In Karsten Flohrs Reigen ist der Dackel ein Beagle und Erich ein Hund
„Herr Kammertöns hört ihm gar nicht zu. „Und hier!” ruft er, stößt ein gurgelndes LAchen aus und wedelt mit der Zeitung, als wolle er Sand herausschütteln, „Erich ist nur sein Kosename! Er heißt Randolph von dem Knesebeck. Ein echter Rassehund!”
„Wie alt ist er?”, fragt jemand.
„Elf.”
„Das kann doch nicht sein, dass man jetzt erst davon erfährt! Elf Jahre lang hat die den schon?”“
Manchmal lasse auch ich mich hinreißen. Mag es am Wetter liegen oder an anderen Befindlichkeiten. Als mir „Erich oder: Der Tag, den Angela M. nie vergessen wird“ des mir bis dato unbekannten Autors Karsten Flohr angeboten wurde, griff ich zu. Das laut Verlagsversprechen „schräge Buch“, welches noch dazu vom Hund einer gewissen Angela M. handeln sollte, schürte in mir die Erwartung einer lustig-launigen Lektüre. Zudem, ich gebe es zu, erinnerte mich die Silhouette des Vierbeiners an meinen schon längst im Hundehimmel krakelenden Dackel. Dass der Coverdog sich im Text dann als Beagle entpuppte, nehme ich nur ein kleines bisschen krumm.
Hund Erich oder auch Erich H. tritt erst im letzten Kapitel in Erscheinung, dann allerdings mit aller Kraft. In den Vorhergehenden dient er als Leitmotiv und Klammer der einzelnen Episoden. Die Machart erinnert an Filme wie „Night on Earth“, sogar ein Taxi taucht auf. Die Geschichten, die längste zählt 17 Seiten, komponiert Karsten Flohr zu einem Reigen, in dem der aktuelle Protagonist die Staffel an den folgenden weiterreicht. Abwechslungsfroh findet sich der Leser auf diese Weise in immer neuen Settings.
Im Supermarkt trifft er auf Lehrling Rüdiger, der Seniorin Blume die Einkäufe nach Hause trägt, wo diese dem Postboten Achmed begegnet, der für die Taxifahrerin Bella schwärmt. Diese und weitere Figuren erfahren nebenbei von der Entführung des Kanzlerinnen-Beagles. Eine Million Lösegeld fordern seine Entführer. Polizeiliche Ermittlungen bleiben in diesem Roman weitgehend außen vor, dafür bildet der Auftritt des singenden Nobelpreisträgers einen weiteren Anker im Zusammenhalt der Stories.
Zu Beginn scheint das Buch ein lockeres Lesefutter für alle, die unangestrengte Unterhaltung suchen, vielleicht sogar geeignet für Leser ab 12. Doch die folgenden Themen zeigen, daß Flohr seine Geschichten für erwachsene Leser schreibt. Da gibt es zweifelhafte Frauenbilder, feministischen Männerhass und Fortpflanzungsprobleme, aber auch hochamüsante Szenen wie die Redaktionskonferenz einer Tageszeitung. Dieser Schilderung, die mich laut auflachen ließ, merkt man die Erfahrung des Autors an. Karsten Flohr arbeitete lange als Redakteur beim Hamburger Abendblatt.
Wenig gelacht habe ich allerdings bei den vielen Klischees in den anderen Geschichten. Deren fantasiereiche Handlung trüben oft stereotype Figurenzeichnungen. Da trifft der Leser „Türkenmädels“ in der Notaufnahme, weil „eine von irgendjemandem übel verprügelt wurde“. Eine kenianische Putzfrau evoziert in ihrem Gegenüber „zehn kleine Negerlein“. Als sei dies nicht genug, kann diese Frau, die in einem Asylantenheim lebt, mit Zaubermitteln den Kinderwunsch ihrer Freundin herbei hexen.
In einer anderen Geschichte begegnen wir dem multiphoben 40jährigen Rudi, der seit seinem vierten Lebensjahr vom gleichen Therapeuten betreut wird, was mindestens mathematische Fragen aufwirft. Nicht zu vergessen Bob Dylan, der als Flohr seinen Roman schrieb, sicherlich noch nicht Nobelpreisträger war, aber aufgrund seiner fiktionalen Tüddeligkeit allen Gegnern der Komitee-Entscheidung sicherlich gefallen wird.
Im Epilog verleiht Flohr den Protagonisten nochmals eine Stimme und bindet so seine Geschichten zusammen. Allesamt sind sie voller Erzähllust, in einem flüssigen Stil mit herrlich absurden Dialogen, mancher Blüte „Wenn sie zuschlug, blieb kein Auge trocken“ und leider für meinen Geschmack vielen Klischees.
Erich H., soviel sei verraten, ist am Ende natürlich wieder da.