Verbotene Liebe

In „Schneeflocken wie Feuer“ erzählt Elfi Conrad von früher

Er könn­te häss­lich sein, bö­se, ur­alt, es wür­de nichts än­dern. Kaum ei­ne Frau kann sich ei­nem sin­gen­den, Gi­tar­re spie­len­den Mann ent­zie­hen. Es spielt kei­ne Rol­le mehr, dass es ei­ne Wet­te war, dass ei­ne Halb­star­ke ih­re Rei­ze tes­ten woll­te, dass es sich um die Macht über ei­nen Vor­ge­setz­ten und die Ra­che ei­ner Ge­de­mü­tig­ten han­del­te. (…) Als ich nicht mehr an mich hal­ten kann, zie­he ich mei­ne San­da­let­ten aus. Sprin­ge auf und tan­ze. (…) Flie­gend durch­bre­che ich die ima­gi­nä­re Wand, von der die Gi­tar­ren­ak­kor­de, die Stim­me, der Mann um­ge­ben ist. Drin­ge ein. Der Mann auf dem Stuhl ist die­ser Be­sitz­ergrei­fung aus­ge­lie­fert, an sei­nen Au­gen kann ich es ablesen.“

Ein nicht un­we­sent­li­cher Teil der Tref­fen un­se­res Li­te­ra­tur­krei­ses ge­hört der Fra­ge, wor­über wir beim nächs­ten Mal dis­ku­tie­ren wol­len. Als Grund­la­ge die­nen uns Emp­feh­lun­gen und Lis­ten au­ßer­halb der ver­kaufs­ori­en­tier­ten des „Spie­gel“, die ich, wenn sie mit „Buch­re­port“ un­ter­ge­hen soll­te, nicht ver­mis­sen wer­de. Es lag al­so nicht fern den 30 Li­te­ra­tur­kri­ti­kern des SWR zu fol­gen, die „Schnee­flo­cken wie Feu­er“ von El­fi Con­rad im Sep­tem­ber auf den ers­ten Platz der Bes­ten­lis­te setz­ten. Dass ei­ne un­se­rer Mit­strei­te­rin­nen im glei­chen Al­ter wie die Au­torin ist und wie die­se als Kriegs­flücht­ling im Harz auf­wuchs, hat nicht un­we­sent­lich zu un­se­rer Ent­schei­dung bei­getra­gen. Un­gleich grö­ße­re bio­gra­phi­sche Über­ein­stim­mung weist Con­rad mit ih­rer Prot­ago­nis­tin Do­ra auf. Dass es sich bei „Schnee­flo­cken wie Feu­er“ um ei­nen aus­ge­spro­chen au­to­fik­tio­na­len Ro­man han­delt, zeigt zu­dem die Fo­to­gra­fie der sieb­zehn­jäh­ri­gen Con­rad auf dem Co­ver. Viel­leicht ist das Haupt­mo­tiv, die ver­bo­te­ne Lie­be zwi­schen Leh­rer und Schü­le­rin, das fik­tio­na­le Element?

Con­rad er­zählt die­se Ge­schich­te in der Rück­schau. Auf ei­nem Tref­fen ehe­ma­li­ger Schü­ler weckt ein Fo­to Do­ras Er­in­ne­rung an ein Klas­sen­fest. Der da­mals Sieb­zehn­jäh­ri­gen ge­lingt es, nach ei­ner Wet­te mit ih­ren Mit­schü­lern, den um­schwärm­ten Mu­sik­leh­rer beim Tanz zu be­ein­dru­cken. Was das Mäd­chen, das „kei­ne Ta­bus, kei­ne Furcht“ kennt, da­mit aus­löst, ist ab­seh­bar. Den alt­be­kann­ten Span­nungs­trick setzt Con­rad auf ge­schick­te Wei­se um und er­zeugt ein un­ge­heu­res Le­se­tem­po. Ge­schmei­dig wird man in das Ge­sche­hen ge­zo­gen und in den Ober­harz der Nach­kriegs­zeit ver­setzt. Man er­fährt von den Le­bens­um­stän­den der aus Schle­si­en ge­flo­he­nen Fa­mi­lie und den Trau­ma­ti­sie­run­gen, die sich bei den El­tern auf un­ter­schied­li­che Wei­se zei­gen und Do­ra viel ab­ver­lan­gen. Do­ra ist die Hel­din, denn oh­ne sie läuft nichts. Do­ra küm­mert sich um die klei­ne Schwes­ter, sie kauft ein, kocht, räumt auf. Erst nachts fin­det sie Zeit zum Ler­nen. Al­ler­dings wird kein Mau­er­blüm­chen aus ihr, für Tanz, Mu­sik und Jungs bleibt ge­nü­gend Zeit.

