Belle donne e Madonne

Kia Vahland stellt in ihrer Biographie „Leonardo da Vinci und die Frauen“ das innovative Frauenbild des Künstlers in den Vordergrund

Als Zeich­ner und Ma­ler aber ist er vol­ler Em­pa­thie, ein Künst­ler, der dem See­li­schen bis in feins­te Ver­äs­te­lun­gen nach­spürt. Sei­ne Ein­füh­lung kreist da­bei um zwei­er­lei: um die Na­tur und um die Frau­en. Aus heu­ti­ger Sicht mag die­se Ver­bin­dung nicht zwangs­läu­fi­ger er­schei­nen als die von Mensch und Na­tur all­ge­mein. Doch in Leo­nar­dos Au­gen ist na­tu­ra ei­ne weib­li­che Kraft und die Frau­en ver­fü­gen über ei­ne wun­der­sa­me Po­tenz, die ihn zeit­le­bens in­ter­es­siert. Es ist die Ga­be, Le­ben zu schenken.“

Kia Vah­l­and ist mir durch ih­re Ar­ti­kel zu Kunst- und Kul­tur­the­men in der SZ schon seit län­ge­rem be­kannt. Die Kunst­his­to­ri­ke­rin un­ter­rich­tet zu­dem an der Uni­ver­si­tät Mün­chen. Pro­mo­viert wur­de sie mit ei­ner Ar­beit über Se­bas­tia­no del Piom­bo. Auch dort steht das Frau­en­bild des Künst­lers im Vordergrund.

Es liegt al­so nicht fern, daß Vah­l­and ih­re Bio­gra­phie „Leo­nar­do da Vin­ci und die Frau­en“ über den Künst­ler, des­sen 500. To­des­tag sich jährt, eben­falls un­ter die­sen Aspekt stellt. Die Be­deu­tung des Weib­li­chen in Leo­nar­dos Welt­bild bil­det das Zen­trum von Vah­l­ands Ar­gu­men­ta­ti­on. Sie zeigt Leo­nar­do als ex­ak­ten Er­for­scher von In­ter­ak­ti­on im Klei­nen wie im Gro­ßen. Sei­ne Em­pa­thie für das weib­li­che Ge­schlecht drückt er mit ma­le­ri­schen Mit­teln aus und weist den Frau­en durch sein ge­stal­te­ri­sches Ge­nie ei­ne be­deu­ten­de­re als die bis­her zu­ge­stan­de­ne Po­si­ti­on zu, nicht nur im Porträt.

Leo­nar­do ver­tritt ein für sei­ne Zeit in­no­va­ti­ves Frau­en­bild, das er nicht nur in dar­stel­le­ri­scher Wei­se re­vo­lu­tio­niert, lau­tet Vah­l­ands The­se im Pro­log, die sie auf den nach­fol­gen­den knapp drei­hun­dert Sei­ten aus­führt. Leo­nar­do da Vin­ci macht die Frau­en zu „We­sen ei­ge­nen Rechts in ei­ner Epo­che weib­li­cher Recht­lo­sig­keit“. Durch sei­ne Art sie zu por­trä­tie­ren, er­kennt er das „un­ver­füg­ba­re Ei­gen­le­ben“ der Frau­en an und zeigt gleich­zei­tig, auch in der An­la­ge sei­ner Hei­li­gen­bil­der, daß Frau­en, ob Ma­don­na oder Mä­tres­se, „für das gro­ße Gan­ze ste­hen“.

Doch Vah­l­ands Buch ist auch ei­ne Bio­gra­phie, in der sie die Ent­wick­lung des Künst­lers schil­dert. Aus­ge­hend von sei­nen Kunst­wer­ken führt die Au­torin zu den bio­gra­phi­schen und künst­le­ri­schen Sta­tio­nen Leo­nar­dos. Die An­la­ge die­ser Ka­pi­tel macht die Lek­tü­re so in­ter­es­sant wie un­ter­halt­sam. Über ein aus­ge­wähl­tes Kunst­werk, im Kind­heits­ka­pi­tel ist es die die „Ma­don­na mit der Nel­ke“, bin­det Vah­l­and ih­re Ana­ly­se und In­ter­pre­ta­ti­on an zeit­his­to­ri­sche Er­eig­nis­se. Sie hin­ter­fragt die In­ten­ti­on Leo­nar­dos un­ter Be­rück­sich­ti­gung sei­ner Ver­hält­nis­se. So wird po­li­ti­sche Ge­schich­te zur per­sön­li­chen. Der Künst­ler er­scheint im Um­feld sei­ner Fa­mi­lie und Auf­trag­ge­ber, sei­ner Kol­le­gen und Kon­kur­ren­ten, sei­ner Kunst­wer­ke und sei­ner Ge­lieb­ten. Die Au­torin greift auf Quel­len wie auf An­ek­do­ten zu­rück und setzt die­se mit­un­ter auch durch Dia­lo­ge le­ben­dig in Szene.

