten Kor­ri­do­re des Pa­lasts der Er­in­ne­rung zo­gen und Hun­der­te gro­ße und klei­ne Din­ge auf­such­ten, die sie in die­sen vier­zig Jah­ren er­lebt hat­ten. Selbst­ver­ständ­lich war sie nicht in Fleisch und Blut bei ihm, aber als er zum ers­ten Mal nach weiß Gott wie lan­ger Zeit ih­re Brie­fe und Ma­nu­skrip­te las, fand er im­mer­hin ih­re Stim­me wie­der, und als er sich in die zahl­lo­sen Fo­tos ver­tief­te, die er und an­de­re Zeit ih­res Le­bens von ihr ge­macht hat­ten, fand er auch ih­ren Kör­per wie­der.“ (Paul Aus­ter, Baumgartner)

„Ich stand jetzt, fast fünf­zig Jah­re spä­ter, vor den bei­den Bil­dern im al­ten Ar­beits­zim­mer mei­ner Mut­ter in der Bie­ber­stra­ße und sah sie mi­nu­ten­lang an. Da­bei ver­such­te ich, mich an mei­ne rus­si­sche Kind­heit zu er­in­nern, oder we­nigs­tens an ein paar Mo­men­te, Ge­rü­che, Bli­cke. Aber da war nichts, gar nichts. Mei­ne Er­in­ne­run­gen be­stan­den fast nur aus al­ten Fo­tos und den Bil­dern, die mein Groß­va­ter nach ih­nen ge­malt hat­te. War ich nicht, dach­te ich plötz­lich, manch­mal bei ihm im Ate­lier in der Mol­do­wan­ka ge­we­sen? Ja, rich­tig. Das Ate­lier war im Erd­ge­schoss, hin­ten, am En­de des Hofs, (…) War­um hat­te ich das ver­ges­sen? War­um er­in­ner­te ich mich plötz­lich dar­an?“ (Ma­xim Bil­ler, Ma­ma Odessa)

Manch­mal, es mag Zu­fall sein, of­fen­ba­ren zwei Ro­ma­ne, die ich oh­ne be­stimm­te Ab­sicht nach­ein­an­der ge­le­sen ha­be, star­ke Ge­mein­sam­kei­ten, die mich ein­fach nicht mehr los­las­sen und zum Wei­ter­den­ken an­re­gen. So er­ging es mir auch mit den neu­en Ro­ma­nen von Ma­xim Bil­ler und Paul Aus­ter, „Ma­ma Odes­sa“ und „Baum­gart­ner“.

Die stärks­te Ge­mein­sam­keit liegt dar­in, wie in den bei­den Wer­ken „Ein al­ter Alutopf und ei­ne rie­si­ge, ro­te Couch“ weiterlesen

Kristalle der Ernüchterung“

Julia Schoch forscht in „Das Liebespaar des Jahrhunderts“ nach den Leerstellen der Liebe

Soll­te ich je­mals ein rich­ti­ges Buch schrei­ben, könn­te es nur eins über dich sein. Wor­über in al­ler Welt, hät­te ich sonst schrei­ben sol­len. Al­le Bü­cher, die ich schrei­ben wür­de, wür­den von dir han­deln, so viel stand fest. (…) Ein Ro­man in ganz ein­fa­chen Wor­ten soll­te es sein. Ein ein­fa­cher Ro­man. Es müss­te et­was sehr Fla­ches, Un­auf­ge­reg­tes sein, dach­te ich, oh­ne ei­ne ge­such­te, kunst­vol­le Form.“

Kann das Selbst­re­fe­ren­ti­el­le der Vor­gän­ger­lek­tü­re über­trof­fen wer­den, frag­ten wir uns beim letz­ten Tref­fen un­se­res Li­te­ra­tur­krei­ses. Ju­lia Scho­ch bringt den Be­weis mit ih­rem neu­en Ro­man, der auf­grund der au­to­bio­gra­phi­schen Aus­rich­tung die­sen Gat­tungs­be­griff viel­leicht gar nicht ver­dient. Nach ih­rem 2022 er­schie­ne­nen Buch „Das Vor­komm­nis“ liegt nun der zwei­te Teil der Tri­lo­gie „Bio­gra­phie ei­ner Frau“ vor.

Das Lie­bes­paar des Jahr­hun­derts“ hat viel von ei­ner psy­cho­lo­gi­schen Be­zie­hungs­ana­ly­se, bei der al­ler­dings nur ein Teil des Paa­res spricht. Doch an­ders als in der Frau­en­li­te­ra­tur der Acht­zi­ger, von vie­len Ver­la­gen ver­öf­fent­licht und noch heu­te in Er­in­ne­rung durch Ti­tel wie Ju­dith Jann­bergs „Ich bin Ich“, fühlt sich die Er­zäh­le­rin nicht aus­schließ­lich als Op­fer des Kris­tal­le der Er­nüch­te­rung““ weiterlesen

