Glücks-Reigen

In „Glücklich die Glücklichen“ schreibt Yasmina Reza von der Veranlagung zum Glück

Reza_24482_MR.inddGlück­lich die Ge­lieb­ten und die Lie­ben­den und die auf die Lie­be ver­zich­ten kön­nen. Glück­lich die Glück­li­chen.“ (Jor­ge Lu­is Borges)

Was ist Glück? Was macht ei­nen glück­li­chen Men­schen aus? Was un­ter­schei­det ihn von anderen?

Ant­wor­ten gibt die be­kann­te Dra­ma­ti­ke­rin, Yas­mi­na Re­za, die mit ih­rem Thea­ter­stück „KUNST“ und dem von Pol­an­ski ver­film­ten „Der Gott des Ge­met­zels“ auch ei­nem brei­ten Pu­bli­kum be­kannt wur­de, in ih­rem kürz­lich er­schie­ne­nen Ro­man „Glück­lich die Glück­li­chen“. Ihm stellt sie ei­nen Satz von Bor­ges vor­an, der die Viel­ge­stal­tig­keit des Phä­no­mens Glück andeutet.

Mit Witz und mit viel Me­lan­cho­lie prä­sen­tiert sie in star­ken Dia­lo­gen ihr Per­so­nal und des­sen Hang zur Es­ka­la­ti­on. Be­zie­hun­gen ste­hen im Vor­der­grund, die zwi­schen Paa­ren, zwi­schen El­tern und Kin­dern, Freun­den oder Be­kann­ten. Doch ein Ro­man ist die­se „Glücks-Rei­gen“ weiterlesen

Von Verlierern und Verkündern des wahren Denkens

Irgendwann ist Schluss“ – neue Erzählungen von Markus Orths über Wahn, Sehnsucht und Einsamkeit

Orths_Irgendwann_ist_SchlussUnd der Com­pu­ter bringt mir al­les ins Haus: Fil­me, In­for­ma­tio­nen, Neu­ig­kei­ten, Bü­cher, Thea­ter­stü­cke, al­les, was ich will. Ich muss nicht hin­aus in die Welt, die Welt kommt zu mir. Mein In­ter­es­se ist wie ein Schwamm. Es un­ter­schei­det nicht nach der Far­be des Was­sers, das es auf­saugt, oder ob es schmut­zig ist oder sauber.”

Span­nung, die an­fangs sub­til an­klingt und sich dann in un­ge­wöhn­li­chen Hand­lungs­ver­läu­fen ent­wi­ckelt, kenn­zeich­net das neue Buch von Mar­kus Orths. Nach dem Ro­man Die Tarn­kap­pe, der mir aus­ge­spro­chen gut ge­fal­len hat, liegt nun im Schöff­ling Ver­lag ein Band mit acht meist län­ge­ren Er­zäh­lun­gen vor, die in un­ge­heu­er­li­cher Art exis­ten­ti­el­le Fra­gen berühren.

In je­der sei­ner Ge­schich­ten wirft Orths sei­ne Le­ser zu­nächst ins Un­ge­wis­se. Die Mo­ti­ve der Fi­gu­ren er­schei­nen un­klar, erst nach und nach wer­den In­di­zi­en auf­ge­deckt, die Hand­lung schlägt un­er­war­te­te Vol­ten und en­det sel­ten mit ei­ner ein­deu­ti­gen Lö­sung. Der Aus­gang ist eher ei­ne Auf­for­de­rung wei­ter zu den­ken, be­greif­bar als Tür zwi­schen der Phan­ta­sie des Au­tors und der Vor­stel­lung des Lesers.

