Erwin Uhrmanns Endzeitroman „ Ich bin die Zukunft“ beeindruckt mit suggestiven Beschreibungen und Gegenwartskunst
„Unter dieser Hitze, ist sie schon in den Knochen, im Mark, vor der es kaum mehr einen Schutz gibt, keinen Keller, keinen Verschlag, kein Loch, nichts, verfärbt und verwittert die Landschaft, vergilbt und verkohlt. In den Gebirgen, den Hochtälern, den Falte an Falte liegenden Bergrücken, gibt es kühle Stellen, gibt es Schutz, nahe den Schneefeldern, an Wasserlöchern, in zwischen den Wänden gelegenen Schattenkäfigen, unter Überhängen und in Höhlen.”
Dystopien dienen oft als Mahner. Sie überzeichnen aktuelle Entwicklungen in Gesellschaft, Politik und Umwelt. Titel der jüngsten Zeit widmen sich den Gefahren der Digitalisierung, man denke an Dave Eggers Der Circle, den man durchaus in der Folge von Orwells 1984 sehen könnte. Doch auch Naturkatastrophen oder extraterrestrische Bedrohung eignen sich hervorragend zur Krise. Dieser begegnet oft ein Einzelner, der um sein Überleben in einer Welt kämpft, deren innere und äußere Ressourcen allmählich zu Grunde gehen.
Im vorliegenden neuen Roman des Österreichers Erwin Uhrmann mit dem anscheinend lebensbejahenden Titel Ich bin die Zukunft bahnt sich die Katastrophe erst an. Uhrmann schildert zunächst die Entwicklung seines Helden Leitner, der den Vornamen eines Märtyrers trägt. Dieser Sebastian erlebt eine einsame Kindheit, vernachlässigt von skurrilen Erwachsenen, die mit sich selbst ausgelastet sind, einem Diakon, der Gott erpresst, einem Erzeuger, der kaum dass der Sohn geboren ist, stirbt, einem in Überlebenstechnik versierten Ersatzvater und einer Mutter, die ihn verlässt.
Die schon auf den ersten Seiten des Romans hervorblitzende Ironie kulminiert schließlich in der Schilderung einer Kreditberatung zu einer veritablen Persiflage. Leitner, der inzwischen in der Energieberatung tätig ist und mit seiner Frau Hanna ein Haus auf Kredit gebaut hat, trifft seinen Bankberater. Dieser Roland Ganslyck evoziert nicht nur sämtliche Bewohner Entenhausens in Leitners Gedanken, er lässt diese sogar gänzlich abschweifen. Leitner sinniert über sein Leben und kommt zur Einsicht, daß es ihm nicht nur an Geld, sondern auch an Liebe mangele. Dies und die immer unerträglicher werdende Hitze treiben ihn fort. Er sehnt sich nach der absoluten Freiheit. Sein Ziel ist ein Gasthof in einem Hochtal, eine „Oase“, wo man „alles vergessen“ kann. Dort oben im Berghaus Kortschacher trifft er nur die alte Dora. Die einstige Wirtin lebt seit vielen Jahren abgeschieden von der Außenwelt und nimmt Sebastian Leitner zögernd als Gast auf.
Diese Konstellation erinnert an den Endzeitroman einer anderen Österreicherin. Marlen Haushofer wurde zu ihrem bekanntesten Werk Die Wand von der damals herrschenden Angst vor dem Atomschlag inspiriert. Wer diesen Bericht der einsam Überlebenden in ihrem Naturidyll unter der Glasglocke gelesen hat, wird sich an ein Ereignis ganz bestimmt erinnern, das Auftauchen des Mannes, der den Frieden auf der Almhütte zerstörte. Was wäre geschehen, wenn die Frau den Eindringling nicht getötet hätte?
Es erschien mir zunächst wie ein Weiterspinnen dieser Phantasie als ich Uhrmanns Roman unter den Nominierungen für den Literaturpreis Alpha entdeckte. Auch in Ich bin die Zukunft dringt ein Mann in das zurückgezogene Leben einer Frau ein. Er sucht Zuflucht in ihrem abgelegenen Domizil. Zunächst will sie ihn nur wenigen Wochen dulden. Doch er bleibt und der alten Frau ist seine Hilfe recht. Eine Alternative gibt es nicht. Das Zurück unmöglich. Die Zustände unten katastrophal. Die Zukunft unvorhersehbar.
