Kristalle der Ernüchterung“

Julia Schoch forscht in „Das Liebespaar des Jahrhunderts“ nach den Leerstellen der Liebe

Soll­te ich je­mals ein rich­ti­ges Buch schrei­ben, könn­te es nur eins über dich sein. Wor­über in al­ler Welt, hät­te ich sonst schrei­ben sol­len. Al­le Bü­cher, die ich schrei­ben wür­de, wür­den von dir han­deln, so viel stand fest. (…) Ein Ro­man in ganz ein­fa­chen Wor­ten soll­te es sein. Ein ein­fa­cher Ro­man. Es müss­te et­was sehr Fla­ches, Un­auf­ge­reg­tes sein, dach­te ich, oh­ne ei­ne ge­such­te, kunst­vol­le Form.“

Kann das Selbst­re­fe­ren­ti­el­le der Vor­gän­ger­lek­tü­re über­trof­fen wer­den, frag­ten wir uns beim letz­ten Tref­fen un­se­res Li­te­ra­tur­krei­ses. Ju­lia Scho­ch bringt den Be­weis mit ih­rem neu­en Ro­man, der auf­grund der au­to­bio­gra­phi­schen Aus­rich­tung die­sen Gat­tungs­be­griff viel­leicht gar nicht ver­dient. Nach ih­rem 2022 er­schie­ne­nen Buch „Das Vor­komm­nis“ liegt nun der zwei­te Teil der Tri­lo­gie „Bio­gra­phie ei­ner Frau“ vor.

Das Lie­bes­paar des Jahr­hun­derts“ hat viel von ei­ner psy­cho­lo­gi­schen Be­zie­hungs­ana­ly­se, bei der al­ler­dings nur ein Teil des Paa­res spricht. Doch an­ders als in der Frau­en­li­te­ra­tur der Acht­zi­ger, von vie­len Ver­la­gen ver­öf­fent­licht und noch heu­te in Er­in­ne­rung durch Ti­tel wie Ju­dith Jann­bergs „Ich bin Ich“, fühlt sich die Er­zäh­le­rin nicht aus­schließ­lich als Op­fer des Kris­tal­le der Er­nüch­te­rung““ weiterlesen

Das Kuscheltier des Philosophen

Sibylle Lewitscharoffs Trostgestalt mit Löwenmähne

Am lin­ken Ohr des Lö­wen zeig­te sich ein klei­ner Ma­kel im Fell, of­fen­bar ei­ne Ver­let­zung, die Blu­men­berg bis­her noch gar nicht auf­ge­fal­len war.“ (S. 148)

Er „war da­zu da, sein, Blu­men­bergs, Ver­trau­en in die Welt, zu­min­dest bei Nacht, zu fes­ti­gen.“ (S. 126)

Wer auf Ar­ti­go, ei­ner kunst­his­to­ri­schen Da­ten­bank, die Stich­wor­te Lö­we und Hie­ro­ny­mus ein­gibt, er­hält ei­ne Viel­zahl bild­künst­le­ri­scher In­ter­pre­ta­tio­nen die­ses Su­jets. Ei­ne li­te­ra­ri­sche legt Si­byl­le Le­witschar­off in ih­rem Ro­man „Blu­men­berg“ vor. Und nicht nur das. Hans Blu­men­berg (1920–1996), der als Phi­lo­soph an der Uni­ver­si­tät Müns­ter lehr­te, wird von ihr zum Hei­li­gen sti­li­siert. Zu ei­nem agnos­ti­schen Hei­li­gen wohl­ge­merkt, der nicht an Bi­bel­tex­ten, son­dern an sei­nen ei­ge­nen Ge­dan­ken feilt. Dann ei­nes Nachts im pro­fes­so­ra­len Gehä­us, vul­go Ar­beits­zim­mer, ma­te­ria­li­siert sich ein Lö­we, oder bes­ser, er er­scheint. Das Ma­te­ri­el­le bleibt frag­lich, bis zum Schluss. Denn au­ßer ihm nimmt kein an­de­rer das Tier war, kein an­de­rer nor­ma­ler Mensch, ei­ne Non­ne aus­ge­nom­men, was dem li­te­ra­ri­schen Blu­men­berg und dem Le­ser zu Den­ken ge­ben soll­te. Oder bes­ser zu Glauben?

Die Ge­schich­te die­ser Er­schei­nung ist ge­konnt und ver­gnüg­lich er­zählt. Im ers­ten Teil des Ro­mans ha­be ich sie auch ger­ne ge­le­sen. Da­zu trug die Rät­se­lei um die Viel­zahl der li­te­ra­ri­schen und kunst­his­to­ri­schen Zi­ta­te bei, die Fa­bu­lier­kunst und der sub­ti­le Witz der Au­torin. Be­son­ders die Schil­de­rung des Stu­den­ten­mi­lieus der Acht­zi­ger und die vier stu­den­ti­schen Ex­em­pel la­den ein zur Nost­al­gie. Ja, so war’s. Streb­sam, ver­klemm­te Stu­den­ten­jün­ger, fe­mi­nis­ti­sches WG-Tee­trin­ken, Knei­pen­bar­den und Glücks­su­cher. Auf den grü­nen Zweig schafft es nur ei­ner, doch auch der beißt wie die an­de­ren drei viel zu früh ins Gras.

