Geiz als religiöser Wahn

Das Fräulein“ von Ivo Andrić „ist zufrieden mit sich selbst und dieser Welt, in der es überall und immer etwas zu sparen gibt“

Für sie gab es seit lan­gem zwei ganz ver­schie­de­ne, wenn auch nicht ganz von­ein­an­der ge­trenn­te Wel­ten. Die ei­ne war un­se­re Welt, das, was al­le Welt Welt nennt, die­se ganz ge­räusch­vol­le und un­über­seh­ba­re Er­de mit den Men­schen und ih­rem Le­ben, ih­ren Trie­ben, Sehn­süch­ten, Ge­dan­ke und Glau­bens­vor­stel­lun­gen, mit ih­rem ewi­gen Be­dürf­nis nach Auf­bau und Zer­stö­rung, mit dem un­ver­ständ­li­chen Spiel ge­gen­sei­ti­gen An­zie­hens und Ab­sto­ßens. Und die an­de­re, die an­de­re war die Welt des Gel­des, das Reich des Ge­winns und der Spar­sam­keit, ein ver­bor­ge­nes, stil­les, nur den we­nigs­ten be­kann­tes, aber un­end­li­ches Ge­biet des laut­lo­sen Kamp­fes und be­stän­di­gen Pla­nens, in dem Rech­nung und Maß wie zwei stum­me Gott­hei­ten herrschten.“

Geiz­kra­gen, Knicks­tie­bel, Furz­klem­mer, Knor­zer, zahl­reich sind die Be­grif­fe für Ty­pen, die je­den Pfen­nig zwei­mal um­dre­hen, um ihn dann doch im Sack zu las­sen. Man­che ha­ben es bis in die Li­te­ra­tur ge­schafft, wie Mo­liè­res Har­pa­gnon als ge­ra­de­zu ar­che­ty­pi­sche Fi­gur. Und wer kennt nicht die En­te oder ih­re mensch­li­che Ent­spre­chung, die lie­ber im Geld ba­det, als es aus­zu­ge­ben? Oder den Pfen­nig­fuch­ser, der bei je­dem noch so klei­nen Han­del feilscht? Die knaus­ri­gen Kni­cker knap­sen nicht zu­letzt auch bei sich selbst, denn „Spar­sam­keit ist ih­re Re­li­gi­on“. Sie ge­bär­den sich wie Ber­n­i­nis hei­li­ge Te­re­sa, wenn sie wie­der et­was bei­sei­te­le­gen, raus­schla­gen oder je­man­den über den Tisch zie­hen kön­nen. Ei­nem der­ar­ti­gen al­ler­dings weib­li­chen Geiz­dra­chen setz­te Ivo An­drić in „Das Fräu­lein“ ein Denkmal.

Der Klas­si­ker des No­bel­preis­trä­gers er­schien 1945 als Ab­schluss ei­ner Tri­lo­gie, die An­drić wäh­rend der Jah­re 1941 bis 1944 ver­fass­te. 2023 wur­de die von Ka­tha­ri­na Wolf-Grieß­ha­ber über­ar­bei­te­te Über­set­zung Ed­mund Schnee­weis‘ im Paul Zsol­nay Ver­lag er­neut auf­ge­legt. An­ders als „We­si­re und Kon­suln“ und „Die Brü­cke über die Dri­na“ wähl­te An­drić, so Mi­cha­el Mar­tens in sei­nem Nach­wort, als Hand­lungs­zeit für „Das Fräu­lein“ sei­ne Ge­gen­wart und grup­pier­te das Ge­sche­hen ganz um sei­ne Hauptfigur.

