Skurrile Abenteuer zweier Jungs in Wolfgang Herrndorfs neuem Roman „Tschick”
Dies ist ein gutes Buch, ein unterhaltsames Buch, flott und amüsant, an manchen Stellen nachdenklich. Ein Buch für Jugendliche, welche den ewigen Vampirschmonzes leid sind. Ein Buch eben nicht nur für Mädchen, sondern auch für Jungs. Denn um diese geht es.
Genauer, um zwei Vierzehnjährige, die im wirklich nicht leichten Zustand der Pubertät ihre Identitätssuche bewältigen. Beide sind Außenseiter. Aus unterschiedlichen Gründen sind sie weder in ihrer Klasse noch in einer Clique integriert und besitzen auch keinen stabilen familiären Rückhalt. Sie kämpfen mit den Leiden der unerwiderten ersten Liebe, trinken sich die Schule schön und wollen nie so werden wie ihre Eltern. Sie glauben, anders zu sein als alle anderen, und dies führt sie in den großen Ferien schließlich zueinander.
Der passive Maik, der Haus, Swimmingpool, Tiefkühltruhe und vor allem sich selbst überlassen wird, sprengt gerade den Rasen der elternfreien Villa und würde diese Aktion als einzige Aufregung alle Tage beibehalten, als Tschick für Action sorgt. Er fährt mit einem „entliehenen” Lada vor und überredet Maik seine Computerabenteuer im luxuriösen Schneckenhaus gegen das echte Leben einzutauschen. Die Beiden beladen das Auto mit Tiefkühlpizzen und anderem Unnützen und fahren los. Tschick ist die treibende Kraft, Maik muss sich überwinden. Sie zeigen ihren Klassenkameraden, wer die wirklich coolen Typen sind, und schließlich zeigen sie es der ganzen Welt oder besser der ganzen Provinz. Die bietet mehr Exotik als ein ferner Kontinent.
Beeindruckend war für mich Herrndorfs subtil kritische aber sehr amüsante Schilderung einer vermeintlich heilen kleinen Ökofamilie, die trotz Weltferne und Holzroller, die große Kinderschar bereits früh der Leistungskonditionierung unterzieht. Ebenso schön ist die Idee vom „Adel auf dem Radl“, die aber, hier schlägt die reale Skurrilität die Fiktion, nicht auf dem Mist des Autors gewachsen ist. Mehr sei von den Abenteuern der zwei Vagabunden nicht verraten, denn daraus besteht der Spaß und die Spannung des Romans.
Dieser ist für mich, so erstklassig er auch für einen Erwachsenen zu lesen ist, eindeutig Jugendliteratur. Herrndorf verwendet eine Sprache, in deren Jugendlichkeit sich zwar manchmal recht olle Kamellen einschleichen wie „Quatsch mit Soße”, die das Buch aber leicht lesbar macht. Rasant führt sie durch die ebenso rasante Tour. Leider lässt sie den beiden Protagonisten wenig Zeit zum Nachdenken. Die Selbstreflektion fehlt. Viele Problemfelder werden aufgeworfen, Sucht, Scheidung, soziale Ausgrenzung, Migration, sie werden jedoch weder weitergedacht noch weiter behandelt. Das ist schade.
So bleibt es bei einer Roadstory mit neuen skurrilen Ideen, aber auch mit bekannten Ingredienzien dieser Art von Literatur. Nicht nur der im Zusammenhang mit diesem Roman oft zitierte Tom Sawyer eines Mark Twain kommt da in Erinnerung. Auch das von Christine Nöstlinger geschaffene Gretchen Sackmeier musste zwischen den Trennungsabsichten ihrer Eltern und erstem Verliebtsein ihren Weg finden. Und Pippi Langstrumpfs Stippvisite beim Plutimikationsunterricht findet ihre würdige Fortführung in der kreativen Interpretation einer „Herrn K. Geschichte“ durch Tschick.
Dies soll keine Abwertung sein. Gute Jugendbücher sind rar und dieses ist preiswürdig. Nominiert ist es noch nicht für einen Jugendliteraturpreis, sondern es zählt zu den fünf Kandidaten des diesjährigen Leipziger Literaturpreises.
Welchen Preis Wolfgang Herrndorf für dieses Buch auch erhalten mag, verfilmt wird „Tschick“ ganz bestimmt. Ich bin gespannt mit wem.
P.S. Vor wenigen Tagen wurde Wolfgang Herrndorf für „Tschick” mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet. Herzlichen Glückwunsch!
P.P.S. Für Schöler gibt es seit Beginn 2014 jetzt auch eine königliche Hilfestellung. Mit Abituraufgaben. Kaum zu glauben. 😉