Puzzle-Appassionato

Wackelkontakt Wolf Haas‘ meisterhafte Mise en abyme

Ist ja ir­re, die hal­be Kunst­ge­schich­te als Puz­zle. Wer stellt so was her? Das ist ja echt ein biss­chen – ich pack das ir­gend­wie nicht.“ „Such dir ei­nes aus“, sag­te Escher groß­mü­tig und öff­ne­te ge­dan­ken­ver­lo­ren die Tor­ten­schach­tel, ob­wohl er das Süß­zeug doch auf spä­ter ver­schie­ben woll­te. „Aber nimm lie­ber ei­nes von de­nen da un­ten. Da sind die mit fünf­hun­dert Tei­len. Das kön­nen wir auf dem Tisch ma­chen. Dann müs­sen wir nicht auf dem Bo­den her­um­krie­chen.“ „Das hat schon was, oder?“, lach­te Nel­lie Wie­sel­bur­ger kin­disch. „Soll ich dir viel­leicht mei­ne Puz­zle­samm­lung zei­gen? Das ist wie mit der Brief­mar­ken­samm­lung, oder?“

Muss man noch et­was zu Wolf Haas‘ Wa­ckel­kon­takt sa­gen, ei­nem Buch, das be­reits sämt­li­che Bes­ten- und Best­sel­ler­lis­ten er­klom­men hat und für Buch­prei­se no­mi­niert ist? Un­be­dingt, denn die­ses Auf­ein­an­der­tref­fen ei­nes Trau­er­red­ners und ei­nes Ex-Ma­fio­so ist ein gro­ßer Spaß. Das gilt für die Hand­lung, die aber­wit­zi­ge Vol­ten schlägt, für die nicht min­der aber­wit­zi­ge Haas’sche Sprach­akro­ba­tik und be­son­ders für die Kon­struk­ti­on des Ro­mans. Die­ser nimmt durch den Na­men ei­nes sei­ner Prot­ago­nis­ten Be­zug auf den Künst­ler M. C. Escher und des­sen un­mög­li­che Wirk­lich­kei­ten. Die Re­pro­duk­tio­nen sei­ner gra­fi­schen Bild­wer­ke, bei­spiels­wei­se der als Per­pe­tu­um Mo­bi­le ver­lau­fen­de Was­ser­fall oder die sich ge­gen­sei­tig zeich­nen­den Hän­de zier­ten in den 1980er Jah­ren des letz­ten Jahr­hun­derts zahl­rei­che Zim­mer­wän­de. Zu die­ser Zeit er­hält auch Haas‘ Held Franz Escher zum Ge­burts­tag „ein Puz­zle des be­rühm­ten Täu­schungs­künst­lers“, die Dra­wing Hands.

Und so wie M. C. Escher in der 1948 ent­stan­de­nen Gra­fik ei­ne Hand die an­de­re zeich­nen lässt, kon­stru­iert Wolf Haas ei­ne Ge­schich­te mit ei­ner an­de­ren, in­dem er sei­ne Fi­gu­ren das je­weils an­de­re Buch le­sen lässt. An­fangs gönnt Haas sei­nen Le­sern zwi­schen den Per­spek­tiv­wech­seln län­ge­re Ab­schnit­te, um sich an die Hand­lun­gen zu ge­wöh­nen. Doch die Ra­sanz des Ro­mans nimmt zu, je län­ger man liest, was ge­nau wie beim Be­trach­ten von Eschers Pa­ra­do­xien ein ir­ri­tiert reiz­vol­les Ver­gnü­gen auslöst.

Fol­gen wir den Hel­den des Ro­mans, Franz Escher, dem pas­sio­nier­ten Puz­zler und pro­fes­sio­nel­len Trau­er­red­ner, des­sen Ge­schick sich durch Un­ge­schick mit dem von Elio Rus­so ver­knüpft, ei­nem fin­di­gen Tüft­ler, vor­mals in Diens­ten der Ma­fia und seit sei­ner Aus­sa­ge ge­gen die­se als Kron­zeu­ge auf dem Weg in die Se­rio­si­tät. Dies be­schert ihm nicht nur ei­ne neue Iden­ti­tät und ein neu­es Ge­sicht, son­dern auch ei­ne neue Spra­che. Der Weg zu die­ser ist min­des­tens so be­schwer­lich, wie der zwi­schen Si­zi­li­en und Duis­burg lang ist, selbst wenn er in Pa­ler­mo von sei­nem Zel­len­ge­nos­sen Sven ers­te Wor­te im Dro­gen­dea­ler-Deutsch ge­lernt hat­te. Dass die­ses bei der Iden­ti­täts­ver­tu­schung hin­dert, wird klar, als Elio sei­ne Kennt­nis­se bei der Sprach­leh­re­rin Schna­bel kon­kre­ti­siert: „Ich kann ver­ste­hen. Ich kann le­sen. Aber quat­schen issnich“.

