Pompejanische Politsatire

Eugen Ruge ist mit „Pompeji oder Die fünf Reden des Jowna“ der wohl lustigste Roman über die untergegangene Stadt gelungen

Ach die Leu­te.“ Li­via zuck­te mit den Schul­tern. „Die sind so ver­gess­lich wie das Schilf! Nie­mand in­ter­es­siert sich für das, was du ges­tern ge­sagt hast. Sie wol­len wis­sen, was du heu­te sagst. Die po­li­ti­sche Wahr­heit, mein Lie­ber, ist kei­ne Fra­ge von Fak­ten und Beweisen.“

 „Ver­giss, lie­ber Le­ser, al­les, was du je­mals über Pom­pe­ji ge­hört hast.“

 Über Pom­pe­ji, die im süd­li­chen Kam­pa­ni­en ge­le­ge­ne Pro­vinz­stadt, die durch die kon­ser­vie­ren­de Wir­kung ei­nes Vul­kans im Jahr 79 n. Chr. zu Welt­ruhm ge­lang, wur­de viel ge­schrie­ben. Wis­sen­schaft­li­ches füllt gan­ze Bi­blio­the­ken. Doch auch fik­tio­na­le Li­te­ra­tur ent­stand, kaum hat­ten die Schatz­grä­ber des Bour­bo­nen-Kö­nigs ih­re Lö­cher in die ver­sun­ke­ne Stadt ge­bohrt. Das Er­stau­nen über die vor­ge­fun­de­nen, an­nä­hernd in­tak­ten Woh­nun­gen und Stadt­struk­tu­ren, ins­be­son­de­re über die Res­te der Pom­pe­ja­ner selbst, die Jah­re spä­ter Fio­rel­li durch Gips­aus­güs­se an­schau­lich mach­te, reg­ten die Phan­ta­sie vie­ler Schrift­stel­ler an. Was war wohl ge­sche­hen in den letz­ten Ta­gen der Stadt? Man­chen wie Ed­ward Bul­wer-Lyt­ton oder Ro­bert Har­ris ge­lang ein Pu­bli­kums­er­folg. Nicht sel­ten trifft man auf an Best­sel­lern ge­schul­te Ex­per­ten, die ei­nen über das de­ka­den­te Trei­ben der Pom­pe­ja­ner aufklären.

Da die schrift­stel­le­ri­sche Phan­ta­sie nie­mals en­det, wer­den auch wei­ter­hin Ro­ma­ne über Pom­pe­ji ge­schrie­ben. Der neu­es­te ist aus der Fe­der von Eu­gen Ru­ge und trägt den Ti­tel „Pom­pe­ji oder Die fünf Re­den des Jow­na“. Doch möch­te man ihn le­sen, wenn man eher die an­de­ren Bü­cher über die „Pom­pe­ja­ni­sche Po­lit­sa­ti­re“ weiterlesen

A🏆ypse now”

Daniel Wisser schreibt in „Wir bleiben noch“ über das Schräge und das Schöne unserer Zeit

