Von Verlierern und Verkündern des wahren Denkens

Irgendwann ist Schluss“ – neue Erzählungen von Markus Orths über Wahn, Sehnsucht und Einsamkeit

Orths_Irgendwann_ist_SchlussUnd der Com­pu­ter bringt mir al­les ins Haus: Fil­me, In­for­ma­tio­nen, Neu­ig­kei­ten, Bü­cher, Thea­ter­stü­cke, al­les, was ich will. Ich muss nicht hin­aus in die Welt, die Welt kommt zu mir. Mein In­ter­es­se ist wie ein Schwamm. Es un­ter­schei­det nicht nach der Far­be des Was­sers, das es auf­saugt, oder ob es schmut­zig ist oder sauber.”

Span­nung, die an­fangs sub­til an­klingt und sich dann in un­ge­wöhn­li­chen Hand­lungs­ver­läu­fen ent­wi­ckelt, kenn­zeich­net das neue Buch von Mar­kus Orths. Nach dem Ro­man Die Tarn­kap­pe, der mir aus­ge­spro­chen gut ge­fal­len hat, liegt nun im Schöff­ling Ver­lag ein Band mit acht meist län­ge­ren Er­zäh­lun­gen vor, die in un­ge­heu­er­li­cher Art exis­ten­ti­el­le Fra­gen berühren.

In je­der sei­ner Ge­schich­ten wirft Orths sei­ne Le­ser zu­nächst ins Un­ge­wis­se. Die Mo­ti­ve der Fi­gu­ren er­schei­nen un­klar, erst nach und nach wer­den In­di­zi­en auf­ge­deckt, die Hand­lung schlägt un­er­war­te­te Vol­ten und en­det sel­ten mit ei­ner ein­deu­ti­gen Lö­sung. Der Aus­gang ist eher ei­ne Auf­for­de­rung wei­ter zu den­ken, be­greif­bar als Tür zwi­schen der Phan­ta­sie des Au­tors und der Vor­stel­lung des Lesers.

Dies ist schon in der ers­ten Er­zäh­lung, Erich, Erich, er­fahr­bar. Ihr Prot­ago­nist Erich flieht vor ei­ner Be­dro­hung in das Haus sei­ner El­tern. Er baut es zur Fes­tung aus und war­tet in die­sem Pa­nik­room dar­auf, daß sei­ne schlimms­te Vor­stel­lung Rea­li­tät wird. Doch ga­ran­tiert ei­ne Über­wa­chung mit al­len Mit­teln der mo­der­nen Tech­nik ab­so­lu­te Si­cher­heit? Ist die­se über­haupt mög­lich? Die span­nen­de Ge­schich­te ei­ner Be­dro­hung kann als Kri­tik am un­re­flek­tier­ten Ge­brauch der neu­en Me­di­en ge­le­sen wer­den. Sie schnei­den Erich von der Au­ßen­welt ab und ma­chen ihn ein­sam. In Er­war­tung der töd­li­chen Ge­fahr hat er be­reits vor dem Le­ben kapituliert.

Auch die an­de­ren Er­zäh­lun­gen ver­fü­gen über meh­re­re Ebe­nen. So wirkt die Schil­de­rung wie Karl Bi­sch­off ge­gen die BRD vor Ge­richt zieht, die auf ei­nem rea­len Fall ba­siert, zu­nächst als Wut­bür­ger-Sa­ti­re. Die­ser al­tern­de LOHA, man sieht un­wei­ger­lich ei­nen S21-De­mons­tran­ten vor sich, mo­bi­li­siert sein po­li­ti­sches En­ga­ge­ment we­gen der Sehn­sucht nach sei­nem Sohn. Er fühlt die Ein­sam­keit und möch­te die ver­meint­lich ver­lo­re­ne Zu­nei­gung zu­rück ge­win­nen. Doch über dem Ein­satz für die Welt ver­nach­läs­si­gen bei­de die Be­zie­hun­gen zu ih­ren Nächs­ten. In die­ser Ge­schich­te sym­bo­li­siert ei­ne Hal­ma­fi­gur auf der Waag­scha­le die mög­li­che Macht der Vie­len. Es ist ei­nes der star­ken Bil­der, die zum Stil Mar­kus Orths” zäh­len, der in span­nungs­rei­chen Sze­nen mit kur­zen, prä­gnan­ten Sät­ze ein un­ge­heu­res Tem­po erzeugt.

