Alte Freundinnen

Charlotte Wood konfrontiert in „Ein Wochenende“ drei Freundinnen mit sich selbst und ihrer in die Jahre gekommenen Freundschaft

So wür­den die Ta­ge oh­ne Syl­vie al­so sein, mit die­ser Di­stanz zwi­schen ih­nen, die sich aus­wei­te­te und ver­tief­te. Sie blieb ste­hen und be­ob­ach­te­te, wie der Ab­stand zu den bei­den an­de­ren im­mer grö­ßer wur­de. Auch sie gin­gen nicht ge­mein­sam. Bis jetzt hat­te sie nie dar­über nach­ge­dacht, dass sich das aus­ge­lei­er­te Gum­mi­band ih­rer Freund­schaft ei­nes Ta­ges auf­lö­sen könn­te. Es schien un­mög­lich. Aber et­was To­tes hat­te sich in ih­re Ge­füh­le für­ein­an­der ein­ge­schli­chen und schien sich auszudehnen.“

Die meis­ten Men­schen ha­ben ei­ne Hand­voll en­ger Freun­de, oft so­gar we­ni­ger. Al­les, was die Zahl drei über­steigt, so scheint es, sprengt den Rah­men. Oft er­wei­sen sich die un­ter­schied­li­chen Ei­gen­ar­ten, Vor­lie­ben, kurz die Per­sön­lich­kei­ten der Freun­de als Stör­fak­tor. Dies zeigt sich bei ge­mein­sa­men Un­ter­neh­mun­gen. Und was macht erst das Al­ter dar­aus? Die lan­gen Jah­re des Le­bens? Die zu­neh­men­de Starrköpfigkeit?

Von ei­ner der­ar­ti­gen Ge­menge­la­ge er­zählt der neue Ro­man der aus­tra­li­schen Au­torin Char­lot­te Wood. Mit sei­nen knapp 300 Sei­ten hat er die rich­ti­ge Län­ge, um sei­ne Le­se­rin­nen wie sei­ne Le­ser — auch wenn im Buch be­haup­tet wird, daß Män­ner kaum

Ro­ma­ne le­sen — für „Ein Wo­chen­en­de“ an die Küs­te von New South Wales zu füh­ren. Es ist ein Schön­wet­ter-Weih­nachts-Wo­chen­en­de als Ju­de, Wen­dy und Ade­le im Strand­haus der ver­stor­be­nen Freun­din ein­tref­fen, um Syl­vies Sa­chen zu sor­tie­ren und Ab­schied zu nehmen.

Woods Fi­gu­ren, al­le­samt um die Sieb­zig, tref­fen se­pa­rat dort ein. Da ist Ju­de, die aus ih­rer frü­he­ren Ar­beit in ei­nem Re­stau­rant Krea­ti­vi­tät und Stil­be­wusst­sein für Spei­sen und Am­bi­en­te mit­bringt und sie pe­ni­bel ver­folgt. Es wun­dert ein we­nig, daß aus­ge­rech­net die­se kon­trol­lier­te Frau seit über 30 Jah­ren mit ei­nem ver­hei­ra­te­ten Mann li­iert ist, der zu ih­rem Wohl­stands­le­ben nicht un­er­heb­lich bei­trägt. Die in­tel­lek­tu­el­le Wen­dy, pro­mo­vier­te Phi­lo­lo­gin, ist glei­cher­ma­ßen ge­fühl­voll und chao­tisch. Als ihr Mann Lan­ce vor vie­len Jah­ren starb, hat­te Syl­vie sie mit ei­nem Wel­pen aus der Er­star­rung ge­ris­sen. Finn, in­zwi­schen am En­de sei­nes Hun­de­le­bens, gilt Wen­dys gan­ze Für­sor­ge, zum Un­ver­ständ­nis von Ju­de und Ade­le. Die­se drit­te Freun­din, ei­ne sich ihr Al­ter und ihr Kar­rie­re­en­de nicht ein­ge­ste­hen­de Schau­spie­le­rin, er­scheint ver­spä­tet wie im­mer, um dann, eben­falls wie im­mer, das bes­te Zim­mer in Be­schlag zu nehmen.

