Doris Lessings Die Grossmütter in Tage am Strand
Der Vergleich hinkt ein wenig wie der schwellfüßige Ödipus selbst und doch verbindet man die inzestuöse Liebe des thebanischen Helden zu seiner Mutter Iokaste unweigerlich mit dem Geschehen in Doris Lessings Erzählung Die Großmütter. Roz und Lil, die auch im Alter attraktiven Frauen sind seit ihrer Kindheit beste Freundinnen. Ihre Beziehung ist derart innig, daß sie sich kaum voneinander entfernen, weder räumlich noch in der Chronologie ihrer Lebensphasen. So leben sie mit ihren prachtvollen Söhnen in prachtvollen Häusern an einem prachtvollen Strand. Weniger prachtvoll erscheinen ihnen die Ehemänner. Als diese schließlich auf unterschiedliche Weisen verschwunden sind, leben die Frauen mit ihren heranwachsenden Söhnen endlich das vollkommene Idyll.
„Roz und Lil lümmelten auf der kleinen Veranda mit Meerblick herum und sahen die beiden Jungen den Pfad hinaufsteigen. Beide runzelten ein wenig die Stirn und ließen die Schwimmsachen baumeln, die gleich zum Trocknen über die Verandamauer hängen würden, und sie waren so schön, dass beide Frauen sich aufrichteten und einander ungläubig ansahen. „Lieber Gott!“, sagte Roz. „Ja“, sagte Lil. „Das haben w i r gemacht, w i r haben sie gemacht“, sagte Roz. „Wer denn sonst?“, erwiderte Lil.
So scheint es nur konsequent, daß jede der Freundinnen mit dem Sohn der jeweils anderen eine erotische Beziehung eingeht.
Doris Lessing konstruiert um den Kern der Geschichte eine Rahmenhandlung, die sehr reizvoll beginnt. Öffnet sie doch mit dem fremden, wenn auch „Ödipales Kuscheln am Strand der Glückseligen“ weiterlesen