Dies ist schon in der ers­ten Er­zäh­lung, Erich, Erich, er­fahr­bar. Ihr Prot­ago­nist „Von Ver­lie­rern und Ver­kün­dern des wah­ren Den­kens“ weiterlesen

Skandinavisches Schweigen

Über einen Sommer des Abschieds schreibt Per Petterson in „Pferde stehlen

Ein­sa­me Spa­zier­gän­ge in der Na­tur be­för­dern oft den Ge­dan­ken­fluss und die dar­in auf­tau­chen­den Er­in­ne­run­gen. So auch bei Trond, des­sen Ta­ge durch re­gel­mä­ßi­ge Run­den mit dem Hund Ly­ra struk­tu­riert sind. Trond leb­te schon an vie­len Or­ten, nun hat er sich mit 67 Jah­ren in ei­ne al­te Hüt­te am See zu­rück­ge­zo­gen. Ein klei­ner Fluss, der manch­mal Fo­rel­len führt, mün­det in die­sen. Dort liegt ge­ra­de noch in Blick­wei­te die nächs­te Hüt­te die­ser ein­sa­men Ge­gend. Die bei­den Nach­barn ha­ben ei­ni­ges ge­mein, Al­ter, Hun­de, Na­tur und Ein­sam­keit. Und noch mehr.

Im Lauf der Ge­schich­te stellt sich her­aus, daß sie sich in ih­rer Kind­heit kann­ten. Som­me­r­erin­ne­run­gen an ein klei­nes nor­we­gi­sches Dorf an der schwe­di­schen Gren­ze und ih­re Be­zie­hun­gen zu den we­ni­gen Be­woh­ner ver­bin­den sie. Doch wol­len sie sich dar­an er­in­nern? Bis auf ei­ne knap­pe Ver­stän­di­gung über das ge­gen­sei­ti­ge Wie­der­erken­nen und dem Er­stau­nen aus­ge­rech­net in die­ser Ein­öde nun zu Nach­barn ge­wor­den zu sein, fin­det zu­nächst kei­ne Kom­mu­ni­ka­ti­on über das Ver­gan­ge­ne statt.

Trond bleibt mit sei­nen un­ge­such­ten Er­in­ne­run­gen al­lei­ne. Durch die­se er­lebt er noch ein­mal den Som­mer von einst, in dem sich so viel ver­än­der­te. Trond war fünf­zehn und ver­brach­te wie schon oft die Som­mer­fe­ri­en mit sei­nem Va­ter. Er streun­te mit dem Nach­bars­jun­gen durch die Ge­gend, half bei der Land­ar­beit und beim Holz­ma­chen. Doch es gibt auch schmerz­haf­te Er­in­ne­run­gen, zu de­nen be­son­ders das En­de der un­be­schwer­ten Kind­heit zählt.

Ver­lust und Ab­schied präg­ten den Som­mer des Fünf­zehn­jäh­ri­gen. Als Er­wach­se­ner lebt er ein er­folg­rei­ches Le­bens, nicht nur in wirt­schaft­li­cher und so­zia­ler Hin­sicht, son­dern auch er­folg­reich im Ver­such zu Ver­ges­sen. Erst die Be­geg­nung mit Lars führt ihn wie­der zu den un­ge­klär­ten Fragen.

Dem nor­we­gi­schen Au­tor Per Pet­ter­son ge­lin­gen bild­haf­te, ru­hi­ge Na­tur­dar­stel­lun­gen, die den Le­ser so­fort in den Som­mer Nor­we­gens ver­set­zen. Das Auf­ge­hen und die Be­frie­di­gung in land­wirt­schaft­li­cher Ar­bei­ten er­in­nert an ei­nes der schöns­ten Flow­er­leb­nis­se der Welt­li­te­ra­tur in „An­na Ka­re­ni­na”. Als wei­te­re li­te­ra­ri­sche Vor­bil­der, ne­ben Tol­stoi, führt Pet­ter­son Di­ckens und Rim­baud an.

Durch die Er­in­ne­run­gen, die sich im Wech­sel zwi­schen Ver­gan­gen­heit und Ge­gen­wart ent­wi­ckeln, ent­steht ei­ne sich stän­dig stei­gern­de Span­nung. Aber ge­ra­de die­se Span­nung, die Pet­ter­son so sub­til auf­baut, löst der Au­tor nicht ein. So blei­ben vie­le Fra­gen of­fen. In­ne­re Vor­gän­ge wer­den kaum be­nannt, Mo­ti­ve und Ver­hält­nis­se blei­ben un­klar. Über al­lem liegt Schwei­gen, skan­di­na­vi­sches Schwei­gen. Stil­le, nach der Trond sich sein gan­zes Le­ben lang sehnte.

