Riesenschlamassel

Joshua Cohen hat in seinem neuen Roman vieles erfunden und verfremdet, doch, wie er im Nachwort betont „Die Netanjahus blieben die Netanjahus“

Aus mei­ner Vor­lie­be Li­te­ra­tur wur­de Ge­schich­te, aus der Vor­lie­be al­ler an­de­ren für Buch­hal­tung wur­de Wirt­schafts­leh­re, und Ame­ri­ka blieb Ame­ri­ka. Ich blieb bis zum Ab­schluss­examen an der Co­lum­bia, und nach mut­lo­sem Suh­len im Dun­kel der Lehr­auf­trä­ge wur­de ich der ers­te Ju­de, der je­mals vom Cor­bin Col­lege (da­mals war die Cor­bin Uni­ver­si­ty noch ein schlich­tes Col­lege) an­ge­stellt wur­de, und da­mit mei­ne ich nicht der ers­te jü­di­sche Do­zent mit Aus­sicht auf Pro­fes­sur am His­to­ri­schen Se­mi­nar des Cor­bin Col­lege, son­dern den ers­ten Ju­den über­haupt an der ge­sam­ten Hoch­schu­le – Lehr­kör­per und, so­weit ich das be­ur­tei­len konn­te, Stu­den­ten­schaft eingeschlossen.“

Manch­mal lie­gen die Grün­de für die Aus­wahl ei­ner Lek­tü­re gar nicht so fern. Beim neu­en Ro­man des US-ame­ri­ka­ni­schen Au­tors Jo­shua Co­hen ver­spricht der Ti­tel, „Die Ne­tan­ja­hus“ Ent­hül­lun­gen und der Klap­pen­text viel Le­se­ver­gnü­gen. Wer möch­te nicht ei­ne Ge­schich­te über die Fa­mi­lie ei­nes am­tie­ren­den Mi­nis­ter­prä­si­den­ten, noch da­zu ei­nes stark um­strit­te­nen, le­sen, wenn die­se mit „überbordender Fan­ta­sie und wil­der Ko­mik (…) ein li­te­ra­ri­sches Feu­er­werk“ ent­facht? Dass sie zu­dem mit dem Pu­lit­zer Pri­ce aus­ge­zeich­net wur­de, scheint ei­ne Ne­ben­sa­che, er­wies sich al­ler­dings als ge­eig­net, um mei­nen Li­te­ra­tur­kreis zu die­sem Buch zu verleiten.

Die Ne­tan­ja­hus“ könn­te rein ober­fläch­lich als Cam­pus­ro­man „Rie­sen­schla­mas­sel“ weiterlesen

Pompejanische Politsatire

Eugen Ruge ist mit „Pompeji oder Die fünf Reden des Jowna“ der wohl lustigste Roman über die untergegangene Stadt gelungen

Ach die Leu­te.“ Li­via zuck­te mit den Schul­tern. „Die sind so ver­gess­lich wie das Schilf! Nie­mand in­ter­es­siert sich für das, was du ges­tern ge­sagt hast. Sie wol­len wis­sen, was du heu­te sagst. Die po­li­ti­sche Wahr­heit, mein Lie­ber, ist kei­ne Fra­ge von Fak­ten und Beweisen.“

