Teltower Krähen

Hartmut Lange erkundet in neuen Novellen die „Ewigkeit des Augenblicks“

Durch ei­ne Leih­ga­be, für die ich nicht zu­letzt durch die­sen Blog­bei­trag dan­ken möch­te, wur­de ich auf ei­nem mir bis da­to un­be­kann­ten Schrift­stel­ler auf­merk­sam, den am 31. März 1937 ge­bo­re­nen Schrift­stel­ler und Dra­ma­turg Hart­mut Lan­ge. Für sein li­te­ra­ri­sches Werk, Lan­ge gilt als Meis­ter der No­vel­le, er­hielt er 2003 den Italo-Svevo-Preis.

Sein neu­es Buch „Das Haus in der Do­ro­theen­stra­ße“ um­fasst fünf No­vel­len, von de­nen nicht nur die ti­tel­ge­ben­de äu­ßerst be­ein­druckt. Ge­mein­sam ist al­len die Hand­lungs­re­gi­on. Sie liegt im Süd­wes­ten Ber­lins am Tel­tow­ka­nal und wird bis auf ein­zel­ne Stra­ßen­na­men prä­zi­siert. All­ge­gen­wär­tig ist au­ßer­dem die Me­lan­cho­lie. Sie „Tel­tower Krä­hen“ weiterlesen

Phantastische Grotesken eines Olympiers

Die Kaktusfrau”, zum letzten Erzählungsband von Herbert Rosendorfer (1934–2012)

Gibt es ei­nen bes­se­ren Ort als Rom um mit Her­bert Ro­sen­dor­fer Be­kannt­schaft zu schlie­ßen? Ei­nes sei­ner Bü­cher gab mir dort und da­mals ei­ne Freun­din, die die­ses wie­der­um von ei­ner Kol­le­gin er­hal­ten hat­te, die sich der Er­for­schung ku­rio­ser an­ti­ker Au­to­ma­ten wid­me­te. Dass dies kei­ne Zu­fäl­le sein konn­ten, be­griff ich, als ich mit gro­ßem Ver­gnü­gen mei­nen ers­ten Ro­sen­dor­fer las. Die „Brie­fe in die chi­ne­si­sche Ver­gan­gen­heit“ wur­den in ih­rer leich­ten, selbst­iro­ni­schen Art zu ei­ner Ein­stiegs­dro­ge, die nach wei­te­ren der­ar­ti­gen Sen­sa­tio­nen ver­lang­te. Zum Glück be­saß der Au­tor, der als Ju­rist ar­bei­te­te, schon da­mals ein um­fas­sen­des Oeu­vre. Ich las und lach­te mich durch zahl­rei­che Ro­ma­ne und Er­zäh­lun­gen, von de­nen mich „Der Rui­nen­bau­meis­ter“ mit sei­nen la­by­rin­thi­schen Ver­äs­te­lun­gen voll gro­tes­ker Über­ra­schun­gen be­son­ders beeindruckte.

Es muss Jah­re ge­ge­ben ha­ben, in de­nen ich nichts als Ro­sen­dor­fer ge­le­sen ha­be. Zu­min­dest kann ich mich nicht an An­de­res er­in­nern. Sei­ne Bü­cher bil­de­ten und amü­sier­ten mich, ich traf in ih­nen al­te Be­kann­te mit Klep­per­man­tel und skur­ri­le Ge­stal­ten, die bei ge­nau­er Ana­ly­se le­dig­lich so ab­son­der­lich wa­ren wie Du und ich. Ro­sen­dor­fers Blick ist un­be­stech­lich, er ent­larvt Schwä­chen, Ei­tel­kei­ten und je­de Heu­che­lei oh­ne Un­ter­schied von Sta­tus und Stel­lung. Auch oder ge­ra­de bei kle­ri­ka­lem Per­so­nal kennt er kein Par­don. Di­ver­se Ver­tre­ter die­ser Spe­zi­es tum­meln sich in Rom, wo ei­ni­ge sei­ner Ge­schich­ten spielen.

