„Die Kanzlerin – Eine Fiktion“ Konstantin Richters Eloge auf Angela Merkel
„Dies ist ein Roman und damit Fiktion und keine Dokumentation tatsächlicher Geschehnisse. Das Buch erhebt also in keiner Weise den Anspruch, die geschilderten Vorgänge könnten wahr sein und sich so zugetragen haben.“
Die Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland scheint nicht nur politisch ein Dauerbrenner zu sein. Beliebt ist sie auch als literarische Figur. Man begegnet ihr als besorgte Beagle-Besitzerin und im Naturidyll mit Pflaumenkuchen. Anders als bei dem jetzt vorliegenden Buch von Konstantin Richter haben Karsten Flohr und Ulrich Treichel sie jedoch nicht zur ihrer Hauptfigur gemacht. Bei Flohr tritt sie als Beiwerk der beagledominierten Rahmenhandlung erst gegen Ende persönlich auf. In Treichels Roman ist sie eine ironisierte Zutat. In Die Kanzlerin – Eine Fiktion steht Angela Merkel im Mittelpunkt eines sich jeder Gattung entziehenden Buchs .
Als Journalist ist Richter, wie das hintere Blatt verkündet, ein Kenner seines Gegenstands, den er laut Untertitel mit Fiktion auflädt. Das Buch möchte ein Roman sein, doch nicht nur der Umfang lässt daran zweifeln. 172 Seiten hat Kein & Aber mit Lesebändchen versehen und in Leinen gebunden. Hoffnungsvoll himmelblau leuchtet es, wie das Kleid der Kanzlerin bei den Wagner-Festspielen 2016, als sie sich an den im gleichen Blau strahlenden Spätsommerhimmel 2015 erinnert und an die Ereignisse, die auf sie, auf Deutschland und auf die Welt einstürzten. Entsprechend der Realität sollte die Rangfolge der Aufzählung anders lauten, doch in der Kanzlerinnen-Fiktion steht die Figur Merkel an erster Stelle. Ausgerechnet eine Wagner-Oper nutzt sie zum Rückblick, Tristan und Isolde dient als Rahmenhandlung und lässt nebenbei den Konflikt mit dem Bayernboss anklingen.
Richters Kanzlerin kommt ins Grübeln. Mag sie diese Oper, die sie oft und gerne gesehen hatte, tatsächlich? Mag sie überhaupt Wagner und seine Musik? Wendepunktsignale tauchen früh auf in diesem Buch und bereiten den Wandel der Figur vor. „Sie wusste oft nicht, was sie empfand. Sie hatte keine Sprache dafür.“ Gefühle sind ihre Sache nicht, was Richter mit Verweis auf die wohlbekannte Begegnung mit dem Flüchtlingsmädchen untermauert.
Er erzählt seine Geschichte entlang der Ereignisse vom Sommer 2015 bis zum Sommer 2016. Er nimmt die Berichterstattung auf, auch die Spekulationen über die Beweggründe von Merkels „Wir schaffen das“. Und er erfindet für seine Figur Gefühle, die ihr Handeln illustrieren sollen. Das wirkt, als werbe Richter um Verständnis, als erkläre ein Wissender Ahnungslosen die Kanzlerin. Die profitiert bei Richter davon sogar selbst „manchmal brachte sie die Lektüre sogar auf neue Ideen oder gewährte ihr einen Einblick in das eigene Wesen“.
Neben intensiven inneren, selbstverständlich fiktionalen Monologen der Kanzlerin handelt Richter biographische Details aus dem Leben Merkels ab, benennt persönliche Eigenschaften, erinnert an ihre politischen Stationen und konkrete Ereignisse. Und steuert mit Phantasie und vielleicht wie seine Figur auch dank eines dänischen Rieslings eine Legende um die Genesis der berühmten Rede bei.
Fast alle real existierenden Personen werden namentlich genannt, sei es Sauer, der mit Pflaumenkuchen beglückt, Seehofer, der mit smileybestückten SMS ruhiggestellt oder der in jeder Weise verschnupfte Innenminister. Nur der „große Schriftsteller mit Haus am Bodensee“ bleibt seltsamerweise namenlos. Verständlicher ist dies bei dem jungen Social Media Analyst, der trotz tragender Rolle, eine klischeehafte Figur bleibt. Ein digital native mit Smartphone gestörter Aufmerksamkeit organisiert Merkels Geheimprojekt bevor dann doch alles so kommt, wie wir es bereits zur Genüge gehört, gesehen und gelesen haben. Den Protesten begegnet Richters Kanzlerin mit Alpträumen und Ratlosigkeit. Ob Walser, der weise Mann vom Bodensee, weiter weiß? Ein Anruf hilft nicht und so begibt sie sich zur Bewältigung ihrer Empathie schließlich in die Hände einer Therapeutin, zwar nur einer Ergo- , aber dafür der denkbar schwesterlichsten.
Man muss diesen als Roman getarnte Eloge nicht lesen, man kann es aber schnell ohne Langeweile und dank manchen Seitenhiebs nicht nur auf kommunale Politiker auch mit einigem Amüsement. Am Ende wird man, besonders im Hinblick auf diesen „Roman“ der Kanzlerin zustimmen: „Manchmal, wenn ich die Zeitung aufschlage, komme ich mir so vor, als liege ich für das ganze Land auf der Couch. Alle deuteln an mir herum, und es gibt keine Theorie über mich, die ich nicht schon irgendwo gelesen habe. Ich hab das satt. Das bringt mich nicht weiter.“