 „Ver­giss, lie­ber Le­ser, al­les, was du je­mals über Pom­pe­ji ge­hört hast.“

 Über Pom­pe­ji, die im süd­li­chen Kam­pa­ni­en ge­le­ge­ne Pro­vinz­stadt, die durch die kon­ser­vie­ren­de Wir­kung ei­nes Vul­kans im Jahr 79 n. Chr. zu Welt­ruhm ge­lang, wur­de viel ge­schrie­ben. Wis­sen­schaft­li­ches füllt gan­ze Bi­blio­the­ken. Doch auch fik­tio­na­le Li­te­ra­tur ent­stand, kaum hat­ten die Schatz­grä­ber des Bour­bo­nen-Kö­nigs ih­re Lö­cher in die ver­sun­ke­ne Stadt ge­bohrt. Das Er­stau­nen über die vor­ge­fun­de­nen, an­nä­hernd in­tak­ten Woh­nun­gen und Stadt­struk­tu­ren, ins­be­son­de­re über die Res­te der Pom­pe­ja­ner selbst, die Jah­re spä­ter Fio­rel­li durch Gips­aus­güs­se an­schau­lich mach­te, reg­ten die Phan­ta­sie vie­ler Schrift­stel­ler an. Was war wohl ge­sche­hen in den letz­ten Ta­gen der Stadt? Man­chen wie Ed­ward Bul­wer-Lyt­ton oder Ro­bert Har­ris ge­lang ein Pu­bli­kums­er­folg. Nicht sel­ten trifft man auf an Best­sel­lern ge­schul­te Ex­per­ten, die ei­nen über das de­ka­den­te Trei­ben der Pom­pe­ja­ner aufklären.

Da die schrift­stel­le­ri­sche Phan­ta­sie nie­mals en­det, wer­den auch wei­ter­hin Ro­ma­ne über Pom­pe­ji ge­schrie­ben. Der neu­es­te ist aus der Fe­der von Eu­gen Ru­ge und trägt den Ti­tel „Pom­pe­ji oder Die fünf Re­den des Jow­na“. Doch möch­te man ihn le­sen, wenn man eher die an­de­ren Bü­cher über die „Pom­pe­ja­ni­sche Po­lit­sa­ti­re“ weiterlesen

We are all aliens“

In seinem Roman „Die Außerirdischen“ stellt Doron Rabinovici grundsätzliche Fragen menschlichen Zusammenlebens

Nicht die Au­ßer­ir­di­schen las­sen al­les ver­kom­men, um sich zu be­rei­chern. Das macht nur unsereins.“

An­ders als der Ti­tel des neu­en Ro­mans des in Tel Aviv ge­bo­re­nen und seit sei­nem drit­ten Le­bens­jahr in Wien le­ben­den Schrift­stel­lers Do­ron Ra­bi­no­vici ver­mu­ten lässt, han­delt es sich bei „Die Au­ßer­ir­di­schen“ nicht um Sci­ence Fic­tion. Auch wenn die Na­men der Fi­gu­ren, Sol, Stern, Kas­tor und Jup(iter) da­nach klin­gen, auch wenn der An­fang an H.G. Wells Ro­man „Krieg der Wel­ten“ er­in­nert, der als Ra­dio-Hör­spiel 1938 in den USA ei­ne Mas­sen­pa­nik aus­lös­te, we­nigs­tens bei den ver­spä­tet zu­ge­schal­te­ten Hö­rern, die die Fik­ti­on für ba­re Mün­ze nahmen.

Ähn­lich chao­ti­sche Zu­stän­de, wie Wells sie schil­dert, herr­schen in al­len Tei­len der von Ra­bi­no­vici er­son­ne­nen Welt. Die­sem Cha­os setzt er sei­ne bei­den Haupt­fi­gu­ren aus, Sol, der als Jour­na­list ei­nes On­line-Gour­met-Ma­ga­zins ar­bei­tet und sei­ne Frau As­trid. Me­di­en aus al­len Tei­len der Er­de be­zeu­gen den kom­plet­ten Strom­aus­fall, der Ver­kehr er­liegt, In­ter­net und Han­dys funk­tio­nie­ren nicht mehr. Die Ver­sor­gung bricht zu­sam­men und Pa­nik aus. Es kommt We are all ali­ens““ weiterlesen

