Sigrid Nunez komponiert in „Der Freund“ Eigenes und Fremdes zu einem Buch über Schriftsteller und ihr Schreiben
„Aber auf diesen Seiten findet sich vieles, von dem ich nie jemandem erzählt habe. Es ist seltsam, wie der Akt des Schreibens zu Geständnissen führt. Nicht, dass es nicht auch dazu führt, das Blaue vom Himmel herunterzulügen.“
Manchem Leser mag beim Blick auf das Buch unwohl werden, wenn auch nicht so sehr wie meinem Freund. Mit Schrecken denkt dieser daran zurück, wie ein paar muntere Erwachsene, allen voran seine Eltern, ihn auf den Rücken eines riesigen Hundes hievten. Das Geschrei des Dreijährigen war groß, das Reittier blieb jedoch gelassen. Es war eine Dogge, und da die Geschichte im südlichen Skandinavien spielte, eine dänische, auch wenn, wie Sigrid Nunez in ihrem Roman „Der Freund“ erklärt, diese Rasse als deutsch bezeichnet wird. Ob der sanfte Riese von damals, wie der Hund im Roman eine Harlekindogge mit schwarzen Flecken auf weißem Fell war, ist nicht mehr im Gedächtnis. Geblieben ist jedoch die Phobie. Mein Freund würde also niemals das tun, was in Nunez‘ Buch geschieht, einen hinterlassenen Hund aufnehmen.
Sigrid Nunez‘ Ich-Erzählerin, wie diese Schriftstellerin und Dozentin für Kreatives Schreiben, steht zunächst widerwillig diesem Erbe gegenüber, nachdem ihr bester Freund den Tod gewählt hat. Noch während sie trauert und nach Antworten sucht, erhält sie die Botschaft, daß die riesige Harlekindogge nach dessen Willen nun bei ihr leben solle.
Dies ist nicht nur ein Buch über Freundschaft zu zwei- und vierbeinigen Gefährten. Es ist eine Trauerbewältigung, die sich in eindringlichem Du an den verlorenen Freund richtet und zugleich von Literatur und ihren Voraussetzungen erzählt.
Bereits zu Beginn lesen wir vom aktuellen Schreibprojekt der Ich-Erzählerin. Es handelt von traumatisierten Frauen, die durch die erfahrenen Gräuel an psychosomatischer Blindheit leiden. Vor kurzen sprach sie noch mit dem Freund darüber, jetzt fühlt sie sich selbst blindgeweint, so sehr hat die Trauer sie überwältigt.
Hätte ihr Freund dies verstanden? Die Trauerfeier jedenfalls, die eher einem Empfang des Literaturbetriebs gleicht, hätte der exzentrische Atheist rundheraus abgelehnt. Eine Erklärung für seinen Tod hinterließ er nicht, auch wenn sein Reden und Verhalten in letzter Zeit darauf hindeuteten. Vielleicht hatte der passionierte Flaneur, dem das Schreiben und das Gehen untrennbar verbunden waren, Angst vor dem Alter? Der körperliche Verfall würde dem ebenso wie seinen zahlreichen Frauengeschichten ein Ende setzen. Vielleicht litt er unter einer klinischen Depression? Allein mit diesem Lebensüberdruss war er nicht, wie berühmte Schriftstellerkollegen in Wort und Tat zeigen. Sigrid Nunez lässt ihre Ich-Erzählerin Samuel Beckett und Virginia Woolf aufrufen, so wie sie viele ihrer Gedanken, Dialoge und Erinnerungen mit den Einsichten anderer Autoren verziert. Dies gelingt ihr mit Leichtigkeit an der richtigen Stelle, was den Lesefluss auf oft amüsante Weise bereichert.
Die Beziehung zwischen der Ich-Erzählerin und ihrem Freund ist speziell. Anfangs gefährdet, lebte sie wieder auf und blieb bestehen, nicht ohne daß die Ich-Erzählerin deren ungewöhnliche Form hinterfragt. Dazu gehört, daß sie bei jeder neuen Liebe ihres Freundes litt. Oft wurde sie auf diese Probe gestellt von ihrem Freund, dem Frauenheld, der als Uni-Dozent an der Quelle saß, und neben drei Ehefrauen zahlreiche Geliebte hatte, „so viele, wurde gewitzelt, dass sie nicht in einen Raum passen würden“.
Ihre besondere Freundschaft wird zuletzt auf ganz andere Weise auf die Probe gestellt durch die Dogge, die dem Freund unlängst zugelaufen war. Es ist der letzte Liebesdienst, den die Freundin ihm erweist. Ist sie doch eher ein Katzenmensch und ihre winzige Wohnung zudem mit einem Hundeverbot belegt. Zugleich ist es sein letzter Liebesbeweis an sie, da der Freund nicht einer anderen, sondern ihr den Hund anvertraut.
