Gehen und Verstehen

Andreas Schäfers „Die Schuhe meines Vaters“ ist Trauerritual und Totengesang zugleich

Ge­den­ken oh­ne Wor­te. Er­in­nern­der Ab­schied durch Wie­der­ho­lung von Hand­grif­fen und Ge­wohn­hei­ten. Ist es nicht so, als wür­de man da­bei in die Leer­form hin­ein­schlüp­fen, die der Ver­stor­be­ne hin­ter­las­sen hat?

Ich hat­te das Be­dürf­nis, We­ge des Va­ters in sei­nem Na­men zu ge­hen, in Grie­chen­land, dort wo er in den letz­ten Jah­ren sei­nes Le­bens viel­leicht am glück­lichs­ten war.“

Schu­he spie­len in die­sem Buch in zwei­fa­cher Hin­sicht ei­ne Rol­le. Zum ei­nen er­in­nern sie an die Ein­sicht, man sol­le nicht über ei­nen an­de­ren ur­tei­len, be­vor man ei­ne Wei­le in des­sen Schu­hen ge­lau­fen ist. Zum an­de­ren han­delt „Die Schu­he mei­nes Va­ters“ ganz kon­kret von den Ex­em­pla­ren, die der Sohn, An­dre­as Schä­fer, nach dem Tod sei­nes Va­ters aus dem Kran­ken­haus mit­ge­nom­men hat. Der rea­le und der über­tra­ge­ne Aspekt zei­gen sich in die­sem Er­in­ne­rungs­buch auf viel­fäl­ti­ge Wei­se, in Rück­bli­cken auf die Per­son des Va­ters, auf sei­ne Bio­gra­fie, sei­ne Prä­gun­gen und ins­be­son­de­re „Ge­hen und Ver­ste­hen“ weiterlesen

Das Erbe der Voortrekker

Damon Galgut erzählt in „Das Versprechen” von der Last der kolonialen Vergangenheit

…die Fa­mi­lie Swart hat so gar nichts Be­son­de­res oder Be­mer­kens­wer­tes, o nein, sie gleicht der Fa­mi­lie von der Nach­bar­farm und der Nach­bar­farm der Nach­bar­farm, nur ein ge­wöhn­li­cher Hau­fen wei­ßer Süd­afri­ka­ner, und wenn du es nicht glaubst, brauchst du nur ein­mal dar­auf zu ach­ten, wie wir spre­chen. Wir klin­gen nicht an­ders als die an­de­ren Stim­men, wir klin­gen ganz ge­nau­so, und wir er­zäh­len die­sel­ben Ge­schich­ten, in ei­nem brei­igen Ak­zent, mit ge­köpf­ten Kon­so­nan­ten und ge­quetsch­ten Vo­ka­len. Un­se­re See­le ist ir­gend­wie ver­ros­tet, re­gen­fle­ckig und ver­beult, und das hört man un­se­rer Stim­me an.“

Wie im vor kur­zem hier be­spro­che­nen Ro­man von Ali­ne Valang­in spielt ein Haus ei­ne Rol­le. Kein pracht­vol­ler Pa­laz­zo, son­dern ei­ne rui­nö­se Hüt­te, ab­ge­le­gen auf dem weit­läu­fi­gen Ge­län­de ei­ner Farm au­ßer­halb Pre­to­ri­as. Dort lebt Sa­lo­me, das schwar­ze Haus­mäd­chen, die der Be­sit­zer „beim Kauf gra­tis da­zu­be­kom­men hat“. Auch wenn sie von den Swarts als In­ven­tar und kaum als In­di­vi­du­um be­trach­tet wird, spielt sie ei­ne wich­ti­ge Rol­le im Fa­mi­li­en­ge­fü­ge. Sie hat die Kin­der An­ton, As­trid und Amor auf­ge­zo­gen und pfleg­te de­ren Mut­ter Ra­chel. Als die­se stirbt, nimmt Ra­chel ih­rem Mann das Ver­spre­chen ab, „Das Er­be der Vo­ortrek­ker“ weiterlesen

Liebe und Schmerz

Itō Hiromi erzählt in „Dornauszieher“ von den ambivalenten Gefühlen eines alternden Ichs

