Spirit und Spirituosen

Leicht und eindrucksvoll erzählt Joachim Meyerhoff in „Ach diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“ vom Ankommen und Abschiednehmen

9783462048285Wäh­rend der ge­sam­ten nächs­ten drei Jah­re wohn­te ich bei ih­nen und die Zeit mit mei­nen Groß­el­tern war viel­leicht so­gar in­ten­si­ver und prä­gen­der für mich als die Aus­bil­dung selbst. Drei Jah­re lang soll­ten die­se bei­den kom­plett ver­schie­de­nen Wel­ten mei­ne Le­ben bestimmten.“

Be­vor ich mit der Be­spre­chung des Ro­mans be­gin­ne, muss ich beim Au­tor Ab­bit­te leis­ten. 2013 als der da­mals an der Wie­ner Burg en­ga­gier­te Schau­spie­ler beim Bach­mann-Wett­be­werb aus dem vor­lie­gen­den Ro­man las, hat mir dies ganz und gar nicht ge­fal­len. Es lag zum ei­nen an der Sze­ne, die mir als pu­ber­tä­re La­den­dieb­far­ce er­schien und die ich auch jetzt nach der Lek­tü­re des kom­plet­ten Ro­mans noch als schwach er­ach­te. Doch noch viel mehr stör­te mich die Prä­senz von Mey­er­hoffs Vor­trag, der ge­ra­de­zu un­an­stän­dig gut zwi­schen den Be­mü­hun­gen sei­ner Mit­be­wer­ber her­vor­stach. Die­se Pro­fes­sio­na­li­tät hat für mich den Text stark über­la­gert. Ich war al­so nicht auf sei­ner Sei­te. Nie hät­te ich ge­dacht, dass der Ro­man zu die­sem Stück mich so be­ein­dru­cken würde.

Ken­nen­ge­lernt hat­te ich den Au­tor be­reits ei­ni­ge Jah­re zu­vor. Da­mals emp­fahl mir ei­ne Freun­din den ers­ten, 2011 er­schie­ne­nen Ro­man „Ame­ri­ka“. Da lag er und ich las und amü­sier­te mich über Mey­er­hoffs Er­leb­nis­se als Aus­tausch­schü­ler in den USA. Aus sei­nem Büh­nen­pro­jekt „Al­le To­ten flie­gen hoch“ ent­stan­den in den Fol­ge­jah­ren ins­ge­samt drei Bän­de sei­ner mit An­ek­do­ten ge­würz­ten Fa­mi­li­en­ge­schich­te. Am ein­drück­lichs­ten in Er­in­ne­rung blei­ben mir aus die­sem Band al­ler­dings we­ni­ger die ame­ri­ka­ni­schen Skur­ri­li­tä­ten noch der tra­gi­sche Tod des Bru­ders, son­dern die Ei­sen­bahn­brü­cke in Rends­burg, ins­be­son­de­re de­ren fä­kal­fa­ta­le Funk­ti­on. Ich glau­be, es war die­se Stel­le auf den ers­ten Sei­ten des Ro­mans, die mich wei­ter­le­sen ließ. So schlicht und ein­fach kann es manch­mal sein.

Den­noch ha­be ich mit der Lek­tü­re des zwei­ten Bands ge­war­tet. Erst in die­sem Som­mer griff ich auf der Su­che nach Ab­len­kung zu „Wann wird es so, wie es frü­her nie war“. Der Best­sel­ler schaff­te es 2013 auf die Long­list zum Deut­schen Buch­preis, wo sich in die­sem Jahr auch der drit­te, hier vor­lie­gen­de Band „Ach die­se Lü­cke, die­se ent­setz­li­che Lü­cke“ wie­der­fand. Für das zu­ge­hö­ri­ge Le­se­pro­ben­heft wur­de zum Glück ein an­de­rer Aus­schnitt ge­wählt als da­mals in Klagenfurt.