Die dramatischen Entwicklungen der Handlung kündigen bereits die dem Roman vorangestellten Zitate an. Que sera, sera besingt das Ungewisse, Stanislaw Lem beschwört in Solaris „die Zeit der grausamen Wunder“ und Thoreau gibt in Walden die Richtung an, „I went to the woods“.
Nur die Wälder im Gebirge speichern noch die nötige Kühle und das Wasser. Die Welt unten wird zur Wüste, die einst fruchtbaren Ebenen zu Todeszonen für alles Lebendige, die Städte unbewohnbar. Sebastian scheint die Flucht gerade noch rechtzeitig gelungen.
Er richtet sich ein im Berghaus Kortschacher und im Zusammenleben mit Dora. Wird ihr Überleben anfangs noch durch regelmäßige Lieferungen über eine Materialseilbahn gesichert, erzwingen die späteren Umstände vollkommene Autarkie. Neben diesen präzisen Darstellungen der überlebenswichtigen Arbeiten, die an Haushofers „Wand“ erinnern, steht nahezu gleichberechtigt die Kunst. Erwin Uhrmann, der als Literaturbeauftragter im Museum ESSL in Klosterneuburg und als Dozent für „Schreiben über Kunst“ im intensiven Kontakt zur Kunst steht, lässt sie in seinem Roman in verschiedenen Formen auftreten.
So zeigt das Cover ein 2009 entstandenes Werk des Malers Martin Schnur, der auch im Roman zitiert wird. Verschiedene Bildbeschreibungen nutzt Uhrmann um Ahnungen und Gefühle seines Protagonisten auszudrücken. Das reicht von einem Stillleben als Memento mori bis zu einer Walddarstellung, bei deren Anblick Sebastian seine Sehnsucht spürt bevor seine Gedanken den Entschluss fassen können. Im Berghaus schließlich kreiert er Objekte nach dem Vorbild von Tobias Rehberger. Diesem Künstler verdankt er sein Erweckungserlebnis, zuvor hatte er Museen nur als gelangweilter Begleiter besucht, bis er in einer Ausstellung Rehberger entdeckte. „Was du liebst, bringt dich auch zum Weinen“ lautete die 2009 in Venedig gezeigte Installation des Künstlers. Wir erfahren nicht, welche Präsentation Sebastian besuchte, vielleicht war es die 2011 im ESSL Museum gezeigte. Die Rehberger-Hommage ist Uhrmann über die Faszination seiner Figur glaubhaft gelungen.
Auch Musik ist in seinem Roman zu entdecken, um die er eine Leidensgeschichte Sebastians komponiert. Dazwischen fließen ständig neue Klimanachrichten ein. Die Vegetationsgrenzen verschieben sich, statt Schnee fällt im Winter Regen, die Jahreszeiten werden von Sonnen- und Nassperioden abgelöst.
Als weitere Flüchtlinge das Haus erreichen, es sind die Enkelin der Bergwirtin und ihr Freund, berichten sie von der Anarchie in der Welt unten. Es dauert nicht lange, da erreicht noch ein weiterer Mensch den „Jardin caché“.
Neben der spannenden Handlung beeindruckt besonders Uhrmanns Stil. Träume spielen eine bedeutende Rolle in diesem Roman und führen zu surrealen symbolträchtigen Szenen. Detaillierte Beobachtungen und eine bildhafte Sprache versetzen den Leser in die Landschaften und Orte hinein. Die sinnliche Beschreibung von Körperwahrnehmungen und Gerüchen wirkt suggestiv. Man liest nicht nur vom Kampf gegen die Katastrophe, sondern man spürt ihn auch.
Es gibt vieles zu entdecken in diesem Roman, neben der Dystopie, neben Musik und Bildender Kunst, auch eine lange Liste an Literatur, inklusive Comics. Für mich ist „Ich bin die Zukunft“ schon jetzt die Entdeckung des Jahres.
Erwin Uhrmann interviewt Tobias Rehberger auf dem ESSLMuseumsBlog.