Das Ver­ständ­nis ver­tie­fen Ka­pi­tel zur so­zio­kul­tu­rel­len Ge­schich­te der krea­ti­ven wie ka­pi­tal­träch­ti­gen Me­di­ci-Me­tro­po­le Flo­renz, wo ero­ti­sche Män­ner­lie­be und idea­li­sie­ren­de Frau­en­ver­eh­rung kei­ne Ge­gen­sät­ze waren.

Drei Ge­mäl­de stüt­zen Vah­l­ands The­se zum Frau­en­bild Leo­nar­dos aus ih­rer Sicht am stärks­ten. Es sind die Por­träts der Gi­nev­ra de‘ Ben­ci, der Ce­ci­lia Gal­lera­ni und die be­rühm­te Mo­na Li­sa. Vah­l­and wid­met den „Schlüs­sel­wer­ken“ je­weils ei­ge­ne Ka­pi­tel und knüpft den kunst­his­to­ri­schen Dis­kurs eng an die per­sön­li­chen Ge­schi­cke des Künstlers.

Auch das Neue an Leo­nar­dos Ma­le­rei kommt nicht zu kurz. Sei­ne ra­di­kal an­de­ren Kom­po­si­tio­nen und die Ab­kehr vom tra­di­tio­nel­len Por­trät-Stil ver­deut­li­chen laut Vah­l­and das In­di­vi­du­el­le im Bild­nis der Frau und wer­den so ih­rem Cha­rak­ter ge­recht. Der freie Geist des Ge­nies zeig­te sich auch in Ex­pe­ri­men­ten mit neu­en Far­ben und Mal­grün­den, die je­doch nicht im­mer glückten.

Die Be­frei­ung von Kon­ven­tio­nen, aber auch von den An­sprü­chen an­de­rer war Leo­nar­do wich­tig, auch wenn da­zu zähl­te, Auf­trag­ge­ber vor den Kopf zu sto­ßen und zahl­rei­che Auf­trä­ge in den Sand zu set­zen, z.B. das Al­tar­bild für den Pa­laz­zo del­la Signo­ria oder das für San Do­na­to a Sco­pe­to.

Au­ßer mäch­ti­gen und macht­lo­sen Auf­trag­ge­bern zieht Vah­l­and auch vie­le Künst­ler der Epo­che in ih­re Be­trach­tun­gen ein. Ne­ben de­nen des Leo­nar­do Krei­ses tre­ten Kon­kur­ren­ten und Zeit­ge­nos­sen auf, wie Bot­ti­cel­li, Mi­chel­an­ge­lo oder Se­bas­tia­no del Piombo.

Den Text schließt ein Epi­log, in dem die Au­torin wei­te­re dem Künst­ler zu­ge­schrie­be­ne Wer­ke er­wähnt, von de­nen sie be­son­ders Sal­va­tor Mun­di auf Grund feh­len­der Be­le­ge, aber auch we­gen der Dar­stel­lung und Sym­bo­lik kei­nes­falls als ein Werk Leo­nar­dos gel­ten lässt.

Vah­l­and stellt Leo­nar­dos Weg vom un­ehe­li­chen Sohn zum be­gehr­ten Künst­ler an­schau­lich dar und ver­bin­det dies mit ih­rer in­ter­es­san­ten Aus­gangs­the­se. Da­bei ge­lin­gen ihr klei­ne psy­cho­lo­gi­sche Por­träts der je­wei­li­gen Frau­en, dar­un­ter die bel­le don­ne Gi­nev­ra und Ce­ci­lia und die ein­fluss­rei­che Mark­grä­fin und Mä­ze­nin von Man­tua, Isa­bel­la d’Este.

Leo­nar­do er­scheint in die­ser Bio­gra­phie als phi­lo­so­phi­sches Ma­ler­ge­nie von star­ker Em­pa­thie. Sein gro­ßes na­tur­kund­li­ches In­ter­es­se, greif­bar in den Schrif­ten des Künst­lers, tritt auch in den Land­schaf­ten sei­ner Bil­der zu­ta­ge. Sein tech­ni­scher Er­fin­der­geist sei, so Vah­l­and, in der Pra­xis oft kläg­lich ge­schei­tert, z.B. als Hy­drau­li­ker der Re­pu­blik Flo­renz, wird aber den­noch seit Mus­so­li­ni ger­ne instrumentalisiert.

Das mag man­chen ir­ri­tie­ren. Mich ir­ri­tie­ren in die­ser sehr le­sens­wer­ten Leo­nar­do-Bio­gra­phie nur ei­ni­ge Rechts-/Links-Ver­wechs­lun­gen in den Bild­be­schrei­bun­gen, z.B. S. 183 oder Abb. 15, was wohl eher dem Lek­to­rat zu zu­schrei­ben ist.

Er­gänzt wird die Bio­gra­phie von Ab­bil­dun­gen und ei­nem Ta­fel­teil. Im um­fang­rei­chen An­hang fin­den sich An­mer­kun­gen, ein Li­te­ra­tur- und Ab­bil­dungs­ver­zeich­nis, die chro­no­lo­gi­sche Vi­ta Leo­nar­dos und ein Personenregister.

Kia Vahland, Leonardo da Vinci und die Frauen. Eine Künstlerbiographie, Insel Verlag 2019

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