Permutative Plot-Plagiate

Doris Brockmanns Kriminalroman entwickelt einen „Psychoterror der ganz eigenen Art“

Zwei­fel und Zau­dern zi­scheln, dass ihm jetzt nur noch zwei Ta­ge blie­ben, um sein groß­mau­li­ges Ver­spre­chen einzulösen.

Zu­ver­sicht und Zu­trau­en hal­ten da­ge­gen: Letz­te Nacht erst sei die Hand­lung ge­träumt wor­den! Laut Vor­ga­be lau­fe ab dann der Countdown.“

 

Als Tup­pes be­zeich­net der Rhein- bis Ruhr­län­der ei­nen durch­aus lie­bens­wür­di­gen Men­schen, der in vie­len Din­gen nicht der Al­ler­schnells­te ist. Viel­leicht war ein Vor­fah­re von Adri­an Tup­pek, der Haupt­fi­gur des Ro­mans „Das Schrei­ben die­ses Ro­mans war in­so­fern ein Glücks­fall“, auch von der­ar­ti­gem Ge­müt und epony­men Ein­fluss? Der Le­ser er­fährt es nicht. Da­für er­fährt er ei­ni­ges von den Ver­su­chen die­ses Schrift­stel­lers sei­ne chro­ni­sche Schreib­hem­mung zu über­win­den. Als men­ta­ler Coach dient Tup­pek der ös­ter­rei­chi­sche Au­tor Tho­mas Gla­vi­nic, der nach ei­ge­nem Be­kun­den sei­nen „Ka­me­ra­mör­der“ in nur sechs Ta­gen zu Pa­pier brach­te. Was die­ser schaff­te, das schaf­fe er auch, denkt Tup­pek. Und wie in man­chem Ro­man sei­nes Vor­bilds, der nicht nur mit der Me­ta­ebe­ne spielt, son­dern den Un­ter­schied zwi­schen die­ser und der Hand­lung bis­wei­len ver­wischt, treibt es auch Adri­an Tup­pek oder bes­ser Do­ris Brock­mann mit Adri­an Tup­pek. Die­ser er­lebt und er­lei­det ein „Sechs-Ta­ge-Ro­man-Pro­jekt“ vol­ler Zwei­fel, Zau­dern, Zu­ver­sicht und Zu­trau­en. Un­ter­stützt wird er von sei­nem „Le­bens­men­schen“ Le­na, Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft­le­rin im Bä­cke­rei­ver­kaufs­be­reich, die um die phleg­ma­ti­schen Pro­blem­zo­nen ih­res Part­ners weiß. Zwar kann er durch­aus li­te­ra­ri­sche Aus­zeich­nun­gen wie das „Au­toren­sti­pen­di­um der Stadt­bi­blio­the­ken Ber­gi­sches Land“ vor­wei­sen, doch der Durch­bruch blieb ihm bis­her ver­wehrt. Jetzt scheint er na­he. Tup­pek ist der­art mo­ti­viert, daß er von Ro­man­an­fän­gen nur so sprüht, doch dann dräut das scheuß­lichs­te Schick­sal des Schrift­stel­lers, das Plagiat.

Die skur­ri­len Ideen und der iro­ni­sche Stil Brock­manns er­in­nern mich zu­wei­len an Her­bert Ro­sen­dor­fer, der vor al­lem mit der Cha­rak­te­ri­sie­rung der Fi­nanz­be­am­tin sehr ein­ver­stan­den ge­we­sen wä­re. Be­son­ders die Ne­ben­fi­gu­ren er­fah­ren ei­nen gro­ßen Auf­tritt, ich hät­te ger­ne mehr ge­le­sen vom Kauf­haus­kas­sen-Tes­ter und sei­nen Ver­käu­fe­rin­nen. Aber für sie war viel­leicht nicht aus­rei­chend Platz bei all der Pro­mi­nenz, von der hier aus be­sag­ten Grün­den nur das Hem­den- und Bart­mo­del Jür­gen von der Lip­pe und der Kö­ter Brad Pitt(Bull) er­wähnt wer­den kön­nen, nicht zu ver­ges­sen die Welt­li­te­ra­ten Ro­bert Lou­is Ste­ven­son, Ge­or­ges Si­me­non und Ot­to Rombach.

Doch was ist die­ses Buch nun ei­gent­lich? Kri­mi­nal­ro­man? Li­te­ra­tur­be­triebs­sa­ti­re? Schrift­stel­ler­sua­da? Schel­men­ro­man? Viel­leicht am ehes­ten ein kri­mi­na­lis­ti­scher Wei­ter­bil­dungs­ro­man, denn wer noch nie et­was von den re­nom­mier­ten Au­torin­nen Ca­rin Domb­s­kron, No­ra Mond­bricks oder gar vom Kri­mi­nal­schrift­stel­ler Bo­ris Monn­drack ge­hört ha­ben soll­te, der darf im Ro­man von Do­ris Brock­mann ih­re Be­kannt­schaft machen.

Neuer Haas Grotesk

Wolf Haas erzählt in „Verteidigung der Missionarsstellung“ von Lee Ben in Zeiten der Pandemie

Er­in­nern Sie sich noch an die Pa­nik­wel­le, die vor zwei Jah­ren das be­gin­nen­de Som­mer­loch öff­ne­te? Oder war es die vor­letz­te Angst vor An­ste­ckung? Ich weiß es nicht mehr so ge­nau, denn ge­schmack­lich fin­de ich Gur­ken eher fad und Spros­sen kaum ver­füh­re­ri­scher. Viel­leicht be­sa­ßen die aus Bie­nen­büt­tel ei­ne leich­te Ho­nig­sü­ße, wer weiß?

