Maria will kein Puppenheim

Stephan Thome erzählt nach Hartmuts Fliehkräfte(n) nun von Marias Gegenspiel

GegenspielDu wirst es nicht hö­ren wol­len, aber in ei­ner Ehe re­det man nicht über das Wich­ti­ge. Man re­det ein­fach, über al­les Mög­li­che. So über­zeugt man sich da­von, dass das, wor­über nicht ge­re­det wird, auch nicht wich­tig sein kann.“

Selbst ei­ne lan­ge Ehe ga­ran­tiert nicht im­mer ei­ne dau­ern­de Be­zie­hung, von ei­ner le­bens­lan­gen Lie­be ganz zu schwei­gen, oft wird sie nicht erst durch den Tod ge­schie­den. Laut Sta­tis­ti­schem Bun­des­amt hat sich die Zahl der Tren­nun­gen in sol­chen Ehen in den letz­ten Jahr­zehn­ten mehr als ver­dop­pelt. An­ders als der im Ro­man kol­por­tier­te Witz, das Le­ben als Paar be­gin­ne erst, wenn die Kin­der fort und der Hund tot sind, füh­ren ge­nau die­se Ver­än­de­run­gen oft zum En­de ei­ner Beziehung.

Auch die Ehe in Ste­phan Tho­mes neu­em Ro­man Ge­gen­spiel“ scheint ge­fähr­det. Das Paar, Hart­mut, an die 60, Phi­lo­so­phie­pro­fes­sor in Bonn, und sei­ne Frau Ma­ria le­ben seit ei­nem Jahr in ver­schie­de­nen Städ­ten. Ma­ria übt in 

Ber­lin den Be­ruf aus, den sie zu­guns­ten der Fa­mi­lie seit ih­rem Stu­di­um nie er­grif­fen hat­te. Ih­re Stel­le als per­sön­li­che As­sis­ten­tin des Thea­ter­ma­chers Falk Mer­lin­ger steht nun vor der Ver­län­ge­rung. Wird sie nach Bonn zu­rück keh­ren, so wie Hart­mut es sich wünscht?

Viel­leicht ist Ma­ri­as Ent­schei­dungs­schwä­che der Aus­lö­ser der Kri­se? Viel­leicht ist es Falk, mit dem sie zu Stu­di­en­zei­ten li­iert war? Viel­leicht ist es auch ein­fach die hes­si­sche Pro­vinz, in die sie die Hoch­zeit des Nef­fen führt? Dort auf ei­ner Land­stra­ße zwi­schen Mar­burg und Ber­gen­stadt es­ka­liert der Streit zwi­schen den Ehe­leu­ten und en­det nicht nur me­ta­pho­risch fast in ei­nem Frontalzusammenstoß.

Die­se Sze­ne fes­selt den Le­ser gleich im ers­ten Ka­pi­tel. Film­rei­fe Bil­der be­glei­tet von schlag­fer­ti­gen Dia­lo­gen sind die Stär­ke des Phi­lo­so­phen Thome, der nach Sta­tio­nen in Ost­asi­en nun in Lis­sa­bon lebt. So wun­dert es kaum, daß sein De­büt­ro­man „Grenz­gang be­reits ver­filmt wur­de. In die­sem schil­dert Thome die Ent­wick­lung zwei­er Men­schen, die schließ­lich zu ei­nem Paar wer­den, in­dem er die Haupt­fi­gu­ren wech­sel­wei­se fo­kus­siert. Die­sem Prin­zip folgt er auch in „Ge­gen­spiel“, wo er die Per­spek­ti­ve auf Ma­ria rich­tet, nach­dem er Hart­muts Ver­si­on der Ge­schich­te be­reits im Vor­gän­ger „Flieh­kräf­te er­zählt hat. Der Streit fin­det dort erst im zwei­ten Ka­pi­tel statt, die ge­spro­che­nen Sät­ze sind die glei­chen, die ge­dach­ten nicht. „Ge­gen­spiel“ ist kein rei­ner Spie­gel­ro­man, von we­ni­gen Schlüs­sel­sze­nen ab­ge­se­hen er­zählt er ei­ne neue Ge­schich­te. Die Ent­wick­lung Ma­ri­as steht im Vor­der­grund. Wir be­glei­ten sie ins Lis­sa­bon der frü­hen Sieb­zi­ger. Sie er­lebt kurz nach der Nel­ken­re­vo­lu­ti­on ih­re ers­te Lie­be zu Lu­is und ih­ren ers­ten Sex mit ei­nem äl­te­ren Künst­ler des Es­tab­lish­ments. Trotz der Ver­än­de­run­gen nach der Nel­ken­re­vo­lu­ti­on be­schließt sie ihr kon­ser­va­ti­ves Hei­mat­land zu ver­las­sen, um in Ber­lin zu stu­die­ren. Dort taucht sie in ein frei­es Le­ben ein. Sie ge­rät in die Haus­be­set­zer­sze­ne und lebt in WGs, wäh­rend das Thea­ter zum Mit­tel­punkt ih­res Stu­di­ums und, durch die Be­zie­hung zu Falk, auch zu dem ih­res Pri­vat­le­bens wird.