Vic­tor wur­de klar, dass er die Re­ak­ti­on der Fa­mi­lie un­ter­schätzt hat­te. Doch er hat­te auch sei­nen ei­ge­nen Wi­der­stands­geist un­ter­schätzt. In dem Mo­ment, in dem sei­ne ei­ge­ne Mut­ter ihm sei­ne Kind­heits­fo­tos aus­hän­dig­te, weil sie da­für nach ei­ge­nen Wor­ten kei­nen Platz mehr hat­te, in dem Mo­ment, in dem sie zu­sam­men mit sei­ner Tan­te mit al­len recht­li­chen Mit­teln ge­gen den Letz­ten Wil­len der ei­ge­nen Mut­ter vor­ging, be­gann Vic­tor, sie und ih­re gan­ze Ge­ne­ra­ti­on zu ver­ach­ten. Ih­re El­tern hat­ten kämp­fen müs­sen, da­mit die Kin­der über­leb­ten, da­mit sie zur Schu­le, zur Uni­ver­si­tät ge­hen und im Wohl­stand le­ben konn­ten. Doch als die Ge­ne­ra­ti­on von Vic­tors Mut­ter und Tan­te Mar­ga­re­te in ih­rer Ju­gend ih­re Schein­idea­le aus­ge­lebt hat­te, wähl­te sie Rechts­par­tei­en und for­der­te die Schein­mo­ral, die sie an ih­ren El­tern kri­ti­siert hat­te, neu­er­dings von ih­ren Nach­kom­men. Da­bei sprach sie über ih­re Ju­gend so we­nig wie die Kriegs­ge­nera­ti­on, der sie ihr Schwei­gen im­mer zum Vor­wurf ge­macht hat­te. Sie hat­te ei­nen ma­xi­ma­len Ge­winn aus dem wach­sen­den Wohl­stand in ih­rer Ju­gend, aus den Ar­beits­be­din­gun­gen der 60er- bis 90er-Jah­re und schließ­lich aus ih­ren Pen­sio­nen, von de­nen die Ge­ne­ra­ti­on ih­rer Kin­der nur träu­men konn­te. Das Frie­dens- und Frei­heits­ge­schwätz, mit dem sie ih­ren El­tern und sich selbst auf die Ner­ven ge­fal­len war, küm­mer­te sie nicht mehr. Die tra­di­tio­nel­len Par­tei­en, die ih­nen ih­ren Wohl­stand ver­schafft hat­ten, küm­mer­ten sie nicht mehr. Sie wa­ren Rechts­po­pu­lis­ten ge­wor­den, weil nun kein Platz mehr war. Ei­ne trä­ge, selbst­ge­rech­te, un­mensch­li­che Generation.“

Wie wür­de Vic­tor die neu­es­ten po­li­ti­schen Ent­wick­lun­gen in sei­nem Hei­mat­land Ös­ter­reich kom­men­tie­ren? Über­rascht vom Kor­rup­ti­ons­ver­dacht ge­gen Kurz und Co wä­re der über­zeug­te So­zi­al­de­mo­krat wohl kaum. Des­sen Sicht auf Po­li­tik und un­se­re west­li­che Ge­sell­schaft würzt Wis­ser mit ei­ner ge­hö­ri­gen Por­ti­on Iro­nie. Sei­nen Hu­mor gab Wis­ser be­reits in „Die Let­ten wer­den die Es­ten sein“ zu er­ken­nen, ei­ne Pro­duk­ti­on sei­ner Band „Ers­tes Wie­ner Heim­or­ge­l­or­ches­ter“ und er ver­sieht ihn mit bit­te­ren An­klän­gen in sei­nem neu­en Ro­man „Wir blei­ben noch“.

Die Lust an der sprach­spie­le­ri­schen Sa­ti­re scheint et­was Ös­ter­rei­chi­sches zu sein. Sie prägt die Li­te­ra­tur von Wolf Haas eben­so wie die von Mi­cha­el Zie­gel­wag­ner. Es muss an der Luft oder am viel be­sun­ge­nen Wie­ner-Blut A🏆ypse now”“ weiterlesen

Komm, das schaffst du schon.“

Die Kanzlerin – Eine Fiktion“ Konstantin Richters Eloge auf Angela Merkel

Dies ist ein Ro­man und da­mit Fik­ti­on und kei­ne Do­ku­men­ta­ti­on tat­säch­li­cher Ge­scheh­nis­se. Das Buch er­hebt al­so in kei­ner Wei­se den An­spruch, die ge­schil­der­ten Vor­gän­ge könn­ten wahr sein und sich so zu­ge­tra­gen haben.“