Der ei­gent­li­chen Hand­lung steht ein an­dert­halb­sei­ti­ger Pro­log vor­an. Er be­rich­tet, daß die al­lein­ste­hen­de Ra­j­ka Rad­ako­vić tot in ih­rem Haus auf­ge­fun­den wur­de. Ei­ne Fremd­ein­wir­kung lag nicht vor, was den Fall für die Zei­tun­gen un­in­ter­es­sant mach­te. Nicht je­doch für den aukt­oria­len Er­zäh­ler, der das Schick­sal des Fräu­leins schil­dern will. An­ders als ver­mu­tet, folgt je­doch nicht so­fort ein Rück­blick. An­drić lässt das ers­te Ka­pi­tel an ei­nem trü­ben Fe­bru­ar­tag des Jah­res 1935 be­gin­nen. Das Fräu­lein sitzt im un­ge­heiz­ten Zim­mer, nah am Fens­ter beim letz­ten Licht und taucht wäh­rend des Aus­bes­serns ih­rer oft ge­stopf­ten Strümp­fe in ih­re Ver­gan­gen­heit ein.

Ra­j­ka Rad­ako­vić war das „Spa­ren und Dul­den“ und das nach­fol­gen­de Wu­chern nicht in die Wie­ge ge­legt. Sie lebt in ei­nem wohl­ha­ben­den Kauf­manns­haus­halt und ver­göt­tert ih­ren Va­ter. Als die­ser durch sei­ne Red­lich­keit in den Ru­in ge­trie­ben im Ster­ben liegt, rät er sei­ner Er­bin sich völ­lig an­ders zu ver­hal­ten. „Du musst ge­gen dich und an­de­re un­barm­her­zig sein. Denn es ge­nügt nicht, Ab­stri­che an dei­nen Wün­schen und Be­dürf­nis­sen zu ma­chen; das ist der ge­rin­ge­re Teil der Spar­sam­keit; viel­mehr muss man vor al­lem und für im­mer all die so­ge­nann­ten hö­he­ren Rück­sich­ten in sich ab­tö­ten, die no­blen Ge­wohn­hei­ten wie in­ne­re Edel­mut, Groß­zü­gig­keit und Emp­find­sam­keit.“ So wur­de Ra­j­ka zu ei­nem „stren­gen und ego­zen­tri­schen We­sen, (…) das wuss­te, was es woll­te, und sich nur dar­um küm­mer­te, oh­ne zu be­rück­sich­ti­gen, was die Welt ihm bot oder auf­zu­drän­gen ver­such­te.“  Sie schot­tet sich ab, trifft kaum noch Freun­de. Ihr Ver­trau­ter, der kaum äl­te­re On­kel Vla­do, ver­sucht, sie aus ih­rer Iso­la­ti­on zu ho­len. Doch Rai­j­ka be­arg­wöhnt sei­ne frei­gie­bi­ge Le­bens­freu­de. Durch ihr Ver­hal­ten be­en­det sie ih­re Ju­gend und lebt mit kaum Zwan­zig in den im­mer­glei­chen schwar­zen Klei­dern ein kar­ges Le­ben mit ih­rer Mut­ter. Ge­schäft­lich er­weist sie sich als äu­ßerst ge­schickt. Sie nimmt als ver­meint­lich Hilf­lo­se die Un­ter­stüt­zung be­freun­de­ter Kauf­leu­te und Ban­kiers in An­spruch und lernt vom eins­ti­gen Ge­hil­fen des Va­ters die Buch­hal­tung. Zu Hau­se än­dert das Fräu­lein, bes­ser „das ver­schro­be­ne und ver­ab­scheu­ungs­wür­di­ge Un­ge­heu­er von ei­nem Kind“, wie ih­re Ver­wand­ten sie bald nen­nen wer­den, ei­ni­ges. Sie ent­lässt die An­ge­stell­ten, stellt die Hei­zung ab und legt das Er­spar­te um­sich­tig an. Als ihr die Ver­si­che­rung des Va­ters aus­ge­zahlt wird, wit­tert sie ein Ge­schäft. Es ist 1906, al­le in Sa­ra­je­wo brau­chen Geld und das Fräu­lein be­ginnt „die Won­ne zu spü­ren, die sol­chen Men­schen wie ihr das sich ra­sant ver­meh­ren­de Geld ver­schafft, je­nen küh­len Rausch, der die Wu­che­rer in ih­ren feuch­ten Lä­den ins­ge­heim bes­ser als die Son­ne und schö­ner als der Früh­ling wärmt“. Als ihr klan­des­ti­nes Trei­ben auf­zu­flie­gen droht, ver­dingt sie ei­nen ih­rer Gläu­bi­ger als Stroh­mann. Sein La­den wird zur Zen­tra­le, zu­gleich ver­traut sie sei­nem Rat, was Geld­an­la­gen bei den po­li­tisch vo­la­ti­len Ver­hält­nis­sen betrifft.