Con­rad be­rei­chert ih­ren Ro­man nicht nur durch den Wech­sel der Er­zähl­ebe­nen, son­dern bringt auch die Er­fah­run­gen der alt ge­wor­de­nen Er­zäh­le­rin ein. Hier zeigt sich der päd­ago­gi­sche Im­pe­tus des Ro­mans, der nicht nur je­de his­to­ri­sche Weg­mar­ke des ver­gan­ge­nen Jahr­hun­derts mit­nimmt, son­dern die Si­tua­ti­on ei­ner jun­gen Frau in den Sech­zi­ger­jah­ren stets der ak­tu­el­len ge­gen­über­stellt. Das ist bis­wei­len ba­nal, „Stö­ckel­schu­he (man sagt nicht High Heels)“, manch­mal aber auch be­denk­lich. So wer­tet Do­ra ihr frü­he­res Ver­hal­ten nur ver­meint­lich kri­tisch. Sie schreibt ihr Frau­en­bild den ge­sell­schaft­li­chen Prä­gun­gen zu, ist sich des­sen be­wusst, und fällt doch im Al­ter aber­mals ins Weib­chen­sche­ma. Über ihr jun­ges Ich und ver­meint­lich das al­ler ih­rer Al­ters- und Zeit­ge­nos­sin­nen ur­teilt sie, „In­ner­lich ver­füg­ten wir über ei­ne aus­ge­klü­gel­te Raf­fi­nes­se, uns in Sze­ne zu set­zen. Und ich war in die­ser Hin­sicht skru­pel­los.“ Sie sieht sich als „ein Au­to­mat, da­zu ab­ge­rich­tet, Män­ner zu ver­füh­ren und ir­gend­wann Stopp zu sa­gen“. Do­ra hin­ter­fragt die herr­schen­den Rol­len nur ver­meint­lich, wenn sie ver­mu­tet, daß auch heu­te Mäd­chen noch um Män­ner kon­kur­rie­ren. Ihr ei­ge­nes Ver­hal­ten, das der Do­ra auf dem Klas­sen­tref­fen Jahr­zehn­te spä­ter, deu­tet dar­auf hin.

Doch die am­bi­va­len­te Er­zäh­le­rin, wenn sie denn als sol­che an­ge­legt ist, soll nicht als Stol­per­stein in der an­sons­ten gut les­ba­ren Ge­schich­te gel­ten. Stol­pern lie­ßen mich hin­ge­gen Hin­wei­se, die in ei­nem Ju­gend­buch ih­re Be­rech­ti­gung hät­ten, wie „Fri­seu­se, man sag­te nicht Fri­seu­rin“. Dass es da­mals noch Te­le­fo­ne mit Schnur gab und ein Kar­tof­fel­sa­lat auf den Tisch kam, den man „heu­te nicht mehr her­un­ter­brin­gen“ wür­de, er­zeugt in der An­ek­do­ten­haf­tig­keit bes­ten­falls Amü­se­ment, das in Un­mut um­schlägt, wenn dem Na­tio­nal­so­zia­lis­mus ver­harm­lo­send ei­ne „Ver­ach­tung von Ju­den“ zu­ge­spro­chen wird. Ne­ben in­halt­li­chen Plat­ti­tü­den ste­hen Wie­der­ho­lun­gen. Stets wer­den Schu­he weg­ge­schleu­dert, um zu tan­zen, un­zäh­li­ge Ma­le wird die Mut­ter mas­siert oder mit dem Wä­gel­chen zum Ein­kauf ge­rollt. Das mag in der Häu­fig­keit so ge­we­sen sein, aber man muss dar­über nicht so häu­fig schrei­ben. Sprach­lich ist der Ro­man manch­mal schlicht „sei­ne Au­gen (sind) nicht mehr hell, son­dern schwarz vor Be­gier­de“ oder un­ge­nau, „Auf ei­nem Damp­fer soll Le Cor­bu­si­er sie (Jo­se­phi­ne Bak­er) nackt ge­zeich­net und da­durch zu neu­en Bau­ten an­ge­regt ha­ben“.

In un­se­rem Li­te­ra­tur­kreis stör­ten wir uns am Frau­en- und Zeit­bild, das Con­rad in ih­rem Ro­man zeich­net. Be­son­ders die Teil­neh­me­rin, die zur glei­chen Zeit wie Con­rad im Harz auf­wuchs, er­in­nert sich voll­kom­men an­ders an die Ver­hält­nis­se, auch an die zwi­schen den Ge­schlech­tern. Doch kann das dem Ro­man vor­ge­wor­fen wer­den? Selbst ei­nem au­to­fik­tio­na­len? Er­in­ne­run­gen sind in­di­vi­du­ell und un­ter­lie­gen im Lau­fe der Zeit den Um­for­mun­gen des ei­ge­nen Ge­dächt­nis­ses. Nur so ist es mög­lich, mit dem fluk­tu­ie­ren­den Selbst­bild zu­recht zu kommen.

Schnee­flo­cken wie Feu­er“ sei al­len emp­foh­len, die ei­ne span­nen­de Lek­tü­re su­chen, die mehr Ver­gnü­gen als Er­kennt­nis schenkt.

El­fi Con­rad, Schnee­flo­cken wie Feu­er, mi­kro­text 2023

 

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