Vier Arten, den Leser zu langweilen

In „Vier Arten, die Liebe zu vergessen“ besingt Thommie Bayer die Macht der Musik

Thommie BayerWas ist ei­gent­lich gu­te Li­te­ra­tur? Ne­ben Schön­heit in Spra­che und Stil, er­war­te ich ei­ne stim­mi­ge Kon­struk­ti­on und das Feh­len von Kli­schees. Der Au­tor muss mich mit sei­nen Ideen be­geis­tern, mir Neu­es zei­gen, mich bes­ten­falls in­spi­rie­ren, nur ei­nes darf er nicht, mich lang­wei­len. Dies ge­schah mir mit Thom­mie Bay­ers Ro­man Vier Ar­ten, die Lie­be zu ver­ges­sen. Ei­ne Lek­tü­re, die mir un­ser seit nun mehr 10 Jah­ren be­stehen­der bunt­ge­misch­ter Li­te­ra­tur­kreis auferlegte.

So wie der Ro­man vier Ver­su­che der Lie­bes­über­win­dung schil­dert, wer­de ich vier Fak­to­ren auf­zei­gen, die mich am meis­ten an ihm stö­ren. Glaubt mir, es gibt noch mehr.

Wie so oft, um nicht zu sa­gen wie im­mer, fängt al­les am An­fang an, auch wenn in die­sem Fall der An­fang ein En­de ist. Es ist ei­ne Be­er­di­gung, die Tho­mas, Bernd, Wag­ner und Mi­cha­el, ehe­ma­li­ge Schul- und San­ges­freun­de, zusammenführt.

Zu­vor be­glei­tet der Le­ser sie auf der Fahrt, die sich je­der der Re­cken al­lei­ne durch un­heil­schwan­ge­res Un­wet­ter er­kämpft. Nein, nicht ganz al­lei­ne, der treue Freund des Man­nes steht ih­nen bei. In frü­he­ren Zei­ten war dies ein ed­ler Rap­pe, heu­te muss es ein Blech­ross in Grau­tö­nen oder ei­ne Miet­ka­ros­se mit Kut­scher sein. Da­mals wie heu­te galt es, am Pferd den Rei­ter zu er­ken­nen, so macht sich auch Bay­er dar­an sei­nen Rit­tern das pas­sen­de Ge­fährt un­ter­zu­schie­ben. Das könn­te, Kli­schee hin oder her, durch­aus wit­zig sein, doch Bay­er ge­lingt die ge­wünsch­te dif­fe­ren­zier­te Per­so­nen­ein­füh­rung lei­der nicht. Zu­dem rei­tet er durch die vier­fa­che Aus­füh­rung die­ser Idee den Gaul lei­der zu To­de. Zwar weiß die Le­se­rin auch nach der Be­er­di­gung noch nicht so recht, wer wer ist, aber we­nigs­tens, war­um wer wel­ches Au­to fährt. „Mer­ce­des und Por­sche wa­ren Sym­bo­le von Wohl­stand und Ge­die­gen­heit, (…), der Vol­vo war es aus un­er­klär­li­chen Grün­den nicht. Schwe­di­sche und fran­zö­si­sche Au­tos wur­den von den rich­ti­gen Leu­ten ge­fah­ren, Por­sche, Mer­ce­des und BMW von den falschen.“ 

Als Wag­ner, der mit ei­nem Ta­xi kam, dies ana­ly­siert, ist die Fei­er schon vor­über. Die ver­stor­be­ne Em­mi Buch­leit­ner war ih­re Lieb­lings­leh­re­rin im In­ter­nat, in das die vier Jungs, man ahnt es schon, von ih­ren El­tern ab­ge­scho­ben wur­den. Auf den Spu­ren zahl­rei­cher In­ter­nats­ge­schich­ten, in die­sem Fall wohl we­ni­ger Han­ni und Nan­ni, son­dern das Pen­dant von Burg Schre­cken­stein, nimmt Bay­er ein be­kann­tes Mo­tiv auf. Aus ver­fein­de­ten, we­gen fa­mi­liä­rer Pro­ble­me ver­hal­tens­auf­fäl­li­gen Jungs, wird dank der In­itia­ti­ve ei­ner ver­ständ­nis­vol­len Leh­re­rin ein un­zer­trenn­li­cher Knabenbund.

Be­wirkt hat dies nicht ein Trick à la Hog­warts, son­dern die zau­ber­haf­te Macht der Mu­sik. Ach ja, klar, Thom­mie Bay­er, den ha­be ich doch mal vor vie­len, vie­len Jah­ren auf ei­nem Fes­ti­val ge­hört. Seit­dem steht die Plat­te mit dem Cow­boy­lied im Re­gal. So wun­dert es mich kaum, daß Bay­er nicht nur al­le paar Sei­ten ei­ne Songzei­le zi­tiert, al­ler­dings kei­ne ei­ge­ne, und Mi­cha­el zum Hel­den de­kla­riert. Schließ­lich hat die­ser als ein­zi­ger von den Vie­ren die Mu­sik zu sei­nem wenn auch ge­hei­men Me­tier ge­macht. Doch die­ser Dra­chen­tö­ter be­sitzt ein De­fi­zit. Seit Jah­ren plagt ihn ei­ne Lie­bes­sehn­sucht, die er sei­nem Ob­jekt der Be­gier­de, der Sän­ge­rin Er­in, für die er in­ko­gni­to kom­po­niert, nicht of­fen­ba­ren kann, auch nicht als sie sich am Grab von Em­mi be­geg­nen. Die Leh­re­rin hat­te die Bei­den einst zu­sam­men ge­führt. Mi­cha­el war noch Stu­dent als er mit Em­mi ei­nen Auf­tritt ih­rer Schü­le­rin be­such­te. Aus der Irin Er­in wird der Star Fairy O. Sein Lie­bes­leid macht aus Mi­cha­el ei­nen Min­ne­sän­ger, nur daß Er­in die Lie­der selbst sin­gen muss. Ein wei­te­res Wun­der bringt Mi­cha­el mit Erins Pro­du­zen­ten Ian zu­sam­men, der seit­dem die ver­schwie­ge­ne Brü­cke zwi­schen bei­den bildet.