Mut­ters Qual. Va­ters Qual. Ehe­manns Qual.
Ein­sam­keit, Angst, Frustration.
Die­se Qua­len be­fal­len mich zwar, aber neu­er­dings quä­len sie mich nicht wirk­lich. All die Qua­len, mit de­nen ich mich her­um­schla­ge, so wur­de mir klar, sind ja mein Stoff. Ich bin da­mit be­schäf­tigt, die­se Qua­len zu fi­xie­ren und von ih­nen zu er­zäh­len, und in­dem ich von ih­nen er­zäh­le, ver­ges­se ich die Qua­len, ist das nicht doch der Se­gen von Ji­zō, dem Dornauszieher?“

Dorn­aus­zie­her“, der Ti­tel des Ro­mans der Ja­pa­ne­rin Itō Hi­ro­mi, weckt bei mir die As­so­zia­ti­on zu ei­ner be­rühm­ten Skulp­tur der An­ti­ke. Mei­ne west­li­che, durch Vor­lie­ben ge­präg­te Ver­knüp­fung liegt der von Itō in­ten­dier­ten Fi­gur räum­lich wie my­tho­lo­gisch ziem­lich fern. Sie denkt an den im Un­ter­ti­tel ge­nann­ten Ji­zō von Su­ga­mo, ei­nen Gott, an den sich der Gläu­bi­ge wen­det, um ei­ne Pla­ge los­zu­wer­den. Ich den­ke an den Jüng­ling, der ei­nen Dorn aus sei­nem Fuß zieht. Bei­den ge­mein­sam ist der Schmerz, der zu­gleich als Haupt­mo­tiv des Ro­mans ge­se­hen wer­den kann.

Hi­ro­mi Itō oder bes­ser Itō Hi­ro­mi, ge­mäß der ja­pa­ni­schen Na­mens­fol­ge, wur­de 1955 in To­kyo ge­bo­ren. Eben­so wich­tig wie die kor­rek­te Stel­lung des Vor- und Nach­na­mens, die be­wusst für die Haupt­fi­gur des Ro­mans ge­tauscht wur­de, ist die Be­to­nung. Die west­li­che Ge­wohn­heit, die zwei­te Sil­be her­vor­zu­he­ben, bringt Hi­ro­mi be­son­ders auf die Pal­me, wenn ihr eng­li­scher Ehe­mann dies nicht be­herrscht. Die­se und an­de­re, schmerz­vol­le­re „Lie­be und Schmerz“ weiterlesen

Das Leiden der Sündenböcke

Zeruya Shalev erzählt mit Pathos und Wiederholungen vom „Schicksal“

So hat es das Schick­sal ge­wollt und es hat kei­nen an­de­ren Weg gegeben.“

Auch der ak­tu­el­le Ro­man der is­rae­li­schen Au­torin Ze­ru­ya Shalev be­han­delt die po­li­ti­schen wie re­li­giö­sen Ge­gen­sät­ze ih­res Hei­mat­lan­des. Sie schü­ren die Kon­flik­te zwi­schen Tra­di­ti­on und Mo­der­ne, Auf­klä­rung und or­tho­do­xem Glau­ben, Be­sat­zern und Be­setz­ten so­wie die Kluft zwi­schen Mann und Frau. Ist dies al­les un­ab­wend­ba­res „Schick­sal“, wie der Ti­tel des Ro­mans insinuiert?

Schick­sal­haft ver­bun­den schil­dert Shalev das Le­ben, man könn­te auch sa­gen das Lei­den, ih­rer Prot­ago­nis­tin­nen Ra­chel und Ata­ra, de­ren per­so­na­le Er­zähl­stim­men in al­ter­nie­ren­den Ka­pi­teln zu Wort kom­men. Da ist zum ei­nen die be­tag­te Ra­chel, de­ren Ge­schich­te in die An­fän­ge des mo­der­nen Is­ra­els führt. Sie er­zählt, was sie als jun­ge Frau bei den Lechi er­leb­te, ei­ner Un­ter­grund­be­we­gung, die mit ter­ro­ris­ti­schen Mit­teln ge­gen die „Das Lei­den der Sün­den­bö­cke“ weiterlesen