Der Hund trägt sonderbarerweise als Einziger einen Namen, Apollo, als Anführer der Musen ein äußerst passender Begleiter für einen Schriftsteller. Die Namenlosigkeit von Nunez‘ anderen Figuren lässt sich mit der von ihr angeführten Geschichte von Ursula K. Le Guin in Verbindung bringen. In dieser dient das Aufgeben der Eigennamen der Distanzüberwindung. Nunez nutzt es vielleicht, um die Kluft zwischen Erlebtem und Erzähltem zu überwinden.
Sigrid Nunez erzählt viel von ihrem Schreiben. Mit Hilfe anderer Autoren ergründet sie Antriebe und Hemmnisse der Schriftstellerei. Schreiben kann der Erinnerung dienen, der Katharsis oder Therapie und ist oft mit Selbstzweifeln, Scham und Selbsthass belastet.
Nunez schildert die Konkurrenz des Literaturbetriebs, die prekären Nöte, die Zugeständnisse. Und sie stellt die Kardinalfrage, ob ein Autor eine reale Person unverkennbar als Romanfigur installieren darf. Toni Morrison bezeichnet dies als „Urheberrechtsverletzung“, Christa Woolf als „eine Art Mord“. In Deutschland können Persönlichkeitsrechtverletzungen sogar zu Druckverboten führen, man denke an Maxim Billers „Esra“.
Nunez erteilt den Rat, „Statt über das zu schreiben, was ihr wisst, (…) schreibt über das, was ihr seht“, sie empfiehlt, das Selbstgeschriebene laut zu lesen und fordert mit dem großen Gewährsmann Rilke, „Meide Ironie, ignoriere Kritik, suche das Einfache, studiere die kleinen und bescheidenen Dinge in der Welt, tu, was schwierig ist, eben weil es schwierig ist, suche nicht nach Antworten, sondern liebe die Fragen, lauf nicht weg vor Traurigkeit oder Depression, denn sie könnten die Bedingungen für deine Arbeit sein. Suche die Einsamkeit, vor allem suche die Einsamkeit.“
Zum Schreiben gehört das Lesen, auch wenn mancher Schreibschüler das nicht wahrhaben will. Die Ich-Erzählerin beklagt dies in ihrer Rolle als Dozentin ebenso, wie die als Political Correctness getarnte Zensur und den Hype um Star-Autoren. Sie wendet sich gegen den Publikumsgeschmack, dem der Schriftsteller in Zeiten des Internets häufiger und direkter ausgesetzt ist als früher. Ihr sind Leser egal, die „ein Buch nie danach bewerten, wie gut es die Absichten des Autors erfülle, sondern nur danach, ob es ein Buch war, das ihnen gefiel“. Ein Autor müsse schreiben, „was er will, ungeachtet der Meinung von anderen“.
So mag man in dem Verhältnis von Autor und Leser auch Formen des Missbrauchs entdecken. Schwerwiegenderem Missbrauch widmet sich Nunez ebenfalls in „Der Freund“ und sprengt damit mitunter den Rahmen ihres Buchs. Dennoch bildet dies einen weiteren Aspekt neben den Erinnerungen an den Freund und dem Schreiben. Zusammengehalten wird alles durch die Frage, wie die Geschichte ihrer Ich-Erzählerin mit dem Hund weitergeht. Es ist tatsächlich ein amüsantes Buch, auch wenn es den Tod eines Freundes zum Thema hat.
Wie es mit Apollo ausgegangen ist, wie überhaupt die ganze Geschichte ausging und wo sie ihren Anfang fand, das möge jeder, der Hunde mag, gerne vom Schreiben hört und geduldig für die Introspektionen anderer ist, selbst lesen.
Hallo,
ach du je, die Erinnerung ist ihm dann ja wohl sehr lebhaft in Erinnerung geblieben!
Meinen besten Freund hat, als er ein Kleinkind war, mal ein Dackel ins Gesicht gebissen, und ihn plagt auch 40 Jahre später noch eine echte Hundephobie. (Die Narbe in der Oberlippe hat er auch noch.) Er würde deinem Freund auf jeden Fall zustimmen: Hund aufnehmen?! Niemals!
„Zum Schreiben gehört das Lesen, auch wenn mancher Schreibschüler das nicht wahrhaben will. Die Ich-Erzählerin beklagt dies in ihrer Rolle als Dozentin ebenso, wie die als Political Correctness getarnte Zensur und den Hype um Star-Autoren.”
Das macht mich neugierig auf das Buch und stimmt mich gleichzeitig etwas vorsichtig – so oder so eine gelungene Rezension!
LG,
Mikka
Hallo Mikka,
das Zitat sollte ganz bestimmt niemanden vom Lesen abhalten. Was genau lässt Dich daran zurückzucken?