Per Pet­ter­son, Pfer­de steh­len,  über­setzt v. Ina Kro­nen­ber­ger, Fi­scher Ta­schen­buch Ver­lag, 6. Aufl. 2008

Survival of the Fittest?

Von verödeten Biotopen und vereinsamten Frauen — Judith Schalansky in „Der Hals der Giraffe

Gar kei­ne Staats­form wä­re das Al­ler­bes­te. Es wür­de sich al­les schon von al­lei­ne organisieren.“

Die Bio­lo­gie­leh­re­rin In­ge Loh­mark, 55, ver­hei­ra­tet, ein Kind, klas­si­fi­ziert ih­re Um­ge­bung mit ei­nem durch Dar­win ge­schul­ten Blick. Sie ist die for­schen­de Be­ob­ach­te­rin, ihr be­vor­zug­tes Are­al das Bio­top Schu­le. Die­ses liegt in Vor­pom­mern, nur noch We­ni­ge, die kaum Nach­wuchs er­zeu­gen, woh­nen dort. Die Schu­le schrumpft und wird dem­nächst schließen.

Wie in ei­nem al­ten Na­tur­kun­de­buch hat Ju­dith Schal­an­sky ih­ren Ro­man ge­stal­tet. Die Ka­pi­tel Na­tur­haus­hal­te, Ver­er­bungs­vor­gän­ge und Ent­wick­lungs­leh­re, wer­den durch Ko­lum­nen­ti­tel dif­fe­ren­ziert. Da­zwi­schen fin­den sich Zeich­nun­gen der Au­torin, die Sche­ma­ta, Tie­re und viel Bio­lo­gie zeigen.

All’ das er­in­nert an die Schul­zeit. Auch die ver­schie­de­nen Ty­pen von Schü­lern und Leh­rern die Schal­an­sky via Loh­mark so ge­nüss­lich se­ziert als lä­gen sie auf den Plätt­chen ei­nes Mi­kro­skops, sind nicht un­ver­traut. Man ge­nießt die ers­ten Sei­ten vol­ler sar­kas­ti­scher Bon­mots in der Er­leich­te­rung die­se Pha­se sei­nes Le­bens nun end­gül­tig hin­ter sich zu ha­ben. Doch wir be­fin­den uns nicht in ei­ner Schul­sa­ti­re. Im­mer stär­ker of­fen­bart In­ge Loh­mark ih­re Ein­sam­keit. Ihr dar­win­scher Zy­nis­mus ist nur ein Mit­tel zur Di­stanz. Sie will Ab­stand schaf­fen, Ab­stand zu den Men­schen, vor al­lem aber zu sich selbst. Nur hin und wie­der lässt sie in ih­ren Re­flek­tio­nen den ein­zig wah­ren Grund auf­schei­nen. Es ist die Sehn­sucht nach ih­rer Toch­ter Clau­dia. Die­se lebt in Ame­ri­ka und mel­det sich höchs­tens noch in kur­zen Mails. Selbst von ih­rer Hoch­zeit er­fährt In­ge Loh­mark nur auf die­se un­per­sön­li­che Wei­se. Sie lei­det un­ter dem Ver­lust ih­rer Toch­ter und kann die Ur­sa­che kaum er­ken­nen. Liegt es an ih­rem Mann Wolf­gang? Der züch­tet zwar jetzt Strau­ße, die düm­mer als Schü­ler sind, war je­doch einst auch ab­ge­hau­en, ei­ne Frau und Kin­der zu­rück­las­send. Oder liegt es an ih­rem ei­ge­nen Re­pro­duk­ti­ons­geiz? Hät­te sie mehr Kin­der be­kom­men, wä­re ihr viel­leicht ei­nes geblieben.

