Das Leiden der Sündenböcke

Zeruya Shalev erzählt mit Pathos und Wiederholungen vom „Schicksal“

So hat es das Schick­sal ge­wollt und es hat kei­nen an­de­ren Weg gegeben.“

Auch der ak­tu­el­le Ro­man der is­rae­li­schen Au­torin Ze­ru­ya Shalev be­han­delt die po­li­ti­schen wie re­li­giö­sen Ge­gen­sät­ze ih­res Hei­mat­lan­des. Sie schü­ren die Kon­flik­te zwi­schen Tra­di­ti­on und Mo­der­ne, Auf­klä­rung und or­tho­do­xem Glau­ben, Be­sat­zern und Be­setz­ten so­wie die Kluft zwi­schen Mann und Frau. Ist dies al­les un­ab­wend­ba­res „Schick­sal“, wie der Ti­tel des Ro­mans insinuiert?

Schick­sal­haft ver­bun­den schil­dert Shalev das Le­ben, man könn­te auch sa­gen das Lei­den, ih­rer Prot­ago­nis­tin­nen Ra­chel und Ata­ra, de­ren per­so­na­le Er­zähl­stim­men in al­ter­nie­ren­den Ka­pi­teln zu Wort kom­men. Da ist zum ei­nen die be­tag­te Ra­chel, de­ren Ge­schich­te in die An­fän­ge des mo­der­nen Is­ra­els führt. Sie er­zählt, was sie als jun­ge Frau bei den Lechi er­leb­te, ei­ner Un­ter­grund­be­we­gung, die mit ter­ro­ris­ti­schen Mit­teln ge­gen die bri­ti­schen Be­sat­zer kämpf­te. Dort lern­te sie Me­no ken­nen, ih­ren ers­ten Mann, der ih­re gro­ße Lie­be blei­ben soll­te, auch wenn er sie schon nach kur­zer Zeit ver­ließ. Jetzt lebt Ra­chel al­lei­ne in ei­ner Sied­lung im Grenz­ge­biet. Ih­re bei­den Söh­ne aus zwei­ter Ehe sind ihr fern, der ei­ne räum­lich, der an­de­re, ein Rab­bi, geis­tig. Von ih­rer eins­ti­gen Lie­be Me­no hat sie nie mehr et­was ge­hört. Das än­dert sich als Ata­ra, Me­nos Toch­ter aus zwei­ter Ehe, sich bei ihr meldet.

Ata­ra, als Ar­chi­tek­tin für die Wie­der­her­stel­lung von Ge­bäu­den zu­stän­dig, ver­sucht das Le­ben ih­res Va­ters zu re­kon­stru­ie­ren. Der hat­te vor sei­nem Tod von Ra­hel ge­spro­chen, sei­ner ers­ten Frau, die der Toch­ter bis­her ver­schwie­gen wur­de. Ata­ra, die ein schwie­ri­ges Ver­hält­nis zu ih­rem Va­ter hat­te, hofft in des­sen Ver­gan­gen­heit die Grün­de da­für zu fin­den. Da­bei steht ihr die Ge­gen­wart im Weg. Auch Ata­ra ist, dies nur ei­ne der zahl­rei­chen Par­al­le­len des Ro­mans, wie Ra­chel zum zwei­ten Mal ver­hei­ra­tet. Ih­re einst lei­den­schaft­li­che Be­zie­hung zu Alex, die zur Tren­nung von den je­wei­li­gen Part­nern und zur Grün­dung ei­ner Patch­work­fa­mi­lie führt, krankt an Ge­wöh­nung und ge­gen­sätz­li­chen Cha­rak­te­ren. Ih­re ge­lieb­te Toch­ter Avi­ga­il stu­diert in Ame­ri­ka und der ge­mein­sa­me Sohn Eden, der frei­wil­lig in der Ar­mee kämpft, wird ihr zu­neh­mend fremd. Fremd und fern, zwei Wör­ter, die auch Ra­chels Ver­hält­nis zu ih­ren Söh­nen be­schrei­ben. Nach­dem ein De­tek­tiv Ra­chel aus­fin­dig ge­macht hat, nimmt Ata­ra die stun­den­lan­ge Au­to­bahn­fahrt auf sich, um end­lich ih­ren Va­ter ver­ste­hen zu können.

Die­ses Ge­spräch wird als Auf­klä­rung an­ge­kün­digt und er­fährt durch durch Ata­ras wie­der­hol­te An­stren­gun­gen zu Ra­chel zu ge­lan­gen span­nungs­rei­che Auf­la­dung. Bis es zur Aus­spra­che kommt nä­hern sich bei­de Frau­en ih­rer ver­meint­lich schick­sal­haf­ten Ver­bin­dung in Er­in­ne­run­gen und Re­flek­tio­nen. Ra­chel ein­sam in ih­rem klei­nen Sied­ler­haus am Ran­de der Wüs­te, Ata­ra ein­ge­bun­den in ihr Fa­mi­li­en­le­ben in Hai­fa. Die­ses be­schert ihr durch den un­er­war­te­ten Tod ih­res Man­nes ei­nen wei­te­ren Schick­sals­schlag. Das da­mit ver­bun­de­ne Schuld­ge­fühl Ata­ras fin­det sei­ne Ent­spre­chung in der Ver­gan­gen­heit ih­res Va­ters. Ata­ra kehrt nicht um, als sie auf ih­rem Weg zu Ra­chel der Not­ruf ih­res Soh­nes er­eilt. An­statt ih­rem Mann bei­zu­ste­hen, denkt Ata­ra schuld­be­la­den, woll­te sie lie­ber ih­re ei­ge­ne An­ge­le­gen­heit klä­ren. Me­no hin­ge­gen hat­te einst die Über­brin­gung ei­nes fälsch­lich zu­ge­stell­ten Briefs sei­nen ei­ge­nen An­ge­le­gen­hei­ten vor­ge­zo­gen. Doch auch er fühlt sich schul­dig an den Fol­gen, die die Nach­richt für die Emp­fän­ge­rin bedeutete.

Das par­al­lel ge­führ­te Ge­sche­hen des Ro­mans dient als Brü­cke zwi­schen Ver­gan­gen­heit und Ge­gen­wart, er­scheint aber in sei­ner Häu­fig­keit über­kon­stru­iert. Er wird so sei­nem Ti­tel „Schick­sal“ ge­recht, so­fern man ei­ner der­ar­ti­gen Macht an­hängt. Zu­gleich er­zeugt er je­de Men­ge Pa­thos, nicht nur durch sei­ne Er­eig­nis­se, son­dern auch durch die Art der Dar­stel­lung. Bi­bel­er­zäh­lun­gen, re­li­giö­se Ri­ten, coehlo­haft nai­ve Er­we­ckungs­er­leb­nis­se paa­ren sich mit sen­ti­men­ta­len Na­tur­be­schrei­bun­gen. Gut er­zähl­te psy­cho­lo­gi­sche Sze­nen, die die Schwie­rig­keit von Be­zie­hun­gen schil­dern, ver­mi­schen sich mit in eso­te­ri­schem Rau­nen vor­ge­tra­ge­ner Vergangenheitsbewältigung.

Ent­täu­schend ist auch das En­de die­ser zwar nur gut 400 Sei­ten lan­gen, we­gen vie­ler Red­un­dan­zen je­doch als un­end­lich emp­fun­de­nen Ge­schich­te, doch das sei aus ver­schie­de­nen Grün­den lie­ber verschwiegen.

Zeruya Shalev, Schicksal, übers. v. Anne Birkenhauer, Berlin Verlag 2021

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