Die un­er­füll­te Lie­be Mi­cha­els durch­zieht die Hand­lung und wird zum Treib­stoff aus der Ro­man­tik­tank­stel­le. Doch vor dem er­wart­ba­ren Hap­py-End, ent­führt Bay­er uns und sei­ne Män­ner nach Ve­ne­dig. Ita­li­en­lieb­ha­ber dür­fen woh­lig auf­seuf­zen, denn wie bei Don­na Le­on wird auch hier hin­rei­chend Am­bi­en­te auf­ge­fah­ren. Schlie­ßen Sie die Au­gen, den­ken Sie an Ve­ne­dig oder blät­tern Sie durch ei­nen Ve­ne­dig-Ka­len­der. Dem, was Sie auf die­sen zwölf Blät­tern se­hen, be­geg­nen Sie auch in Bay­ers Buch. Si­cher­lich auch je­nem Pa­laz­zo an der Ka­nal­kreu­zung, „schmuck­los bis auf fünf Fi­gu­ren, die Dach und Gie­bel krön­ten, ei­nen kopf­lo­sen Rö­mer und ei­nen ge­flü­gel­ten Lö­wen im Gar­ten, die Fas­sa­de war her­un­ter­ge­kom­men und chan­gier­te farb­lich zwi­schen Grün, Gelb, Schlamm und Sand“. Mi­cha­el, dem die Be­zie­hung zu Er­in zwar nicht Lie­be aber Geld ein­brach­te, hat­te ihn vor ei­ni­gen Jah­ren bei sei­nem ers­ten Be­such in der Stadt er­wor­ben. Da­mals „ver­irr­te er sich in den Gas­sen und wuss­te, dies war der Ort, an dem er le­ben muss­te. (…) Nur hier war es selbst­ver­ständ­lich, so fremd zu sein, wie Mi­cha­el über­all auf der Welt war.“

In die­se lu­xu­riö­se Ein­sie­de­lei, die er zeit­wei­se mit ei­ner Kat­ze und ei­ner Frau mö­bliert, lädt er die drei Freun­de ein. Trotz al­ler Ent­frem­dung rei­sen sie be­reit­wil­lig an. Klar, nach Ve­ne­dig will ja je­der. Es stellt sich her­aus, daß sie so­wie­so nichts Bes­se­res zu tun ha­ben oder bes­ser, sie ha­ben nie­man­den, der auf sie war­tet. Die­se lo­ne­so­me Cow­boys sind al­le schon recht an­ge­schos­sen vom Le­ben. So sit­zen sie da in­mit­ten präch­ti­ger Pa­laz­zi, Kir­chen vol­ler Kunst und Mas­sen von Tou­ris­ten. Wäh­rend ein Kreuz­fahrt­gi­gant durch den Ka­nal pflügt la­men­tie­ren sie über die Lie­be. Der Ent­frem­dung von den Ehe­frau­en, ei­ne heißt wie im Cow­boy­song Co­rin­na, be­geg­nen sie miso­gyn, pro­misk oder mit Al­ko­hol. Ein­zig Mi­cha­el ist es ge­lun­gen, sei­nen Frust in krea­ti­ve Bah­nen zu len­ken. Mit Mu­sik ist eben al­les mög­lich, an­schei­nend auch die Ho­mo­se­xua­li­tät ei­nes lang­jäh­ri­gen Freun­des zu über­se­hen, der sei­ner­seits die De­pres­si­on sei­nes Liebs­ten über­sieht, was wie­der­um ei­nen Zwi­schen­fall aus­löst, der zu ei­ner un­ver­hoff­ten Be­geg­nung führt. Ob die­se nun in ein Hap­py-End mün­det, sei hier nicht ver­ra­ten. Da­für aber, daß mich das or­dent­li­che Ver­nä­hen der vier Schick­sals­fä­den im Epi­log, wie­der ge­lang­weilt hat.

Die Ge­schmä­cker sind ver­schie­den, wie auch die Dis­kus­si­on in un­se­rer Run­de zeig­te. Nicht al­le stimm­ten mei­nem Ur­teil zu, daß es sich bei dem fünf­zehn­ten Ro­man Thom­mie Bay­ers um ein von den Küs­ten Wales an die Ka­nä­le Ve­ne­digs ver­leg­tes Pilcher-Dra­ma für er­grau­te Jungs von der Burg Schre­cken­stein handelt.

Thom­mie Bay­er, Vier Ar­ten, die Lie­be zu ver­ges­sen, Pi­per Ver­lag, 1. Aufl. 2012

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