Muse Melancholie

Steven Price imaginiert in Der letzte Prinzdie Beziehung von Schöpfer und Werk

Manch­mal war es, als hör­te er den Ro­man mit sich re­den. Sein Fürst, den er sich im­mer als vom feh­len­den Glau­ben aus­ge­höhlt ge­dacht hat­te, ent­pupp­te sich viel­mehr als Letz­ter der Gläu­bi­gen. Doch war der Glau­be des Fürs­ten ein Glau­be an die Tra­di­ti­on, an das Schick­sal ei­nes Ge­schlechts, und in sol­chen Au­gen­bli­cken er­kann­te Giu­sep­pe, dass er sich durch die ei­ge­ne Bit­ter­keit hin zu dem Men­schen ge­schrie­ben hat­te, der er gern ge­wor­den wä­re. Sein Fürst stand al­lein, un­ge­rührt, brauch­te nie­man­den, und ge­ra­de des­halb, und weil es kein wah­res Über­le­ben in der Iso­la­ti­on gibt, war die Stär­ke des Fürs­ten das, was ihn zerstörte.“

Der Leo­pard“ oder bes­ser „Il Gat­to­par­do“, — die Wild­kat­ze im Ti­tel, die an­ders als das ge­fleck­te Raub­tier, sich nicht mit Brül­len Re­spekt ver­schaf­fen kann, ent­hüllt das Mot­to des Ro­mans -, ist wohl je­dem italo­phi­len Le­ser be­kannt. Der be­rühm­tes­te ita­lie­ni­sche Ro­man des 20. Jahr­hun­derts schil­dert den Um­schwung der Ver­hält­nis­se, die das Ri­sor­gi­men­to ein Jahr­hun­dert zu­vor in Ita­li­en aus­ge­löst hat­te. Von den Fol­gen des Frei­heits­kampfs un­ter Ga­ri­bal­di er­zählt Giu­sep­pe To­ma­si di Lam­pe­du­sa, selbst Spross ei­ner ehe­mals mäch­ti­gen Fürs­ten­fa­mi­lie, am Bei­spiel des Adels­ge­schlechts Sa­li­na. Des­sen Ober­haupt, Fürst Fa­bri­zio Sa­li­na, er­kennt weit­sich­tig wie wei­se die ge­sell­schaft­li­chen Ver­än­de­run­gen, die der po­li­ti­sche Um­bruch her­bei­füh­ren wird. Sein Nef­fe Tancre­di ar­ran­giert sich früh­zei­tig, in­dem er die zu­grun­de ge­hen­de Tra­di­ti­on zu­guns­ten des Er­folgs hin­ter sich lässt, ge­treu sei­nem Wahl­spruch „Wenn al­les blei­ben soll, wie es ist, muss sich al­les än­dern“.

Oft wird die­se Hal­tung und da­mit der Ro­man als Gleich­nis auf die post­fa­schis­ti­schen Ver­hält­nis­se Si­zi­li­ens ge­deu­tet. Eben­so liest man ihn als me­lan­cho­li­sche Re­mi­nis­zenz des Au­tors auf die ei­ge­ne Fa­mi­lie, trägt Don Fa­bri­zio doch Zü­ge von To­ma­sis Ur­groß­va­ter Giu­lio Fa­bri­zio di Lam­pe­du­sa. Auch weist Tancre­di, der ge­lieb­te Nef­fe Don Fa­bri­zi­os, Ähn­lich­kei­ten mit Gio­ac­chi­no Lan­za auf, dem gleich­falls ge­lieb­ten Nef­fen und Ad­op­tiv­sohn Tomasis.

1954 be­gann Giu­sep­pe To­ma­si mit der Ar­beit an sei­nem Ro­man, den er zwei Jah­re spä­ter voll­ende­te. Die Ver­la­ge Mond­ado­ri und Ein­au­di lehn­ten ei­ne Ver­öf­fent­li­chung ab. Erst 1958, ein Jahr nach To­ma­sis Tod, er­schien er durch die Für­spra­che Gi­or­gio Bassa­nis bei Fel­tri­nel­li. Wei­te­re Jahr­zehn­te soll­te es dau­ern, bis der Ro­man end­lich in voll­stän­di­ger Form er­schien, in­klu­si­ve zu­rück­ge­hal­te­ner Passagen.