Wie ich dar­auf kom­me, bes­ser wie Wolf Haas über zahl­rei­che Sprach­ka­prio­len und Zei­len­schlen­ker schließ­lich beim EHEC-Herd lan­det, das le­sen Sie in sei­nem neu­en Ro­man. Doch be­gin­nen wir vor den Ter­ror­spros­sen, der Por­ca Paz­za, dem ver­rück­ten Huhn und der Kuhe­krank­heit, al­so ganz von vor­ne. Oder fast von vorn auf Sei­te 9.

Ei­gent­lich bin ich Ve­ge­ta­ri­er. Ich ha­be mir die­sen Beef­bur­ger über­haupt nur ge­kauft, um mit dir ins Ge­spräch zu kom­men“, hät­te er fast ge­sagt. „Weil ich von der ge­gen­über­lie­gen­den Stra­ßen­sei­te dei­ne Zäh­ne auf­blit­zen sah, als dir der Ver­käu­fer vom Le­der­ja­cken­stand et­was zu­ge­ru­fen hat, und ich dach­te, so stren­ger Ve­ge­ta­ri­er bin ich nicht, dass ich nicht auch mal ei­nen Beef­bur­ger es­sen kann; im­mer­hin la­che ich auch über Ve­ga­ner, die nicht ein­mal Ei­er es­sen, kei­ne Le­der­schu­he tra­gen, und ich fra­ge mich im­mer, ist es für ei­ne Ve­ga­ne­rin über­haupt er­laubt männ­li­ches Ei­weiß in sich auf­zu­neh­men oder greift da auch schon der Tierschutz?“

Die­ser in ei­ne Bur­ger­ver­käu­fe­rin ver­lieb­te Ve­ge­ta­ri­er und Sohn ei­nes Ho­pi-In­dia­ners und ei­ner Hip­pie-Ba­ju­wa­rin mit auf­fal­len­der Ähn­lich­keit mit dem be­rühm­tes­ten be­klopp­ten In­dia­ner der Film­ge­schich­te ist die Haupt­fi­gur in Wolf Haas’ neu­em Roman.

Haas per­sön­lich er­zählt von ihm, er lässt dies nicht sei­nen Er­zäh­ler ver­rich­ten, um die­sem dann, wie es ge­le­gent­lich Au­toren zu un­ter­neh­men pfle­gen, haar­sträu­ben­de Äu­ße­run­gen in die Zei­len zu le­gen, von de­nen sie sich mit dem Hin­weis, es wür­de ja nicht aus ih­rer Fe­der dort hin­e­inflie­ßen, son­dern aus dem Hirn der er­fun­de­nen Fi­gur, wie­der di­stan­zie­ren kön­nen. Al­so, nein, bei die­sem Haas gilt dies wie­der mal nicht, er tritt selbst als Schrift­stel­ler auf. Viel­leicht nicht au­then­tisch, wir wis­sen nicht, ob Wolf Haas tat­säch­lich ein­mal zur Un­ter­mie­te bei ei­ner gei­zi­gen Spie­ße­rin im Na­zi­vier­tel Salz­burgs ge­wohnt hat wie der Haas in sei­nem Ro­man. Die­ser hat dort auf je­den Fall Ben­ja­min Lee Baum­gart­ner, den Ho­pi-Hip­pie-Ab­kömm­ling, ken­nen­ge­lernt. So­wie auch des­sen zu­künf­ti­ge Frau, die der Kür­ze hal­ber bei Baum­gart­ner, Haas und im Ro­man nur als die Baum fir­miert. Über die­se be­rich­tet der Ich-Er­zäh­ler Wolf Haas in Ka­pi­teln, die er zwi­schen die ei­gent­li­che Hand­lung streut. Die­se wie­der­um ver­folgt das Le­ben und Lie­ben des Lee Ben, wie sei­ne Mut­ter den Sohn zu nen­nen pfleg­te, und die er­staun­li­che Ko­in­zi­denz, mit de­nen Amor Pfei­le auf Lee Ben und wel­cher Gott auch im­mer Pest­pfei­le auf den Rest der Mensch­heit abschiessen.

So wie Amor und wahr­schein­lich war’s mal wie­der Apoll ih­re Waf­fen, be­herrscht Haas die Waf­fe des Schrift­stel­lers der­art vir­tu­os, daß er nicht nur Pi­rou­et­ten dreht, son­dern den ge­sam­ten Ro­man als Sprach­akro­ba­tik auf­führt, die sich va­ri­an­ten­reich über Wort­spie­le bis zu ganz kon­kre­ter Poe­sie er­streckt. So schaut das be­cir­cen­de Bur­ger­mäd­chen in der Im­biss­bu­de am Green­wich Mar­ket aus ei­ner Öff­nung, die als Wunsch­hin­ein­sprech­fens­ter, Beefburgerherausreich‑, Geldhineinreich‑, Zwie­bel­her­aus­fra­ge- oder Hin­einstarr­fens­ter plötz­lich un­ver­mu­te­ten De­kor zeigt. Der­art prä­pa­riert wun­dert man sich kaum, wenn we­nig spä­ter nicht nur der sich ver­lau­fen­de Prot­ago­nist falsch ab­biegt, son­dern auch die Zei­le auf der Buch­sei­te. Wenn ei­ner „nichts“ sagt, stellt die­ses Wört­chen dies al­lei­ne auf ei­ner Sei­te dar, so­bald nicht ge­dacht wird, fehlt selbst dies, ein blan­kes Nichts als Sym­bol der Ge­hirn­lee­re. Dass sol­che im Hirn des Au­tors kaum herrsch­te, be­wei­sen der­ar­ti­ge Ideen. Dar­un­ter ei­ni­ge Sei­ten in Man­da­rin, die auf uns Eu­ro­pä­er spek­ta­ku­lär, da voll­kom­men chi­ne­sisch wir­ken, und die zu­dem wie ei­ni­ge Re­zen­sio­nen zei­gen zu den schöns­ten Spe­ku­la­tio­nen anregen.