Es ist ver­blüf­fend, wie Wood durch de­tail­lier­te Be­schrei­bun­gen ein at­mo­sphä­ri­sches Bild der Um­ge­bung und der ein­zel­nen Cha­rak­te­re zeich­net. De­ren Dif­fe­ren­zen stellt sie durch die un­ter­schied­li­chen Er­zähl­stim­men her­aus. Mit ei­nem Ein­rich­tungs­ge­gen­stand, ei­ner wei­ßen De­si­gner-Couch, die Ju­de einst Syl­vie über­las­sen hat, zeigt sie ganz un­ter­schied­li­che Ein­schät­zun­gen. In Ju­des Au­gen ist es „ei­ne Schan­de, wie Syl­vies bil­li­ge, ver­wohn­te Sa­chen von der Ele­ganz der Couch ab­lenk­ten“. Wen­dy hin­ge­gen emp­fin­det das Mö­bel­stück als „völ­lig fehl am Platz“, weil es die ur­sprüng­li­che At­mo­sphä­re zer­stö­re. Ju­de hat­te in ih­ren Au­gen „et­was von ei­nem Be­stat­ter. Im­mer strahl­te sie ei­ne grim­mi­ge Be­frie­di­gung aus, wenn bei an­de­ren Leu­ten et­was schief­lief“. Hin­ge­gen be­nimmt sich Ade­le, die Schau­spie­le­rin, laut Ju­de „wie ei­ne Vier­jäh­ri­ge auf ei­nem Kin­der­ge­burts­tag“, den­noch ver­birgt sie ih­re Probleme.

Je­de der Frau­en hat Brü­che, die sie den Freun­din­nen nicht of­fen­bart. Wood zeigt de­ren In­nen­le­ben, neid­vol­le Ge­dan­ken ste­hen ne­ben Mit­ge­fühl. Die drei Frau­en ken­nen sich gut. Sie ah­nen, was sie von­ein­an­der den­ken. Da­zu zäh­len In­to­le­ran­zen in klei­ne­ren, spe­zi­el­len Din­gen, aber auch die Ak­zep­tanz im Grund­sätz­li­chen. Mit psy­cho­lo­gi­schem Ge­spür schil­dert Wood die Fremd- und Selbst­bil­der der Freun­din­nen und ent­larvt auf ge­schick­te wie un­ter­halt­sa­me Wei­se Kon­kur­renz, Neid und Selbst­über­schät­zung. Die Dis­kre­panz, die mit dem Äl­ter­wer­den der Frau­en wie der Freund­schaft ge­wach­sen sein mag, könn­te an die­sem ge­mein­sa­men Wo­chen­en­de zum Bruch füh­ren, zu­mal Syl­vie mit ih­rer Em­pa­thie die Grup­pe nicht mehr zusammenhält.

Je­de der Frau­en lei­det un­ter dem Al­ter, denkt an den Ver­fall von Haut und Ge­len­ken oder an die letz­te Darm­spie­ge­lung. Als sei dies noch nicht ge­nug, schleppt sich der ar­me Hund Finn als Me­men­to Mo­ri durch die Ge­gend und zeigt in kras­ser Wei­se, was ganz zu­letzt al­len be­vor­ste­hen könn­te. Doch ne­ben dem Äl­ter­wer­den steht die Freund­schaft im Vor­der­grund und mit ihr die Er­kennt­nis, die die­ser klei­ne Ro­man klug lie­fert, es sind die Un­ter­schie­de, von de­nen sie lebt.

Charlotte Wood, Ein Wochenende, übers. v. Brigitte Walitzek, Kein&Aber 2020

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