Eben­falls dort an­ge­sie­delt ist „Ein Lieb­ha­ber un­ge­ra­der Zah­len“. Mit die­ser Sa­ti­re auf den Li­te­ra­tur­be­trieb, die zu­gleich ei­ne Lie­bes­er­klä­rung an den rö­mi­schen Mar­mor ist, hat Ro­sen­dor­fer den Ro­man er­son­nen, den ich je­des Jahr wie­der lese.

Nun liegt „Die Kak­tus­frau“, sein letz­ter Band mit Er­zäh­lun­gen vor. Grün spielt in ih­nen ei­ne tra­gen­de Rol­le. Schon auf dem Ti­tel­bild strahlt es grün­lich durch den Na­del­wald, hin­ter ei­nem Stamm ver­birgt sich ein selt­sa­mer Frosch. Ein der­ar­ti­ges We­sen ist Prot­ago­nist der ers­ten Ge­schich­te und er­hält mit ei­ner Kak­tus­frau und ei­nem Hams­ter wei­te­re grü­ne Kol­le­gen. Ro­sen­dor­fer er­zählt von ei­nem Ge­ne­ral­ma­jor à la Go­gol, der an­statt sei­nen me­teo­ro­lo­gi­schen Dienst zu leis­ten ganz un­am­phi­bi­schen Ver­gnü­gun­gen nach­geht. In ei­ner an­de­ren Ge­schich­te be­geg­nen wir ei­nem gut­mü­ti­gen Zeit­ge­nos­sen, der sich von ei­nem Zech­kum­pan ei­nen Kak­tus mit be­trächt­li­chem Mu­ta­ti­ons­po­ten­ti­al an­dre­hen lässt. Ne­ben zahl­lo­sen Sank­ten und Sacro­sank­ten der ab­ge­le­gens­ten Mar­ty­ri­en, ne­ben Me­le­ag­ri­nus, Pi­use­li­us, Co­ro­na­ris wie wei­te­ren Päps­ten und Sak­ko­pho­ren, bie­ten die weib­li­chen Lieb­lings­ge­stal­ten des Dich­ters tiefs­te Ein­bli­cke und tra­gen kaum mehr als lang­är­me­li­ge Gold­fa­den­män­tel. Er­in­nert sei hier an an­de­re Kunst­stü­cke Ro­sen­dor­fers. Doch es tre­ten auch ganz und gar ernst­haf­te Da­men auf, die ihr Werk dem Papst wid­men, wie die Salz­teig­künst­le­rin und Wit­we Ge­ne­ral Fuchs­bei­ßers, sei­nes Zei­chens Re­for­ma­tor des Feldlatrinenwesens.

Dies sind nur kur­ze Ein­bli­cke in die Ein­fäl­le die­ses Ban­des, der auch ei­nen ge­heim­nis­vol­len Aus­flug nach Ve­ne­dig be­reit hält. Ins­ge­samt sind sie nicht min­der zahl­reich als gro­tesk. Sie ver­füh­ren mehr zum Stau­nen als zum La­chen und las­sen ah­nen, daß der Au­tor selbst sich von ih­nen hat fort tra­gen las­sen. Ei­ne der schöns­ten Phan­tas­te­rei­en be­sitzt den Ti­tel „Am Him­mels Tor“, vor die­sem stand Her­bert Ro­sen­dor­fer, wenn man so will, selbst am 20. Sep­tem­ber. Mö­ge auch er von ei­nem klei­nen Flü­gel­we­sen in die grie­chi­sche Göt­ter­wohn­stät­te ge­lei­tet wor­den sein, denn dort ge­hört die­ser Dich­ter al­le­mal hin.

Her­bert Ro­sen­dor­fer, Die Kak­tus­frau. Er­zäh­lun­gen, Kiepenheuer&Witsch, 1. Aufl. 2012