In Was gewesen wäre erzählt Gregor Sander von der Unfreiheit im Leben wie in der Liebe
„Ich würde wirklich gern raus aus diesem Land“, sagt Margarete, während sie die Pässe vom ungarischen Zöllner wieder in Empfang nimmt. „Aber das ist mit Jósef nicht zu machen. Das kannst du vergessen. Ohne sein Ungarn ist der nichts.“
Was wäre gewesen, wäre Astrid Jana nicht auf dieses Sommerfest gefolgt? Astrid hätte Julius vielleicht nie kennengelernt. Was wäre gewesen, wenn Julius’ Vater nicht im Westen gelebt hätte? Sein Westbruder hätte Julius vielleicht nie zur Flucht überredet. Was wäre gewesen, wenn Astrid ihren Westbesuch nie beendet hätte? Aus den Beiden wäre vielleicht ein Paar geworden und sie wären sich nicht 25 Jahre später in einem Budapester Hotel begegnet.
Was gewesen wäre, diese Überlegung kennt wahrscheinlich jeder. Gregor Sander macht sie zum Titel und Konzept seines neuen Romans. Im ersten Kapitel erzählt er wie die Liebe zwischen Julius und Astrid auf einem Künstlerfest bei Anklam beginnt. Im zweiten befinden sie sich ein Vierteljahrhundert später in Budapest. Dort verbringt Astrid einige Tage mit ihrer neuen Liebe Paul.
Im Weiteren erzählt mal die Stimme Astrids mal die des Erzählers von Vergangenheit und Gegenwart, von DDR und BRD. In verschiedenen Zeitebenen bewegen sich die Figuren und ihre Geschichte aufeinander zu. Gregor Sander schildert das vermeintliche Idyll der DDR-Bohème ebenso wie die unüberwindbaren Repressionen und Grenzen dieses Staates, der Menschen trennte und manipulierte. Der Autor beschreibt allerdings auch die Heimatgefühle seiner Protagonisten und die damit verbundene Geborgenheit.
Der 1968 in Schwerin geborene und jetzt in Berlin lebende Schriftsteller gehört zur gleichen Generation wie seine Protagonisten. In den letzten Jahren der DDR erwachsen geworden lebt er jetzt im Westen. Von den Umbrüchen seiner Figuren erzählt er in alternierenden Zeitsprüngen und Sichtweisen. Die Geschichte selbst ist eher unspektakulär. Die Art wie Sander sie konstruiert umso mehr. Die unterschiedlichen Ebenen der Kapitel sind durch ihre Motive verknüpft. Sie verweisen je nach dem in Vergangenheit oder Zukunft. Subtil spinnt Sander so ein Netz aus Gedanken und Handlungen, in das er die zwischen DDR und BRD auseinandergerissene Liebesgeschichte fast.
Diese Konstruktionskunst gefällt mir besser als die Story an sich. Besonders die Schilderung der DDR-Verhältnisse bleibt im Klischee. Warum Jana zur Stasi-Gehilfin mutieren muss erschließt sich mir nicht ganz. Ebenso überflüssig finde ich den Handlungsort Urologie-Station, auch wenn Sander als ehemaliger Krankenpfleger über internes Wissen verfügen mag.
Versöhnt mit diesen disparaten Handlungssträngen haben mich die letzten Kapitel. Dort begegnen die Hauptfiguren jungen ungarischen Künstlern, deren Dilemma an das der Künstler und Menschen der DDR erinnert. Sie leben unter einer Unrechtsregierung und sie lieben ihr Land. Unmöglich zwischen Gehen und Bleiben zu entscheiden.
Gregor Sander, Was gewesen wäre, Wallstein Verlag, 1. Aufl. 2014
Liebe Atalante,
ich habe das Buch nun schon mehrfach gesehen und hatte eigentlich große Lust darauf. Ganz begeistert bist du ja nicht. Klischeehaften Schilderungen der DDR schrecken mich aber eher ab bzw. ist man schon gewohnt.
Schade, ein gut geschriebener DDR-Roman wäre mal wieder an der Zeit…
Vielleicht war ich da auch ein wenig hart. Mich beschlich hin und wieder das Gefühl, Sander will mit seinem Roman eher Jüngere erreichen.
Was mir jedoch sehr gut gefallen hat, ist die Diskrepanz zwischen Heimatverbundenheit und Unzufriedenheit mit dem Staat, die er in seinem Roman vermittelt.