Wir be­geg­nen dar­in den Groß­el­tern des Au­tors, die ne­ben die­sem die Haupt­per­so­nen des Ro­mans bil­den. Sie neh­men ih­ren En­kel wäh­rend sei­ner Schau­spiel-Aus­bil­dung an der Münch­ner Ot­to-Falcken­berg-Schu­le in ihr Haus auf. Die fein­füh­li­ge und doch sprit­zi­ge Dar­stel­lung die­ses ge­ne­ra­tio­nen­über­grei­fen­den Zu­sam­men­le­bens ma­chen für mich das Be­son­de­re des Ro­mans aus. Mey­er­hoff stellt die Ei­gen­ar­tig­kei­ten sei­ner Groß­el­tern her­aus oh­ne sie je­doch bloß­zu­stel­len. Die Groß­mutter selbst Schau­spie­le­rin war so­gar an sei­ner Schu­le en­ga­giert, was der En­kel dort so lan­ge wie mög­lich ver­schweigt. Er scheut den Ver­gleich mit ih­rer be­ein­dru­cken­den Per­sön­lich­keit.  Die­se hat­te im­mer­hin auch den Groß­va­ter einst be­wegt, sei­ne Theo­lo­gen­lauf­bahn auf­zu­ge­ben. Die Ge­schich­ten und Ge­wohn­hei­ten der Groß­el­tern wer­den zum aus der Zeit ge­fal­le­nen Zu­hau­se des En­kels. Hier fin­det er Rück­zug und Zu­spruch. Sei­nen Frust und sei­ne Flops in der Aus­bil­dung be­han­deln sie all­abend­lich mit Spi­rit und Spirituosen.

Die­se Ge­sprä­che ge­stal­tet Mey­er­hoff als Tauch­gän­ge in die Kind­heit. Die oft schrä­gen Er­in­ne­run­gen fügt er zwi­schen die nicht min­der amü­san­ten Er­leb­nis­se in der Schau­spiel­schu­le und der Nym­phen­bur­ger Vil­la. In der von Blu­men­duft, Par­füm und Al­ko­hol ge­sät­tig­ten At­mo­sphä­re ver­sucht er trotz al­ler Ver­traut­heit Di­stanz von sei­nen bis­he­ri­gen Le­bens­um­stän­den zu ge­win­nen, dem Le­ben in der Klein­stadt Schles­wig, den Ehe­pro­ble­men der El­tern, dem Ver­lust des Bru­ders. Und es ist aus­ge­rech­net die­ses trau­ma­ti­sche Er­eig­nis, wel­ches ihm beim Vor­spre­chen an der Schu­le hilft. Die bei­den Be­rei­che, der Schau­spiel­un­ter­richt mit Ge­sang und Gym­nas­tik so­wie die Wohn­ge­mein­schaft mit dem ro­sa Zim­mer der Groß­mutter, der Bi­blio­thek des Groß­va­ters, und den ver­läss­li­chen Ri­tua­len bil­den das Ge­rüst des Romans.

In die­sem er­zählt Mey­er­hoff auch Ernst­haf­tes. Die letz­ten Le­bens­ta­ge sei­nes Groß­va­ters wer­den mir in Er­in­ne­rung blei­ben. Die­se ein­drück­li­che Schil­de­rung des im­mer we­ni­ger Wer­dens an Kraft und Sub­stanz er­in­nert mich so­gar ein we­nig an Proust.

Der Ro­man nahm und nimmt mich im­mer wie­der ge­fan­gen. Ge­dacht als leich­te Ebook-Lek­tü­re wäh­rend der Nacht, zog er mich auch tags­über im­mer wie­der in sei­ne Welt hin­ein, so daß ich oft ganz ver­gaß, was ich ei­gent­lich in der vir­tu­el­len Welt wollte.

Joachim Meyerhoff, Ach diese Lücke, diese entsetzliche Lücke, Kiepenheuer&Witsch, 1. Aufl. 2015

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