Von dem in Si­zi­li­en ein­sit­zen­den Sven hat­te Elio auch ein deut­sches Buch er­hal­ten, des­sen In­halt er im Lauf sei­nes Ler­nens im­mer bes­ser ver­ste­hen wird, und das im Wech­sel mit dem Ma­fia­buch Eschers die Kon­struk­ti­on von „Wa­ckel­kon­takt“ be­stimmt. Die Le­se­rin folgt al­ter­nie­rend mal die­sem mal je­nem Er­zähl­fa­den, off – on, wie die bei­den Tei­le des Ro­mans ge­ti­telt sind, wie ein hin und her fla­ckern­der Wa­ckel­kon­takt, der die gan­ze Ge­schich­te auslöst.

Die Über­gän­ge ge­stal­ten sich un­spek­ta­ku­lär. Die Le­ser Escher und Elio, so­wie die nach­fol­gen­den, grei­fen aus Lan­ge­wei­le zur Lek­tü­re, um sich zu be­ru­hi­gen oder wäh­rend sie war­ten, sel­ten aus Schlaf­lo­sig­keit. So ent­steht ein Ro­man aus zwei Ge­schich­ten, die, was erst im Ver­lauf er­sicht­lich wird, von sich selbst er­zäh­len. Ein Kunst­werk im Kunst­werk, wie bei M. C. Eschers Dra­wing Hands, das zu Be­ginn der Ge­schich­te Franz Eschers Puz­zle-Pas­si­on be­grün­det. Es tau­chen, dies nur ne­ben­bei be­merkt, vie­le wei­te­re ver­puz­zel­te Kunst­wer­ke auf, dar­un­ter ein be­son­ders wert­vol­les, und man­ches, an de­nen der Au­tor durch den Kopf sei­nes Hel­den kein gu­tes Haar lässt.

Am meis­ten Spaß bie­tet die Spra­che, die Haupt­at­trak­ti­on auch in die­sem Haas-Ro­man. Ge­nuss­voll ze­le­briert er sie in den Be­mü­hun­gen des Si­zi­lia­ners beim Er­ler­nen des Deut­schen, wenn dem Gleich­klang der Wor­te, der Miss­klang ge­gen­über­steht, wenn Elio über die un­ter­schied­li­chen Be­deu­tun­gen ei­nes Wor­tes nach­denkt oder über die Zeit­form der „Vor­zu­kunft“. Die sei, laut sei­ner Leh­re­rin, zu ver­nach­läs­si­gen. Da soll­te sie mal „Wa­ckel­kon­takt“ le­sen! Denn in die­sem Ro­man wird sie spä­tes­tens dann re­le­vant, wenn es Escher „wie ein kal­ter Wind durch sein Ge­hör zog“. „Er woll­te wis­sen, wie der Dreck wei­ter ging“, sein ei­ge­nes Schick­sal, die Vor­zu­kunft sozusagen.

Ein we­nig ge­spoi­lert ha­be ich jetzt schon, doch kei­ne Ban­ge. Der mit viel Span­nung ge­la­de­ne „Wa­ckel­kon­takt“ lässt auch bei wie­der­hol­tem Aus­lö­sen Fun­ken sprühen.

Wer, an­ders als die Re­zen­sen­tin, Puz­zeln nicht als ver­nach­läs­si­gungs­wür­di­gen Zeit­ver­treib an­sieht, fin­det bei Han­ser ein au­ßer­ge­wöhn­li­ches Mo­tiv.