Mit fei­ner Iro­nie ka­ri­kiert Thome die Kul­tur der Ber­li­ner Stei­ne­wer­fer-Kom­mu­nen. We­ni­ger amü­sant und we­ni­ger po­li­tisch fal­len die Rück­blen­den auf Ma­ri­as Ju­gend in Lis­sa­bon aus. Da­bei hät­te der his­to­ri­sche Hin­ter­grund mehr In­ter­es­se ver­dient als die In­itia­ti­on der Jung­frau Ma­ria-An­to­nia. Der dop­pel­te Vor­na­me er­setzt in „Ge­gen­spiel“ die in „Flieh­kräf­te“ noch vor­han­de­nen Jah­res­zah­len. So­bald die Por­tu­gie­sin in Deutsch­land weilt, muss Ma­ria rei­chen. Die­ser An­halts­punkt wä­re nicht un­be­dingt nö­tig ge­we­sen. Den Sprün­gen auf die un­ter­schied­li­chen Zeit­stu­fen folgt man auch oh­ne Hil­fen ger­ne und vol­ler Span­nung. Die­se Kon­struk­ti­on macht den Ro­man reiz­voll und er­mög­licht es Thome, die ver­schie­de­nen Grün­de für den Paar­kon­flikt zu schildern.

In Ber­lin, wo sich viel­leicht die Mög­lich­keit ei­nes neu­en ge­mein­sa­men Le­bens er­gibt, hat­ten sich Ma­ria und Hart­mut einst ken­nen­ge­lernt. Als Ma­ria schwan­ger wur­de und Hart­mut Lehr­auf­trä­ge an Uni­ver­si­tä­ten im Ruhr­ge­biet an­nahm, zo­gen sie ins zen­tra­le, aber pro­vin­zi­el­le Bergkamen.

Die Sta­tio­nen in die­sem Ro­man wer­den von Lek­tü­ren und Thea­ter­stü­cken be­glei­tet, die wie Kom­men­ta­re zum je­wei­li­gen Zu­stand der Be­zie­hung klin­gen. „Thea­tra­li­tät im All­tag“, „Die Ge­burt der Tra­gö­die“, „Lie­bes­wunsch“ und „Der Gott des Ge­met­zels“ wei­sen auf die psy­cho­lo­gi­schen Tie­fen. Si­mo­ne de Be­au­voir, A.S. Neill, Brecht, Ib­sen und Hei­ner Mül­ler auf die re­vo­lu­tio­nä­ren Elemente.

Doch auch das Stre­ben darf nicht feh­len, das in der Kunst ei­ne gro­ße Rol­le spielt. Falk Mer­lin­ger ver­weist dar­auf, wenn er von dem ja­pa­ni­schen Ma­ler be­rich­tet, der Zeit sei­nes Le­bens nur ein ein­zi­ges Su­jet mal­te oh­ne je zu­frie­den zu sein. Was die­sem der Mond, scheint Thome in sei­nen bis­her er­schie­ne­nen li­te­ra­ri­schen Wer­ken die Be­zie­hung zwi­schen Mann und Frau. Dass er mit sei­ner Kunst we­sent­lich zu­frie­de­ner sein darf, dar­auf deu­tet der letz­te Satz des Ro­mans. „Der Mond am Him­mel sieht aus wie gemalt.“

Stephan Thome, Gegenspiel, Suhrkamp Verlag, 1. Aufl. 2015

4 Gedanken zu „Maria will kein Puppenheim“

  1. Hal­lo Kerstin,
    vie­len Dank für die­se schö­ne Re­zen­si­on. Ich bin vom Ro­man eben­so be­ein­druckt und ha­be mich von Ste­phan Tho­mes ho­her Kunst mit­neh­men lassen. 

    Du schreibst in Dei­nem Text von „Ber­gen­stadt” — so hieß der Ort (Bie­den­kopf) im Grenz­gang. Mei­ner Er­in­ne­rung wur­de die­ser Na­me im „Ge­gen­spiel” nicht er­wähnt — oder hast Du ihn dort doch ge­fun­den? In den Flieh­kräf­ten ha­be ich das jetzt noch nicht überprüft. 

    Üb­ri­gens fuhr ich zu­fäl­lig vor­ges­tern über Bie­den­kopf und als mein Na­vi mir die An­wei­sung ga­be in die „Hain­bach­stra­ße” ein­zu­bie­gen, wuß­te ich plötz­lich auch, wo­her Ste­phan Thome den Na­men sei­ner Haupt­fi­gur hat. Jetzt hof­fe ich, dass das Buch es auf die Aus­wahl­lis­te zum Leip­zi­ger Buch­preis schafft. Ver­dient hät­te Thome das.