Die­se ver­schlun­ge­nen Be­zie­hun­gen zwi­schen der Bio­gra­phie To­ma­sis und des­sen Werk mö­gen es sein, die den ame­ri­ka­ni­schen Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft­ler Ste­ven Pri­ce zu sei­nem Ro­man Der letz­te Prinz ver­an­lass­ten. Er er­zählt „Mu­se Me­lan­cho­lie“ weiterlesen

Von Verlust und Vertrauen

In „Dankbarkeiten“ erzählt Delphine de Vigan mit zärtlicher Zuneigung von Verlust und Freundschaft

Es dau­ert nicht mehr lan­ge bis zum En­de, das weißt du, Ma­rie. Ich mei­ne das En­de des Ver­stands, der ist dann futsch und al­le Wör­ter ver­flo­gen. Wann mit dem Kör­per Schluss ist, weiß man na­tür­lich nicht, aber es hat an­ge­fan­gen, mit dem Ver­stand zu En­de zu gehen.“

Wer je er­lebt hat, wie ein al­ter Mensch Ab­schied von sei­ner Woh­nung nimmt und in ein Heim ein­zieht, für den wird „Dank­bar­kei­ten“ von Del­phi­ne de Vi­gan ei­ne sehr be­we­gen­de Lek­tü­re sein. Vol­ler Em­pa­thie und den­noch mit kla­ren Wor­ten schil­dert die Au­torin, wie ih­re Prot­ago­nis­tin Misch­ka, ei­ne al­lein­le­ben­de, selbst­be­wuss­te Frau, ih­re Un­ab­hän­gig­keit ge­gen stän­dig prä­sen­te Un­ter­stüt­zung ein­tauscht. Ver­trau­te Be­glei­ter ih­res neu­en Le­bens sind Ma­rie und Jé­ro­me, die ne­ben Misch­ka die Er­zähl­stim­men des klei­nen Ro­mans bilden.

Die jun­ge Ma­rie fand als ver­nach­läs­sig­tes Kind Hil­fe und Für­sor­ge bei Misch­ka, ih­rer da­ma­li­gen Nach­ba­rin. Die Bin­dung der Bei­den blieb über die Jah­re be­stehen. So ist es auch Ma­rie, die in­for­miert wird, als Misch­ka hilf­los „Von Ver­lust und Ver­trau­en“ weiterlesen

Trauerschwestern und Flügelwesen

Kerstin Hensel gelingt mit ihrer Novelle „Regenbeins Farben“ ein kunstvolles Trauerbuch

Im Halb­durch­sich­ti­gen drei Ne­re­iden, aus ih­ren Höh­len am Grun­de des Mee­res ge­stie­gen, hoch zu ih­rem Gott, der auf ei­nem Fa­bel­we­sen über Wel­len rei­tet, vor­ne Pferd, hin­ten Fisch. Nym­phen um­krei­sen ihn, und er er­fleht ih­re Ge­sell­schaft, spielt den Schiff­brü­chi­gen, den sie be­schüt­zen, be­sin­gen, be­glei­ten soll­ten. Doch die Nym­phen trei­ben an­de­re Spie­le. Im Was­ser schwes­ter­lich schwe­bend, sind die See­frau­en, die nur sich selbst un­ter­hal­ten, in ke­cken Spie­len plau­dernd, mit Del­fi­nen sin­gend. Wäh­rend der Gott um Ret­tung sei­ner Mäch­tig­keit fleht, zwingt er sein Reit­tier zu ei­ner schaum­schla­gen­den Le­va­de. Po­sei­don, der Po­ser! Der Hip­po­kamp trägt in durch die bro­deln­de Brü­he der Geschichte (…)“

Die­se laut- und wort­schö­nen Sät­ze ver­ra­ten Kers­tin Hen­sel als Ly­ri­ke­rin, die ih­re poe­ti­sche Spra­che auch in der No­vel­le „Re­gen­beins Far­ben“ ver­wen­det. Dar­in ver­eint sie vier Per­so­nen zu ei­ner be­son­de­ren Ge­mein­schaft. Fast ein vol­les Jahr währt die­se, le­dig­lich drei Mi­nu­ten feh­len, wie die punkt­ge­nau­en Da­tie­run­gen im ers­ten und letz­ten Ka­pi­tel zeigen.