Die für die Ro­mani­dee Auf­schluss­reichs­te of­fen­bart sich auf den Sei­ten 127 bis 133. Dort zwin­gen dia­go­nal ver­lau­fen­de Zei­len zum Quer­le­sen und er­läu­tern mit we­ni­gen Wor­ten Tar­skis An­ti­no­mie-Pro­blem, die Schwie­rig­keit Ob­jekt- und Me­ta­spra­che zu ver­mi­schen. Für Wolf Haas ist es kein Ta­bu, „dass ein Satz nicht über sich selbst spre­chen darf, und wie schön es ist, dass die­ses Ver­bot nur für die Wis­sen­schaft gilt“ be­weist er in sei­nem Ro­man zum gro­ßen Ver­gnü­gen sei­nes Ver­fas­sers wie sei­ner Le­ser. Ein Sprach­spaß, dem es auch an in­halt­li­cher Iro­nie nie fehlt. Vie­les gilt es zu ent­de­cken in die­ser Kon­struk­ti­on aus Ro­man- und Me­ta­ebe­ne, die bei­na­he mit ei­ner Be­geg­nung des Au­tors mit ei­ner Le­se­rin im noch nicht be­en­de­ten Ro­man en­det, tat­säch­lich dann aber fast mit dem Rat­schlag an al­le Win­ter­de­pres­si­ven mit ei­nem Buch anzufangen.

Wenn Sie das le­sen­der­wei­se tun wol­len, neh­men sie die­ses, ge­setzt aus der Sa­bon und Al­te Haas Grotesk.

 

Wolf Haa­se, Ver­tei­di­gung der Mis­sio­nars­stel­lung, Hoff­mann und Cam­pe Ver­lag, 2. Aufl. 2012

Von alten Säcken und roten Ferraris

Sex ist verboten“ und nicht nur das — der neue Meditationsroman von Tim Parks

Stun­den­lang Sit­zen, bei Räu­cher­werk und Sphä­ren­klän­gen auf den nack­ten Bauch ei­nes über­ge­wich­ti­gen Glatz­kop­fes star­ren um in Trance zu fal­len? Me­di­ta­ti­on liegt aus mei­ner Sicht öst­lich und sehr fern. Trotz­dem wähl­te ich die­sen Ti­tel bei ei­ner Vor­stel­lung neu­er Bü­cher. Er soll­te den erns­ten Hi­ki­ko­m­ori-Ro­man Fla­sars be­glei­ten, als leicht­fü­ßi­ge Lek­tü­re in iro­ni­schem Ton. Wäh­rend des Le­sens wan­del­ten sich gleich­sam im Fluss der Me­di­ta­ti­on die­se Er­war­tun­gen in über­ra­schen­der Weise.

Wir be­fin­den uns im Das­gupta-In­sti­tut, ei­nem bud­dhis­ti­schen Me­di­ta­ti­ons­zen­trum in Eng­land. Dort leis­tet Eli­sa­beth Mar­ri­ot, die jun­ge, weib­lich wohl ge­run­de­te Haupt­fi­gur be­reits seit neun Mo­na­ten ih­ren Dham­ma-Ser­vice. Sie ar­bei­tet als Hel­fe­rin in der Kü­che, wäscht Sa­lat und Tel­ler. So me­di­tiert sie nur nach­mit­tags, wäh­rend die an­de­ren Teil­neh­mer des Retre­ats den gan­zen Tag da­mit ver­brin­gen sich im Still­sit­zen, At­men und Nicht­den­ken zu üben. Ein Retre­at dau­ert zehn Ta­ge, da­nach keh­ren al­le wie­der in ihr stres­si­ges west­li­ches Le­ben zu­rück. Beth je­doch bleibt, frei­wil­lig und un­schlüs­sig, die Un­ord­nung in ih­rem Le­ben, in der Lie­be und mit den Män­nern hat sich noch nicht in Er­kennt­nis gelöst.

Me­di­ta­ti­ons­pra­xis und Ta­ges­ab­lauf im Das­gupta-In­sti­tut schil­dert Tim Parks de­tail­reich nach ei­ge­nen Er­fah­run­gen. Der Au­tor litt lan­ge un­ter chro­ni­schen Schmer­zen. Me­di­ta­ti­on war sein letz­ter und er­folg­rei­cher Ver­such sich von ih­nen zu be­frei­en. In dem Buch „Die Kunst still­zu­sit­zen“ be­schreibt er die­sen Prozess.

Sex ist kei­ne Lö­sung“ ist die fik­tio­na­le Frucht die­ser Hei­lung. Im eng­li­schen Ori­gi­nal trägt der Ro­man den Ti­tel „The Ser­ver“. Der deut­sche Ti­tel ist eben­so pas­send, denn die dem Sex ge­nuß­voll zu­ge­neig­ten Beth denkt ger­ne an das Ver­bo­te­ne. Zu­gleich führt er in die Re­geln des In­sti­tuts ein, die je­de Ab­len­kung ver­hin­dern sol­len. Nach au­ßen herrscht Kon­takt­sper­re. Im Zen­trum wird die­se durch Schwei­ge­ge­bot, Ge­schlech­ter­tren­nung und Be­rüh­rungs­ver­bot ge­re­gelt. Als ein­zi­ge da­von aus­ge­nom­men sind die Hel­fer in der Kü­che. Dort hält al­ler­dings die Zu­be­rei­tung ve­ge­ta­ri­schen Es­sens an­de­re Kom­pen­sa­tio­nen be­reit. Das Wa­schen von Reis und gel­ben Boh­nen ent­wi­ckelt sich zur ero­ti­schen Be­rüh­rung, wäh­rend Ag­gres­sio­nen beim Ha­cken und Schnet­zeln schwin­den. Au­ßer­dem er­for­dert die Ar­beit Wor­te. Um die­se ist Beth trotz al­ler Vor­schrif­ten nie ver­le­gen, sie kom­men­tiert iro­nisch die klei­nen Re­gel­ver­stö­ße ih­rer Kol­le­gen und das ego­is­ti­sche Stre­ben der Selbst­los­ler­ner im Kampf um die Ba­na­nen. Beth be­zeich­net sich als bö­ses Mäd­chen, war­um er­fah­ren wir wäh­rend der Meditation.