    Herz­li­che Grüße
    Tom

    1. Hal­lo Tom,

      dan­ke für den Be­such und Dei­nen Kom­men­tar. Du liegst ganz rich­tig mit Dei­ner Ver­mu­tung, die Er­wäh­nung von Ber­gen­stadt ha­be ich aus der ent­spre­chen­den Sze­ne in Flieh­kräf­te, S. 55, falls Du es noch ein­mal nach­le­sen möch­test. Taucht in Grenz­gang nicht auch ei­ne Hain­bach­stra­ße auf?

      Den Leip­zi­ger Buch­preis soll­te in die­sem Jahr ei­gent­lich Hou­el­le­becq er­hal­ten. Da dies nicht mög­lich ist, hof­fe ich, daß auch die Wer­ke un­be­kann­te­rer Au­toren aus­ge­wählt wer­den, z.B. der von Er­win Uhr­mann. Ge­gen­spiel soll­te al­ler­dings auch no­mi­niert werden.

      Freund­li­che Grüße,
      Kerstin

  2. Wie un­ter­schied­lich man doch Bü­cher se­hen kann.
    Ich fand „Ge­gen­spiel” ei­ne lang­wei­li­ge Zu­sam­men­stel­lung von zu vie­len und nicht nach­voll­zieh­ba­ren Beziehungskisten.
    Der reich­lich un­glaub­wür­di­ge Plot ließ bei mir viel­fach die Fuß­nä­gel hochklappen:
    Ganz be­son­ders wenn Ber­li­ner Bul­len, par­don Po­li­zis­ten, nach ei­ner ih­rer Prügelorgien,
    mit der sie ger­ne De­mons­tra­tio­nen be­en­den, den Fest­ge­nom­me­nen phi­los­phi­sche Vor­trä­ge hal­ten – Hahaha!
    Wenn To­me sich be­müht, zu (be-)schreiben, wie es in West­ber­lin der Sieb­zi­ger zu­ging, ins­be­son­de­re in der Haus­be­set­zer­sze­ne, ge­lin­gen ihm nur pein­li­che Versatzstücke.
    Kein Wun­der, er kennt – im Ge­gen­satz zu mir – we­der die Zeit noch die Stadt die­ser Zeit und
    käut nur müh­samst An­ge­le­se­nes wieder.
    Sprach­lich reicht die gan­ze Lan­ge­wei­le viel­leicht als Vor­la­ge für RTL Trash, aber nicht für
    ei­nen Ro­man, schon gar kei­nen spannenden.
    Nichts für un­gut, so wa­ren mei­ne Ein­drü­cke vom „Ge­gen­spiel”.

    1. Hal­lo Michael,

      an­de­re Mei­nun­gen sind will­kom­men und, wenn man so will, das Eli­xier der Li­te­ra­tur­de­bat­te. Je­den­falls er­le­be ich das in mei­nem Li­te­ra­tur­kreis so und erst recht bei Li­te­ra­tur­sen­dun­gen im TV — ich wei­ne im­mer noch dem Quar­tett mit Ma­xim Bil­ler hinterher.

      Zu dei­nen Ein­wür­fen. Ich ha­be den Ro­man vor fünf Jah­ren ge­le­sen und kei­ne De­tails in Er­in­ne­rung, aber sein Haupt­the­ma, die Schwie­rig­keit von Be­zie­hun­gen. Um die­ses The­ma krei­sen vie­le Ro­ma­ne Tho­mes. Es mag sein, daß die von dir an­ge­führ­ten Sze­nen his­to­risch un­kor­rekt sind. Aber es han­delt sich um ei­nen Ro­man und in­ner­halb des Ro­mans um ei­ne Er­in­ne­rung. Trotz­dem ver­ste­he ich, was du meinst. Ich är­ge­re mich im­mer ge­wal­tig über Kli­schees, z.B. in His­to­ri­schen Ro­ma­nen. Doch ist es nicht eben­so ein Kli­schee, zu be­haup­ten al­le Ber­li­ner Bul­len sei­en böse? 

      Span­nend ist die Fra­ge, was span­nend ist. Mei­ner Mei­nung ge­hen da die Auf­fas­sun­gen weit aus­ein­an­der. Wel­che Ro­ma­ne fin­dest du spannend?

      Mit dei­ner Be­haup­tung, sprach­lich lie­ge Thome zu­sam­men mit schlech­ten Se­ri­en in der un­ters­ten Schub­la­de, kann ich al­ler­dings nichts an­fan­gen. Da müss­test du schon kon­kre­ter werden.

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