Doris Knecht erzählt in Wald wie sich eine Stadtmaus zur Landmaus wandelt
„Das Leben am Land ist nicht zärtlicher als das Leben in der Stadt. Die Menschen sind nicht netter zueinander, weil sie sich besser und länger kennen oder alle irgendwie miteinander verwandt sind. Die schöne Natur um sie herum macht sie nicht dankbar und weich, im Gegenteil.“
Als ich in der Vorschau des Rowohlt-Verlags den neuen Roman von Doris Knecht entdeckte, erinnerte mich nicht nur sein Titel „Wald“ sofort an das bekannte Buch einer anderen österreichischen Autorin, „Die Wand“ von Marlene Haushofer. Hier wie dort wird eine Frau auf sich selbst zurückgeworfen, auf ein einsames, bescheidenes Leben als Selbstversorgerin. Eine Hütte in der Natur dient auch dem Protagonisten eines anderen aktuellen und ebenfalls österreichischen Romans als Zuflucht, Erwin Uhrmanns „Ich bin die Zukunft“. In beiden Romanen spielt die Finanzkrise eine Rolle, doch während sie in Uhrmanns Dystopie globale Katastrophen begleitet, wirkt sie bei Knecht im Privaten.
Die Heldin Marian Malin macht in Mode bis sie die Lehman Brothers, ein unfähiger Bankberater und dumme Geschäfte in den Ruin stürzen. Ihr sattes Leben im LOHA-Luxus mit großer Wohnung und übertriebenen Ängsten vor „First World Problems“ ging schon kurz zuvor in die Brüche. Verschwunden der treue, aber fade Verlobte, verschwunden der neue attraktive Liebhaber. Allein gelassen mit Schulden und Problemen zieht sie sich zurück an den einzigen Ort, der ihr noch bleibt, das kleine Haus ihrer längst verstorbenen Tante, irgendwo in der österreichischen Provinz am Wald.
Männer gibt es dort allerdings auch. Schon bald trifft sie auf Franz, den Großgrundbesitzer, der ihr gegen Sex Angel, Mauseköder und Schutz bietet. Auch der junge Nachbar, neuer Pächter des aufgelassenen Gasthofes, scheint an Marian interessiert. Leute kennt sie bis auf die alte Penederin kaum. Die Dorfbewohner sind ihr nicht wohl gesonnen. Zu Recht verdächtigen sie Marian, sich an ihren Feldern und Viechern zu bedienen. Alle alten Verbindungen hat sie abgebrochen, nur mit ihrer Schwester und der erwachsenen Tochter telefoniert sie noch.
Diese tragisch anmutende Entwicklung bricht Knecht jedoch ironisch. In die Schilderung des kargen Lebens ihrer Heldin, die den Alltagsverrichtungen in „Die Wand“ zwangsläufig ähneln, fließen Erinnerungen an ein früheres Leben. Gelegenheit für jede Menge Gesellschaftskritik. Über lästige Luxusleiden, wie Laktoseintoleranz oder Glutamatallergie, kann Marian heute lachen. Käse isst sie nun selbst und verschwendet ihn nicht zum Mäusefang. Auch braucht sie längst keine Gaggia mehr, damit der Kaffee schmeckt. Knecht entfacht eine wahre Dekadenzkritik und lässt kaum etwas aus. Von Oberflächlichkeiten wie Bartmode, vom Aufgeriebensein durch den Konkurrrenzdruck, von Übergriffigkeiten in den Sozialen Netzwerken, aus diesem Wahnsinn ist ihre Heldin jetzt raus.
Doch auf dem Land ist es auch nicht ohne und ohne Krankenversicherung werden Zahnschmerzen noch mal so grauslich. Haushofers Heldin wusste sich da zu helfen, in Knechts Wald verschwindet der Schmerz von alleine. Doch der Wald mit seinen Totentrompeten und Barläuch, seinen Beeren und Nüsse spielt eine geringere Rolle als erwartet und auch die Natur liefert mit Pfefferminz, Zitronenmelisse und immerhin Topinambur nur rare Selbstversorgertipps. Detailliertes erfahren wir von den alltäglichen Verrichtungen, davon wie Marians Tage beginnen, vom Aufstehen, Frieren, Kaffeekochen und Bettenmachen. Das bringt Ordnung und Struktur gegen ihre Angst, die sie auch in ihrem Hüttenleben noch befällt, nur ist es eine andere als früher. Sie begleitet sie, wenn sie sich an den Früchten der Bauern bedient, und sie fällt sie an, wenn sie frühmorgens im Wald von Rehen überrascht wird. Dies verwandelt Knecht zu beeindruckenden Szenen, die die vereinzelt anzutreffenden Binsenweisheiten aufwiegen. Zu dem Wechsel zwischen Handlung und Erinnerung gesellen sich die mit vielen eh gespickten inneren Monologe der Heldin. Im Gespräch mit sich selbst verarbeitet Marian ihre schlechten Erfahrungen, bemüht die Heucheleien, auf die sie reingefallen ist, hinter sich zu lassen und ihre Wahrnehmung auf ihr Leben in der Natur zu konzentrieren. Dazu zählt neben der Rückbesinnung auf sich selbst auch die Erkenntnis, daß ihre Beziehung zu Franz mehr ist als nur ein Tauschgeschäft.
Doris Knecht schildert in „Wald“ weniger die Mühen einer einsamen Autarkie als die Idiotien der heutigen Wohlstandsgesellschaft. Eine unterhaltsame Kritik, die vor Landlust und Landfrust nicht halt macht.
Das Rätsel allerdings, warum ein im Lidl-Prospekt verpacktes Butterbrot mit Erdbeermarmelade sobald es aus gewachstem Wurstpapier gewickelt wird nach schwarzen Ribiseln schmeckt, bleibt — eh, egal.