Die­se fin­det mehr­mals täg­lich un­ter An­lei­tung Das­gupt­as statt, der via CD sei­nen Adep­ten den Atem­fluss lei­tet. Wie schwie­rig und lä­cher­lich dies sein kann teilt uns ein Ta­ge­buch­schrei­ber mit.

Er pre­digt ge­gen den Ego­is­mus, er er­rich­tet ein re­li­giö­ses Sys­tem ge­gen den Ego­is­mus, und be­frie­digt da­bei sein ei­ge­nes Ego, in­dem er Schü­ler um sich schart und ih­nen völ­li­ge Hin­ga­be ab­ver­langt. Die be­ring­ten Fin­ger, die wei­ßen Kis­sen, der di­cke Bauch un­ter der sau­be­ren Baum­woll­klei­dung. Mei­ne Freun­de hier, mei­ne Freun­de da. KAUM ZU GLAUBEN, DASS WIR ALLE ABEND FÜR ABEND DA SITZEN UND DIESEM WICHSER ZUHÖREN.“

Die Auf­zeich­nun­gen die­ses Me­di­ta­ti­ons­an­fän­gers ent­deckt Beth als sie ver­bo­te­ner­wei­se den Män­ner­trakt be­tritt und in sein Zim­mer blickt. Aus dem Kof­fer leuch­ten ro­te Schul­hef­te und Beth kann der Ver­su­chung nicht ver­ste­hen. Sie liest sich fest und ent­wen­det seit­dem re­gel­mä­ßig ein Heft zur ge­hei­men Klo­lek­tü­re. Selbst­iro­nisch va­ri­iert ihr Ver­fas­ser in Klap­pen­tex­ten die Grün­de für sein Me­di­ta­ti­ons­be­dürf­nis. Sei­ne Ein­trä­ge bie­ten zu­dem ei­ne sar­kas­ti­sche Sicht auf die Heils­ver­spre­chun­gen nicht nur bud­dhis­ti­scher Erlöser.

Beth ist be­geis­tert, die Le­se­rin stimmt zu. Wäh­rend sie mit dem Ta­ge­buch­schrei­ber zwei­felt, ob Still­sit­zen und At­men der rich­ti­ge Weg zur ei­ge­nen Klar­heit sei, er­lebt sie Beth, die im­pul­siv und di­rekt ist, aber gleich­zei­tig vol­ler Selbstzweifel.

Über­ra­schend wirkt, daß Parks ei­ne weib­li­che Ich-Er­zäh­le­rin wählt. Ein äl­te­rer Mann, der sich in die Ge­füh­le und Ge­dan­ken und in den Kör­per ei­ner jun­gen Frau hin­ein­lebt? Es funk­tio­niert meist ganz gut. Die star­ke Fi­xie­rung auf ih­re bei­den ro­ten Fer­ra­ris neh­me ich al­ler­dings eher dem äl­te­ren Schrift­stel­ler als sei­ner Prot­ago­nis­tin ab. Sein Ro­man spie­le, so Tim Parks, „das Ver­lan­gen nach Stil­le und Be­frei­ung von sich selbst ge­gen die äl­tes­te und nächst­lie­gen­de al­ler Ge­schich­ten (aus), Mann trifft Frau.“

Beth er­zählt von ih­ren Män­nern und dem Sex, von ih­rer Band und der Trau­er, vom Reis­wa­schen und der Lek­tü­re ro­ter Ta­ge­buch­hef­te. Von den dar­in zu fin­den­den iro­ni­schen Selbst- und Fremd­ana­ly­sen hät­te ich ger­ne mehr ge­le­sen, viel­leicht folgt ja noch ein Buch von Mr. Tagebuchschreiber.?

Tim Parks, Sex ist ver­bo­ten, Kunst­mann Ver­lag, 1. Aufl. 2012

Phantastische Grotesken eines Olympiers

Die Kaktusfrau”, zum letzten Erzählungsband von Herbert Rosendorfer (1934–2012)

Gibt es ei­nen bes­se­ren Ort als Rom um mit Her­bert Ro­sen­dor­fer Be­kannt­schaft zu schlie­ßen? Ei­nes sei­ner Bü­cher gab mir dort und da­mals ei­ne Freun­din, die die­ses wie­der­um von ei­ner Kol­le­gin er­hal­ten hat­te, die sich der Er­for­schung ku­rio­ser an­ti­ker Au­to­ma­ten wid­me­te. Dass dies kei­ne Zu­fäl­le sein konn­ten, be­griff ich, als ich mit gro­ßem Ver­gnü­gen mei­nen ers­ten Ro­sen­dor­fer las. Die „Brie­fe in die chi­ne­si­sche Ver­gan­gen­heit“ wur­den in ih­rer leich­ten, selbst­iro­ni­schen Art zu ei­ner Ein­stiegs­dro­ge, die nach wei­te­ren der­ar­ti­gen Sen­sa­tio­nen ver­lang­te. Zum Glück be­saß der Au­tor, der als Ju­rist ar­bei­te­te, schon da­mals ein um­fas­sen­des Oeu­vre. Ich las und lach­te mich durch zahl­rei­che Ro­ma­ne und Er­zäh­lun­gen, von de­nen mich „Der Rui­nen­bau­meis­ter“ mit sei­nen la­by­rin­thi­schen Ver­äs­te­lun­gen voll gro­tes­ker Über­ra­schun­gen be­son­ders beeindruckte.

