„Das Fräulein“ von Ivo Andrić „ist zufrieden mit sich selbst und dieser Welt, in der es überall und immer etwas zu sparen gibt“
„Für sie gab es seit langem zwei ganz verschiedene, wenn auch nicht ganz voneinander getrennte Welten. Die eine war unsere Welt, das, was alle Welt Welt nennt, diese ganz geräuschvolle und unübersehbare Erde mit den Menschen und ihrem Leben, ihren Trieben, Sehnsüchten, Gedanke und Glaubensvorstellungen, mit ihrem ewigen Bedürfnis nach Aufbau und Zerstörung, mit dem unverständlichen Spiel gegenseitigen Anziehens und Abstoßens. Und die andere, die andere war die Welt des Geldes, das Reich des Gewinns und der Sparsamkeit, ein verborgenes, stilles, nur den wenigsten bekanntes, aber unendliches Gebiet des lautlosen Kampfes und beständigen Planens, in dem Rechnung und Maß wie zwei stumme Gottheiten herrschten.“
Geizkragen, Knickstiebel, Furzklemmer, Knorzer, zahlreich sind die Begriffe für Typen, die jeden Pfennig zweimal umdrehen, um ihn dann doch im Sack zu lassen. Manche haben es bis in die Literatur geschafft, wie Molières Harpagnon als geradezu archetypische Figur. Und wer kennt nicht die Ente oder ihre menschliche Entsprechung, die lieber im Geld badet, als es auszugeben? Oder den Pfennigfuchser, der bei jedem noch so kleinen Handel feilscht? Die knausrigen Knicker knapsen nicht zuletzt auch bei sich selbst, denn „Sparsamkeit ist ihre Religion“. Sie gebärden sich wie Berninis heilige Teresa, wenn sie wieder etwas beiseitelegen, rausschlagen oder jemanden über den Tisch ziehen können. Einem derartigen allerdings weiblichen Geizdrachen setzte Ivo Andrić in „Das Fräulein“ ein Denkmal.
Der Klassiker des Nobelpreisträgers erschien 1945 als Abschluss einer Trilogie, die Andrić während der Jahre 1941 bis 1944 verfasste. 2023 wurde die von Katharina Wolf-Grießhaber überarbeitete Übersetzung „Geiz als religiöser Wahn“ weiterlesen