Auch wenn der Tod als Mo­tiv die­se No­vel­le durch­zieht und ein Teil der Hand­lung kam­mer­spiel­ar­tig auf ei­nem Fried­hof statt­fin­det, han­delt es sich kei­nes­wegs um ein trau­ri­ges Buch. Als Trau­er­buch hin­ge­gen lie­ße es sich sehr wohl be­zeich­nen, denn es er­zählt, wie man Trau­er be­wäl­tigt und sich von der Ver­gan­gen­heit be­freit. Die Kunst ist da­bei das Mit­tel der Wahl. Dies zei­gen schon die ers­ten Ka­pi­tel, in de­nen uns die Fried­hofs­ge­mein­schaft vor­ge­stellt wird.

Die Ma­le­rin Kar­line Re­gen­bein ist die Jüngs­te, an Al­ter wie an der Dau­er ih­rer Trau­er ge­mes­sen. Es fol­gen Edu­ard Wet­ten­gel, der Ga­le­rist, Lo­re Mül­ler-Ki­li­an, die ihr Mä­ze­na­ten­tum dem ver­stor­be­nen Gat­ten ver­dankt und schließ­lich die Äl­tes­te, Zi­va Schlott, die Kunst­pro­fes­so­rin mit „Kipp­chen“. Al­le vier „Trau­er­schwes­tern und Flü­gel­we­sen“ weiterlesen

Alte Freundinnen

Charlotte Wood konfrontiert in „Ein Wochenende“ drei Freundinnen mit sich selbst und ihrer in die Jahre gekommenen Freundschaft

So wür­den die Ta­ge oh­ne Syl­vie al­so sein, mit die­ser Di­stanz zwi­schen ih­nen, die sich aus­wei­te­te und ver­tief­te. Sie blieb ste­hen und be­ob­ach­te­te, wie der Ab­stand zu den bei­den an­de­ren im­mer grö­ßer wur­de. Auch sie gin­gen nicht ge­mein­sam. Bis jetzt hat­te sie nie dar­über nach­ge­dacht, dass sich das aus­ge­lei­er­te Gum­mi­band ih­rer Freund­schaft ei­nes Ta­ges auf­lö­sen könn­te. Es schien un­mög­lich. Aber et­was To­tes hat­te sich in ih­re Ge­füh­le für­ein­an­der ein­ge­schli­chen und schien sich auszudehnen.“

Die meis­ten Men­schen ha­ben ei­ne Hand­voll en­ger Freun­de, oft so­gar we­ni­ger. Al­les, was die Zahl drei über­steigt, so scheint es, sprengt den Rah­men. Oft er­wei­sen sich die un­ter­schied­li­chen Ei­gen­ar­ten, Vor­lie­ben, kurz die Per­sön­lich­kei­ten der Freun­de als Stör­fak­tor. Dies zeigt sich bei ge­mein­sa­men Un­ter­neh­mun­gen. Und was macht erst das Al­ter dar­aus? Die lan­gen Jah­re des Le­bens? Die zu­neh­men­de Starrköpfigkeit?

Von ei­ner der­ar­ti­gen Ge­menge­la­ge er­zählt der neue Ro­man der aus­tra­li­schen Au­torin Char­lot­te Wood. Mit sei­nen knapp 300 Sei­ten hat er die rich­ti­ge Län­ge, um sei­ne Le­se­rin­nen wie sei­ne Le­ser — auch wenn im Buch be­haup­tet wird, daß Män­ner kaum „Al­te Freun­din­nen“ weiterlesen

Flitzschwebend occupiert

In Lincoln im Bardo schlüpft Saunders innovative Erzähltechnik in die sensible, selbstkritische Seele des Präsidenten

Bleibt, be­schwor ich. Er ist nicht un­er­reich­bar für Eu­re Hil­fe. Ganz und gar nicht. Ihr könnt noch viel Gu­tes für ihn tun. Ihr könnt jetzt so­gar hilf­rei­cher für ihn sein als je­mals an je­nem vor­ma­li­gen Ort.