In­ge Loh­marks Schick­sal spie­gelt sich in dem ih­rer ver­hass­ten Kol­le­gin Schwan­ne­ke. Die­se be­klagt ih­re Kin­der­lo­sig­keit oh­ne zu ah­nen, daß die Bio­lo­gie­leh­re­rin ih­re Trau­er teilt. Die ei­ne kann kei­ne Kin­der be­kom­men, die an­de­re hat zwei ver­lo­ren, ein ge­bo­re­nes und ein un­ge­bo­re­nes. Doch Loh­mark lässt kei­ne Ge­füh­le zu. We­der die po­si­ti­ven, wenn sie zu ei­ner Schü­le­rin ei­ne be­son­de­re Zu­nei­gung ver­spürt, noch die ne­ga­ti­ven, wenn sie ge­gen das Mob­bing ei­nes Mäd­chens nicht ein­schrei­ten will. Sie ver­traut auf die Selbst­re­gu­lie­rungs­kräf­te der Natur.

Dass auch die Na­tur, ins­be­son­de­re ih­re ent­wi­ckel­te Form der Le­be­we­sen, das Recht auf Schutz und Für­sor­ge hat, er­kennt sie nicht. Oder erst ganz zum Schluss, in der Er­in­ne­rung an ein längst zu­rück­lie­gen­des Ereignis.

Ju­dith Schal­an­sky schil­dert in ih­rem Ro­man sehr ein­fühl­sam, was die Un­fä­hig­keit Ge­füh­le zu zei­gen an­rich­ten kann, mit dem an­de­ren und mit ei­nem selbst. Auch die Psy­che un­ter­liegt dem Kreis­lauf der Natur.

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Zur The­ma­tik der ver­las­se­nen El­tern sei auf das Buch und die Web­site von An­ge­li­ka Kindt verwiesen.

Voyeuristisches Putzen I.

Die Suche nach Nähe in Markus Orths’ Roman „Das Zimmermädchen“ — Literaturkreis 1/2011

Wer kennt dies nicht? Vor dem Ver­las­sen des Ho­tel­zim­mers noch schnell das Nacht­hemd wie­der in den Kof­fer stop­fen, da­mit we­nigs­tens die­ses in­ti­me Klei­dungs­stück nicht von den Hän­den ei­ner Frem­den be­rührt wird? Dass die­se Frau, denn im­mer noch han­delt es sich in den sel­tens­ten Fäl­len um ei­nen Mann, daß al­so die­se für Rei­ni­gung und Ord­nung des an­ge­mie­te­ten Zim­mers zu­stän­di­ge Per­son auch an­de­re In­ti­mi­tä­ten, näm­lich den ganz per­sön­li­chen Schmutz be­sei­tigt und die zer­wühl­ten Bett­la­ken glatt­zieht, nimmt man hin. Noch mehr, es freut ei­nen, wenn die­se im Preis in­be­grif­fe­ne Putz­ak­ti­on be­son­ders sorg­fäl­tig durch­ge­führt wurde.

Un­über­treff­bar in die­ser Dis­zi­plin gibt sich Orths Zim­mer­mäd­chen im Ho­tel Eden sei­nen Auf­ga­ben hin. Sie putzt zu­erst das Bad, dann saugt sie die Bö­den, wischt mit ei­nem feuch­ten Tuch den kaum sicht­ba­ren Staub, wech­selt die Bett­wä­sche nach Tur­nus und die Hand­tü­cher nach Bedarf.

Doch Lynn ge­nügt dies nicht. „Wo an­de­re Zim­mer­mäd­chen nichts mehr se­hen, fängt es bei Lynn erst an.“ Mes­ser und Dau­men­nä­gel krat­zen den Schmutz aus Rit­zen und von Ar­ma­tu­ren, sie rei­nigt so­gar den Spalt zwi­schen Spie­gel und Ka­cheln. Sie putzt un­sicht­ba­re Fle­cken und wür­de am liebs­ten „Voy­eu­ris­ti­sches Put­zen I.“ weiterlesen