„Die Kaktusfrau”, zum letzten Erzählungsband von Herbert Rosendorfer (1934–2012)
Gibt es einen besseren Ort als Rom um mit Herbert Rosendorfer Bekanntschaft zu schließen? Eines seiner Bücher gab mir dort und damals eine Freundin, die dieses wiederum von einer Kollegin erhalten hatte, die sich der Erforschung kurioser antiker Automaten widmete. Dass dies keine Zufälle sein konnten, begriff ich, als ich mit großem Vergnügen meinen ersten Rosendorfer las. Die „Briefe in die chinesische Vergangenheit“ wurden in ihrer leichten, selbstironischen Art zu einer Einstiegsdroge, die nach weiteren derartigen Sensationen verlangte. Zum Glück besaß der Autor, der als Jurist arbeitete, schon damals ein umfassendes Oeuvre. Ich las und lachte mich durch zahlreiche Romane und Erzählungen, von denen mich „Der Ruinenbaumeister“ mit seinen labyrinthischen Verästelungen voll grotesker Überraschungen besonders beeindruckte.
Es muss Jahre gegeben haben, in denen ich nichts als Rosendorfer gelesen habe. Zumindest kann ich mich nicht an Anderes erinnern. Seine Bücher bildeten und amüsierten mich, ich traf in ihnen alte Bekannte mit Kleppermantel und skurrile Gestalten, die bei genauer Analyse lediglich so absonderlich waren wie Du und ich. Rosendorfers Blick ist unbestechlich, er entlarvt Schwächen, Eitelkeiten und jede Heuchelei ohne Unterschied von Status und Stellung. Auch oder gerade bei klerikalem Personal kennt er kein Pardon. Diverse Vertreter dieser Spezies tummeln sich in Rom, wo einige seiner Geschichten spielen.
Ebenfalls dort angesiedelt ist „Ein Liebhaber ungerader Zahlen“. Mit dieser Satire auf den Literaturbetrieb, die zugleich eine Liebeserklärung an den römischen Marmor ist, hat Rosendorfer den Roman ersonnen, den ich jedes Jahr wieder lese.
Nun liegt „Die Kaktusfrau“, sein letzter Band mit Erzählungen vor. Grün spielt in ihnen eine tragende Rolle. Schon auf dem Titelbild strahlt es grünlich durch den Nadelwald, hinter einem Stamm verbirgt sich ein seltsamer Frosch. Ein derartiges Wesen ist Protagonist der ersten Geschichte und erhält mit einer Kaktusfrau und einem Hamster weitere grüne Kollegen. Rosendorfer erzählt von einem Generalmajor à la Gogol, der anstatt seinen meteorologischen Dienst zu leisten ganz unamphibischen Vergnügungen nachgeht. In einer anderen Geschichte begegnen wir einem gutmütigen Zeitgenossen, der sich von einem Zechkumpan einen Kaktus mit beträchtlichem Mutationspotential andrehen lässt. Neben zahllosen Sankten und Sacrosankten der abgelegensten Martyrien, neben Meleagrinus, Piuselius, Coronaris wie weiteren Päpsten und Sakkophoren, bieten die weiblichen Lieblingsgestalten des Dichters tiefste Einblicke und tragen kaum mehr als langärmelige Goldfadenmäntel. Erinnert sei hier an andere Kunststücke Rosendorfers. Doch es treten auch ganz und gar ernsthafte Damen auf, die ihr Werk dem Papst widmen, wie die Salzteigkünstlerin und Witwe General Fuchsbeißers, seines Zeichens Reformator des Feldlatrinenwesens.
Dies sind nur kurze Einblicke in die Einfälle dieses Bandes, der auch einen geheimnisvollen Ausflug nach Venedig bereit hält. Insgesamt sind sie nicht minder zahlreich als grotesk. Sie verführen mehr zum Staunen als zum Lachen und lassen ahnen, daß der Autor selbst sich von ihnen hat fort tragen lassen. Eine der schönsten Phantastereien besitzt den Titel „Am Himmels Tor“, vor diesem stand Herbert Rosendorfer, wenn man so will, selbst am 20. September. Möge auch er von einem kleinen Flügelwesen in die griechische Götterwohnstätte geleitet worden sein, denn dort gehört dieser Dichter allemal hin.
Herbert Rosendorfer, Die Kaktusfrau. Erzählungen, Kiepenheuer&Witsch, 1. Aufl. 2012