Es muss Jah­re ge­ge­ben ha­ben, in de­nen ich nichts als Ro­sen­dor­fer ge­le­sen ha­be. Zu­min­dest kann ich mich nicht an An­de­res er­in­nern. Sei­ne Bü­cher bil­de­ten und amü­sier­ten mich, ich traf in ih­nen al­te Be­kann­te mit Klep­per­man­tel und skur­ri­le Ge­stal­ten, die bei ge­nau­er Ana­ly­se le­dig­lich so ab­son­der­lich wa­ren wie Du und ich. Ro­sen­dor­fers Blick ist un­be­stech­lich, er ent­larvt Schwä­chen, Ei­tel­kei­ten und je­de Heu­che­lei oh­ne Un­ter­schied von Sta­tus und Stel­lung. Auch oder ge­ra­de bei kle­ri­ka­lem Per­so­nal kennt er kein Par­don. Di­ver­se Ver­tre­ter die­ser Spe­zi­es tum­meln sich in Rom, wo ei­ni­ge sei­ner Ge­schich­ten spielen.

Eben­falls dort an­ge­sie­delt ist „Ein Lieb­ha­ber un­ge­ra­der Zah­len“. Mit die­ser Sa­ti­re auf den Li­te­ra­tur­be­trieb, die zu­gleich ei­ne Lie­bes­er­klä­rung an den rö­mi­schen Mar­mor ist, hat Ro­sen­dor­fer den Ro­man er­son­nen, den ich je­des Jahr wie­der lese.

Nun liegt „Die Kak­tus­frau“, sein letz­ter Band mit Er­zäh­lun­gen vor. Grün spielt in ih­nen ei­ne tra­gen­de Rol­le. Schon auf dem Ti­tel­bild strahlt es grün­lich durch den Na­del­wald, hin­ter ei­nem Stamm ver­birgt sich ein selt­sa­mer Frosch. Ein der­ar­ti­ges We­sen ist Prot­ago­nist der ers­ten Ge­schich­te und er­hält mit ei­ner Kak­tus­frau und ei­nem Hams­ter wei­te­re grü­ne Kol­le­gen. Ro­sen­dor­fer er­zählt von ei­nem Ge­ne­ral­ma­jor à la Go­gol, der an­statt sei­nen me­teo­ro­lo­gi­schen Dienst zu leis­ten ganz un­am­phi­bi­schen Ver­gnü­gun­gen nach­geht. In ei­ner an­de­ren Ge­schich­te be­geg­nen wir ei­nem gut­mü­ti­gen Zeit­ge­nos­sen, der sich von ei­nem Zech­kum­pan ei­nen Kak­tus mit be­trächt­li­chem Mu­ta­ti­ons­po­ten­ti­al an­dre­hen lässt. Ne­ben zahl­lo­sen Sank­ten und Sacro­sank­ten der ab­ge­le­gens­ten Mar­ty­ri­en, ne­ben Me­le­ag­ri­nus, Pi­use­li­us, Co­ro­na­ris wie wei­te­ren Päps­ten und Sak­ko­pho­ren, bie­ten die weib­li­chen Lieb­lings­ge­stal­ten des Dich­ters tiefs­te Ein­bli­cke und tra­gen kaum mehr als lang­är­me­li­ge Gold­fa­den­män­tel. Er­in­nert sei hier an an­de­re Kunst­stü­cke Ro­sen­dor­fers. Doch es tre­ten auch ganz und gar ernst­haf­te Da­men auf, die ihr Werk dem Papst wid­men, wie die Salz­teig­künst­le­rin und Wit­we Ge­ne­ral Fuchs­bei­ßers, sei­nes Zei­chens Re­for­ma­tor des Feldlatrinenwesens.

Dies sind nur kur­ze Ein­bli­cke in die Ein­fäl­le die­ses Ban­des, der auch ei­nen ge­heim­nis­vol­len Aus­flug nach Ve­ne­dig be­reit hält. Ins­ge­samt sind sie nicht min­der zahl­reich als gro­tesk. Sie ver­füh­ren mehr zum Stau­nen als zum La­chen und las­sen ah­nen, daß der Au­tor selbst sich von ih­nen hat fort tra­gen las­sen. Ei­ne der schöns­ten Phan­tas­te­rei­en be­sitzt den Ti­tel „Am Him­mels Tor“, vor die­sem stand Her­bert Ro­sen­dor­fer, wenn man so will, selbst am 20. Sep­tem­ber. Mö­ge auch er von ei­nem klei­nen Flü­gel­we­sen in die grie­chi­sche Göt­ter­wohn­stät­te ge­lei­tet wor­den sein, denn dort ge­hört die­ser Dich­ter al­le­mal hin.