An­drić knüpft das Wer­den wie das Ver­ge­hen die­ser be­son­de­ren Geld­ge­schäf­te eng an die zeit­his­to­ri­schen Er­eig­nis­se. Die An­ne­xi­on Bos­ni­ens und der Her­ze­go­wi­na im Ok­to­ber 1908 nutzt das Fräu­lein für ei­ne An­la­ge in Gold. Nach dem At­ten­tat auf Franz Fer­di­nand 1914 be­ginnt sie den Spe­ku­la­ti­ons­han­del, kurz dar­auf zeich­net sie Kriegs­an­lei­hen. Al­le lei­den un­ter dem Krieg, das Fräu­lein nicht. Von den Ver­hält­nis­sen in Sa­ra­je­wo, der na­tio­na­len und po­li­ti­schen Spal­tung der Be­völ­ke­rung und der Feind­schaft zwi­schen den Re­li­gio­nen er­zählt And­ric mit dem En­ga­ge­ment des in­vol­vier­ten Zeit­zeu­gen, auch wenn er den Ro­man erst drei Jahr­zehn­te spä­ter nie­der­ge­schrie­ben hat. Die Un­ru­he und die Angst be­schreibt er in kla­ren Bil­dern, die fast fil­mi­sche Sze­nen ent­ste­hen las­sen von den Stra­ßen Sa­ra­je­wos oder den Be­geg­nun­gen des Fräu­leins. Das Schick­sal die­ser Gei­zi­gen nimmt kein gu­tes En­de, wie wir von An­fang an ah­nen. And­ric ge­stal­tet es be­son­ders hart, denn das Fräu­lein ver­liert nicht nur ein­mal ihr ge­sam­tes Ver­mö­gen. Er dringt da­bei tief in die Psy­che die­ser hab­gie­ri­gen, kal­ten Per­son, die sich aus­ge­rech­net durch das war­me Ge­fühl der Nost­al­gie selbst zu Fall bringt. Ivo An­drić er­zählt dies äu­ßerst le­sens­wert und al­len Geiz­häl­sen zur Mahnung.

Ivo Andrić, Das Fräulein, deutsch v. Edmund Schneeweis, überarbeitet v. Katharina Wolf-Grießhaber, mit einem Nachwort v. Michael Martens, dtv 2025

 

Leseschonkost

Mit der Ausgrabung von J. L. Carrs „Ein Monat auf dem Land“  erschliesst Dumont sanften Lesestoff

Und wer weiß, viel­leicht könn­te ich an­schlie­ßend ei­nen Neu­an­fang ma­chen und ver­ges­sen, was der Krieg und die Strei­te­rei­en mit Vin­ny bei mir an­ge­rich­tet hat­ten, und ein neu­es Ka­pi­tel in mei­nem Le­ben auf­schla­gen. Das war es, was ich brauch­te, dach­te ich – ei­nen Neu­an­fang, und hin­ter­her wür­de ich viel­leicht kein all­zu Ver­sehr­ter mehr sein. Nur die Hoff­nung hält uns aufrecht.“

Wer vor 30 Jah­ren ein kon­fes­sio­nel­les Kran­ken­haus mei­ner bi­schöf­li­chen Hei­mat­stadt auf­such­te, tat gut dar­an sei­ne ei­ge­ne Lek­tü­re da­bei zu ha­ben. Die Aus­wahl der An­ge­bo­te im War­te­zim­mer be­schränk­te sich ne­ben Bi­beln und Ge­bet­bü­chern auf die klein­for­ma­ti­gen Ma­ga­zi­ne, in de­nen Reader’s Di­gest das ver­meint­lich Bes­te sei­nen Le­sern prä­sen­tier­te: ge­kürz­te Ro­ma­ne und klei­ne Ge­schich­ten, de­nen al­les Un­gu­te fehl­te. Pas­send für das Mi­lieu die­ses Or­tes zeig­te so be­reits der Le­se­stoff Se­die­rung und prä­zi­se Chirurgie.