Das große Yadayadayada

In „Schöne Seelen“ vereint Philipp Tingler Society-Satire mit Psycho-Persiflage

TinglerSo al­so war die Ge­sell­schaft be­schaf­fen. Der Ein­druck, den ein un­be­fan­ge­ner Be­ob­ach­ter hät­te emp­fan­gen kön­nen (wenn es die­sen Be­ob­ach­ter nur je ge­ge­ben hät­te), war fol­gen­der: mit­tel­mä­ßi­ge Men­schen von meist zwei­fel­haf­ter Lie­bens­wür­dig­keit, die, wäh­rend sie vor­ga­ben, über die letz­ten Din­ge und ers­ten Wich­tig­kei­ten zu spre­chen, ei­gent­lich nur wech­sel­sei­tig ih­ren Auf­zug mus­ter­ten und ver­such­ten, zu ta­xie­ren, was die­se Fen­di-Ta­sche aus Foh­len, Nerz und Weiß­gold ge­kos­tet ha­ben moch­te. (…) Die Ge­sich­ter wa­ren mit Hyalu­ron­säu­re ge­füllt und von Ei­tel­keit aus­ge­so­gen und zeig­ten oft ge­nug den se­li­gen Aus­druck je­ner Nar­ren, die sich von ih­rer ei­ge­nen Be­schränkt­heit näh­ren, vor ver­meint­li­cher Ge­sund­heit strot­zen und dau­ernd da­mit be­schäf­tigt schei­nen, sich selbst zuzulächeln,…“

Der bö­se Blick auf die Ge­sell­schaft ist ei­ne be­lieb­te Spiel­art der Li­te­ra­tur. Do­ro­thy Par­ker oder Her­bert Ro­sen­dor­fer wa­ren dar­in Meis­ter, die sich selbst durch­aus mit ein­schlos­sen. Der Phi­lo­soph und Au­tor Phil­ipp Tin­gler un­ter­nimmt in sei­nem neu­en Ro­man  Schö­ne See­len ei­ne ent­spre­chen­de Ana­ly­se der Schö­nen und Rei­chen der Schweiz. Ge­nau­er ge­sagt Genf, „wo der zwing­lia­ni­sche Re­pres­si­ons­druck seit je­her das Ir­re­wer­den be­güns­tigt“.

Dort er­liegt in der Schön­heits­kli­nik vor den To­ren der Stadt ei­ne Da­me nicht „Das gro­ße Ya­da­ya­da­ya­da“ weiterlesen

Die Konvertiten

Michel Houellebecq karikiert in „Unterwerfung“ Missstände in Gesellschaft und Religion

HouellebecqNicht nur der Sex hat­te für Huys­mans nie­mals die Be­deu­tung, die er ihm un­ter­stell­te, son­dern das­sel­be galt mit Si­cher­heit auch für den Tod, die exis­ten­ti­el­len Ängs­te spiel­ten für ihn kei­ne Rol­le. Was ihn an der be­rühm­ten Kreu­zi­gung von Grü­ne­wald so sehr be­wegt hat­te, war nicht die Dar­stel­lung des To­des­kamp­fes Chris­ti ge­we­sen, son­dern die sei­ner kör­per­li­chen Qua­len, wo­mit Huys­mans auch in die­sem Punkt al­len an­de­ren Men­schen glich, de­nen ihr ei­ge­ner Tod im All­ge­mei­nen mehr oder min­der gleich­gül­tig ist; ih­re ein­zi­ge wirk­li­che Sor­ge be­steht dar­in, der kör­per­li­chen Qual so weit wie mög­lich zu entkommen. (…)

Das ein­zi­ge ech­te The­ma von Huys­mans war das bür­ger­li­che Glück, ein für Jung­ge­sel­len auf schmerz­haf­te Wei­se un­er­reich­ba­res bür­ger­li­ches Glück, …“

Die­se Er­kennt­nis er­langt Fran­çois, der 44jährige Ich-Er­zäh­ler, ge­gen En­de des Ro­mans „Un­ter­wer­fung. Sein Au­tor, Mi­chel Hou­el­le­becq, kri­ti­siert in die­ser ak­tu­el­len Sa­ti­re kol­lek­ti­ve wie in­di­vi­du­el­le Zu­stän­de, die er ent­lang der Ent­wick­lung sei­nes Hel­den erzählt.

