Phillip Lewis‘ Rückkehr nach Old Buckram ist das mysteriöse Debüt eines Poe-Adepten
„Ich rief den Kellner und bestellte zwei Corona mit Limettenschnitz. Ich wollte den Ball flach halten.
„Mit wem bist du hier?“, fragte ich sie. Ich deutete auf meinen Tisch, wo J.P., Tyler und Will jetzt doch Rabatz machten. Aber dann fragte BethAnn Story etwas, die drehte sich zu ihr, und ich wusste natürlich nicht, ob sie sich wieder mit mir unterhalten würde. Trotzdem wartete ich am Tisch, bis das Bier kam. Story und ich drückten unsere Limetten in die Flaschen und prosteten uns zu.““
Corona-Roman könnte man kalauernd das Debüt von Phillip Lewis nennen, denn es wird ganz schön viel Bier der bekannten mexikanischen Marke getrunken, stets versehen mit einem Schnitz Limette, was der Autor nicht müde wird zu betonen. Gleichzeitig ist der Unterhaltungsroman geeignet, um ohne Anstrengung der aktuellen Situation zu entfliehen.
Den jungen Protagonisten vertreiben die familiären Verhältnisse aus seiner Heimat in den Blue Mountains. Doch, Eskapismus ist keine Lösung, nach einigen Jahren entschließt er sich zur „Rückkehr nach Old Buckram“, um die Geschehnisse seiner Vergangenheit zu klären.
Auf den Roman bin ich zufällig gestoßen, es ist momentan ja ausreichend Zeit zu stöbern. Als ich ihn dann in Händen hielt und die ersten Seiten gelesen hatte, stieß ich auf die gleichen Themen wie im zuvor gelesenen Roman „Der Freund“, auf Einsamkeit, das Schreiben und die Literatur, letzteres mit zahlreichen Verweisen auf Schriftsteller und ihre Werke unterlegt. Neben Edgar Allan Poe gilt die besondere Aufmerksamkeit des Autors Thomas Wolfe und William Faulkner.
Das Hauptsujet allerdings, von dem der Protagonist Henry in der Rückschau erzählt, ist sein Vater Henry L Aster. Im Laufe des Romans wird noch eine weitere Vaterfigur eine Rolle spielen, man könnte also Vaterschaft als das Thema dieses Romans bezeichnen.
Henrys Vater wurde 1939 in Old Buckram in den Appalachen geboren. Idyllisch gelegen in den Blue Mountains ist der Ort ebenso arm wie trostlos. Was ihm an Kultur fehlt — im Laufe der Geschichte verhindert der Vater die Verbrennung eines Faulkner-Werks — macht ein zu viel an Religion wett. „Für die Kinder in Old Buckram war es normal, mit der Schule zu beginnen, aber nicht, sie zu beenden“. Henry gelang allerdings der Aufstieg, er studierte Literaturwissenschaft und unterrichtete an der Universität von Baltimore. Die Krankheit seiner Mutter Maddy führte ihn jedoch wieder zurück. Da er seine akademische Lehrtätigkeit aufgeben musste, half er bei einem Anwalt aus. Schließlich zieht er mit seiner Frau Eleonore und Sohn Henry in einen mysteriösen, abseits gelegenen Bau am Fuße des Ben Hennom.
Lewis widmet der Beschreibung des Hauses ein eigenes Kapitel und hätte die Leserin nicht schon im Prolog erfahren, daß in Henry L Asters Schreibzimmer neben einem Raben und zahlreichen Flaschen Hochprozentigem auch Poes Tales of Mystery and Imagination lag, hätte sie spätestens bei der Beschreibung des dunklen, verwinkelten Gebäudes das House Usher erkannt. Phillip Lewis scheint ein großer Bewunderer des berühmten Schriftstellers zu sein. Das trifft ebenso auf seine Figur Henry L Aster zu. So verwundert es nicht, daß dieser darauf besteht, ein Pferd Annabell Lee zu nennen und seine Mutter wie auch die spät geborene Tochter den Namen Maddy tragen. Er selbst erscheint, wenn auch nicht als Reinkarnation von Roderick Usher, so doch eng mit diesem verwandt.
Die mit Poe und Usher verbundene Schauerstimmung setzt Lewis im ersten Teil des Romans gut in Szene. Eingebettet in stimmungsvolle Beschreibungen der Landschaft und der eigenwilligen Typen ihrer Bevölkerung, entwickelt er eine unheilvolle Atmosphäre. Hervorzuheben ist die Schilderung der „krankhaft neugierigen Menschenmenge“ um den für ein Buch errichteten Scheiterhaufen ebenso, wie die Trauer der alten Violet um ihre Princess Mary Love. Trauer und Tod treffen auch Familie Aster, in ihrer Folge verschwindet der Vater plötzlich und auch Sohn Henry verlässt die Familie zum Studium.
Das Studium, zunächst Musik, später Jura, schildert Lewis im zweiten und dritten Teil des Romans. Leider sind sie bis auf wenige Rückblicke ein überflüssiges Unterfangen, da sie klischeehaft von Studienjahren, inklusive Liebe, Drogen und Alkohol erzählen. Zudem bleiben sie nicht nur inhaltlich, sondern auch sprachlich stark hinter dem Beginn des Romans zurück. Als pars pro toto mögen die unzähligen Flaschen Corona dienen, deren Konsum bis zur fünffachen Erwähnung auf einer Seite führt, inklusive der notwendigen Limetten.
Henry kommt in dieser Zeit nach etlichen denkbaren Hindernissen mit seiner großen Liebe namens Story zusammen. Diese Figur scheint Lewis jedoch nur einzuführen, um die Geschichte einer weiteren dysfunktionalen Vaterfigur zu erzählen. Zu der Aufklärung seines eigenen, wie das Ende des ersten Teils suggeriert, mysteriösen Familiengeheimnisses, trägt diese Story, die getrost als Griff in die Kitschkiste bezeichnet werden kann, nichts bei.
Die Rückkehr nach Buckram erfolgt im vierten und letzten Teil des Romans, damit naht die Auflösung des Rätsels, warum und wie Henrys Vater, das verkannte, wahnhafte Genie, verschwand. Der Roman wird wieder lesbarer, allerdings leidet seine Logik an der Erzählform. Die Rückschau wird gerne gewählt, wenn erwachsene Söhne die Geschichte ihrer Familie erzählen und unverstandene Ereignisse ergründen wollen. Allerdings weiß der Erzähler dieses Romans von Anfang an, was mit dem Vater geschehen ist, er teilt dies seinen Zuhörern jedoch erst auf den letzten Seiten mit. Lediglich die Frage nach dem Warum bleibt offen. Lewis nutzt leider nicht die Entwicklungsphasen seines Protagonisten in den beiden mittleren Teilen, um ihn an die Erkenntnis heran zu führen. Diese findet Henry tatsächlich erst, als er bei seiner Rückkehr ins Elternhaus auf dem Schreibtisch des Vaters Camus „Der Fremde“ entdeckt. Die gleiche Szene findet sich, unverständlicherweise leicht abgeändert formuliert oder vielleicht nur anders übersetzt, im Prolog.
Dieses merkwürdige Debüt eines Poe-Adepten wäre vielleicht ein guter Roman geworden, wenn man neben vielen Flaschen Bier auch Teil zwei und drei gestrichen hätte.