Die Kanz­le­rin der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land scheint nicht nur po­li­tisch ein Dau­er­bren­ner zu sein. Be­liebt ist sie auch als li­te­ra­ri­sche Fi­gur. Man be­geg­net ihr als be­sorg­te Bea­gle-Be­sit­ze­rin und im Na­tur­idyll mit Pflau­men­ku­chen. An­ders als bei dem jetzt vor­lie­gen­den Buch von Kon­stan­tin Rich­ter ha­ben Kars­ten Fl­ohr und Ul­rich Trei­chel sie je­doch nicht zur ih­rer Haupt­fi­gur ge­macht. Bei Fl­ohr tritt sie als Bei­werk der bea­g­le­do­mi­nier­ten Rah­men­hand­lung erst ge­gen En­de per­sön­lich auf. In Trei­chels Ro­man ist sie ei­ne iro­ni­sier­te Zu­tat. In Die Kanz­le­rin – Ei­ne Fik­ti­on steht An­ge­la Mer­kel im Mit­tel­punkt ei­nes sich je­der Gat­tung ent­zie­hen­den Buchs .

Als Jour­na­list ist Rich­ter, wie das hin­te­re Blatt ver­kün­det, ein Ken­ner sei­nes Ge­gen­stands, den er laut Un­ter­ti­tel mit Fik­ti­on auf­lädt. Das Buch möch­te ein Ro­man sein, doch nicht nur der Um­fang lässt dar­an zwei­feln. 172 Sei­ten hat Kein & Aber mit Le­se­bänd­chen ver­se­hen und in Lei­nen ge­bun­den. Hoff­nungs­voll him­mel­blau leuch­tet es, wie das Kleid der Kanz­le­rin Komm, das schaffst du schon.““ weiterlesen

Die Konvertiten

Michel Houellebecq karikiert in „Unterwerfung“ Missstände in Gesellschaft und Religion

HouellebecqNicht nur der Sex hat­te für Huys­mans nie­mals die Be­deu­tung, die er ihm un­ter­stell­te, son­dern das­sel­be galt mit Si­cher­heit auch für den Tod, die exis­ten­ti­el­len Ängs­te spiel­ten für ihn kei­ne Rol­le. Was ihn an der be­rühm­ten Kreu­zi­gung von Grü­ne­wald so sehr be­wegt hat­te, war nicht die Dar­stel­lung des To­des­kamp­fes Chris­ti ge­we­sen, son­dern die sei­ner kör­per­li­chen Qua­len, wo­mit Huys­mans auch in die­sem Punkt al­len an­de­ren Men­schen glich, de­nen ihr ei­ge­ner Tod im All­ge­mei­nen mehr oder min­der gleich­gül­tig ist; ih­re ein­zi­ge wirk­li­che Sor­ge be­steht dar­in, der kör­per­li­chen Qual so weit wie mög­lich zu entkommen. (…)

Das ein­zi­ge ech­te The­ma von Huys­mans war das bür­ger­li­che Glück, ein für Jung­ge­sel­len auf schmerz­haf­te Wei­se un­er­reich­ba­res bür­ger­li­ches Glück, …“

Die­se Er­kennt­nis er­langt Fran­çois, der 44jährige Ich-Er­zäh­ler, ge­gen En­de des Ro­mans „Un­ter­wer­fung. Sein Au­tor, Mi­chel Hou­el­le­becq, kri­ti­siert in die­ser ak­tu­el­len Sa­ti­re kol­lek­ti­ve wie in­di­vi­du­el­le Zu­stän­de, die er ent­lang der Ent­wick­lung sei­nes Hel­den erzählt.

Fran­çois, ein agnos­ti­scher Mis­an­throp, hat sich seit sei­ner Dis­ser­ta­ti­on über Jo­r­is-Karl Huys­mans voll­kom­men sei­nem For­schungs­ge­gen­stand ver­schrie­ben. Der fran­zö­si­sche Dan­dy und Li­te­rat dient „Die Kon­ver­ti­ten“ weiterlesen