Denn sei­ne Ewig­keit hängt in der Schwe­be, Sir. Wenn er bleibt, ist das Elend, das ihn über­wäl­ti­gen wird, jen­seits Eu­rer Vorstellungskraft.“

Ein­fach be­trach­tet han­delt es sich bei Ge­or­ge Saun­ders Ro­man um ein hoch­emo­tio­na­les Buch. Es um­schreibt die Trau­er ei­nes Va­ters, der sei­nen Sohn ge­ra­de zu Gra­be ge­tra­gen hat. 11 Jah­re war die­ser alt, als er der Di­ph­te­rie er­lag. Es ist das Jahr 1862, der To­te heißt Wil­liam, sein Va­ter Abra­ham Lin­coln. Mit­ten im Ame­ri­ka­ni­schen Bür­ger­krieg ver­liert Lin­coln sei­nen Lieb­lings­sohn. Er be­stat­tet ihn in ei­ner der Gruft in George­town, doch Ru­he fin­den sie bei­de nicht, denn Geis­ter um­schwir­ren sie. Die­se ver­ken­nen ih­ren Zu­stand und hän­gen im Bar­do fest, ei­nem Schwe­be­zu­stand zwi­schen tot und ganz tot oder zwi­schen Nir­wa­na und Wie­der­ge­burt, wenn man bei dem von Saun­ders ge­wähl­ten Be­griff aus der ti­be­ta­ni­schen My­tho­lo­gie bleibt.

Die Ge­stal­ten tum­meln sich um Wil­lie, sie sind dem Kna­ben zu­ge­wandt, des­sen Geist rat­los und ver­las­sen auf sei­ner „Kran­ken­kis­te“ sitzt. Der Va­ter kehrt in der Nacht nach der Be­er­di­gung zum Fried­hof zu­rück, auch er kann Wil­lies Zu­stand nicht ak­zep­tie­ren. Er be­freit den Kör­per sei­nes Soh­nes aus „Flitz­schwe­bend oc­cu­p­iert“ weiterlesen

Unüberwundener Abschied

Kristine Bilkau erzählt in „Eine Liebe in Gedanken“ von dem, was nach einem Verlust bleibt

Ich woll­te Ed­gar Jans­sen da­zu brin­gen, sich an mei­ne Mut­ter zu er­in­nern, an sei­ne und ih­re ge­mein­sa­me Zeit. An die Lie­be zwi­schen To­ni und Ed­gar, die von so kur­zer Dau­er ge­we­sen war und für mei­ne Mut­ter doch ein Le­ben lang ge­hal­ten hat.“

Ei­ne Lie­be in Ge­dan­ken“, der Ti­tel des ak­tu­el­len Ro­mans von Kris­ti­ne Bil­kau ist zu­gleich sein The­ma: Ei­ne gro­ße Lie­be, die un­er­füllt blei­ben wird. Doch wür­de das At­tri­but noch tref­fen, wenn die Lie­be ge­lebt wor­den wä­re, über al­le Schre­cken des All­tags hin­weg? Gro­ße Lie­be, ‑im Ro­man selbst fällt die­ser Aus­druck nie‑, so könn­ten sie es ge­nannt ha­ben, die Toch­ter, die da­von er­zählt, wie die Mut­ter, die es er­lebt hat.

An­to­nia We­ber hat ih­ren Hei­mat­ort an der Küs­te ver­las­sen und in Ham­burg ihr un­ab­hän­gi­ges Le­ben be­gon­nen.  Die 22-jäh­ri­ge ar­bei­tet als Se­kre­tä­rin und wohnt bei der Zi­ga­ril­lo rau­chen­den Frau Kon­rad zur Un­ter­mie­te, wie dies 1964 für un­ver­hei­ra­te­te Frau­en üb­lich war. Doch To­ni bleibt nicht lan­ge al­lein. Ei­ne zu­fäl­li­ge Be­kannt­schaft bringt sie mit Ed­gar zu­sam­men und schnell ist für bei­de klar, daß sie „Un­über­wun­de­ner Ab­schied“ weiterlesen