Fran­çois, ein agnos­ti­scher Mis­an­throp, hat sich seit sei­ner Dis­ser­ta­ti­on über Jo­r­is-Karl Huys­mans voll­kom­men sei­nem For­schungs­ge­gen­stand ver­schrie­ben. Der fran­zö­si­sche Dan­dy und Li­te­rat dient „Die Kon­ver­ti­ten“ weiterlesen

Die beste Satire des Jahres

Edward St Aubyn hinterfragt den Literaturpreis in „Der beste Roman des Jahres“

St Aubyn

 

 

Der Maß­stab für ein Kunst­werk ist, wie viel Kunst es ent­hält, nicht wie viel ‚Re­le­vanz’. Re­le­vanz für wen? Re­le­vanz für was? Nichts ist so kurz­le­big wie die hei­ßen The­men von heute. (…)

Wenn ein Künst­ler gut ist, kann nie­mand sonst das tun, was er tut, wes­halb al­le Ar­ten von Ver­gleich sinn­los sind.“

 

So­bald in un­se­rem Land ei­ne Tür ins Schloss fällt, wird wie­der ein Li­te­ra­tur­preis ver­ge­ben“, so oder so ähn­lich äu­ßer­te sich un­längst ein be­kann­ter Li­te­ra­tur­kri­ti­ker. Er muss es wohl wis­sen, schließ­lich ist De­nis Scheck selbst ge­frag­ter Ju­ror, auch beim Deut­schen Buch­preis saß er schon in der Ju­ry. Der dies­jäh­ri­ge Preis­trä­ger des wenn auch nicht re­nom­mier­tes­ten so doch po­pu­lärs­ten deut­schen Li­te­ra­tur­prei­ses hier­zu­lan­de ‑oder soll­te man doch lie­ber beim Ori­gi­nal­ti­tel Buch­preis blei­ben?- ist er­mit­telt. Be­vor der Schrift­stel­ler Lutz Sei­ler mit „Kru­so“ fest­stand, muss­ten die Aus­wahl­ti­tel nicht nur das üb­li­che Pro­ze­de­re der Lis­ten über­ste­hen, son­dern auch die ri­tu­el­le Em­pö­rung zum Auf­takt des Spektakels.

Die­se Sai­son be­gann so­gar mit ei­nem #auf­schrei, der laut ge­nug er­klang, um auch „Die bes­te Sa­ti­re des Jah­res“ weiterlesen

Ein letzter Zipfel Monarchie

Michael Ziegelwagner sinniert in „Der aufblasbare Kaiser“ über den Moment

roBerlin_Ziegelwagner_128x209_LT.inddBü­cher fal­len mit­un­ter schon durch ihr Äu­ße­res ins Au­ge. So ver­spricht der neue Ro­man „Der auf­blas­ba­re Kai­ser durch sei­nen Ti­tel, das Por­trät ei­nes Dan­dys mit Por­no­bril­le und das Fo­to des Au­tors mit Ni­ckel­bril­le ge­ball­te Skur­ri­li­tät. Als Ös­ter­rei­cher, Sa­ti­ri­ker und Mit­glied der Ti­ta­nic-Crew kom­men­tiert Mi­cha­el Zie­gel­wag­ner un­se­re „voll­um­fäng­li­che Da­seins­un­si­cher­heit“. Un­ter die­ser lei­det, ähn­lich den Fi­gu­ren Wil­helm Gen­a­zi­nos, Zie­gel­wag­ners Prot­ago­nis­tin, die 26-jäh­ri­ge Ve­ra Be­a­cher. Sie notiert:

An­nah­me 1. Das Le­ben ist nichts wert, wenn es uns nicht ge­lingt hin und wie­der ei­nen Mo­ment herauszulösen. 
An­nah­me 2. Was wir her­aus­lö­sen, soll au­ßer­ge­wöhn­lich sein. 
An­nah­me 3. Un­se­re wich­tigs­ten Er­fah­run­gen soll­ten wir am An­fang un­se­res Le­bens ma­chen. Wir wer­den sie noch ha­ben, wenn die meis­ten Men­schen, die sie ge­teilt ha­ben, weg­ge­stor­ben sind. Sie ge­hö­ren uns dann exklusiv.
An­nah­me 3a. Dar­um soll­te mög­lichst et­was Ab­ster­ben­des in un­ser Le­ben ge­ret­tet wer­den, das uns mög­lichst früh ex­klu­siv gehört.“ 