Her­bert Ro­sen­dor­fer, Die Kak­tus­frau. Er­zäh­lun­gen, Kiepenheuer&Witsch, 1. Aufl. 2012

Donau vs. America

 In „Tod auf der Donau“ schildert Michal Hvorecky eine handlungsreiche Donauflussfahrt

Nicht nur in der Slo­wa­kei sind die Ver­dienst­mög­lich­kei­ten li­te­ra­ri­scher Über­set­zer rar und schlecht. Dies treibt man­chen Jung­aka­de­mi­ker un­ter ein be­rufs­fer­nes, aber pe­ku­ni­är ein­träg­li­ches Joch jen­seits sei­nes geis­ti­gen Ni­veaus. Auch Mar­tin Roy, der Prot­ago­nist in Mi­ch­al Hvor­eckys Do­nau­ro­man, ist trotz be­ruf­li­cher Er­fol­ge ge­zwun­gen ei­nen der­ar­ti­gen Job an­zu­neh­men. Die­ser bringt Geld, ihn je­doch oft ge­nug an den Rand sei­ner Ge­duld. An­statt sich um Wor­te und In­ten­tio­nen von Dich­tern zu küm­mern, bin­det er nun Ba­nau­sen Bä­ren auf den Wohl­stands­bauch. Ist Mar­tin der Fähr­mann über den Ache­ron? Je­de Men­ge Tod­ge­weih­ter nimmt er in sei­nen Na­chen auf und lässt sich dies in Mün­ze und gu­ten Be­wer­tun­gen ver­gel­ten. Nur das si­chert sei­nen Pos­ten. Sei­ne wah­ren Pas­sio­nen ver­leug­net er pro­fes­sio­nell und ver­dingt sich als Kreuz­fahrt­knecht. Freund­lichst zu Diens­ten, je­der­zeit ein ex­zel­lent säu­selnd, or­ga­ni­siert und er­klärt er, hilft wei­ter, auch wo es kaum mehr geht, be­sorgt über­ge­wich­ti­gen Be­hin­der­ten hel­fen­de Hän­de für die Trieb­ab­fuhr und er­läu­tert den Ah­nungs­lo­sen ver­blüf­fen­de Fakten.

Mar­tin, bit­te, was ist Ba­rock? Die Frau Rei­se­füh­re­rin hat es ei­ni­ge Ma­le er­wähnt“, fragt Jef­frey und beugt sich über den Schalter.

Dar­über brauchst du dir nicht den Kopf zu zer­bre­chen. Das habt ihr in Ame­ri­ka nicht.“

Wirk­lich nicht?“

Ba­rock war ei­ne ita­lie­nisch-po­li­ti­sche Dik­ta­tur, die noch vor der Go­tik in Eu­ro­pa herrsch­te. Sehr bö­se, ob­skur und gefährlich!“

Gut, dass wir das in Ame­ri­ka nicht ha­ben! So was brau­chen wir auch nicht. Was wir jetzt brau­chen ist ei­ne gu­te Wirt­schafts­la­ge und Ordnung.“

Sein Sar­kas­mus scheint die ein­zi­ge Not­wehr ge­gen die ver­ord­ne­te zu­cker­sü­ße Freund­lich­keit. Die­se stößt ihm je­doch um­so bit­te­rer auf je län­ger die Rei­se von Re­gens­burg bis zum Schwar­zen Meer dau­ert. Auch un­ter der Be­sat­zung fühlt sich Mar­tin fremd.

An Bord leb­te Mar­tin in ei­ner Män­ner­ge­sell­schaft. Von mor­gens bis abends at­me­te er ei­ne Luft, die mit Män­ner­ge­rü­chen ge­sät­tigt war. Er ge­wöhn­te sich an ih­re Ges­ten, den schnel­len Gang, die ver­rauch­ten Stim­men und ver­sof­fe­nen Au­gen. Die meis­ten moch­te er auch auf ge­wis­se Art und Wei­se, al­ler­dings war dies mehr ei­ne Zweck­ge­mein­schaft, ihm blieb gar nichts an­de­res üb­rig, er woll­te nicht ver­rückt werden.“

Ein­zig der Fluss, die Do­nau, ent­schä­digt ihn. Sie ver­strömt ei­ne An­zie­hung, die er seit sei­ner Kind­heit in Bra­tis­la­va ge­spürt hat.

Die Do­nau er­in­ner­te an ei­ne lang ge­zo­ge­nen Schlan­ge, de­ren Kopf im Schwar­zen Meer lag, ihr Kör­per brei­te­te sich über den ge­sam­ten Kon­ti­nent aus, und die Schwanz­spit­ze ver­lor sich ir­gend­wo im Schwarz­wald. Der Fluss fas­zi­nier­te ihn. Dort­hin muss­te er mal fah­ren! Die Schlan­ge hat­te ihn fasziniert.“

Mar­tin taucht ein in die Er­in­ne­run­gen an sei­ne Kind­heit in Bra­tis­la­va, sein Ver­steck an der Ufer­bö­schung, sei­ne Lie­be zum Fluss und zu ei­ner Frau. Ge­nau die­se er­scheint plötz­lich an Bord, Mo­na, die Mar­tin noch mehr de­mü­tig­te als sei­ne Pas­sa­gie­re es je ver­mö­gen, und de­ren vi­ta­le Ero­tik auf die­sem Grei­sen­schiff kei­nen un­pas­sen­de­re Büh­ne hät­te fin­den kön­nen. Sie löst nicht nur in Mar­tin ein Cha­os aus. Ihr Han­deln führt ins Ab­sur­de, ist un­be­re­chen­bar und ge­fähr­lich wie die Stru­del der Donau.

Doch die MS Ame­ri­ca hält un­be­irr­bar ih­ren Kurs seit Re­gens­burg, der Stadt mit der Stei­ner­nen Brü­cke an den drei Flüs­sen, die sehr wohl weiß, was Ba­rock be­deu­tet. Auf all ih­rer schö­nen Ge­schich­te prangt je­doch ein Ma­kel, dem Hvor­ecky im Ver­lauf sei­nes Bu­ches nach­geht, die Ver­fol­gung der Ju­den. Die Do­nau spielt als Ret­te­rin wie als töd­li­ches Ver­häng­nis ei­ne schick­sal­haf­te Rol­le. Es über­zeu­gen die stil­len his­to­ri­schen Me­men­ti. Er­schüt­tern­de Er­in­ne­run­gen von Ver­fol­gung und Angst, in de­nen die schö­ne, blaue Do­nau oft schwarz und häss­lich wirkt.

