In „Frau Wolff wird wunderlich“ erzählt Peter Wolff, wie Demenz eine Beziehung neu begründet
„Wir müssen stark sein für sie, auch wenn wir selber von Gefühlen der Trauer, der Hilflosigkeit und der Angst, den weiteren Verlauf der Krankheit betreffend, geplagt sind.“
Viele Menschen meiner Generation haben Angehörige, die von Demenz betroffen sind. Auch wenn die genauen Diagnosen und die Ausprägungen verschieden sein mögen, so ist den Betroffenen eines gemeinsam, der Verlust der Erinnerungen und die daraus resultierenden Probleme, sich in der Gegenwart zu verorten. „Ich weiß gar nicht mehr, wo ich eigentlich hingehöre“, dieser Satz meiner Mutter zeigt, welche Not dies auszulösen vermag. Eine Not, die ein Verhalten zur Folge hat, mit dem die Angehörigen erst einmal zurechtkommen müssen. Manchmal hilft es darüber zu schreiben, um diesen Prozess der Veränderung beim Betroffenen wie bei sich selbst zu reflektieren.
Ähnlich mag der Antrieb von Peter Wolff gewesen sein, der mit „Frau Wolff wird wunderlich“ ein persönliches Buch über die Krankheit seiner Mutter vorlegt. Man könnte dies moralisch in Frage stellen, zumal auch Fotografien von Frau Wolff gezeigt werden. Ihr Sohn hat allerdings, wie er im letzten Kapitel darlegt, das Buch mit ihrem Einverständnis veröffentlicht.
Es handelt sich keineswegs nur um eine Fallgeschichte, gespickt mit medizinischen Informationen, wie es bei derartigen Themen oft der Fall ist. Der Autor erzählt nicht chronologisch, sondern wählt einzelne Ereignisse, die er im Nachhinein als Signale der Demenz erkannte. In die Erinnerungen mischen sich Dialog-Szenen, denen Peter Wolff eine Analyse seiner Empfindungen und Reaktionen folgen lässt. Sein Ziel ist, nicht nur sich selbst über die notwendigen Konsequenzen klar zu werden, die die Demenz von Mutter und Sohn einfordert. Er möchte die Reaktionen auf diese Krankheit nachvollziehbar machen. Die Geschichten, die er von seiner Mutter erzählt, illustrieren die Interaktion zwischen Krankem und Angehörigem, der „Demenz-Zweckgemeinschaft“, wie Wolff sie nennt.
Diese Auseinandersetzung mit der Krankheit verläuft, ebenso wie die pathologische Entwicklung, in Phasen, die ambivalente Gefühle und Verhaltensweisen hervorrufen. Der „Bagatellisierung“ zu Beginn, wir werden alle älter und vergesslicher, folgt die von Unverständnis und Zurechtweisung geprägte „Abwehrhaltung“. Die anschließende „Vertuschung“ versucht, Normalität so weit es geht aufrechtzuerhalten, bis die Erkenntnis, daß nichts mehr funktioniert, zur „Resignation“ führt. Am Ende steht, wenn alles gut läuft, die „Akzeptanz“ des Angehörigen und soweit möglich auch des Betroffenen. „Der Angehörige muss nun die Krankheit des geliebten Menschen vollends akzeptieren und einen Weg finden, bestmöglich damit umzugehen. (…) Für den Erkrankten selbst ist diese Phase eine Art Befreiung. (…) Er kann sich endlich mit der Krankheit und all den Unwägbarkeiten, die diese mit sich bringt, in seiner neuen Erlebnis- und Gefühlswelt arrangieren.“
Peter Wolffs Verhalten zu Beginn der Demenz ist geprägt von Unsicherheit und Hilflosigkeit. Getragen von Sorge und Mitgefühl für seine Mutter ist er bemüht, sich in die Kranke hineinzuversetzen. Er sucht Hilfe und Unterstützung, sowohl konkret für das „neue“ Leben der Mutter, aber auch für sich selbst in seiner neuen Rolle. Diesen Entwicklungsprozess stellt Wolff seinen Lesern zur Verfügung. Zugleich machen seine Schilderungen Mut und wecken Verständnis.
Darüber hinaus gibt der Autor auch therapeutische Hinweise und medizinische Informationen, die er im Laufe der Zeit gewonnen hat. Diese werden durch einen Anhang mit Literaturliste und Sachregister ergänzt.
Erfrischend ist an diesem Memoir, das sich dem schwierigen Sujet Demenz widmet, das humorvolle Verständnis, mit dem Peter Wolff bisweilen nicht nur auf die „Wunderlichkeiten“ seiner Mutter, sondern auch auf sich selbst blickt.