Auch die­se An­ge­stell­te lang­weilt sich im Amt dem Ru­he­stand ent­ge­gen, un­ter Auf­sicht ih­res fa­den „Ein letz­ter Zip­fel Mon­ar­chie“ weiterlesen

Brennerova von Alpha bis Omega

Wie Wolf Haas in „Brennerova” aus Muskelbilderbüchern Literatur macht

BrennerovaEs sind die Struk­tu­ren in Wolf Haas’ Li­te­ra­tur, die mich be­geis­tern. So zäu­me ich nach dem Wet­ter, der Mis­sio­narsstel­lung und der Wie­der­be­le­bung vom Bren­ner das Pferd von hin­ten auf und fan­ge mit der neus­ten Fol­ge ganz von vor­ne an.

In der ge­rät der Bren­ner aus in­ter­es­sier­ter Lan­ge­wei­le und weil die Her­ta jetzt fern von ihm weilt, sprich sich ge­trennt hat, auf ei­ne Part­ner­ver­mitt­lungs­sei­te im In­ter­net. Lau­ter Rus­sin­nen, wenn er ei­ne von de­nen hei­ra­ten wür­de, gä­be es ei­ne Bren­ner­o­va.

Be­vor es so weit kommt, trifft die Her­ta und ihn bei­nah was vom Dach und er da­durch die Her­ta. Kei­ne Fra­ge, die kom­men wie­der zu­sam­men, aber der Bren­ner auch via Part­ner­web nach Ni­sch­ni Now­go­rod zur Na­desh­da, sprich Russin.

Mehr sei nicht ver­ra­ten, weil Kri­mi trotz Li­te­ra­tur. Nur so viel, Du lernst ei­ne gan­ze Menge:
— Mus­kel­bil­der, qua­si Tä­to­wie­run­gen, er­leich­tern die Iden­ti­fi­ka­ti­on ver­stüm­mel­ter „Bren­ner­o­va von Al­pha bis Ome­ga“ weiterlesen

Schwindelnde Höhen der Literatur

In ihrem neuen Roman „Schwindlerinnen“ spielt Kerstin Ekman mit den Lügen der Schriftsteller

Ekman, SchwindlerinnenVom Schwin­del be­fal­len weiß man nicht wo oben und un­ten. Ob links oder rechts, al­les dreht sich, die Ori­en­tie­rung ist ver­wirrt, manch­mal ganz und gar ver­lo­ren. Als Schwin­del wer­den auch Lü­gen be­zeich­net, harm­lo­se, läss­li­che. Sie of­fen­ba­ren nicht je­dem al­les, ber­gen min­des­tens ein Ge­heim­nis, sei es auch nur ein klei­ner Trick. Aber wer kann schon oh­ne die­se klei­nen Tricks le­ben?  Sie die­nen der Le­bens­be­wäl­ti­gung und nicht sel­ten sind sie ein wich­ti­ger Be­stand­teil des Me­tiers. Auch Schrift­stel­ler be­die­nen sich als Il­lu­si­ons­künst­ler krea­ti­ver Schwin­de­lei­en, die nicht nur ihr Werk son­dern auch ih­re Per­son be­tref­fen. Wenn auch der Groß­teil der Schreib­künst­ler in­zwi­schen ihr öf­fent­li­ches Ego als Be­stand­teil der Er­folgs­stra­te­gie be­greift, so gibt es im­mer noch Au­toren, die ih­re An­ony­mi­tät zu wah­ren wis­sen. Das Ge­heim­nis um ih­re Per­son scheint der Selbst­schutz, oh­ne den kei­ne Kunst ent­ste­hen kann.

