Glücks-Reigen

In „Glücklich die Glücklichen“ schreibt Yasmina Reza von der Veranlagung zum Glück

Reza_24482_MR.inddGlück­lich die Ge­lieb­ten und die Lie­ben­den und die auf die Lie­be ver­zich­ten kön­nen. Glück­lich die Glück­li­chen.“ (Jor­ge Lu­is Borges)

Was ist Glück? Was macht ei­nen glück­li­chen Men­schen aus? Was un­ter­schei­det ihn von anderen?

Ant­wor­ten gibt die be­kann­te Dra­ma­ti­ke­rin, Yas­mi­na Re­za, die mit ih­rem Thea­ter­stück „KUNST“ und dem von Pol­an­ski ver­film­ten „Der Gott des Ge­met­zels“ auch ei­nem brei­ten Pu­bli­kum be­kannt wur­de, in ih­rem kürz­lich er­schie­ne­nen Ro­man „Glück­lich die Glück­li­chen“. Ihm stellt sie ei­nen Satz von Bor­ges vor­an, der die Viel­ge­stal­tig­keit des Phä­no­mens Glück andeutet.

Mit Witz und mit viel Me­lan­cho­lie prä­sen­tiert sie in star­ken Dia­lo­gen ihr Per­so­nal und des­sen Hang zur Es­ka­la­ti­on. Be­zie­hun­gen ste­hen im Vor­der­grund, die zwi­schen Paa­ren, zwi­schen El­tern und Kin­dern, Freun­den oder Be­kann­ten. Doch ein Ro­man ist die­se An­ein­an­der­rei­hung von Sze­nen kaum, bes­ten­falls ein Epi­so­den­ro­man wie man ihn aus Fil­men wie „Night on Earth“ kennt. In Mo­no­lo­gen er­zäh­len Ein­zel­ne ih­re sub­jek­ti­ve Sicht auf die je­wei­li­gen Kon­stel­la­tio­nen. Der Le­ser wird so mit ein, zwei wei­te­ren Fi­gu­ren be­kannt und die ein­zel­nen Ver­hält­nis­se ver­knüp­fen sich all­mäh­lich zur ei­nem Netz von Beziehungen.

In den 21 Ge­schich­ten kom­men 19 Haupt­per­so­nen zu Wort. Odi­le und Ro­bert Tos­ca­no, ei­ne An­wäl­tin und ein Jour­na­list mit zwei Kin­dern, bil­den den Aus­gangs­punkt. Sie er­öff­nen den Rei­gen mit ei­nem gran­dio­sen Ge­ran­gel im sams­täg­li­chen Su­per­markt­stress. Da­bei geht es nicht nur um den rich­ti­gen Kä­se, son­dern um Grund­sätz­li­ches, die Macht und den Kampf um sie. Dass es auch an­de­ren Paa­ren dar­in nicht bes­ser er­geht, be­ob­ach­ten die Tos­ca­nos bei ih­ren Freun­den. Die Con­da­mi­nes und die Hut­ners bil­den die Sei­ten­ar­me ei­nes Ge­flechts, das sich zu wei­te­ren Ver­wand­ten und Be­kann­ten verästelt.

Ei­ne Zu­falls­be­kannt­schaft im War­te­zim­mer des On­ko­lo­gen, in das Vin­cent sei­ne krebs­kran­ke Mut­ter be­glei­tet und sich we­gen ih­rer Flirt­lust ge­niert, führt Jean Eh­ren­fried ein. Die­sem Freund von Odi­les Va­ter be­geg­nen wir spä­ter in ei­nem ei­ge­nen Ka­pi­tel wie­der und auch der Arzt Dr. Chem­la darf von sei­nem ganz ei­ge­nen Lei­den berichten.

Reza2Je­der hat ir­gend­wie mit je­dem zu tun und trotz al­ler In­di­vi­dua­li­tät ver­bin­den sie ähn­li­che Pro­ble­me. Re­za ge­währt in ih­ren Ge­schich­ten Mo­ment­auf­nah­men. Die­se er­mög­li­chen Ein­bli­cke in Ehen und Fa­mi­li­en, in Af­fä­ren und Ver­rückt­hei­ten, in de­nen Ein­sam­keit, Ent­frem­dung und Tod ei­ne Rol­le spie­len. In sprit­zi­gen Dia­lo­gen ent­wi­ckeln ih­re Sze­nen ei­ni­ges an Fahrt. Doch oft kippt das, was eben noch amü­sant und gro­tesk er­scheint, in Tra­gik. Manch­mal ge­lingt ihr dies ganz lei­se. So, wenn sie von Mar­gue­ri­te er­zählt, der früh ver­wit­we­ten Tan­te Odi­les, die sich in ih­rem Wunsch nach ei­nem neu­en Part­ner an ei­ne Ho­tel­be­kann­te er­in­nert. Da­mals be­glei­te­te sie noch ihr Mann, und sie be­dau­er­te die al­lein­ste­hen­de Mme Co(m)pain. De­ren Lö­sung war ei­ne Ge­sell­schaf­te­rin, Mar­gue­ri­te hin­ge­gen be­tet um ihr Glück.

Für Yas­mi­na Re­za ist Glück ei­ne Ver­an­la­gung, die, wie sie in ei­nem In­ter­view mit Ste­fan Bränd­le im Stan­dard dar­legt, nicht je­der be­sitzt. Mar­gue­ri­te wird es dem­nach nicht mehr er­lan­gen, wäh­rend Vin­cents flirt­lus­ti­ge Mut­ter es sich trotz Al­ter und Krank­heit bewahrt.

Mit Tem­pe­ra­ment er­zählt Yas­mi­na Re­za poin­tiert und in ge­schlif­fe­nen Dia­lo­gen, wie nor­ma­le und auch ver­rück­te Fran­zo­sen le­ben, manch­mal glück­lich manch­mal nicht. Und es ge­lingt ihr sehr gut, den Le­ser in das In­nen­le­ben ih­rer Prot­ago­nis­ten zu führen.

Ein Man­ko ist je­doch die un­ge­nü­gen­de Dif­fe­ren­zie­rung der Be­zü­ge. Ich bin wahr­lich kein Gän­se­füß­chen­fan, aber in ir­gend­ei­ner Wei­se soll­ten un­ter­schied­li­che Dia­log­part­ner kennt­lich ge­macht wer­den. Das ge­schieht im vor­lie­gen­den Buch lei­der nicht im­mer. Des­halb emp­feh­le ich aus­nahms­wei­se das Hör­buch, in dem un­ter an­de­rem Wolf­ram Koch, Eva Mat­tes und Bir­git Mi­nich­mayr Re­z­as Tex­te lesen.

Yas­mi­na Re­za, Glück­lich die Glück­li­chen, Han­ser Ver­lag, 1. Aufl. 2014

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