Kristalle der Ernüchterung“

Julia Schoch forscht in „Das Liebespaar des Jahrhunderts“ nach den Leerstellen der Liebe

Soll­te ich je­mals ein rich­ti­ges Buch schrei­ben, könn­te es nur eins über dich sein. Wor­über in al­ler Welt, hät­te ich sonst schrei­ben sol­len. Al­le Bü­cher, die ich schrei­ben wür­de, wür­den von dir han­deln, so viel stand fest. (…) Ein Ro­man in ganz ein­fa­chen Wor­ten soll­te es sein. Ein ein­fa­cher Ro­man. Es müss­te et­was sehr Fla­ches, Un­auf­ge­reg­tes sein, dach­te ich, oh­ne ei­ne ge­such­te, kunst­vol­le Form.“

Kann das Selbst­re­fe­ren­ti­el­le der Vor­gän­ger­lek­tü­re über­trof­fen wer­den, frag­ten wir uns beim letz­ten Tref­fen un­se­res Li­te­ra­tur­krei­ses. Ju­lia Scho­ch bringt den Be­weis mit ih­rem neu­en Ro­man, der auf­grund der au­to­bio­gra­phi­schen Aus­rich­tung die­sen Gat­tungs­be­griff viel­leicht gar nicht ver­dient. Nach ih­rem 2022 er­schie­ne­nen Buch „Das Vor­komm­nis“ liegt nun der zwei­te Teil der Tri­lo­gie „Bio­gra­phie ei­ner Frau“ vor.

Das Lie­bes­paar des Jahr­hun­derts“ hat viel von ei­ner psy­cho­lo­gi­schen Be­zie­hungs­ana­ly­se, bei der al­ler­dings nur ein Teil des Paa­res spricht. Doch an­ders als in der Frau­en­li­te­ra­tur der Acht­zi­ger, von vie­len Ver­la­gen ver­öf­fent­licht und noch heu­te in Er­in­ne­rung durch Ti­tel wie Ju­dith Jann­bergs „Ich bin Ich“, fühlt sich die Er­zäh­le­rin nicht aus­schließ­lich als Op­fer des Pa­tri­ar­chats und sei­ner Ver­tre­ter. Ge­nau die­se frau­en­be­weg­ten Jah­re mar­kie­ren den Be­ginn die­ses Lie­bes­paars des Jahr­hun­derts. Die Da­tie­rung könn­te man als aus­ge­spro­chen groß­zü­gig wer­ten oder ein­fach als pars pro to­to. Uni­ver­sa­le Be­zie­hungs­ge­schich­te am in­di­vi­du­el­len Beispiel?

Dem Ken­nen­ler­nen des Paa­res fol­gen Pha­sen von An­zie­hung und Ab­sto­ßung. Das Stu­di­um an der ge­mein­sa­men Uni­ver­si­tät wird von ver­schie­de­nen Aus­lands­auf­ent­hal­ten un­ter­bro­chen. Im­mer ist sie es, die sich küm­mert. Nicht nur um die Be­zie­hung, son­dern in bis­wei­len grenz­über­schrei­ten­der Selbst­lo­sig­keit auch um ihn. Auch fi­nan­zi­ell ist sie die Ge­be­freu­di­ge­re, sie stat­tet ihn aus, lädt ihn zum Es­sen ein. Schließ­lich folgt sie ihm nach Bu­ka­rest, wo sie plötz­lich als Bes­ser­ge­stell­te ei­ne neue Rol­le ein­neh­men. Die Er­zäh­le­rin stellt ih­re Ar­beit als Schrift­stel­le­rin hint­an, ihr „Le­bens­plan ge­hört aus­schließ­lich der Lie­be“. Das scheint ihn ab­zu­schre­cken, er ent­fernt sich. Doch sie kom­men sich wie­der nä­her, auch durch ge­mein­sa­me Kin­der, wenn­gleich die­se ei­ne neue Her­aus­for­de­rung für die Sta­bi­li­tät der Be­zie­hung be­deu­ten. Die Mut­ter ge­wor­de­ne Er­zäh­le­rin sieht sich in ei­ne „Welt der Frau­en“ ver­setzt, von wo aus das „frem­de Land“ des Part­ners un­er­reich­bar scheint. Was dann doch an die Frau­en­li­te­ra­tur der Acht­zi­ger er­in­nert und ih­re lei­der bis heu­te nicht um­ge­setz­te For­de­rung nach Gleichberechtigung.

Der Er­zäh­le­rin bleibt das Schrei­ben. Es wird zum pri­va­ten Ort, zur „ei­ge­nen ge­hei­men Welt“ auf der „Rück­sei­te der Lie­be“. Die Li­te­ra­tur ist eben­so wie der Film, hier zeigt sich die Ci­ne­as­tin Scho­ch, in zahl­rei­chen Zi­ta­ten prä­sent. Ei­nes der auf­fäl­ligs­ten ist das An­na-Ka­re­ni­na-Mot­to. „Es heißt, die Un­glück­li­chen sei­en be­son­ders, Glück ma­che die Men­schen ge­wöhn­lich.“ Die Er­zäh­le­rin be­strei­tet dies und be­haup­tet die Um­keh­rung. Doch wenn das Un­glück in Fa­mi­li­en ähn­lich und ver­gleich­bar ist, dann ist dies eben­so an ge­sell­schaft­li­che Zu­stän­de ge­knüpft wie das Le­ben des In­di­vi­du­ums. „Prägt die Bio­gra­phie die Be­zie­hung?“ ist die Grund­fra­ge Scho­chs, die nicht nur für die ge­mein­sa­me DDR-Ver­gan­gen­heit ih­res Paa­res gilt.

In ih­rer rück­bli­cken­den Er­zähl­wei­se lässt sie Er­in­ne­run­gen in kur­zen, star­ken Sät­zen wie fil­misch ge­schnit­ten wir­ken. Da­zwi­schen hält sie in­ne, um mit ei­nem durch Di­stanz ge­schärf­ten Blick nicht nur ih­re Er­in­ne­rung zu hin­ter­fra­gen. Die­se Kom­men­ta­re wir­ken wie un­gu­te Ah­nun­gen, ob­gleich sie erst im Nach­hin­ein er­fol­gen, oder wie va­ge, un­ein­ge­stan­de­ne Ge­füh­le. Der­ar­ti­ges ver­mu­tet die Er­zäh­le­rin auch bei den Be­weg­grün­den ih­res Man­nes. „Erst Jah­re spä­ter fing ich an, dar­über nach­zu­den­ken, was du ge­macht hast, wenn ich nicht an­we­send war.“ Die Schwie­rig­kei­ten des Zu­sam­men­le­bens schei­nen nur in ei­ne Rich­tung zu weisen.

Im zwei­ten Teil des Ro­mans be­sche­ren die All­tags­schil­de­run­gen auch der Le­se­rin leich­te Lan­ge­wei­le. Ei­fer­sucht wird mit Blu­men­ge­schen­ken gar­niert, De­pres­si­on im Klein­gar­ten ge­lin­dert. Ist die Un­fä­hig­keit, Din­ge weg­zu­wer­fen, sym­pto­ma­tisch für ei­ne Er­zäh­le­rin, die ge­steht, „Je­man­den zu ver­las­sen heißt: Ich ver­las­se mei­ne Ver­gan­gen­heit“? Oder schafft sie es schrei­bend, zwei sich von­ein­an­der ent­fernt Seh­nen­de wie­der zum Lie­bes­paar des Jahr­hun­derts zu ver­ei­nen?

 Ju­lia Scho­ch, Das Lie­bes­paar des Jahr­hun­derts, dtv 2023

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