So er­geht es auch Bab­ro An­ders­son, kurz Bab­ba, der Schrift­stel­le­rin in Kers­tin Ek­mans „Schwind­le­rin­nen“. Von un­at­trak­ti­vem Äu­ße­ren be­wegt sich die in ei­ner Ar­bei­ter­fa­mi­lie groß­ge­wor­de­ne Bab­ba un­si­cher zwi­schen Men­schen. Als stu­dier­te Phi­lo­lo­gin be­vor­zugt sie die Ge­gen­wart der Bü­cher. Sie ar­bei­tet als Bi­blio­the­ka­rin in der Stadt­bü­che­rei, auf de­ren Kar­tei­kar­ten sie ih­re Schreib­ideen no­tiert. Als sie ei­nes Ta­ges aus die­sen Ein­fäl­len ei­ne Ge­schich­te spinnt, schickt ihr Freund die­se oh­ne ihr Wis­sen an ei­ne Zeit­schrift. Das Ab­leh­nungs­schrei­ben of­fen­bart ihr nicht nur den Ver­rat, son­dern eben­so die Er­kennt­nis, daß sie, Bab­ba An­ders­son, so wie sie wirk­lich ist, nie­mals als Schrift­stel­le­rin zu Ruhm ge­lan­gen kön­ne. Da­zu sei sie nun mal ein­fach we­der flott noch at­trak­tiv ge­nug. „Leu­te, die schrift­stel­lern­de Frau­en rühm­ten, lieb­ten die­ses Wort. Frau­en soll­ten flott schrei­ben. Und rank und schlank sein.“

Hier kommt die an­de­re Haupt­fi­gur des Ro­mans ins Spiel, Lil­lem­or Troj. Sie er­füllt die auf­ge­stell­ten Kri­te­ri­en, wes­halb Bab­ba sie zur Stell­ver­tre­te­rin wählt. Sie wird ihr öf­fent­li­ches Ali­as, un­ter ih­rem Na­men und mit ih­rem Ge­sicht er­scheint Bab­bas Li­te­ra­tur. Lil­lem­or ist nicht nur äu­ßerst vor­zeig­bar. Als Toch­ter aus gu­tem Haus weiß sie sich auf öf­fent­li­chem Par­kett zu be­we­gen. Per­fekt in Mo­de wie Ma­nie­ren be­wäl­tigt sie den schrift­stel­le­ri­schen Small­talk. Zu­dem tippt und re­di­giert sie, was Bab­ba auf die Sei­ten des Spi­ral­blocks schreibt. Lil­lem­or ach­tet auf Lo­gik und Struk­tur und spä­tes­tens, wenn bei­de Frau­en die Fe­ri­en­wo­chen in ei­ner ent­le­ge­nen Ka­te im Wald ver­brin­gen, wird Lil­lem­or zu Bab­bas Co-Autorin.

Al­ler­dings er­for­dert ih­re ge­mein­sa­me Au­tor­schaft im­mer stär­ke­re Ge­heim­hal­tung. Nicht nur die Män­ner der bei­den er­wei­sen sich als Ge­fahr, auch ih­re ei­ge­nen Müt­ter. Im­mer ver­deckt vor­der­grün­dig die Wahr­heits­lie­be die ei­gent­li­chen ego­is­ti­schen An­trie­be der Neu­gie­ri­gen. Den­noch ge­lingt es Bei­den die Preis­ga­be ih­res Tricks zu ver­hin­dern bis sie selbst zu Ver­rä­tern wer­den. In ih­rem neu­es­ten Ro­man­ent­wurf ent­hüllt Bab­ba die wah­re Ge­schich­te und sen­det sie un­ter ih­rem ei­ge­nen Na­men an ei­nen Ver­lag. Die­ser ver­mu­tet Lil­lem­or Troj hät­te un­ter Pseud­onym ih­re Bio­gra­phie ver­fasst und ver­mit­telt den Text an de­ren Ver­lag, der wie­der­rum die ver­meint­li­che Au­torin da­mit konfrontiert.

