Einladung von der Herzogin (Bd. 3, 520–536)
„Selbst im einzelnen Ablauf einer Neigung hilft eine Abwesenheit, die Ablehnung einer Einladung, eine unfreiwillig, unbewußte Strenge weit mehr als alle Schönheitsmittel und die gewählteste Kleidung.“
Auf der Matinée-Villeparisis ist das Bild, was sich der junge Erzähler von Mme de Guermantes machte, zerbröckelt. Das aus der Ferne verehrte Idol entpuppt sich bei näherer Betrachtung als „dumme Pute“. Marcel verzichtet auf seine tägliche Pirsch, er habe, so seine Mutter, „wirklich Ernsteres zu tun, als (sich) am Weg einer Frau zu postieren, die auf (ihn) pfeift“.
Die Morgenspaziergänge werden unbeschwert. Der Druck, dem Objekt der Begierde begegnen zu müssen, entfällt und befreit seine Wahrnehmung. Marcel erkennt, daß auch andere nicht in ewiger Glückseligkeit leben, und freut sich an den kleinen Zuneigungen, wie dem Zwinkern einer Passantin. Zuvor hinterließen solche Momente keine Spuren. Die Fixierung auf Mme de Guermantes hatte ihn blind gemacht.
Diese Gedanken wandern durch seinen Kopf als er durch das Tête-à-Tête mit Albertine verspätet zur Soirée bei Mme de Villeparisis erscheint. Er will dem Gesellschaftsgetümmel zunächst fernbleiben und sucht einen ruhigen Platz.
Wie sehr, so ahnt er, steht doch stets das Drängen nach dem Wunsch seiner Erfüllung im Wege. War es nicht auch so mit Albertine, die ihm wenige Stunden zuvor freiwillig gewährte, was sie ihm in Balbec verweigert hatte?
Da betritt die Herzogin den Raum, entdeckt Marcel, ändert die Richtung, geht auf ihn zu und setzt sich tatsächlich neben ihn. So viel Nähe war nie, der breite Sessel, die Bergère bietet höchstens Platz für zwei. Doch bevor er verwundert ihre Frage nach Saint-Loup beantworten kann, erscheint die Gastgeberin und lädt beide zum Diner in der kommenden Woche. Vielleicht interpretiert sie die neue Zweisamkeit falsch, denn die Trennung des Herzogspaars war gerade bekannt geworden. Doch Marcel lehnt ab und verweigert auch einen weiteren Termin. Nachdem Mme de Villeparisis ihnen den Rücken kehrt, dauert es nicht lange und nun lädt die Herzogin Marcel zum Dinner.
Perplex fragt er sich, woher das plötzliche Interesse kommt. Weil er nun keines mehr empfindet? Ein Resultat der Freundschaft mit Saint-Loup und Mme de Villeparisis? Ist er wegen dieser Beziehungen Gesprächsthema in der Coterie der Guermantes? Sollte er dieser gar neuen Wind zuführen? Überzeugen tatsächlich seine Vorzüge? Vielleicht hatte sich nur der Herzog gegen eine Einladung gestellt? Oder hinterließen doch die kurz zuvor abgelehnten Einladungen den Eindruck, er sei eine Person, die ihre Gunst verschenkt und nicht um die der anderen buhlt?
„In der vornehmen Welt ist man so daran gewöhnt, umworben zu werden, daß, wer sie meidet, wie ein Phönix erscheint und Aufmerksamkeit erregt.“