Die beste Satire des Jahres

Edward St Aubyn hinterfragt den Literaturpreis in „Der beste Roman des Jahres“

St Aubyn

 

 

Der Maß­stab für ein Kunst­werk ist, wie viel Kunst es ent­hält, nicht wie viel ‚Re­le­vanz’. Re­le­vanz für wen? Re­le­vanz für was? Nichts ist so kurz­le­big wie die hei­ßen The­men von heute. (…)

Wenn ein Künst­ler gut ist, kann nie­mand sonst das tun, was er tut, wes­halb al­le Ar­ten von Ver­gleich sinn­los sind.“

 

So­bald in un­se­rem Land ei­ne Tür ins Schloss fällt, wird wie­der ein Li­te­ra­tur­preis ver­ge­ben“, so oder so ähn­lich äu­ßer­te sich un­längst ein be­kann­ter Li­te­ra­tur­kri­ti­ker. Er muss es wohl wis­sen, schließ­lich ist De­nis Scheck selbst ge­frag­ter Ju­ror, auch beim Deut­schen Buch­preis saß er schon in der Ju­ry. Der dies­jäh­ri­ge Preis­trä­ger des wenn auch nicht re­nom­mier­tes­ten so doch po­pu­lärs­ten deut­schen Li­te­ra­tur­prei­ses hier­zu­lan­de ‑oder soll­te man doch lie­ber beim Ori­gi­nal­ti­tel Buch­preis blei­ben?- ist er­mit­telt. Be­vor der Schrift­stel­ler Lutz Sei­ler mit „Kru­so“ fest­stand, muss­ten die Aus­wahl­ti­tel nicht nur das üb­li­che Pro­ze­de­re der Lis­ten über­ste­hen, son­dern auch die ri­tu­el­le Em­pö­rung zum Auf­takt des Spektakels.

Die­se Sai­son be­gann so­gar mit ei­nem #auf­schrei, der laut ge­nug er­klang, um auch den letz­ten Li­te­ra­tur­le­mu­ren zu alar­mie­ren. So lag die ab­schlie­ßen­de Stel­lung­nah­me der Trie­rer Buch­händ­le­rin und dies­jäh­ri­gen Ju­ry­teil­neh­me­rin, Su­san­ne Link, völ­lig im Fahr­was­ser von St Au­byns köst­lich er­son­ne­ner Ju­ry. Die­se be­wies, daß sie „den Mut hat­te, fri­sche, ori­gi­nel­le und auf­re­gen­de neue Stim­men zu prä­sen­tie­ren, an­statt den ewi­gen Lieb­lin­gen des li­te­ra­ri­schen Es­tab­lish­ments den ro­ten Tep­pich auszurollen.“

Auf­merk­sam­keit ist das Eli­xier des Be­triebs. Der Mar­ke­ting­treib­stoff ei­ner Preis­ma­schi­ne, die nur ei­nes im Blick hat, Ver­kaufs­zah­len. Denn die­nen die Mess­lat­ten ob sie nun Boo­ker, Gon­court oder schlicht Buch­preis hei­ßen, über­haupt der Qua­li­fi­ka­ti­on von Li­te­ra­tur? Kön­nen sie das bes­te Buch des Jah­res kü­ren? Ist dies über­haupt mög­lich? Die­sen Fra­gen wid­met sich ein Ro­man mit dem pro­vo­kant wie pro­gram­ma­ti­schen Ti­tel „Der bes­te Ro­man des Jah­res“. Sein Au­tor, Ed­ward St Au­byn, blickt auf ei­ge­ne Er­fah­run­gen mit dem Preis­ge­r­an­gel zu­rück. Im Jahr 2006 war er für den Man Boo­ker-Pri­ze no­mi­niert. Mit sei­nem amü­sant sar­kas­ti­schen Er­leb­nis­be­richt ge­währt er nun Ein­bli­cke in den Ely­sia-Preis. Das kul­tu­rel­le Deck­män­tel­chen der Ely­sia-Grup­pe soll die skru­pel­lo­sen Ma­chen­schaf­ten des Agrar­kon­zerns ver­hül­len. Ver­fer­tigt wird es zu glei­chen Tei­len von Ju­ro­ren wie Au­toren. Die­ses Per­so­nal lässt St Au­byn in mun­te­rem Trei­ben auf­tre­ten, er zeigt Ver­ban­de­lun­gen und Ab­hän­gig­kei­ten und die De­ka­denz, die al­le mit­ein­an­der verbindet.

Da wä­ren die fünf Ju­ry­mit­glie­der, Kri­ti­ker mag man sie kaum nen­nen. Ein­zig die in Ox­bridge leh­ren­de Li­te­ra­tur­his­to­ri­ke­rin Va­nes­sa Shaw scheint qua­li­fi­ziert. Das rest­li­che Team, ein Po­li­ti­ker, ei­ne Be­am­tin, ei­ne Ko­lum­nis­tin und ein Schau­spie­ler, las­sen auf fa­ta­le Wei­se ah­nen, wie es auch mit dem Deut­schen Buch­preis kom­men könn­te, wenn das Ge­bot der jähr­lich fri­schen Ju­ry in na­her Zu­kunft al­le Re­sour­cen er­schöpft ha­ben wird. Prüft dann ein Kein­hirn­kom­mi­sar die Eingaben?