Hier setzt „Schwind­le­rin­nen“ ein. Wir le­sen mit Lil­lem­or Ka­pi­tel um Ka­pi­tel der un­ge­heu­er­li­chen Wahr­heit, die Bab­ba An­der­son in der Ich-Per­spek­ti­ve er­zählt. Da­zwi­schen er­fah­ren wir, was Lil­lem­or dar­über denkt. Ih­re Ver­si­on schil­dert der all­wis­sen­de Er­zäh­ler. Die Ge­gen­über­stel­lung die­ser bei­den Wahr­hei­ten er­zeugt nicht nur den gro­ßen Reiz der Kon­struk­ti­on, son­dern auch ei­ne Span­nung, die durch den im­mer­hin an die 500 Sei­ten star­ken Ro­man trägt. Kers­tin Ek­man, die in die­sem Jahr acht­zig Jah­re alt wird, und de­ren voll­stän­di­ger Na­me Kers­tin Lil­lem­or Hjorth Ek­man aus Grün­den der Wahr­heit nicht un­er­wähnt blei­ben soll, hat ei­nen um­fang­rei­chen Ro­man ge­schrie­ben. Im­mer­hin schil­dert sie über sech­zig Jah­re ei­nes er­folg­rei­chen Au­torin­nen­le­bens oder bes­ser drei­er er­folg­rei­cher Au­torin­nen­le­ben, Bab­bas, Lil­lem­ors, wie ihr ei­ge­nes, wel­ches in Fa­cet­ten in de­nen ih­rer Stell­ver­tre­te­rin­nen auf­scheint. Wie Lil­lem­or wur­de auch Ek­man zum Mit­glied der Schwe­di­schen Aka­de­mie er­ko­ren, be­sitzt al­so aus­rei­chen­de In­for­ma­ti­on um die­sen Aspekt in ih­rer Li­te­ra­tur­be­triebs­sa­ti­re sub­til aus­zu­leuch­ten. Sie zeigt, wie nicht nur in die­sem Gre­mi­um Prei­se ver­ge­ben und an­hand wel­cher Kri­te­ri­en Preis­trä­ger ge­macht wer­den. In die­sem letzt­end­lich po­li­ti­schen Ge­schäft zählt mehr Schein als Sein. Dies ist wahr­lich kei­ne neue Er­kennt­nis, wird aber in die­sem Ro­man sehr schön in Sze­ne ge­setzt. Gleich­zei­tig ge­lingt Ek­man ein Ge­sell­schafts­pan­ora­ma, in dem sie ih­re Hel­din­nen von den re­strik­ti­ven Fünf­zi­gern über die Al­ter­na­tiv­kul­tur der nach­fol­gen­den Jahr­zehn­te bis in die heu­ti­ge Zeit be­glei­tet. In ei­ne Zeit, in der das Le­sen ei­nes rich­ti­gen Bu­ches zu ei­nem sub­ver­si­ven Akt wer­den kann, vor des­sen Fol­gen Bab­ba An­der­son warnt:

Li­te­ra­tur schä­digt das Ge­hirn und ver­min­dert die Fruchtbarkeit.“

Kers­tin Ek­man, Schwind­le­rin­nen, übers. v. Hed­wig Bin­der, Pi­per Ver­lag, 1. Aufl. 2012

Klamauk auf Skios

Verwechslungsklamotte mit guten Dialogen — „Willkommen auf Skios“ von Michael Frayn

Er­zäh­len Sie ihr, was Ih­nen ge­ra­de ein­fällt. Sie muss nur se­hen, dass je­mand sich be­müht. Sa­gen Sie ihr das klei­ne Ein­mal­eins auf. Sie wird es nicht ver­ste­hen. Ein Mund, der auf- und zu­geht. Mehr wol­len die meis­ten Leu­te hier nicht, wenn man es recht be­trach­tet. Und eins Ih­rer net­ten Lächeln. “

