Leicht und eindrucksvoll erzählt Joachim Meyerhoff in „Ach diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“ vom Ankommen und Abschiednehmen
„Während der gesamten nächsten drei Jahre wohnte ich bei ihnen und die Zeit mit meinen Großeltern war vielleicht sogar intensiver und prägender für mich als die Ausbildung selbst. Drei Jahre lang sollten diese beiden komplett verschiedenen Welten meine Leben bestimmten.“
Bevor ich mit der Besprechung des Romans beginne, muss ich beim Autor Abbitte leisten. 2013 als der damals an der Wiener Burg engagierte Schauspieler beim Bachmann-Wettbewerb aus dem vorliegenden Roman las, hat mir dies ganz und gar nicht gefallen. Es lag zum einen an der Szene, die mir als pubertäre Ladendiebfarce erschien und die ich auch jetzt nach der Lektüre des kompletten Romans noch als schwach erachte. Doch noch viel mehr störte mich die Präsenz von Meyerhoffs Vortrag, der geradezu unanständig gut zwischen den Bemühungen seiner Mitbewerber hervorstach. Diese Professionalität hat für mich den Text stark überlagert. Ich war also nicht auf seiner Seite. Nie hätte ich gedacht, dass der Roman zu diesem Stück mich so beeindrucken würde.
Kennengelernt hatte ich den Autor bereits einige Jahre zuvor. Damals empfahl mir eine Freundin den ersten, 2011 erschienenen Roman „Amerika“. Da lag er und ich las und amüsierte mich über Meyerhoffs Erlebnisse als Austauschschüler in den USA. Aus seinem Bühnenprojekt „Alle Toten fliegen hoch“ entstanden in den Folgejahren insgesamt drei Bände seiner mit Anekdoten gewürzten Familiengeschichte. Am eindrücklichsten in Erinnerung bleiben mir aus diesem Band allerdings weniger die amerikanischen Skurrilitäten noch der tragische Tod des Bruders, sondern die Eisenbahnbrücke in Rendsburg, insbesondere deren fäkalfatale Funktion. Ich glaube, es war diese Stelle auf den ersten Seiten des Romans, die mich weiterlesen ließ. So schlicht und einfach kann es manchmal sein.
Dennoch habe ich mit der Lektüre des zweiten Bands gewartet. Erst in diesem Sommer griff ich auf der Suche nach Ablenkung zu „Wann wird es so, wie es früher nie war“. Der Bestseller schaffte es 2013 auf die Longlist zum Deutschen Buchpreis, wo sich in diesem Jahr auch der dritte, hier vorliegende Band „Ach diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“ wiederfand. Für das zugehörige Leseprobenheft wurde zum Glück ein anderer Ausschnitt gewählt als damals in Klagenfurt.
Wir begegnen darin den Großeltern des Autors, die neben diesem die Hauptpersonen des Romans bilden. Sie nehmen ihren Enkel während seiner Schauspiel-Ausbildung an der Münchner Otto-Falckenberg-Schule in ihr Haus auf. Die feinfühlige und doch spritzige Darstellung dieses generationenübergreifenden Zusammenlebens machen für mich das Besondere des Romans aus. Meyerhoff stellt die Eigenartigkeiten seiner Großeltern heraus ohne sie jedoch bloßzustellen. Die Großmutter selbst Schauspielerin war sogar an seiner Schule engagiert, was der Enkel dort so lange wie möglich verschweigt. Er scheut den Vergleich mit ihrer beeindruckenden Persönlichkeit. Diese hatte immerhin auch den Großvater einst bewegt, seine Theologenlaufbahn aufzugeben. Die Geschichten und Gewohnheiten der Großeltern werden zum aus der Zeit gefallenen Zuhause des Enkels. Hier findet er Rückzug und Zuspruch. Seinen Frust und seine Flops in der Ausbildung behandeln sie allabendlich mit Spirit und Spirituosen.
Diese Gespräche gestaltet Meyerhoff als Tauchgänge in die Kindheit. Die oft schrägen Erinnerungen fügt er zwischen die nicht minder amüsanten Erlebnisse in der Schauspielschule und der Nymphenburger Villa. In der von Blumenduft, Parfüm und Alkohol gesättigten Atmosphäre versucht er trotz aller Vertrautheit Distanz von seinen bisherigen Lebensumständen zu gewinnen, dem Leben in der Kleinstadt Schleswig, den Eheproblemen der Eltern, dem Verlust des Bruders. Und es ist ausgerechnet dieses traumatische Ereignis, welches ihm beim Vorsprechen an der Schule hilft. Die beiden Bereiche, der Schauspielunterricht mit Gesang und Gymnastik sowie die Wohngemeinschaft mit dem rosa Zimmer der Großmutter, der Bibliothek des Großvaters, und den verlässlichen Ritualen bilden das Gerüst des Romans.
In diesem erzählt Meyerhoff auch Ernsthaftes. Die letzten Lebenstage seines Großvaters werden mir in Erinnerung bleiben. Diese eindrückliche Schilderung des immer weniger Werdens an Kraft und Substanz erinnert mich sogar ein wenig an Proust.
Der Roman nahm und nimmt mich immer wieder gefangen. Gedacht als leichte Ebook-Lektüre während der Nacht, zog er mich auch tagsüber immer wieder in seine Welt hinein, so daß ich oft ganz vergaß, was ich eigentlich in der virtuellen Welt wollte.