Das große Yadayadayada

In „Schöne Seelen“ vereint Philipp Tingler Society-Satire mit Psycho-Persiflage

TinglerSo al­so war die Ge­sell­schaft be­schaf­fen. Der Ein­druck, den ein un­be­fan­ge­ner Be­ob­ach­ter hät­te emp­fan­gen kön­nen (wenn es die­sen Be­ob­ach­ter nur je ge­ge­ben hät­te), war fol­gen­der: mit­tel­mä­ßi­ge Men­schen von meist zwei­fel­haf­ter Lie­bens­wür­dig­keit, die, wäh­rend sie vor­ga­ben, über die letz­ten Din­ge und ers­ten Wich­tig­kei­ten zu spre­chen, ei­gent­lich nur wech­sel­sei­tig ih­ren Auf­zug mus­ter­ten und ver­such­ten, zu ta­xie­ren, was die­se Fen­di-Ta­sche aus Foh­len, Nerz und Weiß­gold ge­kos­tet ha­ben moch­te. (…) Die Ge­sich­ter wa­ren mit Hyalu­ron­säu­re ge­füllt und von Ei­tel­keit aus­ge­so­gen und zeig­ten oft ge­nug den se­li­gen Aus­druck je­ner Nar­ren, die sich von ih­rer ei­ge­nen Be­schränkt­heit näh­ren, vor ver­meint­li­cher Ge­sund­heit strot­zen und dau­ernd da­mit be­schäf­tigt schei­nen, sich selbst zuzulächeln,…“

Der bö­se Blick auf die Ge­sell­schaft ist ei­ne be­lieb­te Spiel­art der Li­te­ra­tur. Do­ro­thy Par­ker oder Her­bert Ro­sen­dor­fer wa­ren dar­in Meis­ter, die sich selbst durch­aus mit ein­schlos­sen. Der Phi­lo­soph und Au­tor Phil­ipp Tin­gler un­ter­nimmt in sei­nem neu­en Ro­man  Schö­ne See­len ei­ne ent­spre­chen­de Ana­ly­se der Schö­nen und Rei­chen der Schweiz. Ge­nau­er ge­sagt Genf, „wo der zwing­lia­ni­sche Re­pres­si­ons­druck seit je­her das Ir­re­wer­den be­güns­tigt“.

Dort er­liegt in der Schön­heits­kli­nik vor den To­ren der Stadt ei­ne Da­me nicht ein­schätz­ba­ren Al­ters „den Fol­gen der dau­ern­den Raf­fung und Straf­fung“. Zu­vor bringt sie um­ge­ben von Lou­is XV. Ses­seln und Duft­ker­zen von Di­pty­que ih­re An­ge­le­gen­hei­ten in Ord­nung oder eher in Un­ord­nung. Ihr Na­me, Mill­vina van Runk­le, zeigt, wel­chen Spaß Tin­gler beim Schrei­ben an­schei­nend hat­te. Auch sein üb­ri­ges Per­so­nal tauft er mit phan­ta­sie­vol­lem Witz, der al­ler­dings bis­wei­len ka­lau­ernd kracht. Sei’s drum, Mop­si van Starn­berg oder die Bot­schafts­rä­tin Bit­ten­hump­ler fü­gen sich aufs Bes­te in das „Mi­lieu der Ner­ze und Nar­ko­ti­ka“. In die­sem be­we­gen sich auch die Freun­de Os­kar und Vik­tor. Vik­tor wird von sei­ner Gat­tin Mild­red zur The­ra­pie ge­drängt, um ihr Ver­hält­nis zu­ein­an­der zu ver­bes­sern. Os­kar Ca­now, be­kannt aus Tin­glers Ro­man „Dok­tor Phil“ lei­det hin­ge­gen nicht an sei­ner Ehe, son­dern an ei­ner schrift­stel­le­ri­schen Schaf­fens­kri­se. Ta­ten­los, faul, aber reich gibt er dem Drän­gen des Freun­des nach an sei­ner statt zum Psy­cho­lo­gen zu ge­hen. Wäh­rend Vik­tor statt The­ra­pie lie­ber Thea­ter im Se­nio­ren­zen­trum Sy­de­fä­de­li spielt, setzt sich Os­kar in den Ses­sel von Dok­tor Leo­nid Hock­städ­der. Er ist der an­ge­sag­te Ana­ly­ti­ker der zah­lungs­fä­hi­gen Zü­ri­cher, die sich eben al­les tei­len, was schick ist, Fri­seur, Arzt und An­walt. So­gar den In-In­nen­de­ko­ra­teur, der ne­ben Woh­nun­gen auch schon mal ei­ne Be­er­di­gung in­sze­niert. Os­kar er­hofft sich Stoff und In­spi­ra­ti­on wäh­rend er dem The­ra­peu­ten ei­ne Kri­se vor­gau­kelt, von der er und sei­ne Frau mei­len­weit ent­fernt schei­nen. Oder viel­leicht auch nicht? Lau­ren, de­ren Spra­che sie als Ame­ri­ka­ne­rin aus­weist, hält Os­kars Freund­schafts­dienst je­den­falls für „Bol­locks“. So­weit der Plot, der am En­de die schi­cken Schö­nen noch in die Schein­welt Las Ve­gas führt, ein pas­sen­der Ort für das Show-Down.