Auf ei­nem klei­nen, kar­gen In­sel­chen in der grie­chi­schen Ägä­is bahnt sich der Hö­he­punkt der Sai­son an. In ei­ner ex­klu­si­ven Kul­tur­stif­tung er­war­ten die nicht min­der ex­klu­si­ven Mit­glie­der aus Geld- und Bil­dungs­adel den Jah­res­vor­trag. Hal­ten wird ihn Dr. Nor­man Wil­fred, der als Vor­trags­rei­sen­der in Sa­chen Szi­en­to­me­trie sei­ne gut ge­reif­ten Er­kennt­nis­se schon seit Jah­ren welt­weit ver­wurs­tet. Sein Ant­ago­nist, der jun­ge, at­trak­ti­ve Oli­ver Fox will auf der In­sel ein Wo­chen­en­de mit sei­ner jüngs­ten Er­obe­rung ver­brin­gen, de­ren Freun­din Nik­ki wie­der­um als As­sis­ten­tin der Stif­tung den Vor­trag or­ga­ni­siert. Nik­ki war­tet am Flug­ha­fen als Wis­sen­schaft­ler und Nichts­nutz gleich­zei­tig dort ein­tref­fen. Von ih­rer adret­ten Net­tig­keit an­ge­zo­gen steu­ert der Nichts­nutz auf sie zu, gibt sich als er­war­te­ter Wis­sen­schaft­ler aus und die Ver­wick­lun­gen beginnen.

Ver­wechs­lungs­ko­mö­di­en ha­ben mich noch nie be­son­ders be­geis­tert. Zwei Per­so­nen rut­schen in die fal­schen Rol­len und dann dau­ert es we­gen et­li­cher Ka­prio­len quä­lend lan­ge bis ir­gend­ei­ner da­hin­ter kommt. Al­le An­we­sen­den sind ge­blen­det von ih­ren ei­ge­nen Er­war­tun­gen. Sie hal­ten den Fal­schen für den Rich­ti­gen und selbst ein­deu­ti­ge Hin­wei­se brin­gen sie nicht auf die Spur. Sie ver­har­ren in Schafs­star­re, un­kri­tisch, leicht­gläu­big, groß­äu­gig und ver­trau­ens­se­lig. Das Funk­ti­ons­prin­zip sol­cher Ge­schich­ten ist die Scha­den­freu­de der Zu­schau­er und Le­ser. Sie be­ob­ach­ten das Ge­sche­hen von au­ßen, wis­sen mehr als die in­vol­vier­ten Fi­gu­ren und amü­sie­ren sich über de­ren Ge­schick. Mei­nem Hu­mor ent­spricht dies nicht. An­fangs ver­spü­re ich Mit­leid mit dem Be­nach­tei­lig­ten, der ne­ben dem Glücks­pilz zum Zwangs­in­ven­tar der­ar­ti­gen Kla­mauks zählt. Doch bald be­fällt mich der Wunsch die Sa­che auf­zu­klä­ren. We­gen der Un­er­füll­bar­keit die­ses An­sin­nens wer­de ich schließ­lich so ner­vös, daß ich Film, Stück oder Ro­man verlasse.

Will­kom­men auf Ski­os“ ha­be ich zu En­de ge­le­sen. Ein frü­he­rer Ro­man des Au­tors, „Das Spio­na­ge­spiel“ hat­te mich be­ein­druckt. Auch der neue Ro­man Frayns ist sti­lis­tisch sehr gut ge­macht. Wort­spie­le und An­spie­lun­gen ent­lar­ven die nicht nur aka­de­mi­schen Ei­tel­kei­ten. Die ra­schen Wech­sel von Per­spek­ti­ve und Schau­plät­zen en­den stets mit ei­nem Cliff­han­ger, der ho­hes Le­se­tem­po er­zeugt. Trotz­dem ver­moch­te der In­halt der Sto­ry nicht mein In­ter­es­se zu we­cken. Der Hu­mor wirkt nicht schwarz und eng­lisch son­dern plump und dick auf­ge­tra­gen. Im­mer­hin bie­ten ei­ni­ge bril­lan­te Dia­lo­ge Ver­gnü­gen. Aber das war’s dann auch. Die in­tel­lek­tu­el­le Her­aus­for­de­rung ei­ner ei­ni­ger­ma­ßen plau­si­blen Auf­lö­sung die­ses Kud­del­mud­dels spart sich Frayn. Sei­ne Bou­le­vard­ko­mö­die mün­det in ei­ner Slap­stick-Ex­plo­si­on. Üb­rig blei­ben Trüm­mer und hei­ße Luft.

Mi­cha­el Frayn, Will­kom­men auf Ski­os, Carl Han­ser Ver­lag, Mün­chen 2012