Im fünften Teil seiner autobiographischen Romanfolge erzählt Joachim Meyerhoff „wie es ist, wenn die Selbstverständlichkeit der Existenz abhandenkommt“
„Ich musste mich durch Erinnern wiederbeleben, mir selbst eine Hirnmassage verpassen. Nimm einfach alles, was aufblitzt, forderte ich mich auf, und präzisiere es! Was kleines Heiteres, damit dich die Zeit nicht totschlägt.“
Erst kürzlich las ich, der Unterschied zwischen deutschem und österreichischem Humor sei, daß ein Deutscher schadenfroh über andere lache, ein Österreicher aber am liebsten über sich selbst. Falls sich dies überhaupt so sagen lässt, wäre Joachim Meyerhoff ein Österreicher. Tatsächlich lebte und arbeitete der deutsche Autor und Schauspieler zum Zeitpunkt der Romanhandlung bereits etliche Jahre in Wien und wechselte erst danach vom Burgtheater an die Schaubühne in seine neue Heimat Berlin.
Ein Jahr zuvor, so berichtet er im Vorwort dieses Memoires, erlitt er einen Schlaganfall. Meyerhoff verwendet lieber das österreichische Diminutiv Schlagerl, was dennoch nur unzureichend seinen Schreck verdeckt. Die einschneidende existentielle Erfahrung, die er in „Hamster im hinteren Stromgebiet“ verarbeitet, geht ihm an die Nieren oder um medizinisch korrekt zu bleiben ins Hirn, genauer ins hintere Stromgebiet. Die Hamster gesellen sich allerdings erst in der Klinik hinzu.
Diese muss zunächst jedoch erreicht werden und zuvor lässt die Rettung, auch wieder so ein schöner Austriazismus, lange auf sich warten. Meyerhoff schildert seine Empfindungen dieses körperlichen Ausnahmezustands, seinen inneren Alarm, detailliert, während er und seine Familie mit Ungeduld den Krankenwagen erwarten. Als seien Thema und Tempo nicht forciert genug, steigert er die Spannung verzögerungstaktisch geschickt mit eingestreuten Geschichten und Erinnerungen. Die Lektüre wird der Leser, geht es ihm so wie der Leserin, wohl erst unterbrechen, sobald der Erzähler die Stroke-Unit in der Wiener Peripherie erreicht hat.
Nun liegt er da, die „halbierte blonde Bombe“, in einer Intensivstation mit anderen Patienten, von denen ihn lediglich Vorhänge trennen. Fast wie ihm Theater, denkt er, und zugleich befällt ihn die Angst, ob er dort je wieder auftreten kann. Um seiner ausgeprägten hypochondrischen Paranoia zu entgehen, fabuliert er gegen die Hirnkatastrophe an und füllt die schlaflosen Nächte mit Erlebnissen aus seiner Vergangenheit.
Sein assoziierendes Erzählen erzeugt einen Flow, der das chronologisch geschilderte Krankheits- und Klinikgeschehen durchbricht und dessen Schwere mit Humor durchdringt. Als „probates Mittel, meine Ängste zu domestizieren“ dienen dem Erzähler die Erinnerungen an Reisen, beispielsweise an die jüngst zurückliegende, die ihn mit seinem älteren Bruder nach Norwegen führte. Amüsiert folgt man ihren Touren, die mitunter in einer Karawane „krabbelnder Wanderameisen in den Farben der Saison“ ausarten. Noch skurriler geraten die Erinnerungen an einen lange zurückliegenden Tripp durch den Senegal.
Dies mag erwartungsgemäß sein, aber Meyerhoff entdeckt den Irrwitz auch in anscheinend Alltäglichem wie einem Zoobesuch mit seinem jüngsten Sohn. Überhaupt spielt seine Familie immer eine Rolle, wenn nicht die größte, so doch die wichtigste. Seine drei Kinder, deren Mütter, aber auch die aus den Vorgängerromanen bereits bekannte Sippe, sind Protagonisten seiner Geschichten, ob sie heldenhaft Hunde retten oder gekonnt Schleimmixturen kreieren.
Während das Schlagerl das Selbstbild des Helden verrückt, verschieben sich die Verhältnisse. Vor allem an seiner ältesten, gerade volljährig gewordenen, Tochter erkennt er, daß sich die Zustände umkehren und Verantwortung mit Vertrauen tauscht.
Wie in allen seinen bisherigen Romanen erzählt Joachim Meyerhoff auch in diesem von autobiographischen Begebenheiten und er wandelt sie wie jeder gute Fabulator in mitreißende Unterhaltung. Ich jedenfalls habe mehrmals laut gelacht. Den nächsten Zoo, übrigens, werde ich nicht ohne Stickeralbum verlassen.