Itō Hiromi erzählt in „Dornauszieher“ von den ambivalenten Gefühlen eines alternden Ichs
„Mutters Qual. Vaters Qual. Ehemanns Qual.
Einsamkeit, Angst, Frustration.
Diese Qualen befallen mich zwar, aber neuerdings quälen sie mich nicht wirklich. All die Qualen, mit denen ich mich herumschlage, so wurde mir klar, sind ja mein Stoff. Ich bin damit beschäftigt, diese Qualen zu fixieren und von ihnen zu erzählen, und indem ich von ihnen erzähle, vergesse ich die Qualen, ist das nicht doch der Segen von Jizō, dem Dornauszieher?“
„Dornauszieher“, der Titel des Romans der Japanerin Itō Hiromi, weckt bei mir die Assoziation zu einer berühmten Skulptur der Antike. Meine westliche, durch Vorlieben geprägte Verknüpfung liegt der von Itō intendierten Figur räumlich wie mythologisch ziemlich fern. Sie denkt an den im Untertitel genannten Jizō von Sugamo, einen Gott, an den sich der Gläubige wendet, um eine Plage loszuwerden. Ich denke an den Jüngling, der einen Dorn aus seinem Fuß zieht. Beiden gemeinsam ist der Schmerz, der zugleich als Hauptmotiv des Romans gesehen werden kann.
Hiromi Itō oder besser Itō Hiromi, gemäß der japanischen Namensfolge, wurde 1955 in Tokyo geboren. Ebenso wichtig wie die korrekte Stellung des Vor- und Nachnamens, die bewusst für die Hauptfigur des Romans getauscht wurde, ist die Betonung. Die westliche Gewohnheit, die zweite Silbe hervorzuheben, bringt Hiromi besonders auf die Palme, wenn ihr englischer Ehemann dies nicht beherrscht. Diese und andere, schmerzvollere „Liebe und Schmerz“ weiterlesen