Michael Ziegelwagner sinniert in „Der aufblasbare Kaiser“ über den Moment
Bücher fallen mitunter schon durch ihr Äußeres ins Auge. So verspricht der neue Roman „Der aufblasbare Kaiser
“ durch seinen Titel, das Porträt eines Dandys mit Pornobrille und das Foto des Autors mit Nickelbrille geballte Skurrilität. Als Österreicher, Satiriker und Mitglied der Titanic-Crew kommentiert Michael Ziegelwagner unsere „vollumfängliche Daseinsunsicherheit“. Unter dieser leidet, ähnlich den Figuren Wilhelm Genazinos, Ziegelwagners Protagonistin, die 26-jährige Vera Beacher. Sie notiert:
„Annahme 1. Das Leben ist nichts wert, wenn es uns nicht gelingt hin und wieder einen Moment herauszulösen.
Annahme 2. Was wir herauslösen, soll außergewöhnlich sein.
Annahme 3. Unsere wichtigsten Erfahrungen sollten wir am Anfang unseres Lebens machen. Wir werden sie noch haben, wenn die meisten Menschen, die sie geteilt haben, weggestorben sind. Sie gehören uns dann exklusiv.
Annahme 3a. Darum sollte möglichst etwas Absterbendes in unser Leben gerettet werden, das uns möglichst früh exklusiv gehört.“
Auch diese Angestellte langweilt sich im Amt dem Ruhestand entgegen, unter Aufsicht ihres faden Vorgesetzten Fronleitner, ‑nomen est omen‑, und begleitet vom Kollegentrottel. Privat teilt sich Vera mit ihrer Schwester Wohnung und Beischlafpartner.
Dass in ein solches Leben erst ein Badewannenausrutscher Bewegung bringt, wundert wenig. Veras Wunsch invalide aus dem Beruf zu scheiden erweist sich allerdings als Illusion und muss der Zufriedenheit weichen „heute später zu kommen, früher gehen und länger Mittagspause machen“ zu dürfen. Ihre Beobachtungen in der Bim führen schließlich zu einer Begegnung mit einem Hund, dessen Anblick sie mit Blick auf ein Klingelschild zu entgehen sucht. Dort annonciert der Legitimistische Club auf einem Zettel seine nächste Zusammenkunft.
Kurz darauf entdeckt Vera Beacher in einer Fernsehzeitschrift die Zentralfigur dieses Clubs, Otto von Habsburg, den Thronfolger. Vera erkennt im Prinzen den „letzten Zipfel von etwas Absterbendem“ und wir aufgrund der Habsburger-Unterlippe im Cover-Porträt S.k.k.H.
Zwischen Rauchschwaden und älteren wie jüngeren Herren nimmt Vera am Treffen der Legitimisten teil. Deren weitere Aktivitäten, zwischen die ein Junggesellinnenabschied auf diversen Nebenschauplätzen gerät, erzählt Ziegelwagner im Hauptteil seines Romans.
Mit Vergnügen folgt man den Einsichten seiner Figuren, die vom eher Allgemeinen, „Das erste warme Wochenende, und man möchte sich die Frage stellen, ob jemand die Tür vom Irrenhaus offen gelassen hat“, über Menschliches, „Einen Hund kann man sich in jedem Alter zulegen, das ist anders als mit Menschen, von denen hat man irgendwann genug“ bis zu Spezifischem reichen, „Sie dachte an Zecki, die ein Hirn hatte wie ein Kolibri und aus jedem anstrengenden Gedanken zur nächsten Assoziation entflatterte“ .
Wenn dann der Club an einer Futterkrippe ein Picknick veranstaltet, darf man sich daran erinnern, daß nicht nur Otto von Habsburg einst mit dem „Paneuropäischen Picknick“ ein solches Freiluftvergnügen instrumentalisierte, sondern auch der Autor unlängst in der FAZ zu einem als Picknick verkleideten Buchpreis-Boykott aufrief.
Mit seinem Roman erreichte Ziegelwagner die Longlist des diesjährigen Preises. Sicher nicht nur, weil eines seiner Kapitel mit Hilfe eines Hundehirns das einer Zweibeinerin analysiert. Bei aller Satire auf die Heutigen und Ewiggestrigen zeigt Ziegelwagner auf unaufdringliche Weise auch etwas anderes, die politische und persönliche Entwicklung einer jungen Frau.
Michael Ziegelwagner, Der aufblasbare Kaiser, Rowohlt Berlin, 1. Aufl. 2014
Liebe Atalante,
ich bin mitten in der Lektüre und habe daher deine Besprechung nur kurz überflogen. Ich werde diese aber bald mit zu mir „rüber nehmen”. Der Roman ist ganz unterhaltsam und ich bin gespannt wie Vera den greisen Club noch auf Vordermann bekommt …
Herzliche Grüße von der Bücherliebhaberin Vera 😉
Ganz famos kriegt vor allem Vera sich selbst auf Vorderfrau, das steht Dir ja noch bevor, im Lektüreverlauf natürlich.
Leider lag Dein Kommentar über Nacht beim Dosenfleisch. Warum, wissen die Götter oder S.k.k.H. sofern er mit ihnen picknickt.
Viele Grüße an die LongListLesenLiebhaberin Vera