Heut­zu­ta­ge fin­det man die­se Hef­te kaum noch, ei­nen Er­satz „Le­se­schon­kost“ weiterlesen

Geschichte ist etwas Angeborenes“

Anne Webers „Ahnen“ führt die Autorin durchs Riesengebirge zu sich selbst

ahnenIch den­ke mir die Zeit, die zwi­schen uns bei­den liegt, als ei­nen Weg. Wir sind zwei Wan­de­rer, die auf der­sel­ben Stre­cke un­ter­wegs sind, oh­ne ein­an­der je zu be­geg­nen. Der Weg, der sich zwi­schen uns hin­zieht und den kei­ner von uns je be­tre­ten wird, ver­bin­det uns und trennt uns zu­gleich voneinander.“

 „Seit ich auf­ge­bro­chen bin zu die­ser Rei­se in die Frem­de, zu mei­nen Vor­fah­ren hin, ha­be ich ein Bild vor Au­gen: Ich se­he ein un­über­wind­bar schei­nen­des Ge­bir­ge, das sich zwi­schen mir und dem hun­dert Jah­re vor mir Ge­bo­re­nen auf­rich­tet. Ein ge­wal­ti­ges Mas­siv, ein Rie­sen­ge­bir­ge; an­ge­häuft aus Toten.“ 

His­to­ri­kern ist das Vor­ge­hen von An­ne We­bers in ih­rem neu­em Buch „Ah­nen ver­traut. Die Re­cher­che prägt die Struk­tur ih­res Zeit­rei­se­ta­ge­buchs, das über­dies, wie es je­dem Ta­ge­buch zu ei­gen ist, Emp­fin­dun­gen ge­nau­so be­schreibt wie es Ab­schwei­fun­gen zu­lässt. Und so wie die Au­torin sich wäh­rend ih­rer Ar­beit fragt, ob ein Stö­bern im Nach­lass ih­rer Ah­nen zu­läs­sig sei, mag sich auch ein Le­ser fra­gen, ob das Le­sen die­ser von Ver­let­zun­gen nicht frei­en per­sön­li­chen Ge­schich­te, in­dis­kret sei.

An­ne We­ber ge­währt Ein­blick und die­ser ragt im Gan­zen ge­se­hen über das rein Ge­schich­te ist et­was An­ge­bo­re­nes““ weiterlesen

Große Männer – Kleine Stadt

Hans Dieter Zimmermann erinnert in „Französische Hauptstadt, deutsche Provinz“ wie Proust einst seine Heimat besuchte

BadezeitungWer sich mit der Ge­schich­te Kreuz­nachs be­schäf­tigt, in­ter­es­siert sich nicht für Proust, wer sich mit Proust be­fasst, dem ist die­se Kur­stadt nicht wichtig.“

Die­ses eher als Lü­cke denn als Miss­stand zu be­zeich­nen­de Ku­rio­sum der Stadt­ge­schich­te ent­hüllt Hans Die­ter Zim­mer­mann mit sei­ner im Rim­baud-Ver­lag vor­lie­gen­den Mo­no­gra­phie. Ihr Un­ter­ti­tel „Mar­cel Proust und der gro­ße Krieg – Bad Kreuz­nach und das kai­ser­li­che Haupt­quar­tier“ weist auf die bei­den his­to­ri­schen Er­eig­nis­se, die der Au­tor in sei­nem zwei­ge­teil­ten Werk zum Ge­gen­stand macht.

Im Spät­som­mer 1897 be­glei­te­ten der 26jährige Mar­cel Proust und sein Bru­der Ro­bert ih­re Mut­ter zu ei­nem Kur­auf­ent­halt nach Kreuz­nach. Sie lo­gier­ten im Ho­tel Ora­ni­en­hof, das 20 Jah­re spä­ter der „Gro­ße Män­ner – Klei­ne Stadt“ weiterlesen