In Lö­wes Welt er­zählt er wie die Su­che nach ei­nem Ghost­wri­ter, der in ge­nia­ler Wei­se Dis­ser­ta­tio­nen für an­de­re schreibt, zu ei­nem Evan­ge­li­um des wah­ren Den­kens führt. Er schil­dert in Pyg­ma­li­on Soap wie ei­nem Mann er­fun­de­ne und er­leb­te irr­wit­zi­ge Lie­bes­ge­schich­ten wi­der­fah­ren. In Shot to Not­hing, ei­ner Snoo­ker­par­tie auf Le­ben und Tod, führt Orths den Le­ser nicht nur in die Re­geln die­ses Spiels ein. Schließ­lich be­geg­nen wir in Die Stim­me ei­nem Glücks­pilz, der plötz­lich aus der Rol­le und aus sei­nem Le­ben fällt.

Doch hin­ter al­lem Sus­pen­se die­ser Ge­schich­ten wirft Orths, der stu­dier­te Phi­lo­soph, grund­sätz­li­che Fra­gen auf, die zur wei­te­ren Be­schäf­ti­gung an­re­gen. Er blickt auf den un­be­re­chen­ba­ren Wahn, dem je­der, auch ein Zim­mer­mäd­chen, plötz­lich be­geg­nen kann, nicht oh­ne Iro­nie und bis­wei­len mit Humor.

Mar­kus Orths, Ir­gend­wann ist Schluss. Schöff­ling Ver­lag. 1. Aufl. 2013

4 Gedanken zu „Von Verlierern und Verkündern des wahren Denkens“

  1. Mir war Mar­kus Orths ehr­lich ge­sagt kein Be­griff ge­we­sen, bis mir je­mand ge­nau die­sen Er­zähl­band emp­foh­len hat und mich neu­gie­rig auf den Au­tor mach­te. Schön, hier nun ei­ne Be­spre­chung die­ses Bu­ches zu fin­den — viel­leicht ein gu­ter Ein­stieg in Orths” Werk. Was meinst du? Hast du noch an­de­re Bü­cher von ihm ge­le­sen? Gibt es Romane?

    1. Ich ken­ne drei Ro­ma­ne von Mar­kus Orths, „Leh­rer­zim­mer” und die bei­den oben ge­nann­ten „Die Tarn­kap­pe” und „Das Zim­mer­mäd­chen”. Der Letzt­ge­nann­te stand im Er­schei­nungs­jahr auf der SWR-Bes­ten­lis­te. Zu die­sen bei­den fin­dest Du auch ei­ne Re­zen­si­on von mir, hier und hier. Ich wür­de ei­nen die­ser drei Ro­ma­ne als Ein­stieg wäh­len, „Leh­rer­zim­mer” ist ei­ne Sa­ti­re auf den Schul­be­trieb, Orths war zeit­wei­se Leh­rer. „Das Zim­mer­mäd­chen” wür­de ich als psy­cho­lo­gi­schen Ro­man be­zeich­nen, „Die Tarn­kap­pe” ist sehr phi­lo­so­phisch. Al­le ha­be ich als sehr span­nend empfunden.

  2. Dan­ke dir! Die Leh­rer­sa­ti­re reizt mich nicht so sehr, die an­de­ren bei­den Ro­ma­ne aber schon, vor al­lem „Das Zim­mer­mäd­chen”. Die­ses Voy­eu­ris­ti­sche — das er­in­nert mich ein biss­chen an In­ger-Ma­ria Mahl­kes „Sil­ber­fisch­chen”. Mer­ci für die Empfehlung!

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