Proust – Besuch bei Baron de Charlus, Bd. 3, 774–793
Nach dem Diner bei der Herzogin von Guermantes macht sich Marcel auf den Weg zu Charlus. Über Saint-Loup hatte er ihm den Termin ausrichten lassen. Ausgerechnet am Abend des Diners erwarte er ihn wegen einer dringenden Unterredung.
Nun sitzt Marcel voller Spannung im Vorzimmer, um Charlus von Orianes Bemerkungen zu berichten. Diese war erstaunt, sogar besorgt, zu hören, daß die Beiden seit einiger Zeit miteinander bekannt sind. Doch der Baron lässt ihn warten. Marcel kann sich von seinem „Wortrausch“ nicht befreien. Er hätte genug Zeit, über die Bemerkungen während der zurückliegenden Stunden bei den Guermantes nachzudenken. Oriane entdeckte in ihrem Schwager „das Herz einer Frau“, die türkische Botschafterin warnte: „Er ist ein Mann, dem man ohne Bedenken seine Tochter anvertrauen kann, aber nicht seinen Sohn“.
Erst nach einer halben Stunde, Marcel will fast wieder gehen, bereitet ihm Charlus
hingefläzt auf einem Kanapee einen seltsamen Empfang. Er weist Marcel einen Sessel zu. Als dieser sich gedankenverloren auf einem anderen Stuhl niederlässt, verhöhnt ihn der Baron. „Sie wissen ja nicht einmal, worauf sie sich niedersetzen. Sie bieten Ihrem Hinterteil eine Directoire-Chauffeuse als Louis-Quatorze-Sessel an. Eines Tages werden Sie die Knie von Madame de Villeparisis für den Abtritt halten und wer weiß was dort tun.“
An mangelnder Bildung liege es wohl auch, daß der Junge das Vergißmeinnicht in dem in Balbec geliehenen Buch nicht verstanden habe. Gekränkt und beleidig steigert sich Charlus in eine Szene, wie „ein alternder Apoll (…) grüngelber, galliger Geifer schien aus seinem Mund hervorquellen zu wollen“. Marcel kann sich den Zorn zunächst nicht erklären kann, vermutet dann, Charlus sei über seine Äußerung gegenüber Madame de Guermantes, „sie ständen miteinander in Beziehungen“, verstimmt. Jetzt verliert der Ältere vollkommen die Contenance. Vorwürfe voller Eifersucht und Kränkung ergießen sich über den Gast. „Weißgelb geifernde Schlangen krümmten sich auf seinem Gesicht, während seine Stimme abwechselnd schrill und dumpfgrollend war wie ein ohrenbetäubend rasender Orkan.“ Eine letzte Beleidigung bringt auch Marcels Erregung zur Eruption. Doch er hält sich noch zurück, schlägt weder den Gegner, noch das gute Meißner in Stücke. Dran glauben muss ein prachtvoller Zylinder, der schließlich zerfetzt und zertrampelt am Boden liegt. Diese ungewöhnliche Reaktion des sonst so besonnenen, zurückhaltenden Erzählers weist auf ein konkretes Erlebnis des Autors. Der 31jährige Proust gesteht, wie der Kommentar vermerkt, seiner Mutter in einem Brief einen derartigen Ausbruch.
Nach dieser Eskalation gibt Charlus nach, er nähert sich, spricht mit ihm. Er streichelt Marcels Wange und träumt von einer gemeinsamen Mondnacht im Bois. Marcel bleibt nach wie vor naiv. Er ahnt nicht, daß ein erneut geliehenes Buch, die „merkwürdige Ausgabe der Briefe von Madame de Sévigné“, ein Trick ist, ihn trotz der Beteuerung, es sei nun endgültig zwischen ihnen vorbei, weiter zu binden.
„Man muß sich darüber trösten und sich sagen, daß man komplizierte Affären selten an einem Tag abwickeln kann. Bedenken Sie, wie lange der Wiener Kongress gedauert hat.“
Doch noch stärker als dieses Pfand, wird sich vielleicht eine andere Gefälligkeit erweisen. Charlus brüstet sich mit seinem Einfluss bei der Fürstin von Guermantes. Marcels Wunsch nach einer Einladung in den exklusiven Salon des Faubourg könnte in Erfüllung gehen.
Hallo Atalante, wusstest du, dass seit zwei Jahren in Cabourg vor dem Grand Hotel jetzt eine Statue von Marcel Proust steht? Such mal nach „Marcel Proust retourne à Cabourg”.
Oder schau hier: https://actu.fr/normandie/cabourg_14117/le-sculpteur-edgar-duvivier-fait-revivre-marcel-proust-cabourg_11243269.html
Vielen Dank für den Hinweis, Amata. Bist du im Besitz einer Miniatur?
Ja, ich habe eine der Miniaturen. Ich bin auch extra nach Cabourg gefahren, um ein Foto mit Marcel zu machen. Bist du auf facebook?
Das ist doch schön.
Nein, Facebook habe ich in meiner digitalen Entwicklung ausgelassen. Dafür findest du mich bei Instagram unter atalanteshistorien.
Auf facebook findest du einiges zu Edgar, Marcel und der Statue, deshalb. Ist aber nicht so wichtig.
Ach, noch etwas. Weißt du, warum die Leselust verschwunden ist?
Nein, tut mir leid, das kann ich dir nicht beantworten.
Liebe Atalante, so trifft man sich wieder. Ich bin auf Whatchareadin, das ich vor etwa drei Wochen entdeckt habe, auf dich gestoßen. Du schreibst dort nicht mehr. Hat das einen konkreten Grund, außer dass dir vielleicht die Zeit fehlt? Bislang finde ich nur die Anordnung der Beiträge etwas verwirrend.
Wir sind vor einem guten halben Jahr in eine Wohnung gezogen und mussten uns zwischen Büchern oder Keramik entscheiden. Leider hat die Keramik gewonnen, und jetzt fehlen sie doch, die Bücher.
Grüße aus dem Badischen.
„Der geifernde Apoll”
Apoll (Apollo / Apollon) geifert häufig, weil er mit seinem Vater Zeus auf Kriegsfuß steht -> https://www.mythologie-antike.com/t92-apollo-auch-apoll-apollon-lichtgott-gott-der-kunste-heilung-weissagung-etc-vorsteher-vom-orakel-von-delphi
Aus diesem Grund hat Proust das Bild wohl gewählt.
Wer sich für griechische und römische Mythologie interessiert, dem empfehle ich das Handbuch von Herbert Hunger, den kleinen oder direkt den großen Pauly.
Da diese Diskussion ein wenig auf Seitenpfade führte, sei hier noch einiges mehr oder minder Abwegige ergänzt:
Die Proust-Statue habe ich unlängst im Garten des Museums „Villa du Temps Retrouvé” gesehen. Gefallen hat sie mir nicht besonders, das unterlebensgroße Format ist mir ein bisschen zu niedlich.
Weder bei dem Nachfolger von Twitter noch bei einem Literaturforum bin ich zur Zeit aktiv. Meinen Instagram-Account habe ich gelöscht.
Wer mit mir diskutieren möchte, kann mich hier erreichen. Ich antworte meist.