Feuerwanzenbetriebsamkeit

Die Betrogenen“ — Michael Maars anspielungsreicher Roman über Liebe und Leid im Literaturbetrieb

maar, die betrogenenFeu­er­wan­zen trei­ben es som­mers ger­ne über­all. Wer sie da­bei stört, dem dan­ken sie es mit pe­ne­tran­tem Geruch.

Ähn­li­ches be­schreibt Mi­cha­el Maar in sei­nem an Na­tur­be­ob­ach­tun­gen rei­chen Ro­man Die Be­tro­ge­nen. Maar, als Li­te­ra­tur­his­to­ri­ker für sei­ne Es­says zu Grö­ßen wie Tho­mas Mann, Mar­cel Proust, Vla­di­mir Na­bo­kov und an­de­ren be­kannt, lässt in sei­nem bel­le­tris­ti­schen De­büt an­spie­lungs­vol­le Pro­sa er­war­ten. Be­reits der Ti­tel er­in­nert an die letz­te Er­zäh­lung Tho­mas Manns, Die Be­tro­ge­ne. Hier wie dort spielt die Na­tur ei­ne Rol­le und hier wie dort ist es trotz des bei To­des­fäl­len not­wen­di­gen Ernsts, iro­nisch und amü­sant, wenn es eben­falls hier wie dort um die Lie­be geht.

In Mi­cha­el Maars pi­kan­ter Pro­sa spielt die­se im Li­te­ra­tur­be­trieb. Wir be­geg­nen ei­nem Kri­ti­ker mitt­le­ren Al­ters, der sich an­schickt zum Bio­gra­phen des Groß­au­tors Ar­thur Bitt­ner zu avan­cie­ren. Der Ver­trag mit dem Ver­lag und die Über­ein­kunft mit Bitt­ner sind schon ge­trof­fen. Da er­for­dert der plötz­li­che Tod des Ver­le­gers den Be­such des Bio­gra­phen auf der Be­er­di­gung und ein nach­fol­gen­des Tref­fen mit dem Schrift­stel­ler. Bitt­ner will sei­ne ei­ge­ne Ver­gäng­lich­keit nicht mit letz­ten Be­ge­ben­hei­ten kon­fron­tie­ren, sich aber nichts­des­to­trotz da­von be­rich­ten las­sen. Sein Bio­graph, Maar nennt ihn Karl Lo­rentz, er­füllt ihm den Wunsch. Er er­kennt al­ler­dings auch, daß sein einst so strah­len­der Schrift­stel­ler­gott, dem jüngst Ver­stor­be­nen an Jah­ren gleich, im Nie­der­gang ist. Der noch geis­tig und kör­per­lich vi­ta­le Mann zeigt Gren­zen, selbst sei­ne Da­men­be­glei­tun­gen wer­den älter.

Karl be­ob­ach­tet dies mit Ge­nug­tu­ung, es dient ihm als Trost für sei­ne Ver­zagt­heit mit der Bio­gra­phie, an der er noch kei­ne Zei­le ge­schrie­ben hat. Als Bitt­ner ihm sei­ne un­ehe­li­che Toch­ter ge­steht, be­schließt Karl die Ber­li­ner Ga­le­ris­tin zu be­su­chen. Na­tür­lich ge­schieht dies un­ter ei­nem Vor­wand, Karl möch­te sie nicht we­gen des Va­ters be­läs­ti­gen und zeigt sich zu­nächst an der Ga­le­rie in­ter­es­siert. Die­se führt No­ra zu­sam­men mit ei­ner Freun­din, auch sie Toch­ter ei­nes Künst­lers. Es kommt zu ei­nem Tref­fen, es kommt zu mehr, aber nicht zum Äu­ßers­ten. Trotz­dem ver­spürt Karl ei­ne Proust’sche Ver­liebt­heit, die ihn um­so mehr lei­den lässt, als er er­fährt, daß No­ra ein aus­sichts­rei­ches Pro­jekt in Ame­ri­ka ver­folgt. Die ge­rin­ge Chan­ce, die Ver­schwun­de­ne bald wie­der zu se­hen, stei­gert sei­ne Sehn­sucht. Ab­len­kung ver­spricht sich Karl bei ei­nem Stell­dich­ein des Li­te­ra­tur­be­triebs. Zur Ver­lei­hung des Grab­be-Prei­ses tref­fen sich Ver­le­ger, Li­te­ra­tur­agen­ten, Lek­to­ren und Au­toren im Ho­tel Me­tro­pol. Dort zie­hen sie wie „Leucht­fi­sche, Me­du­sen und Mur­ä­nen“ ih­re Bah­nen. In ih­ren dunk­len Höh­len ge­ben sie sich ei­nem Trei­ben hin, das dem der Feu­er­wan­zen gleicht. Karl lässt sich mit­zie­hen und er­fährt, daß nicht nur Ma­ri­en­kä­fer un­ter hüb­schen Hül­len ihr „un­ap­pe­tit­li­ches In­ne­res“ verbergen.