Ein­fach ein­zu­ord­nen ist der Ro­man nicht. Ne­ben der So­cie­ty-Sa­ti­re, die gleich zu Be­ginn ei­nen ful­mi­nan­ten Hö­he­punkt bie­tet ‑man den­ke nur an das ster­ben­de „So­cial Ske­le­ton“ Mill­vina, das sich vor al­lem an­de­ren vor den Ka­lo­rien der Glu­ko­se-In­fu­si­on fürch­tet- schwankt der Ro­man zwi­schen Psycho-Per­si­fla­ge und Schi­cki­mi­cki-Chick-Lit. Ge­ra­de die Stell­ver­tre­ter-The­ra­pie weist ne­ben viel Ge­plap­per, Ya­da­ya­da­ya­da so Tin­glers an Sein­feld ori­en­tier­te Wort­wahl, Schwä­chen auf. Spit­ze Iro­nie mischt sich mit Rat­schlä­gen aus der Selbst­hil­fe-Li­te­ra­tur und plum­pen Läs­te­rei­en. Ge­lun­gen sind die Ge­sell­schaft-Sze­nen, in de­nen sich Sät­ze wie die­ser fin­den, „Ei­ne deut­sche Kran­ken­schwes­ter! Das ist un­ge­fähr das­sel­be wie ein ita­lie­ni­scher Po­li­zist, wenn du ver­stehst, was ich mei­ne.“ Do­ro­thy Par­ker hät­te dies zum Fünf-Uhr-Mar­ti­ni nicht tref­fen­der for­mu­lie­ren kön­nen. Eben­so wie sie ist Phil­ipp Tin­gler, wie er als Kri­ti­ker im Schwei­zer Li­te­ra­tur­club zeigt, für sei­ne scharf­zün­gi­ge Elo­quenz be­kannt. Do­ro­thy Par­ker be­vor­zug­te die kur­ze Va­ri­an­te der li­te­ra­ri­schen Form, viel­leicht ist die­se für ei­ne Ge­sell­schafts-Sa­ti­re bes­ser ge­eig­net als ein kom­plet­ter Roman.

Philipp Tingler, Schöne Seelen, 1.Aufl. 2015, Kein&Aber

2 Gedanken zu „Das große Yadayadayada“

  1. Uh, Kers­tin, das klingt ja schlimm. Nun gut, da ich Phil­ip Tin­gler schon im Li­te­ra­tur­club nicht mag, wä­re ich wohl kaum Ge­fahr ge­lau­fen, die­ses Buch zu kau­fen. Aber Dei­ne Re­zen­si­on warnt mich um­so ein­drück­li­cher. Das klingt, als sei Phil­ip Tin­gler als Au­tor eben­so selbst­ver­liebt wie die Ge­sell­schaft, die er be­schreibt. Gruselig.

    1. So schlimm dann doch nicht, Tho­mas. Vie­le Sze­nen sind als Ge­sell­schafts-Sa­ti­re sehr amü­sant. Nur als Ro­man hat das Gan­ze für mich nicht funk­tio­niert, als Kurz­ge­schich­ten schon.

      Wie Du weißt, ha­be ich ge­ra­de weil mir Tin­gler als Li­te­ra­tur­club-Kri­ti­ker ge­fällt, sei­nen Ro­man le­sen wol­len. Wenn die Rol­len von Kri­ti­ker und Au­tor ver­knüpft wer­den, mag dies per se ein ge­fähr­li­ches Un­ter­fan­gen sein. In die­sem Fall ist das Er­geb­nis aber gut zu le­sen, in dem ei­nes an­de­ren Kri­ti­ker­kol­le­gen klingt es wirk­lich schlimm.

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