Wolf Haas, Wackelkontakt, Hanser Verlag 2025

Die Jungfrau Maria von Sidcup

Clare Chambers unterhält in ihrem Roman „Kleine Freuden“ mit erwartbaren wie unerwarteten Wendungen

Klei­ne Freu­den — die ers­te Zi­ga­ret­te des Ta­ges, ein Glas Sher­ry vor dem Mit­tag­essen am Sonn­tag, ei­ne Ta­fel Scho­ko­la­de, so auf­ge­teilt, dass sie ei­ne Wo­che hielt, ein neu er­schie­ne­nes Buch aus der Bi­blio­thek, noch un­be­rührt und ma­kel­los, die ers­ten Hya­zin­then des Früh­lings, ein sau­ber ge­fal­te­ter Sta­pel Bü­gel­wä­sche, der Ge­ruch des Som­mers, der Gar­ten im Schnee, ein Brief­pa­pier-Spon­tan­kauf für ih­re Schub­la­de – das al­les war be­le­bend ge­nug gewesen.“

Klei­ne Freu­den, so der Ti­tel von Cham­bers Ro­man, emp­fin­det die Jour­na­lis­tin Jean eben­so, wenn sie in ih­rer Ko­lum­ne die skur­ri­len Tipps der Le­se­rin­nen ver­öf­fent­licht. Jean lebt mit ih­rer Mut­ter in Hayes na­he Lon­don und ar­bei­tet als ein­zi­ge weib­li­che Re­por­te­rin in der Re­dak­ti­on des an­säs­si­gen Lo­kal­blatts „The Kent Echo“. Im Jahr 1957, der Hand­lungs­zeit des Ro­mans, sind die Rol­len klar ver­teilt. Ne­ben den Haus­halts-Ko­lum­nen fal­len der Jour­na­lis­tin stets die weib­li­chen The­men zu, so auch als ei­nes Ta­ges ein be­son­de­rer Le­ser­brief die Zei­tung erreicht.

Er stammt von Gret­chen Til­bu­ry und be­zieht sich auf ei­nen we­ni­ge Ta­ge zu­vor er­schie­ne­nen Be­richt über Par­the­no­ge­nese bei Tie­ren. Die Le­se­rin be­haup­tet, sie sei oh­ne männ­li­che Mit­wir­kung schwan­ger ge­wor­den. Soll­te sich „Die Jung­frau Ma­ria von Sid­cup“ weiterlesen

Exempla docent

In „Die Schlange im Wolfspelz“ legt Michael Maar die sprachlichen Lebensadern der Literatur frei

Wenn wir uns le­send trei­ben las­sen (…) dann im­mer in der Hoff­nung, man kom­me, ex­em­pla do­cent, dem Ge­heim­nis des Stils und der gro­ßen Li­te­ra­tur nur durch Bei­spie­le nah.“

Der gleich­sam be­le­se­ne wie wort­ge­wand­te Mi­cha­el Maar ver­sucht in sei­nem neu­en Buch dem „Ge­heim­nis gro­ßer Li­te­ra­tur“ mehr als auf die Spur zu kom­men. Als Proust­ken­ner leuch­tet er mir schon lan­ge den Weg und auch als Ro­man­cier ist er nicht un­be­kannt, um nicht zu­erst auf sei­ne Ver­wandt­schaft mit ei­nem ge­wis­sen ge­punk­te­ten We­sen zu ver­wei­sen. Mit „Die Schlan­ge im Wolfs­pelz“ legt Maar nun ei­ne ver­gnüg­lich zu le­sen­de Be­trach­tung der deut­schen Li­te­ra­tur vor. So wie Ver­gil Dan­te durch die Wäl­der und Win­dun­gen der Un­ter­welt bis fast ans Licht führt – die letz­te Etap­pe über­nimmt be­kannt­lich Bea­tri­ce –, führt Maar sei­ne Le­ser zu­nächst in sein Sprach- und Stil­ver­ständ­nis ein und spä­ter durch sei­ne Bi­blio­thek. Man­che bis­her un­be­kann­ten Ti­tel wird man nach der Lek­tü­re le­sen wol­len, dank der Vor­be­rei­tung auch oh­ne je­de Beatrice.

Im ers­ten Teil der Stil­kun­de fragt Maar nicht, was gut ge­schrie­ben ist. Was ge­fällt, kön­ne nur ein Ge­schmacks­ur­teil sein und das hat­te schon bei Kant kei­nen Be­stand: „Denn je­der äs­the­tisch von et­was Über­zeug­te sinnt an, sein sub­jek­ti­ves Ge­schmacks­ur­teil als all­ge­mein­gül­tig zu ak­zep­tie­ren.“ Je­der, der mit an­de­ren über Li­te­ra­tur dis­ku­tiert „Ex­em­pla do­cent“ weiterlesen