Le­witschar­offs Blu­men­berg hin­ge­gen, des­sen rea­les Vor­bild üb­ri­gens et­li­che Mi­nia­tu­ren zum Lö­wen an und für sich ver­fasst hat, phi­lo­so­phiert aus­führ­lich über sei­nen Lö­wen. Fünf ent­spre­chend durch­num­me­rier­te Leo­ka­pi­tel er­schei­nen im Ro­man. Blu­men­berg, der in Rea­li­tät doch eher der ei­ge­nen Phi­lo­so­phie als dem christ­li­chen Glau­ben zu­ge­neigt war, in­ter­pre­tiert die Er­schei­nung als Aus­zeich­nung von OBen.

Das fin­de ich trotz al­ler dich­te­ri­schen Frei­heit frag­lich. Mir per­sön­lich wür­de es we­nig ge­fal­len, wenn ein Ro­man mich er­we­cken wür­de oder gar da­zu ver­don­nern als from­me Non­ne Klos­ter­he­cken zu stut­zen. Aus die­sem Grund fiel mei­ne an­fäng­li­che Be­geis­te­rung zum Er­de hin et­was ab. Klar, es gibt noch je­de Men­ge Zi­ta­ten­schät­ze zu ent­de­cken. Von Pla­ton bis Heid­eg­ger, al­te und mo­der­ne Dich­ter, auch zeit­ge­nös­si­sche Schrift­stel­ler­kol­le­gen wie Mo­se­bach und Gen­a­zi­no blit­zen um die Ecke. Dies al­les häuft sich zu ei­ner sehr ge­lehr­sa­men Sa­che um am En­de den Weg al­ler Gläu­bi­gen zu ge­hen. In ei­ner Höh­le, ge­stal­tet von Pla­ton, Dan­te und Be­ckett, la­gern die Ver­stor­be­nen des Ro­mans, un­ter ih­nen der Phi­lo­soph mit sei­nem Be­glei­ter. In die­sem War­te­zim­mer nach OBen voll­zieht sich schließ­lich ei­ne mys­ti­sche Trans­for­ma­ti­on, die al­len eso­te­risch Auf­ge­schlos­se­nen viel Freu­de ma­chen mag.

Ob auch „Blu­men­berg, Sohn ei­ner Jü­din,…, ka­tho­lisch ge­tauf­ter Agnos­ti­ker, der in der Zeit der Not, als kei­ne Uni­ver­si­tät ihn auf­nahm, ei­ni­ge Se­mes­ter am Frank­fur­ter Je­sui­ten­kol­leg,…, hat­te stu­die­ren dür­fen und nie aus der Kir­che aus­ge­tre­ten war“ (S. 87) sei da­hin gestellt.

Vor­sorg­lich ent­schul­digt sich die Au­torin in ih­rem Nach­wort beim Ver­stor­be­nen. Das bringt mir das Buch wie­der nä­her. Auch nimmt sie sich nie voll­kom­men ernst. Und den Lö­wen, Blu­men­bergs Trost- und Heils­brin­ger schon gar nicht. Der war viel­leicht doch nur ein über­gro­ßes Ku­schel­tier, in Trost­an­ge­le­gen­hei­ten so­mit bes­tens versiert.

Si­byl­le Le­witschar­off er­hält für ih­ren Ro­man den dies­jäh­ri­gen Wil­helm-Raa­be-Li­te­ra­tur­preis.

Zu­dem war sie auf der Short­list des Deut­schen Buch­prei­ses vertreten.

LOVOS in der Jurte — Manufacere versus Intellegere

Birgit Vanderbeke lobt in ihrem Roman „Das lässt sich ändern” das einfache Leben

Ich hab nix, und du hast nix, lass uns was draus ma­chen.“-Ton, Stei­ne, Scherben

Wer fei­ge ist hat Mut, nur was bil­lig scheint, ist gut.“ ‑Die Ärzte

Dei­ne Sehn­sucht hat jetzt Sinn, nimm sie mit, du weißt, wo­hin.“ –Ton, Stei­ne, Scherben

Und noch mehr die­ser un­säg­li­chen Rei­me, die einst die Müs­li­bar­den dich­te­ten, drän­gen sich auf den knapp 150 Sei­ten des neu­en Ro­mans von Bir­git Van­der­be­ke. Er spielt in den frü­hen Acht­zi­gern, als sie be­gann, die Re­nais­sance der gu­ten, ein­fa­chen Din­ge, und er er­zählt die Lie­bes­ge­schich­te zwi­schen ei­nem LOVOS und ei­ner Stu­den­tin, die sich nach der Re­pa­ra­tur ei­nes ver­stopf­ten Wasch­be­ckens zum be­wuss­ten Le­ben be­keh­ren lässt. Ein biss­chen viel Alt-68­zi­ger und 80ziger Jah­re Flo­ka­tis­ten mu­tet Van­der­be­ke ih­rer Le­se­rin zu. Gut­men­schen, die die wah­ren Wer­te auf dem Floh­markt fin­den, La­ger von viel­leicht LOVOS in der Jur­te — Ma­nu­face­re ver­sus In­tel­le­ge­re“ weiterlesen