Viel­fäl­tig sind auch die li­te­ra­ri­schen Zi­ta­te, dar­un­ter sei vor al­lem Do­nau, Bio­gra­phie ei­nes Flus­ses von Clau­dio Magris genannt.

Al­ler­dings fragt man sich ge­gen En­de, ob die Mor­de nicht eher ein Ne­ben­bei sind. Schließ­lich lö­sen sie sich zwar nicht in Wohl­ge­fal­len aber in ele­men­ta­rer Wei­se auf. Er­freu­li­cher als die ver­ein­zel­ten Schwarz-Weiß-Fo­tos wä­re ei­ne Do­nau­kar­te gewesen.

Doch das sind nur äu­ße­re Kri­tik­punk­te an die­sem er­fri­schend an­ders­ar­ti­gen Do­nau­ro­man, des­sen Lek­tü­re fast je­dem emp­foh­len sei.

Mit dem Buch­ti­tel, im Ori­gi­nal „Dunaj v Ame­ri­ke“, der nicht wie sei­ne deut­sche Ver­si­on auf den be­kann­ten Klas­si­ker Aga­tha Christies an­spielt, evo­ziert Hvor­ecky ei­nen Wett­kampf. Des­sen Ver­lauf, die Kon­tra­hen­ten, ih­re Auf und Ab, er­zählt er mit vie­len Ne­ben­strän­gen, nicht oh­ne ein ful­mi­nan­tes Show­down auszusparen.

Der von der Ro­bert Bosch Stif­tung Grenz­gän­ger ge­för­der­te Ro­man ist bei Tro­pen/Klett-Cot­ta er­schie­nen und von Mi­ch­al Sta­va­ric aus dem Slo­wa­ki­schen übersetzt.

In­ter­views und wei­te­re De­tails zum Ro­man fin­den sich auf dem Blog des Au­tors zum Buch.

Mi­ch­al Hvor­ecky, Tod auf der Do­nau, übers. v. Mi­ch­al Sta­va­ric, Tro­pen/Klett-Cot­ta, 1. Aufl. 2012

Darauf einen Bitter!

Enttäuschte Erwartungen erzeugt James Hamilton-Paterson mit “Kochen mit Fernet-Branca

Dio mio, das wird Schlä­ge ge­ben. Ich zit­te­re vor mei­nem nächs­ten Li­te­ra­tur­kreis­tref­fen und be­fürch­te, daß selbst ei­ne gro­ße Men­ge des Ti­tel­ge­söffs den an­de­ren Teil­neh­mer nicht zur Ver­dau­ung die­ser Lek­tü­re rei­chen wird.

Da­bei hat­te ich es doch nur gut ge­meint. Dies­mal soll­te es et­was Amü­san­tes wer­den, kei­ne Pro­blem­wäl­ze­rei, kei­ne nor­di­sche Fa­mi­li­en­ge­schich­te, kein In­zest, kein Mit­tel­al­ter und schon gar kein Be­zie­hungs­dra­ma. Zu­dem kam die Emp­feh­lung aus Tho­mas Böhms Le­se­kreis­buch, er wie­der­hol­te sie so­gar vor kur­zem noch­mals im Ra­dio.

Der Au­tor des Kat­zen­koch­bu­ches, und das ist hier wört­lich zu neh­men, Ja­mes Ha­mil­ton-Pa­ter­son, ist bri­ti­scher Jour­na­list und bis­her mit durch­aus Ernst­haf­tem über das Meer und fer­ne Län­der in Er­schei­nung ge­tre­ten. Für sei­nen ers­ten hu­mo­ri­gen Ro­man wur­de er ge­lobt. Bis über den grü­nen Klee so­gar, wenn man ei­ne No­mi­nie­rung für den Boo­ker Pri­ze so in­ter­pre­tie­ren darf. Trotz­dem las ich pro­be­hal­ber die ers­ten Sei­ten des Bu­ches, denn nach lang­jäh­ri­ger Le­se­kreis­er­fah­rung weiß ich, was Fehl­schlä­ge sind, und die­se soll­ten ge­ra­de bei stei­gen­dem Le­se- und Le­bens­al­ter un­be­dingt ver­mie­den wer­den. Tem­pus fugit!

Tat­säch­lich hat mich die­se Mi­schung aus Ita­li­en und Mon­ty Py­thon zu­nächst schwer be­geis­tert. Ich lag abends la­chend im Bett, was sel­ten vor­kommt, und den Mit­be­nut­zer die­ses Mö­bels zu ei­nem, Da wird sich der Le­se­kreis aber freu­en, hin­rei­ßen ließ. Der kom­men­de Kan­di­dat war ge­kürt, ich setz­te so­gar die bei­den Nach­fol­ge­bän­de die­ses Ro­mans so­fort auf mei­ne Wunschliste.

Ver­gnügt las ich wei­ter, woll­te wei­ter mei­nen Spaß ha­ben an den kru­den Er­fah­run­gen die­ses Eng­län­ders in der tos­ka­ni­schen Pro­vinz. Dort hat Ge­rald Sam­per sich in der Berg­ein­sam­keit der apua­ni­schen Al­pen ein Häus­chen auf­schwat­zen las­sen, um un­ge­stört als Ghost­wri­ter für grenz­de­bi­le Spit­zen­sport­ler zu ar­bei­ten. In die­ser krea­ti­ven Stil­le taucht un­ver­mit­telt Mar­ta auf, die nicht wie der Mak­ler, Ita­lie­ner und ge­wer­be­be­ding­tes Schlitz­ohr, ver­si­chert hat nur sel­ten, son­dern ste­tig sei­ne neue Nach­ba­rin sein wird. Sie ar­bei­tet an Mu­sik­ar­ran­ge­ments für die Film­bran­che. Der Kon­flikt zwi­schen Ru­he­be­dürf­nis und Mu­sik, al­so Krach, ist ge­legt. Ge­löst wird er in 47 Ka­pi­teln auf 359 Sei­ten, auf­ge­lo­ckert von Re­zep­ten aus Sam­pers krea­ti­ver Kü­che. Dar­un­ter ver­lo­cken „Mu­scheln in Scho­ko­la­de” so­wie der „Fisch­ku­chen” zum Ex­pe­ri­men­tie­ren. (Bett­nach­bar: Du bist ver­rückt! Ata­lan­te: Und wenn wir den Zu­cker­guß weglassen?)