Humor gegen Hirnkatastrophe

Im fünften Teil seiner autobiographischen Romanfolge erzählt Joachim Meyerhoff „wie es ist, wenn die Selbstverständlichkeit der Existenz abhandenkommt“

Ich muss­te mich durch Er­in­nern wie­der­be­le­ben, mir selbst ei­ne Hirn­mas­sa­ge ver­pas­sen. Nimm ein­fach al­les, was auf­blitzt, for­der­te ich mich auf, und prä­zi­sie­re es! Was klei­nes Hei­te­res, da­mit dich die Zeit nicht totschlägt.“

Erst kürz­lich las ich, der Un­ter­schied zwi­schen deut­schem und ös­ter­rei­chi­schem Hu­mor sei, daß ein Deut­scher scha­den­froh über an­de­re la­che, ein Ös­ter­rei­cher aber am liebs­ten über sich selbst. Falls sich dies über­haupt so sa­gen lässt, wä­re Joa­chim Mey­er­hoff ein Ös­ter­rei­cher. Tat­säch­lich leb­te und ar­bei­te­te der deut­sche Au­tor und Schau­spie­ler zum Zeit­punkt der Ro­man­hand­lung be­reits et­li­che Jah­re in Wien und wech­sel­te erst da­nach vom Burg­thea­ter an die Schau­büh­ne in sei­ne neue Hei­mat Berlin.

Ein Jahr zu­vor, so be­rich­tet er im Vor­wort die­ses Me­moi­res, er­litt er ei­nen Schlag­an­fall. Mey­er­hoff ver­wen­det lie­ber das ös­ter­rei­chi­sche Di­mi­nu­tiv Schla­gerl, was den­noch nur un­zu­rei­chend sei­nen Schreck ver­deckt. Die ein­schnei­den­de exis­ten­ti­el­le Er­fah­rung, die er in „Hams­ter im hin­te­ren Strom­ge­biet“ ver­ar­bei­tet, geht ihm an die Nie­ren oder um me­di­zi­nisch kor­rekt zu blei­ben ins Hirn, ge­nau­er „Hu­mor ge­gen Hirn­ka­ta­stro­phe“ weiterlesen

Vergiften für Verheiratete

Ein effektives Mittel gegen den Horst in deinem Bett liefert Sara Paborn in „Beim Morden bitte langsam vorgehen“

Gift. Im Schwe­di­schen hat das Wort zwei sehr ver­schie­de­ne Be­deu­tun­gen. Gibt es ei­gent­lich ir­gend­ei­ne an­de­re Spra­che, in der das Wort für Ehe das­sel­be ist wie das für ei­nen ge­sund­heits­schäd­li­chen bis töd­li­chen Stoff?“

Auf der Su­che nach ei­ner Som­mer­lek­tü­re, ei­nem An­ti­dot ge­gen nächt­li­che Glut­hit­ze, stieß ich auf das neu­es­te Werk der schwe­di­schen Au­torin Sa­ra Pa­born. Im Ori­gi­nal trägt es den Ti­tel Bly­bröl­lop, Blei­hoch­zeit, die wa­cke­re Tra­di­tio­na­lis­ten nach 43 Jah­ren Ehe fei­ern. In der Über­set­zung wur­de dar­aus ei­ne An­wei­sung wie aus dem Koch­buch „Beim Mor­den bit­te lang­sam vor­ge­hen“. Die Le­se­rin ahnt, wor­an sie ist, denkt an „Ar­sen mit Spit­zen­häub­chen“ oder an je­ne fin­di­ge Da­me, die un­lieb­sa­mes Ver­hal­ten stets mit Blau­beer­pud­ding be­lohn­te. Erst vie­le Jah­re und et­li­che Ehe­män­ner spä­ter wur­de die durch­schla­gen­de Kraft ih­res Des­serts ent­deckt und Blau­beer-Ma­rie­chen fand ih­ren Platz in der Lis­te le­gen­dä­rer Mör­de­rin­nen. Pa­borns Blei-Il­se hin­ge­gen kann nur ein sin­gu­lä­res Er­geb­nis vor­wei­sen, doch ih­re Me­tho­de birgt gro­ßes Potential.

Ei­ne aus­führ­li­che An­lei­tung lie­fert die Hel­din in ih­rem Me­moir, das sie sechs Jah­re nach der Tat hin­ter­lässt. Ein Ge­ständ­nis, das nie in die Hän­de der Kin­der fal­len wird, denn Il­se lebt nach „Ver­gif­ten für Ver­hei­ra­te­te“ weiterlesen