Verbotene Liebe

In „Schneeflocken wie Feuer“ erzählt Elfi Conrad von früher

Er könn­te häss­lich sein, bö­se, ur­alt, es wür­de nichts än­dern. Kaum ei­ne Frau kann sich ei­nem sin­gen­den, Gi­tar­re spie­len­den Mann ent­zie­hen. Es spielt kei­ne Rol­le mehr, dass es ei­ne Wet­te war, dass ei­ne Halb­star­ke ih­re Rei­ze tes­ten woll­te, dass es sich um die Macht über ei­nen Vor­ge­setz­ten und die Ra­che ei­ner Ge­de­mü­tig­ten han­del­te. (…) Als ich nicht mehr an mich hal­ten kann, zie­he ich mei­ne San­da­let­ten aus. Sprin­ge auf und tan­ze. (…) Flie­gend durch­bre­che ich die ima­gi­nä­re Wand, von der die Gi­tar­ren­ak­kor­de, die Stim­me, der Mann um­ge­ben ist. Drin­ge ein. Der Mann auf dem Stuhl ist die­ser Be­sitz­ergrei­fung aus­ge­lie­fert, an sei­nen Au­gen kann ich es ablesen.“

Ein nicht un­we­sent­li­cher Teil der Tref­fen un­se­res Li­te­ra­tur­krei­ses ge­hört der Fra­ge, wor­über wir beim nächs­ten Mal dis­ku­tie­ren wol­len. Als Grund­la­ge die­nen uns Emp­feh­lun­gen und Lis­ten au­ßer­halb der ver­kaufs­ori­en­tier­ten des „Spie­gel“, die ich, wenn sie mit „Buch­re­port“ un­ter­ge­hen soll­te, nicht ver­mis­sen wer­de. Es lag al­so nicht fern den 30 Li­te­ra­tur­kri­ti­kern des SWR zu fol­gen, die „Schnee­flo­cken wie Feu­er“ von El­fi Con­rad im Sep­tem­ber auf den ers­ten Platz der Bes­ten­lis­te setz­ten. Dass ei­ne un­se­rer Mit­strei­te­rin­nen im glei­chen Al­ter wie die Au­torin ist und wie die­se als Kriegs­flücht­ling im Harz auf­wuchs, hat nicht un­we­sent­lich zu un­se­rer Ent­schei­dung bei­getra­gen. Un­gleich grö­ße­re bio­gra­phi­sche Über­ein­stim­mung weist Con­rad mit ih­rer Prot­ago­nis­tin Do­ra auf. Dass es sich bei „Schnee­flo­cken wie Feu­er“ um ei­nen aus­ge­spro­chen „Ver­bo­te­ne Lie­be“ weiterlesen

Riesenschlamassel

Joshua Cohen hat in seinem neuen Roman vieles erfunden und verfremdet, doch, wie er im Nachwort betont „Die Netanjahus blieben die Netanjahus“

Aus mei­ner Vor­lie­be Li­te­ra­tur wur­de Ge­schich­te, aus der Vor­lie­be al­ler an­de­ren für Buch­hal­tung wur­de Wirt­schafts­leh­re, und Ame­ri­ka blieb Ame­ri­ka. Ich blieb bis zum Ab­schluss­examen an der Co­lum­bia, und nach mut­lo­sem Suh­len im Dun­kel der Lehr­auf­trä­ge wur­de ich der ers­te Ju­de, der je­mals vom Cor­bin Col­lege (da­mals war die Cor­bin Uni­ver­si­ty noch ein schlich­tes Col­lege) an­ge­stellt wur­de, und da­mit mei­ne ich nicht der ers­te jü­di­sche Do­zent mit Aus­sicht auf Pro­fes­sur am His­to­ri­schen Se­mi­nar des Cor­bin Col­lege, son­dern den ers­ten Ju­den über­haupt an der ge­sam­ten Hoch­schu­le – Lehr­kör­per und, so­weit ich das be­ur­tei­len konn­te, Stu­den­ten­schaft eingeschlossen.“

Manch­mal lie­gen die Grün­de für die Aus­wahl ei­ner Lek­tü­re gar nicht so fern. Beim neu­en Ro­man des US-ame­ri­ka­ni­schen Au­tors Jo­shua Co­hen ver­spricht der Ti­tel, „Die Ne­tan­ja­hus“ Ent­hül­lun­gen und der Klap­pen­text viel Le­se­ver­gnü­gen. Wer möch­te nicht ei­ne Ge­schich­te über die Fa­mi­lie ei­nes am­tie­ren­den Mi­nis­ter­prä­si­den­ten, noch da­zu ei­nes stark um­strit­te­nen, le­sen, wenn die­se mit „überbordender Fan­ta­sie und wil­der Ko­mik (…) ein li­te­ra­ri­sches Feu­er­werk“ ent­facht? Dass sie zu­dem mit dem Pu­lit­zer Pri­ce aus­ge­zeich­net wur­de, scheint ei­ne Ne­ben­sa­che, er­wies sich al­ler­dings als ge­eig­net, um mei­nen Li­te­ra­tur­kreis zu die­sem Buch zu verleiten.

Die Ne­tan­ja­hus“ könn­te rein ober­fläch­lich als Cam­pus­ro­man „Rie­sen­schla­mas­sel“ weiterlesen