Ge­nüss­lich las ich al­so wei­ter, da tauch­ten ers­te Un­ap­pe­tit­lich­kei­ten auf. Es wa­ren al­ler­dings nicht, wie die Ken­ner des Bu­ches ver­mu­ten mö­gen, die bis ins Ab­son­der­li­che ge­stei­ger­ten Re­zep­te des gu­ten Sam­per. Nein, we­der Knob­lauch­eis noch Kat­zen­ku­chen, ge­mäß Ti­tel ge­hö­rig mit Ma­gen­bit­ter ge­sät­tigt, er­zeug­ten Le­se­übel­keit. Es war eher das Ab­glei­ten in die dunk­len Re­gio­nen des Ver­dau­ungs­wit­zes, die mich beim Plumps­klo noch zum La­chen reiz­ten, bei den fla­tu­len­ten Ne­ben­wir­kun­gen der Koch­küns­te merk­li­ches Des­in­ter­es­se und beim Pups­bär nur noch Mit­leid er­zeug­ten. Ehr­lich, wer fin­det jen­seits der Pu­ber­tät ei­nen Pups­bär auf dem Klo lustig?

Na­tür­lich ist der vom Au­tor ge­schil­der­te Ger­ry Sam­per ein eit­ler Ego­zen­tri­ker, gründ­lich von sich selbst ge­blen­det, was zu ei­ner kunst­ge­rech­ten An­wen­dung von Sar­kas­mus un­ab­ding­bar ist. Aber war­um hat er sei­nen bri­ti­schen Hu­mor in­ner­halb we­ni­ger Sei­ten ver­lo­ren? Da­zu kommt die Fi­gur sei­ner Nach­ba­rin und Ge­gen­spie­le­rin Mar­ta. Na­tür­lich wur­de sie ge­wählt, um so ein her­vor­ra­gen­des Ex­em­pel zu der Dif­fe­renz von Ei­gen- und Fremd­bild durch zu spie­len. Auch tre­ten die we­ni­gen Ita­lie­ner vor al­lem des­halb als gut­aus­se­hend, ge­ris­sen, be­stech­lich oder ar­ro­gant auf, um den Le­ser un­miss­ver­ständ­lich mit sei­nen ei­ge­nen Kli­schees zu kon­fron­tie­ren. Aber war­um ist das al­les nur so lang­wei­lig ge­ra­ten? Die Fi­gur der Mar­ta und ih­re mu­si­ka­li­schen Tä­tig­kei­ten ha­ben mich nicht die Boh­ne in­ter­es­sie­ren. Der Auf­tritt be­rühm­ter ita­lie­ni­scher Re­gis­seu­re eben­so we­nig. Die Idee ein Feu­er­werk­s­in­fer­no zu ent­zün­den war we­nig über­ra­schend. Die ab­stru­se Kon­struk­ti­on von Mar­tas ma­fia­ähn­li­chem ost­eu­ro­päi­schen Her­kunsfts­hin­ter­grund tat kaum et­was zur Sache.

Da­zu kom­men sti­lis­ti­sche Män­gel. Ha­mil­ton-Pa­ter­son kon­stru­iert den Ro­man in al­ter­nie­ren­der Er­zähl­per­spek­ti­ve. Das kann bei ge­konn­ter Aus­füh­rung durch­aus den Le­se­genuß stei­gern. Wenn aber die un­ter­schied­li­chen Er­zähl­fi­gu­ren kaum durch Sprach­stil und Ge­dan­ken­gän­ge von­ein­an­der zu un­ter­schei­den sind, er­zeugt es mehr denn Ver­wir­rung Lan­ge­wei­le. Zum zwei­ten Mal ver­wen­de ich nun die­ses Wort in mei­nen Zei­len über die­sen ver­meint­lich so hu­mor­vol­len Ro­man. Da wird fol­gen­des Ge­ständ­nis kei­ne Über­ra­schung sein. Ich ha­be kaum noch ge­lacht und le­dig­lich aus Pflicht­be­wusst­sein mei­nen ei­ge­nen Buch­vor­schlag run­ter­ge­würgt. Und das oh­ne ei­nen ein­zi­gen Fer­net-Bran­ca, den be­nö­ti­ge ich noch für den Literaturkreis.

Al­ler­dings hat mich Sam­pers Koch­kunst doch noch ein­mal zum La­chen ge­reizt. Als ich un­längst auf ei­nem Au­to die Auf­schrift „Nor­we­gi­sche Wild­kat­zen aus dem Na­ab­tal” las, hät­te ich mich dort ger­ne er­kun­digt, ob sie auch räu­chern würden.

Viel­leicht war es ja doch gar nicht so ein schlech­tes Buch?

Trotz­dem su­che ich im­mer noch DEN amü­san­ten Ro­man. Hin­wei­se wer­den ger­ne ent­ge­gen genommen.

Ja­mes Ha­mil­ton-Pa­ter­son, Ko­chen mit Fer­net-Bran­ca, übers. von Hans-Ul­rich Möh­ring, Klett-Cot­ta, 1. Aufl. 2005