Von die­sen Be­ge­ben­hei­ten er­zählt Maar mit vie­len Ver­wei­sen auf sei­ne be­rühm­ten Schrift­stel­ler­göt­ter. Wir be­geg­nen Prousts Ge­lieb­ten Rey­nal­do Hahn, aber auch Maars ei­ge­nen Ti­teln. Karls ver­geb­li­ches War­ten auf ein Zei­chen sei­ner An­ge­be­te­ten er­in­nert an die Lie­bes­pein, die Prousts Er­zäh­ler mit Gil­ber­te er­lei­det. Da­ne­ben schwelgt Maar in Na­tur­bil­dern. Die Feu­er­wan­zen er­höht er zum ero­ti­schen Sym­bol, das Ni­ko­laus Hei­del­bach in der Dar­stel­lung des Co­ver­girls um­setz­te. Ein Wild­enten­paar be­stä­tigt die Exis­tenz der Lie­bes­treue. We­ni­ger ernst wird es, wenn Mü­cken ih­ren „sto­chas­ti­schen Ge­schäf­ten“ nach­ge­hen oder Karl ei­nen al­li­te­rie­rend schö­nen „Kot­klum­pen, der wie ei­ne ver­trock­ne­te Krö­te aus­sieht“ er­blickt. Im „Amei­sen­zick­zack“ tum­meln sich die Prot­ago­nis­ten in die­sem ero­ti­schen Hin und Her, dem zu die­sem Zweck schon mal ei­ne Zi­ga­ret­ten­spit­ze phal­lisch aufleuchtet.

Amü­sant ent­larvt Maar eit­le Ge­ständ­nis­se, wenn er sei­nen Er­zäh­ler nicht nur nach der Wahr­heit fra­gen lässt, son­dern da­nach, wer die­se über­haupt hö­ren möch­te. Be­tro­gen, so zeigt sich schließ­lich, sind al­le von ih­ren Ideo­syn­kra­si­en, ih­ren ei­ge­nen und en­gen In­ter­pre­ta­tio­nen. „Ganz sel­ten ein­mal er­öff­net sich ein Blick hin­ter den Vor­hang und man spürt ei­nen Hauch vom wirk­li­chen Trei­ben, das hieß, vom Trei­ben der Wirk­lich­keit, von der man durch sein rup­fen­dich­tes Ideen­ge­spinst sonst so gut ab­ge­schirmt war.“

Wer, was und mit wem könn­te man in die­sem Ro­man zu ent­schlüs­seln su­chen. Man kann ihn al­ler­dings auch so ge­nie­ßen, als Kom­po­si­ti­on ed­ler Zu­ta­ten, die mal das ei­ne mal das an­de­re her­aus­schme­cken las­sen. Ins­ge­samt be­schert er ei­nen Ge­nuss mit Hin­ter­sinn und Esprit.

Mi­cha­el Maar, Die Be­tro­ge­nen, Ver­lag C. H. Beck, 1. Aufl. 2012

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