St Au­byns fik­ti­ves Team eint weit­ge­hen­de li­te­ra­ri­sche Ah­nungs­lo­sig­keit. Da­ne­ben sind sie zwar nicht kor­rupt, aber von Ei­gen­in­ter­es­se be­herrscht. Sie be­mü­hen sich um bel­la fi­gu­ra, und den­ken gar nicht dar­an, al­le ein­ge­reich­ten 200 Ro­ma­ne zu le­sen. Bis zur Short­list reicht es, sie zu sich­ten oder ge­fan­gen im Lon­do­ner Ver­kehrs­chaos zu hö­ren. Ihr Vor­sit­zen­der Mal­colm Craig über­lässt die Aus­wahl sei­ner Se­kre­tä­rin. Schließ­lich hat er ge­nug da­mit zu tun, sei­ne Mann­schaft zu in­spi­rie­ren. „Es kam dar­auf an, ei­nen Kon­sens her­zu­stel­len und die Vi­si­on ei­nes Eng­land zu be­schrei­ben, das sie al­le mit­hil­fe die­ses Prei­ses för­dern woll­ten: fa­cet­ten­reich, mul­ti­kul­tu­rell, de­zen­tral und na­tür­lich per­spek­ti­visch für jun­ge Schrift­stel­ler.“ Viel hei­ße Luft, die sich auch in den zahl­rei­chen zi­tier­ten Wer­ken zeigt, die St Au­byn mit gro­ßer Lust an der Per­si­fla­ge, ein­streut. Dies bie­tet Ge­le­gen­heit di­ver­se Le­se­pro­ben der Short­list­kan­di­da­ten zu gou­tie­ren. So be­geg­nen wir der de­so­la­ten Per­spek­ti­ve ei­nes Ju­gend­li­chen aus Glas­gows Un­ter­schicht in „Was guck­s­tu!“. Lei­der büßt der Fa­vo­rit des Schott­land-Be­für­wor­ters Craig sein au­then­ti­sches Flair ein, als sich her­aus­stellt, daß der Au­tor dem Adel ent­stammt und Mit­tel­al­ter­li­che Lie­bes­ly­rik lehrt.

Doch nicht nur die Short­list­kan­di­da­ten wer­den vor­ge­führt. Auch die li­te­ra­ri­schen Am­bi­tio­nen der Ju­ry­in­sas­sin Pen­ny Fea­thers, der ih­re Tä­tig­keit im Aus­wär­ti­gen Amt noch ge­nug Mu­ße für Agen­ten­thril­ler lässt. Pi­kant ist nicht nur, daß die­se Fi­gur sich beim Schrei­ben von ei­nem Ghost-Wri­ter-Pro­gramm un­ter­stüt­zen lässt, son­dern, wie Gi­sa Funck im Deutsch­land­funk aus­führ­te, daß Par­al­le­len zu ei­ner le­ben­den Ju­ro­rin von St Au­byn durch­aus be­ab­sich­tigt scheinen.

Zwi­schen dem Ju­ry­ge­r­an­gel um die Short­list, die schließ­lich ganz po­li­tisch kor­rekt auch Au­toren aus dem „im­pe­ria­len Asche­hau­fen des Com­mon­wealth“ auf­weist, wid­met sich der Au­tor ei­ner drit­ten Per­so­nen­grup­pe. Es sind die ver­schmäh­ten Au­toren, die aus Un­glück oder Un­ver­mö­gen nicht no­mi­niert wur­den und ih­re Frus­tra­tio­nen mit opu­len­ten Tee-Par­tys oder Sex aus­glei­chen. Die män­ner­ver­schlin­gen­de Er­folgs­au­torin Ka­the­ri­ne bringt zu­dem mit ih­rem Ge­lieb­ten Alan die Ver­lags­bran­che ins Spiel. Er ist Chef­lek­tor bei Page&Turner, je­den­falls so­lan­ge bis sei­ner As­sis­ten­tin ein fa­ta­ler Feh­ler unterläuft.

Wer letzt­end­lich den Lor­beer er­ringt, sei hier nicht ver­ra­ten, nur so viel, es ent­larvt das Be­mü­hen um das bes­te Buch des Jah­res als Far­ce. Im Ori­gi­nal heißt der Ro­man „Lost for Words“. Das ist Ed­ward St Au­byn auf kei­ner Sei­te die­ser schö­nen Sa­ti­re, die bri­ti­sche aber auch deut­sche Ver­hält­nis­se aufs Korn nimmt.

Ed­ward St Au­byn, Das bes­te Ro­man des Jah­res, übers. v. Ni­ko­laus Han­sen, Pi­per Ver­lag, 1. Aufl. 2014.

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